Archiv für die Kategorie ‘Allgemein’

Loveletter to a Festival: Aaretaler Kurzfilmtage

Clemens Kuratle am Freitag den 16. November 2018

Gänzlich ungebeutelt und vom Feuilleton ignoriert, starten heute die Aaretaler Kurzfilmtage. Ein Besuch lohnt sich.

Mögliches Lo-Fi Highlight. Women acting like dictators.

Thun ist nirgends und davor noch weniger. Weit gefehlt! Wo das kulturelle Vakuum droht, raufen sich gute Geister zusammen und schaffen Grosses. So geschehen in Münsingen, wo ab heute in den Räumen des Schlossgutareals die Kurzfilmtage mit einer Auswahl aktuellen (Kurz)-filmschaffens aufwarten.
Serviert wird in kontrastreichen Blöcken von ca. 50 Minuten, Europa in seiner ganzen Vielfalt ist stark vertreten, Übersee und der arabische Raum warten mit einigen Perlen auf, Despoten kriegen ihr Fett weg, Frauen spielen an deren Stelle Diktator und was die eigene Bubble an Missständen verschluckt, wird einem hier kompakt und lustvoll in die Fresse gehauen. Kurz: Ein wichtiger Wachrüttler, jetzt wo der Winter einkickt. Weil Einschlafen nicht drin ist, jetzt wo’s dann bald wieder ans Abstimmen geht. Gäu!

Um die Niederschwelligkeit zu gewährleisten, hat die Festivalcrew sämtliche Filme übersetzen und untertiteln lassen. Raus aus der Stadt, also! Die Aaretaler Kurzfilmtage starten heute um 19:00. Alle Infos hier.

Rauchfrei am Konzert

Ilona Steiger am Sonntag den 11. November 2018

Für KulturStattBern zeichnet Ilona Steiger aka rauchfrei93 als Gastillustratorin sonntäglich Shortstorys aus dem urbanen Untergrund und von der Sandsteinoberfläche. 

(S)hush Hush

Clemens Kuratle am Mittwoch den 7. November 2018

“Speak easy-Konzert” nennt sich die Konzertreihe, zu deren geladenen Gästen der Autor sich letzten Montag zählen durfte. Anthony d’Amato war zu Gast. Man dankt und résumiert.

Ein Blick durch den Spiegel ins Dachgebälk.

 

Erklärtes Ziel der Veranstaltung ist, der herbstlichen Kälte soul-warming music entgegenzuhalten.  “BYOP” (Bring your own pillow). Irgendwo im Mattenhof, Hintereingang, die Treppe rauf bis zum Dachgebälk, überhaupt tönt alles recht gemütlich. Die Anzahl Wollpullover, die sich in ominösem Estrich zusammengefunden hat, ist entsprechend hoch. Nur ein grossgewachsener Herr, häufiger Gast an verschiedensten alternativen Kulturveranstaltungen, bleibt auch hier seinem Anzug treu. Stilistisch und  altersmässig durchmischt ist die Gesellschaft also schon mal.

Die Gastgeberin grüsst freundlich und fordert ebenso herzhaft zur Rücksicht auf die Nachbarn auf. Nun warten wir auf Anthony D’Amato, Songwriter von ennet dem Teich, welcher sich der Zusammenarbeit mit verschiedensten Helden von drüben rühmt. Gute zehn Minuten nach der Ansage legt er auch bereits los. Man merkt schnell: Um den Herrn mit Gitarre braucht man sich keine Sorgen zu machen. Tourgestählt präsentiert er seine Songs, ohne viel Klamauk, mit den nötigen Finessen in Arrangement und Gitarrenspiel und dem unwiderstehlichen Drive der American Folk Music.  Gewährleistet wären sie also, die Zutaten, die einen Songwriterabend von einem Abend am Lagerfeuer unterscheiden. Amato reizt die dynamische Bandbreite seiner Gitarre aus und schafft’s so die Spannung aufrecht zu erhalten.
Zwei kurzweilige Sets später ist der Gig vorbei, sind zwei Zugaben zum Besten gegeben und auch das obligate Dylan-Cover gespielt. Die eigenen Songs vermochten nicht immer restlos zu überzeugen. Teils vorhersehbar in Struktur und Material, zu nahe an bereits Bekanntem sind die Stücke, auch wenn sie lyrisch immer wieder mit Humor auftrumpfen. Schwächen, die aber durch die starke Performance grösstenteils kompensiert wurden.

Der Abend als Ganzes geht mehr als in Ordnung. Der heiss geliebte Wohnzimmervibe, in Dreieinigkeit mit Gastgebern die wissen was wichtig ist und einer Kollektenkultur die den Namen verdient machen, dass hier niemand zu kurz kommt. Man spürt, hier kann Musik passieren, die das Bewusstsein der Hörer umpflügt. Und so wankt der Autor nach einem zu starken Absackerli nach Hause. Unbeackert zwar, aber im Frieden mit sich und der Welt. Und den Frieden wünscht man sich an einem Montag doch am meisten.

Weil die Dinge hier in Ordnung sind

Mirko Schwab am Mittwoch den 7. November 2018

Mani Matter. Und auch mir ist kürzlich ein halbes Loblied auf die Schweizer Demokratie entfahren. Hat sich angefühlt wie ein Furz. Wie einer, den man zuerst nicht riecht, der dann aber lange in der Zimmerluft stehen bleibt.

Bin über die Bundesterasse gestolpert. Über den Bundesplatz hinein, dem Bundespalast entgegen. Helvetia. Du kolossaler Gugelhopf mit grünem Zuckerguss. Dich fresse ich zum Frühstück auf, bist so süss. Niemand da, nur Du und ich. Nur Du, Demokratie und ich, ein Taugenichts aus dem Leben. Bist so süss, ich fass dich an. Das kann ich, niemand da, keine Polizei, nein, keine Armee, nein. Ich fress dich auf, weil ich dich liebe. Lässt mich ran, ganz nahe ran. Niemand da, dich zu bewachen, nackt und süss bist du da und ich fass dich an, beiss von dir ab, lass dich mir schmecken. Grünspan auf der Zunge – nein, kein Grünspan, sagt das Internet, Kupferhydroxide bzw. Kupfercarbonate – auch gut, ich komm dir nah, ich fass dich an, ich ficke dich, Demokratie, ganz lieb will ich dich ficken jetzt. Und keiner da, keine Polizei, nein, keine Armee, nein.

Der Bundespalast wird nicht, wie in anderen Nationalstaaten üblich, von der Öffentlichkeit abgeschirmt, d.h. von den Taugenichtsen aus dem Leben. Weil die Dinge hier in Ordnung sind. Weil die freiwilligen und ordentlichen Mannli und Froueli, Toggeli, aus dem ganzen Land mit dem Zug anreisen und zu Fuss durch die von schönen Geranien gesäumte Obere Altstadt toggeln. Toggeln dann hin zum Bundespalast, der Haus heisst, weil liebe und ordentliche Leute halt in Häusern wohnen. Und im Bundeshaus drin gehen sie dann schauen, dass die Dinge hier in Ordnung bleiben. Ordentliche und friedliebende Leute sind das hier halt. Das ist schön, das ist schön.

Darum brauchts auch keine Waffen. Blöder Zufall, schlecht gelaufen, kann passieren, wenn die halt dann Waffen bauen, die lieben Leute im Land, kann passieren. Zum Beispiel in Neuhausen am Rheinfall. Aber da gehts ja nicht um Waffen, sicher nicht in erster Linie, da gehts um Präzision und Perfektion und Zuverlässigkeit. Um die Ordnung, der wir schauen müssen.

Aber hier brauchts eben keine Waffen. Blöder Zufall, wie gesagt, dass die lieben Leute dann trotzdem immer wieder Waffen bauen, können es nicht lassen, Lausbuben. Aber schon mit Talent, das muss man sagen, Präzision und Perfektion und Zuverlässigkeit. Und dann wäre es ja schade – da muss man sich nicht unter seinem Wert – also die Waffen – die kann man ja immernoch verkaufen. Irgendwohin, wo die Leute nicht so gut sind in Präzision und Perfektion und Zuverlässigkeit. Das ist schon in Ordnung, sollen dann einfach keinen Seich machen damit.

Im Jemen. In Syrien. In Lybien.
Mani Matter? Money Matters.

Ich ficke dich, Helvetia. Ganz langsam. Fick dich schneller. Ich ficke alles, was du gelten lassen willst.

Bevor ich dich auffresse und dich nicht verdauen kann. Dann halt stinkts. Aber eben so, dass man es zuerst nicht riecht. Was einmal reingeht, muss wieder rauskommen. Was einmal raufgeht, muss wieder runterkommen.

Rauchfrei seit 1993

Ilona Steiger am Sonntag den 4. November 2018

Für KulturStattBern zeichnet Ilona Steiger aka rauchfrei93 als Gastillustratorin sonntäglich Shortstorys aus dem urbanen Untergrund und von der Sandsteinoberfläche.

Herrgottsiech …

Urs Rihs am Donnerstag den 1. November 2018

… der Baze: Hegemonialgeerdet und breitbandstörrig wie immer – tauft am Freitag sein neues Album im Dachstock. Gott …

… verreckt, gottverlasse und gottlob – Baze spielt «Gott».
Ein Hoffnungsstück, Hoffnungsstücke? Aus den Bruchstücken von früher wer weiss?
Wir auf jeden Fall dürfen Hoffnung fassen. Denn die neue Scherbe von unserem menschgewordenen Harmonium leuchtet warm, klangfarblich betrachtet, mit unerhört viel Luft zwischen den Takten und Zeilen.
Luft zum Denken, Luft zum Atmen – das gibt Platz, Raum um Abstand zu gewinnen. Von der Welt,
vor sich selbst.

Das ist vielleicht das Wohltuendste, das Wichtigste um zu genesen.
Von den Wunden, die der Alltag schlägt. Baze schlägt zurück mit seiner Kunst.
Und das ist gut so.
Gottverdammt gut so.

Support nicht vergessen, aus dem Osten – Dave Eleanor, fluide Bassmusik, die einen durchströmt wie ätherische Essenzen.

Zu allem sag ich Ja
und Amen.

“Gott” von Baze – oder das Phänomenologie auch klingen kann.

Wie ein Gletscher seine Findlinge

Mirko Schwab am Mittwoch den 31. Oktober 2018

Triff mich nachts an der alten Bushalte.
Auf Besuch beim «Kunsthaus Steffisburg»

Das Bahnhofbuffet, das nicht mehr ist. Nicht mehr als eine tümelige Fassade am Bahnhof Thun. Und dahinter Coop Pronto. Jessica und ich holen zweimal Prosecco aus der Dose, den wir uns kredenzen im Bus Nummer 1 nach Steffisburg Flühli. Rekruten und Alte und ein irgendwo im Gelenkwagen explodiertes Sportdeodorant rahmen die kurze Fahrt nach dem Vorort ein. Weit weg.

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J*** – Guide für Bern

Clemens Kuratle am Dienstag den 30. Oktober 2018

Spielen am Eröffnungsabend des Färbi Jazzfests: District Five aus Zürich.

Nach längerer Absenz und dem Chlapf zum Grind von Schwab, neuerdings Aktivmitglied bei den Anonymen Improvisierenden, hier ein Jazz-Guide für die Woche. Im Grossraum Bern läuft was. Raus, raus, raus!

Heute: Nach dem man die Woche gestern unter den Sternen eingeswungen hat, wäre jetzt der Zeitpunkt den Tuesdayjam in der Matte aufzusuchen. 5ième-Étage. Ab 20:00 gibt’s da für 5 Stutz ein leckeres Risotto, um 21:00 eröffnet eine Rhythmsection und eine Stunde später wird gejamt bis ’round midnight. Fumoir mit Billard inklusive.
Mittwoch: Hier empfiehlt sich, wer sich nicht schon so für’s Beeflat entschieden hat (kein J*** aber gut!), ein Ausflug ins tropische Gewächshaus in Zollikofen. Dominic Eglis Plurism mit Trompeter Feya Faku aus Südafrika lassen die improvisierte Groovemusik so richtig hochleben. Ganesh Geymeyer und Raffaele Bosshard komplettieren die Band. Heros allesamt!
Donnerstag: Die Doppelbelastung geht weiter. Die Langenthaler Jazzelite (die Geschwister Schuler und Trumpet-Tausendsassa Nicola Habegger) startet ihr Festival in der Färbi und trumpft täglich mit einem Projekt aus dem OK und einem Highlight des aktuellen Schweizer Jazzoutputs auf. (District Five, Vera Kappeler Solo, Der White Rauschen, Kali) Ein wahrlich grosses Line-Up. Das alles im Oberaargau.. Ab nach Langenthal! Gleichzeitig spielt das Trio Beck/Landolf/Rossy bei Bejazz. Grosser Jazz und just a busstop away. Herrje..
Freitag: Clinch-Day No. 2. Bern oder Langenthal, Färbi oder Bejazz. Und gleichzeitig öffnet der Gitarrist Nick Perrin noch seinen Flamencokeller in der unteren Altstadt.
Samstag: Bejazz fällt weg, dafür wärmt das Singe unsere Herzen mit Herve Samb aus dem Senegal und treibt hoffentlich auch die Fäulsten in die Peripherie. Singe oder Färbi, Färbi oder Singe..
Sonntag: Grosses Akkordeon aus Frankreich im Bee-Flat. Vincent Peirani wird euch nicht enttäuschen.  Oder – ihr ahnt’s bereits – FÄRBI!

Lass uns Lieben – Puts Marie

Urs Rihs am Sonntag den 14. Oktober 2018

Der Fischer hiess uns letztens, er hiess uns zu schreiben und noch besser Liebesbriefe.
Also schreib ich, an eine Band, die Band der Stunde.

Stell dir vor: Untergehende Sonne, in der Luft schon die süsse Ahnung einer langen Nacht, der längsten. Im kaputten Rom von Übermorgen – feuchter, bohemer Traum.
Halbzerfallene Renaissancebauten und trotzdem so schön wie noch nie, eine Stadt dem Halbdunkeln und so hell wie noch nie. Puts Marie, Puts Marie –

Undurchsichtig, unnahbar, eine rauschende, flirrende Idee von wie das klingen sollte – viel Rauch, viel Krach, viel Drama,
und lassen nicht bloss die Gebrochenen das Licht durchscheinen?
Puts Marie, Puts Marie –

Lasst uns die Brunnen mit den besten Tropfen aller Zeiten füllen, lasst uns mit dem edelsten Tscharas alle Gotteshäuser beweihräuchern und in den sterilen Laboratorien der Technokraten das reinste Acid synthetisieren. Und dann lass uns riechen, lass uns schnaufen, lass uns leben.
Lass uns lieben.
Puts Marie, Puts Marie –

Auf Clubtour mit ihrem neuen und lang ersehnten Album, die Band mit dem abgründigsten und erdeschönsten Soul, der Stunde und bitter, bitter nötig – Puts Marie.

Erster Spieltag ist nächsten Freitag im Südpol, Luzern.

250 Lastwagen und stolz drauf.

Urs Rihs am Freitag den 28. September 2018

Es riecht nach Herbst im Wankdorfquartier und der ganzen Siedlung.
In den Werkhöfen des Tiefbauamtes werden die Zündkerzen der Laubbläser mit Messingdrahtbürsten gereinigt. Die Besen gebunden, die Strassensauger poliert.
Bis Ende Saison gibt das etwa einen riesigen Haufen Blätter – 250 Lastwagen voll.

Erst halten die Bäume aber den Schnauf an. Saugen ihrem Laub den Stoff ab.
Das Blattgrün weicht, kommt das Rot, dann der Fall.
«Es geht um Leben und Tod» steht in der GEO, ein Laubbaum würde den Winter mit Blättern nicht überstehen, zu schwer wöge die Last der Krone.

Es riecht nach Modder, nach Muff, erdig, weil das Laub verfault.
Nach Reifearomen und animalischen Noten – Herbst.
Die Atmo filtert uns das flach einfallende Licht der Heliumkugel warm und die Farben ballern Kontrast – Herbst. Die Stadt erscheint im Aufputz.

Und die Tiefbauämtler rücken an – zu ihrem Pièce de Résistance:
Den Asphalt vom schmierigen Braun freihalten.
Damit du dich mit dem Velo nicht hinlegst, nachts.

In Parkanlagen die Blätter mit Rechen zu Hügel harken.
Damit deine Kids sich darin suhlen können und auf schlafende Igel treten, oder Hundsdreck.

Und die Tiefbauämtler schwitzen bei ihrer Arbeit und fluchen dabei und rauchen zum Schaffen.
Und du regst dich auf dabei – weil das so viel kostet gell und weil das so bünzlig ist und sinnlos mit dem Benzinlaubbläser. Und du raunst dabei und staunst:

«Wieviel Blätter das wohl sind pro Jahr? Wieviel die wohl wiegen

Das liesse sich doch hochrechnen, denn bei den 21 000 städtisch verbrieften Bäumen auf öffentlichem Grund – schreibt das Baumkompetenzzentrum – und den durchschnittlich 20 Kilo Laub pro Stamm – sagt die GEO – sind das 420 000 Kilogramm Laub am Boden.

Und bei einem geschätzten Gewicht von ca. 1,6 Gramm pro Blatt – was einem dünnen A4 Druckpapier entspricht – sind das um die 260 000 000 stadtbernische Blättchen.

Ich frag den Tiefbauämtler, wie es ihm ergeht beim Wischen und ob er sich in der Winkelriedstrasse – mit ihrer Ahornallee – nicht wie Sisyphos unten am Berg vorkomme?

«Den musst du dir», belehrte er mich, «als glücklichen Menschen vorstellen.»
«Der Typ ist vom Fach!» denk ich und halte den Rand.

Zum Abschuss dann er nochmals:
«250 Lastwagen voll Laub putzen wir Strassenfeger jeden Herbst weg.
Wegputzen alles, das ist eine Herkulesaufgabe, wenn du schon bei den Griechen bist –
wir putzen es einfach weg

und sind einfach nur stolz drauf.»

“Selbst festgefahrenes Laub auf Asphalt lässt sich mit sehr starken Laubbläsern entfernen”, sagt M* vom Tiefbauamt.