Triff mich nachts an der alten Bushalte.
Auf Besuch beim «Kunsthaus Steffisburg»
Das Bahnhofbuffet, das nicht mehr ist. Nicht mehr als eine tümelige Fassade am Bahnhof Thun. Und dahinter Coop Pronto. Jessica und ich holen zweimal Prosecco aus der Dose, den wir uns kredenzen im Bus Nummer 1 nach Steffisburg Flühli. Rekruten und Alte und ein irgendwo im Gelenkwagen explodiertes Sportdeodorant rahmen die kurze Fahrt nach dem Vorort ein. Weit weg.

Als das Tram Ende der Fünfzigerjahre dem Autobus wich, wurde die neue Endstation errichtet. (Quelle: Archivmaterial STI)
21:43. Als hätten wir Schlimmes vor, stehen wir dann da, ganz allein im Dorfkern Steffisburg. Kurz vor der Nachtruhe. Keine Hündeler, keine Drögeler. Und der Luft rauscht durch die Baumkronen, deren herbstliche Farben die Dunkelheit bereits verschluckt hat. Es bräuchte wenig und schon überkäme einen dieses Schaudern, ein Vorstadtschaudern.
Am anderen Ende des Platzes steht ein ausgedientes Bushäuschen, ein prosaischer Unterstand mit Billetschalter, ein Zeitdokument allemal. Mit «Kunsthaus Steffisburg» ist es angeschrieben. Hübscher Name für ein hübsches Projekt, das zeitgenössisches Kunstschaffen in die Gemeinde tragen will. Und feine Selbstironie, selbstverständlich, der dörflichen Enge mit weltläufigem Selbstbewusstsein zu begegnen.
Eng ist es an der alten Bushhaltestelle, die mal Symbol war für Aufbruchstimmung und Strukturwandel im Steffisburg der Fünfzigerjahre, ein Symbol aus Beton vor den Walmdächern. So eng, dass Kurator Christoph Rihs die Skulpturen der gegenwärtigen Ausstellung auf dem Flachdach der Haltestelle anbringen liess. Und so schaut einem ein «Bestiarium Helveticum» entgegen von der Dachkante. Mit Arbeiten von Mickry 3, Selina Baumann, Oliver Estoppey, Monsignore Dies und Pavel Schmidt ist ein obskures Gruppenbild entstanden, wo Halbwesen, (Un)tiere und Monster in die dörfliche Nachtruhe starren. Gerade so scheint die kuratorische Rechnung bestens aufzugehen; im Halblicht und verführerischen Schattenspiel, mit der aufgehenden Mondkugel über dem erstarrten Wolfstier – es bräuchte wenig und schon überkäme einen dieses Schaudern, schon wähnte man sich am Gemäuer der Villa Palagonia auf Sizilien.
Die unorthodoxe Inszenierung bringt aber auch Probleme. Gerade Monsignore Dies’ Krämereien, verspielt kompiliert und detailverliebt, sie verwehren sich dem Betrachterblick und ertrinken hoffnungslos im Dunkel. Und es klafft eine unüberwindbare Hierarchie: Wir da unten, wir das Dorf. Da oben die Kunst aus fremden Welten, die wir ansehen dürfen, in deren Nähe wir nicht kommen können. Ein Fragezeichen also hinter den gutgemeinten Schlagworten, mit denen die Organisator*innen der Steffisburger Kulturinitiative für ihr Projekt werben: «Partizipation», «Dialog» und «Brückenschlagen».
Ein Teenager-Pärchen schlendert über den Platz, auf der Suche nach einem Ort zum Kiffen oder Knutschen oder ein bisschen Reden. Um zehn Uhr ist Lichterlöschen, das Bestiarium legt sich schlafen. Jessica macht Fotos von ihren Turnschuhen aus dem Brockenhaus und der inzwischen leeren Proseccodose.
Wie ein Gletscher seine Findlinge, gibt der Zeitgeist Orte frei. Hüllen, Brachland, ausgedient im Wandel der Bedürfnisse, Ruinen des Öffentlichen Verkehrs. Um ein altes Bushaus wuchert Kunst. Im alten Bahnhofbuffet ist Coop Pronto.
Die Gruppenausstellung «Bestiarium Helveticum» wird noch bis zum 11.11. im Kunsthaus Steffisburg gezeigt.
good ol’ Steffisburg – da wo ich als Bub mit Papi zu seinem alten Chef ging, zum “Brand”, der hatte in einem Zimmer Stokys à gogo, aus dem er mechanische Kunstwelten baute, im Verhätnis 1:10, für Kinder und ausgediente Ingenieure.
Und im Estrich gab’s kilometerweise Märklin.
Und zum Znacht Gratin dauphinois.