
Gebrehanna Productions möchten individuelle und kollektive Erfahrungen theatral erforschen. Zum Beispiel den Fall des sozialistischen Regimes in Äthiopien.
Wie bringt man einen jahrhundertelangen Kampf um Freiheit und Unabhängigkeit auf die Bühne? Zum Beispiel, in dem man davon erzählt. Der äthiopischen Regisseur Aron Yeshitila, der inzwischen in Brugg wohnt, wollte in seiner ersten Inszenierung “Kings of Interest” auf die Interessen europäischer Mächte aufmerksam machen, die den demokratischen Wandel in seinem Heimatland immer wieder erschweren. Als Grundsituation wählt er ein Treffen unter Freunden: Seine Gruppe “Gebrehanna Productions”, zur Zeit bestehend aus vier Performenden, zwei davon Schweizer*innen, zwei davon Äthiopier sitzen bei Aron am Küchentisch. Man diskutiert über die neusten politischen Entwicklungen. Während die Schweizerin begeistert und hoffnungsvoll ist, winken die beiden Äthiopier ab: Zuviele Versprechungen wurden schon gemacht und nicht gehalten, als dass man den neusten Versicherungen Glauben schenken würde. Um zu erklären, woher dieser Pessimismus rührt, beginnt man, die letzten 150 Jahre äthiopischer Geschichte zu rekapitulieren, springt bald vom Stuhl auf und spielt in brecht’scher Manier Treffen zwischen politischen Führern nach.
Die Entscheidung, nicht nach einer Identifikationsmöglichkeit mit den involvierten historischen Grössen zu suchen, sondern ein distanziertes, schemenhaftes Spiel zu wählen, ist eine richtige. Dennoch kommt es nach dem ersten Durchlauf zu Diskussionen: Die beiden weissen Schauspieler*innen deutscher Muttersprache haben deutlich mehr Text als die beiden Äthiopier. Was aus pragmatischen Gründen entschieden wurde – die Deutsch- und Englischkenntnisse der beiden letzteren sind begrenzt, und man wendet sich schliesslich an ein Deutsch sprechendes Publikum – wird zum Statement: Wieder scheinen die Europäer*innen das Sagen und damit die Deutungshoheit über die geschichtlichen Ereignisse zu haben. Diese Aussage wollte man aber eigentlich nicht treffen, vielmehr soll die äthiopische Geschichte, die zu grossen Teilen auch europäische Kriegs- und Kolonialgeschichte ist, einmal aus der Sicht eines Äthiopiers erzählt werden.
Die Diskussion über die Wirkung der Textverteilung erweist sich als nicht ganz einfach: Zum einen ist da das Sprachproblem, zum anderen die unterschiedlichen Sehgewohnheiten und Theaterkonventionen. Während die schweizerische Hälfte sich über Tanzeinlagen wundert, die die äthiopische als passend empfindet, kann das Schweizer Testpublikum ein Bild nicht klar lesen, was den äthiopischen Darstellern schon fast zu deutlich ist: Während der Diktator eine Rede hält, erklingt ein Summen, dass zum bedrohlichen Gebrumm anschwillt. Der Führer sieht sich von einem Bienenschwarm bedroht. Das Insekt ist das Symbol der damaligen Widerstandsbewegung, die heute Regierungsmacht ist.
Es braucht viel Übersetzung, um dieses Stück gemeinsam zu stemmen, aber es lohnt sich: Das Ergebnis lässt sowohl die Performer*innen als auch die Zuschauer*innen einen anderen Blickwinkel auf die eigene Geschichte einnehmen.
“Kings of Interest” von Gebrehanna Productions, 21./23./24. März 20:30 Uhr, Tojo Theater Reitschule Bern
Die Lenzburgerin Anna Papst arbeitet für ein Jahr als Hausautorin am Konzert Theater Bern. Dieses vorübergehende Asyl nutzt sie, um die lokalen Probegepflogenheiten auszukundschaften. Einmal pro Woche schielt sie über den kantonalen Gartenzaun, um mitzukriegen, was in Bern so geübt wird.
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