Es gibt da einen Herren in Biel, der fertigt in seiner elektroakustischen Klangkammer wunderliche Musik an. Nur schrammt diese so hart am Hauptstrom vorbei, dass kaum jemand Wind davon bekommt. Geht natürlich gar nicht. Drum stellen wir vor: Tobias Reber in Zusammenarbeit mit dem Gitarristen Erik Emil Eskildsen und ihren frisch ins digitale Dasein geworfenen Scheiben «Possibilities Vol. 1» und «Possibilities Vol. 2». Ein klein wenig Nerdtalk über Maschinen, Schlafsäcke und die schiere Freude an Regelwerken.

Tobias Reber, hier performend im Dienste von pulp.noir. photo (c) Max Roth
Eure Musik würde sich gut zum Meditieren eignen. Was meinst du?
Ich meine, du solltest es ausprobieren! Ich habe keine bestimmte Vorstellung, wie die Musik gehört werden sollte. Im dem Moment, in dem man etwas veröffentlicht, gibt man die Kontrolle ja aus der Hand. Für mich hat das aufmerksame Hören von Musik immer etwas Meditatives, egal, welche Musik es ist. Aber ich glaube zu verstehen, was du meinst: Es ist ein Klangfluss ohne Hektik, in den man einsteigen und wieder aussteigen kann. Passend zum Thema: Ich habe einmal während vierundzwanzig Stunden eine Klanginstallation ausgestellt, die potentiell endlos hätte weiterlaufen können. Da haben einige Menschen dazu meditiert und sogar den Schlafsack mitgebracht – das hatte ich nicht erwartet.
Eine solche Wirkung kann ich mir durchaus auch für die beiden «Possibilites» vorstellen. Die Alben klingen sphärisch, flächig, sie scheinen keinen Anfang, kein Ende zu haben. Was fasziniert dich an der Endlos-Musik?
Ich mag lange dauernde, sich langsam entwickelnde Musik, weil sie mir ein offenes Hören ermöglicht: Ich kann rein- und rauszoomen, ich kann beiläufig hören oder auch aufmerksam eintauchen und mich auf mikroskopische Entwicklungen konzentrieren. Die Musik auf Possibilities ist keine erzählerische Musik, obwohl ständig An- und Entspannungen geschehen. Die Musik atmet.
Wie habt ihr eure Lieder entwickelt? Habt ihr da auch klassisch gejamt?
Erik und ich haben eine Woche lang täglich in meinem Atelier zusammen gespielt. Zum Teil haben wir frei improvisiert, zum Teil nach einfachen Spielregeln. Die Kompositionen auf den beiden Alben sind das Resultat solcher regelbasierter Improvisationen. Letzten Herbst haben wir die Aufnahmen dann alle nach demselben Prinzip weiter geschichtet und leicht bearbeitet.
Was sind das für Spielregeln?
Zum Beispiel, dass jeder von uns sechs andere Töne zur Auswahl hat, und dass wir aber jeweils nach einer oder anderthalb Minuten wechseln. Oder dass beim Spielen von Ton zu Ton immer nur eins von drei Intervallen auf- oder abwärts verwendet werden darf. Durch derlei Regeln stösst man auf Kombinationen und Entwicklungen, die man anders nicht finden würde. Und es ergibt sich in der Improvisation wie von selbst eine eigene harmonische Logik.
Nach Regeln komponieren klingt nicht gerade aufregend.
Beschränkungen können befreiend wirken, und wenn sie das nicht tun, sollte man sie ändern. Mich fasziniert das Komponieren eines Regelwerks, das, wenn man es in Gang setzt, Musik erzeugen kann, die ich mir nie selber hätte ausdenken können. Das können komplexe Systeme sein, die ich als Software programmiere oder einfache Spielanweisungen wie im Falle der Possibilities, oder irgendwas dazwischen.
Wenn du erzählst, wie Eriks und deine Musik entstanden ist, dann ist da viel mehr Menschliches dran, als ich erwartet habe. Ich war beim Anhören überzeugt, dass da viel Maschine drin steckt.
Diese Musik ist ganz herkömmlich von zwei Musikern gespielt, die sich aber der Maschinen bedienen, und deren Erfahrung mit elektronischer Musik in die Improvisation einfliesst. Erik schickt den Klang seiner achtsaitigen elektrischen Gitarre durch viele Effektgeräte, und ich habe in diesem Projekt Software-Synthesizer gespielt, deren Signal ich im Laptop live weiter bearbeitet habe.
Inwiefern unterscheiden sich «Possibilities Vol. 1» und «Possibilities Vol. 2» voneinander?
Die Spielregeln von «Possibilities Vol. 1» arbeiteten mit Gruppen von Noten, die wir unter uns aufteilten, jene auf «Possibilities Vol. 2» mit Intervallregeln. Vol. 2 ist ausserdem rhythmisch bewegter und harmonisch verstimmter.
Weisst du in etwa, wer euer Publikum ist?
Ja, weil es so klein ist! Wir bewegen uns beide in den unterschiedlichsten Stilen und haben mit den Possibilities einfach die Musik gemacht, auf die wir diesmal Lust hatten. Nicht alle werden einem durch alle Genres folgen, aber das sollte einen nicht davon abhalten, auf seine Intuition zu hören.
Wie könnte man Nicht-Nerds für experimentelle Musik begeistern?
Das ist eine Frage, die ich mir sowohl als Musiker wie auch als Musikvermittler oft gestellt habe. Zu allererst steht natürlich die Frage, ob man das überhaupt muss. Natürlich kann man da ganz viel versuchen, und das tue ich bisweilen auch, aber ich glaube, dass sich Interesse am besten über die eigene Begeisterung wecken lässt. Ich habe es schon oft erlebt, dass ich durch die schiere Freude, mit der jemand über eine Sache gesprochen hat, einen Zugang zu Themen gefunden habe, die mir sonst wohl verschlossen geblieben wären.
«Possibilities Vol. 1» und «Possibilities Vol. 2» lassen sich via Bandcamp streamen und sind für ein kleines Entgelt auch herunterladbar.
Am 8. und 10. März ist Tobias Reber mit pulp.noir im Roxy Theater in Basel zu erleben.
Sie werkeln an futurtastischen Sounds herum und niemand hört hin? Falls Sie das stört, melden Sie sich bei der Krstic. Die ist momentan grad mega empfänglich für sowas.
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