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Bern auf Probe: Datensicherung auf festen Platten

Anna Papst am Dienstag den 21. November 2017

Wie wird man in hundert Jahren über die Zeit, die heute unmittelbar vor uns liegt, berichten? Lacht man darüber, dass führende Wissenschaftler vor einer Übernahme der Weltherrschaft durch künstliche Intelligenz gewarnt haben? Oder ist diese Übernahme vielmehr eingetreten und es lachen nur noch die Maschinen? Wundert man sich, warum die globalisierte Welt trotz des Wissens um die Klimaerwärmung und ihre Auswirkungen zu bequem war, rigorose Massnahmen zu ergreifen? Oder betrachtet man die Prophezeihung der Katastrophe als Akt der Hysterie? Werden die russischen Cyberattacken der letzten Jahre der Anfang einer digitalen Kriegsführung gewesen sein? Die Gruppe Theater Marie zeigt in der Forsetzung ihrer Kurzstückrevue  “Zukunft Europa” Zukunftsszenarien, die sich im Futur zwei abspielen: Was wird sich ereignet haben? Theater Marie hat fünf Autor_innen gebeten, einen Blick in die weltpolitische Glaskugel zu werfen und auf deutsch und französisch über das, was uns geblüht haben wird, zu schreiben.

Blick in eine zuweilen düstere Zukunft: Theater Marie auf der Probe zu “Zukunft Europa”.

Der Abend ist also mehrstimmig und zweisprachig. Alle Stücke sind in der jeweils anderen Sprache übertitelt, was bei der besuchten Probe noch nicht einwandfrei funktioniert und deshalb korrigiert wird. Olivier Keller, Regisseur der Truppe, sitzt im Proberaum in Suhr im Dunkeln und bedient den Beamer. Der Proberaum war einmal ein Kino, die Probezuschauer_innen sitzen in roten Samtklappsesseln im Finstern und warten darauf, dass die Vorführung beginnt.

Doch die Bühne bleibt dunkel. Neben den Übertiteln, die auf die schwarze Hinterwand projiziert werden, leuchtet lediglich das Licht einer Taschenlampe. Judith Cuénod spielt im Kurzstück “Alles, was von uns bleibt” von Daniel Di Falco einen Menschen, der das gesamte Weltwissen auf Keramikplatten festgehalten hat. Diese Kacheln, eine analoge Form der Festplatte sozusagen, hat der Mensch in einem Stollen eingelagert, wo er sich nun, ausgerüstet mit ebendieser Taschenlampe, befindet.
Nach dem Absturz sämtlicher Rechnersysteme, als kein Backup und keine Cloud die Benutzer_innen vor dem kompletten Verlust ihrer Daten schützen konnte, wurden die Keramikplatten zum einzigen Speichermedium von Dauer und der Stollen zur letzten Bastion des kulturellen Gedächtnisses.
Aber der Berg, in dem sich das Bergwerk – die älteste Salzmine der Welt! Unesco Welterbe! – befindet, bewegt sich. In seinem Inneren verschüttet er den Zugang zum Stollen der Weisheit, die Informationen bleiben in einem unzugänglichen Archiv erhalten und sind doch verloren. Der Mensch, der das Weltwissen retten wollte, wird inmitten seiner vollgeschriebenen Keramikplatten sterben. Doch bevor ihm die Luft ausgeht, hält er noch einen wütenden Monolog auf die Menschheit und ihre Unfähigkeit, Wichtiges von Unwichtigem zu unterscheiden.

Das Team von Theater Marie findet für Di Falcos Zukunftsdramolett stimmige Bilder. Wenn Cuénod im Dunkeln herumtapst und mit ihrer Stirnlampe das Wissen, das sie umgibt, lediglich streifen kann, zieht man versunken im Polstersessel die Parallele ins Heute und denkt sich: Wir haben keine Ahnung. Unser Vertrauen in die Beständigkeit des digitalen Zeitalters ist im wahrsten Sinne des Wortes blind.

Das macht bei allem Erschrecken Lust auf mehr. Glücklicherweise sind in der zweiten Staffel von “Zukunft Europa” vier weitere Kurzstücke von Ariane Koch, Joël Maillard, Joël Laszlo und Alexandra Badea zu sehen. Wer sich das angesehen haben wird, wird einen neuen Blick auf die Gegenwart gewonnen haben. Und erst noch über den Röstigraben gesprungen sein.

“Zukunft Europa IV-VIII” von Theater Marie, 23./24./25. November 20:30 Uhr, Tojo Theater Reitschule Bern

Die Lenzburgerin Anna Papst arbeitet für ein Jahr als Hausautorin am Konzert Theater Bern. Dieses vorübergehende Asyl nutzt sie, um die lokalen Probegepflogenheiten auszukundschaften. Einmal pro Woche schielt sie über den kantonalen Gartenzaun, um mitzukriegen, was in Bern so geübt wird.

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Ein Kommentar zu “Bern auf Probe: Datensicherung auf festen Platten”

  1. Stefan Müller sagt:

    Ich will ja niemandem zu nahe treten, aber was ist das für eine neue Strategie des KSB, die Handlung von aktuell laufenden Stücken zu erzählen? Soll verhindert werden, dass das Publikum vor allzu abrupten Entwicklungen überrumpelt wird? Oder sollen Zuhause-Bleiber besser so tun können, als ob sie das Stück gesehen hätten?
    Da würde ich mir wieder mehr Kritiken, Empfehlungen und zwischendurch Berichte aus dem Entstehungsprozess wünschen.