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Bern auf Probe: Huere krassi Müetere

Anna Papst am Dienstag den 10. Oktober 2017

«Der Titel gibt immer noch zu reden», sagt Emma Ribbing. Die Mitglieder der Gruppe em-R sitzen im Studio 1 der Dampfzentrale im Kreis, es ist der Auftakt zu den Intensivproben, denen Recherchen und Vorproben von über einem Jahr vorangegangen sind. «Für mich geht es darum, einen patriarchalisch besetzen Begriff neu zu deuten, ihn in gewisser Weise zurückzuerobern», schaltet Emma Murray sich ein. «Wir nehmen die rohe Energie, die von ihm ausgeht, verhandeln aber die Frage nach mütterlicher Fürsorge.»

Gib’s zu, auch Du schaust länger hin, wenn eine nackte Brust zu sehen ist: Bühnenmodell und Plakat von «Mother*Fuckers»

Die Dramaturgin Johanna Hilari ergänzt: «Wir haben fuck in diesem Zusammenhang mit Spielen gleichgesetzt; to fuck around, to play around. Wie spielen auch mit dem Begriff, indem wir ihn zweiteilen, so dass man einerseits die Mütter rauslesen kann, andererseits aber eben auch die Taugenichtse, die herumalbern und Blödsinn machen.» Der Titel, der so viel zu diskutieren gibt, gehört zum neusten Tanzstück von Emma Murray und lautet «Mother*Fuckers».

Neben Murray und Ribbing wird darin auch Nadine Fuchs performen. Alle drei sind Tänzerinnen und Mütter. Zwischen diesen beiden Rollen sehen sie Parallelen: Nicht nur, dass man sein Kunstprojekt oft liebevoll «mein Baby» nennt, sondern auch in der totalen Vereinnahmung, die sowohl von einem Kind als auch von einem Stück ausgehen kann.

Am deutlichsten wird diese Vereinnahmung wohl während der Schwangerschaft, wenn auf einmal zwei Menschen in einem Körper stecken. Diese Verwandlung nehmen die drei zum Anlass, mit körperlichen Transformationen zu experimentieren. Mithilfe von Ballons formen sie sich selbst zu neuen Wesen mit Buckeln, Beulen und Brüsten. So ist neben dem Interesse an einem inhaltlichen Diskurs auf der Probe auch die Spiellust spürbar.

Als das Modell des Bühnenbildes, einer 5mx5m grossen Plattform, gezeigt wird, sprudeln sofort die Ideen. «Wir könnten sie als Boxring bespielen», «Genau, und die Strumpfhosen unseres Kostüms benutzen wir als Boxringseile», «Und als Handschuhe nehmen wir die Ballons». Boxen und Motherfuckers, das passt irgendwie zusammen. «My son says fuck a lot», seufzt Emma Murray. «Ich habe den Eindruck, im Schweizerdeutsch benutzt man huere wie im Englischen fuck», sagt die Schwedin Emma Ribbing. «Hat es etwas mit Hure zu tun?» Nein, weiss der Produktionsleiter Michael Röhrenbach, es kommt von horrend und drückt Exzess und Extrem aus. Und das, stellt man fest, passt ziemlich gut zum Selbstverständnis der Mother*Fuckers.

Mother*fuckers vom em-R Productions, 12.+14. Oktober, 20 Uhr, Dampfzentrale

Die Lenzburgerin Anna Papst arbeitet für ein Jahr als Hausautorin am Konzert Theater Bern. Dieses vorübergehende Asyl nutzt sie, um die lokalen Probegepflogenheiten auszukundschaften. Einmal pro Woche schielt sie über den kantonalen Gartenzaun, um mitzukriegen, was in Bern so geübt wird.

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Ein Kommentar zu “Bern auf Probe: Huere krassi Müetere”

  1. Fischer sagt:

    kleine korrektur, von berufener seite:
    Hartnäckig hält sich das Gerücht, huere in Wörtern wie huereguet oder verstärkt uuhuereguet käme von «Ungeheuer». Aber warum eigentlich? Weil nicht sein kann, was nicht sein darf? Dabei ist die Sache ganz einfach: Es liegt tatsächlich Huer «Hure» zugrunde.