Geprobt wird im Keller eines Mietshauses in Zürich, dessen erste zwei Etagen von Jehovas Zeugen belegt sind. Dominik Dusek hat sich für die Lesung seines ersten Romans «Er tritt über die Ufer» eine musikalische Untermalung gewünscht, die nur aus Bass und Effektgeräten besteht. Bekommen hat er – zum Glück, wie sich noch herausstellen wird – Patrik Küng, der ihn mit E-Gitarre, Synthesizer und den erhofften Effektgeräten begleitet. Über den und dessen ehemalige Band Kid Ikarus hat Dusek auch schon für den «Züritipp» geschrieben. Und damit sind wir dem Roman schon verdammt nahe, über dessen Lesungsprobe hier berichtet werden soll.
Darin geht es nämlich ebenfalls um einen Mann, der über einen Musiker schreibt. Der Musiker heisst Peter Arbogast und ist unauffindbar, jedenfalls findet keine Begegnung zwischen den beiden Männern statt. Der namenlose Autor gräbt sich stattdessen durch die Archive, studiert sämtlicher Artikel über den Musiker, stöbert Weggefährten, Verwandte und verflossene Liebschaften auf. Damit kommt er Peter Arbogast zwar auf die Spur oder vielmehr auf die Spuren, diese führen jedoch zu keinem klareren Charakterbild, sondern laufen in entgegengesetzte Richtungen und verlieren sich in Diffusität.
Wie der schreibende Ich-Erzähler, so verliert sich auch die Leserin des Buches bzw. die Zuhörerin der Lesung mehr und mehr in den Schlaufen, die die Nachforschungen zu Peter Arbogast werfen. Dominik Dusek drückt schon auf der Probe ordentlich auf die Tube und wechselt von Zögern zu Poltern und von Deutsch zu Englisch, um den Quellen, die Zeugnis von Arbogasts wildem Leben geben, Ausdruck zu verleihen. In Patrik Küng hat er einen kongenialen Partner gefunden, der die Stimmungen des Buches gekonnt einfängt. Poppig-melancholisch in Detroit, wo Arbogast durch halbverfallene Häuser streift, dumpf wabernd, wenn der Chronist sich für seine Nachforschungen zu Arbogast immer heftiger rechtfertigen muss.
Gelesene Seite um gelesene Seite wirft Dusek zu Boden, 17 werden es insgesamt sein, Unterbrechungen gibt es keine. Küng fragt einmal, ob das letzte Stück zu lang gewesen sei, Dusek sagt, ein bisschen. Dusek muss an einer Stelle des Textes lachen, Küng sagt, du lachst immer an der gleichen Stelle, die musst du üben. Trotz dieser winzigen Patzer wird klar: Die Lesung sitzt. Dem Sog der Suche nach dem rätselhaften Musiker kann man sich nicht entziehen. Wie einem Rattenfänger folgt man dem Erzähler, zuweilen schmunzelnd, zuweilen entsetzt, immer fasziniert. Bis in den Keller der Zeugen Jehovas.
Die Lenzburgerin Anna Papst arbeitet für ein Jahr als Hausautorin am Konzert Theater Bern. Dieses vorübergehende Asyl nutzt sie, um die lokalen Probegepflogenheiten auszukundschaften. Einmal pro Woche schielt sie über den kantonalen Gartenzaun, um mitzukriegen, was in Bern so geübt wird.
« Zur Übersicht
Ich finde es noch lustig, dass in der Geschichte keine Begegnung zwischen Musiker und Literat stattfindet, aber auf der Bühne dann doch Musik und Wort in Dialog gehen, sich ergänzen und verstärken. Würde zu gerne wissen, ob Arbogast, den unauffindbaren Musiker nicht doch in seinen Zeugnissen gefunden und kennengelernt hat oder zumindest sich eine Persönlichkeit zusammen reimen konnte. – Anna Papst macht uns mal wieder Appetit auf das ganze Gericht.