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Bern auf Probe: Der gefesselte Sekretär

Anna Papst am Dienstag den 19. September 2017

Es ist gar nicht so leicht, einen Menschen zu fesseln. Weder im übertragenen noch im wörtlichen Sinn. Im übertragenen Sinn besteht die Schwierigkeit darin, ihn mit einer künstlerischen Darbietung bei der Stange zu halten, damit er nicht abdriftet und bei drängenden, wenn auch ungleich profaneren Gedanken wie der Frage, was er sich zum Lunch gönnen soll und ob er bis zum nächsten Waschtag noch genügend saubere Unterhosen hat, landet. Im wörtlichen Sinne strampelt der zu fesselnde Mensch, was das Zeug hält, das Seil lässt sich nur mit Mühe verknoten, und schnürt man es am ausgestreckten Körper zusammen, rutscht es wieder herunter, sobald der Gefesselte eine gebeugtere Haltung einnimmt. So zu beobachten in der Vidmar 2 des Konzert Theater Bern, wo gerade “Island” von Gornaya geprobt wird.

Da hüpft er noch frei herum: David Berger auf der Probe zu “Island”

Gefesselt werden soll der Schauspieler David Berger, und zwar von nicht weniger als drei weiteren Ensemblemitgliedern. Florentine Krafft sitzt auf seinen Beinen, Luka Dimic hält seine Arme im Polizeigriff fest und Stéphane Maeder müht sich mit dem Seil ab. Daneben kniet Regisseur Lorenz Nufer und feuert sowohl die Täter bei ihrem Überfall als auch das Opfer bei seinen Befreiungsversuchen an. Auf jeden Fesselungsversuch folgt eine Diskussion über Vor- und Nachteile der angewandten Methode.

Die Szene, dass vier Menschen darüber diskutieren, wie man einen fünften fesseln könnte, und dieser betroffene Fünfte sich einmischt und Tipps gibt, könnte direkt dem Stück – es trägt den Untertitel “Als Freunde sind wir erbarmungslos” – entnommen sein. Gornaya hat es im Rahmen des Stück Labor als Hausautorin für das Konzert Theater Bern geschrieben. “Island” erzählt von einer politisch orchestrierten Feier zum fünfzigjährigen Bestehen der Völkerfreundschaft eines nicht näher genannten Landes mit Island. Der Festtag soll dazu genutzt werden, Verträge für eine gemeinsame Freihandelszone zu unterzeichnen, die die Regierung des nicht genannten Landes aus finanziellen Gründen dringend braucht. Dummerweise trifft der isländische Präsident nie ein. Er gilt als verschollen. Kurzerhand entschliesst der Regierungsstab des nicht genannten Landes, seinen verkrüppelten, dem Volk unbekannten Sekretär als isländischen Präsidenten auszugeben. Von da an beschäftigt sich die Regierung inklusive des auserkorenen Sekretärs mit der Frage, wie denn einer spielen muss, der den isländischen Präsidenten spielt.

Passend zu dieser Inszenierung in der Inszenierung sieht das Bühnenbild in der Vidmar 2 aus wie ein Requisitenlager: Unter anderem schüren 14 weisse Gewehre, 13 Büchsen unbekannten Inhalts, 8 Telefone, 3 Schreibmaschinen, 3 Totenköpfe, 1 isländische Flagge und 1 ausgestopfter Pfau die Vorfreude auf dramatischen Schabernack. Der wird inzwischen auch auf der Probe getrieben: Luka Dimic fragt David Berger nach seinem Codewort, während das Ensemble übt, wie man den Kollegen so auspeitscht, dass es zwar echt aussieht, aber nicht echt wehtut. Was danach wie ein spontaner Wutausbruch aussehen soll, ist Ergebnis genau besprochener und oft geprobter Koordination.

Nach eineinhalb Stunden unzähliger Wiederholungen sieht der Regisseur Licht am Ende des Tunnels. “Es ist saukompliziert, aber es wird funktionieren”, sagt Lorenz Nufer. Ein Satz für einen Präsidenten eines nicht genannten Landes.

“Island – Als Freunde sind wir erbarmungslos” von Gornaya, Première 21.September, 19:30 Uhr, weitere Vorstellungen ab 23.September, Vidmar 2, Konzert Theater Bern

Die Lenzburgerin Anna Papst arbeitet für ein Jahr als Hausautorin am Konzert Theater Bern. Dieses vorübergehende Asyl nutzt sie, um die lokalen Probegepflogenheiten auszukundschaften. Einmal pro Woche schielt sie über den kantonalen Gartenzaun, um mitzukriegen, was in Bern so geübt wird.

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2 Kommentare zu “Bern auf Probe: Der gefesselte Sekretär”

  1. C.langen sagt:

    Wenn das Stück so fesselt, wie die Ankündigung, wirds ein toller Abend!

  2. Zollinger Anette sagt:

    “es ist saukompliziert, aber es wird funktionieren…” was für eine Verheißung für das Stück… und für meinen Tag!
    Anna Luisa