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Genossen №8: Haiyti aka Robbery

Mirko Schwab am Donnerstag den 9. März 2017

Sind es die Tramadoltröpfchen oder ist eben gerade … Grosse Persönlichkeiten der Kulturgeschichte gehen im «3 Eidgenossen» eins ziehen. Heute: Haiyti, Underground Superstar.

Früher war es nur ein Spiel, jetzt ist es Realplay. Hayiti vor den Eidgenossen.

Das Fumoir riecht nach kaltem Rauch. Nach einem Gestern. Meinen Kaffee mag ich nicht recht austrinken, wozu denn wach bleiben? Und also ist auch die Tasse kalt und nichts ist los. Nicht am Billardtisch, die Kugeln starren sich an in einem ewigen Mexican-Standoff. Nicht an der Jukebox nebendran, der Musik fehlt das Münz und so schweigt sie. Die Aschenbecher sind leer wie die Bänke wie die Gläser wie die Blicke der Vereinzelten, die sich hier eingefunden haben. Sie haben ihr eigenes Gestern die Treppe hinaufgeschleppt, um ihm nachzuhangen. So wie ich.

Im Internet ist das anders.

Haiti. Hayti. H-A-I-T-H-Y. «Meinten Sie: Haiyiti?» Nach einem halben Jahr schüchterner Beobachtung – hab ab und zu verstohlen reingeklickt, wenn grad niemand herum war – brennt die Liebe jetzt heiss und öffentlich und ich kann ihren Namen richtig schreiben. Mit Haiyti kommt man gut durchs Leben. Es scheint, als habe sie sich meinen ganzen Schmerz aufgeladen. Als könne sie in Hauptsätzen erfassen, was sich mir in hypotaktischer Diffusie entzieht. Und bei alldem ist sie unantastbar, unzerstörbar, digital. Haiyiti ist Rapperin.

J. sammelt ein paar Gläser zusammen, er arbeitet hinter der Bar und ist ein guter Mann. Ich rühre derweil ein bisschen im Gestern herum, als das Digitale einbricht in den Schutzraum alter Träume, der ein Fumoir ist. Sie tritt sehr beiläufig herein, trägt Kapuze und eine billige Sonnenbrille. Mir bleibt das Herz stehen, was sich anfühlt wie die allerletzte Trap-Kick je, ein sonorer Tiefbassglockenschlag durch Mark und Bein – und die spärlich anwesende Öffentlichkeit höchstens dadurch bemerkt, dass mir das Kaffeelöffelchen zu Boden geht. Ein verdutzter Moment verstreicht und sie kommt mir beim Auflesen zuvor. Danke sage ich. ↑K€¥N D¥NG↓ sagt sie. Sie spricht Auto-Tune. Das kleidet jedes beiläufige Wort in eine kitzlige und reine Melodie; das Nebensächliche wird zur süssen Hook. «Ich weiss, du magst Interveiws nicht sehr», schliesse ich an und natürlich klingt meine Stimme beschissener als erhofft. ↑HAB K€¥N€ Z€¥T BO¥↓ singt sie zurück, sie sei verabredet.

Sie setzt sich hin am anderen Ende des Raums und ich schaue blöd ihrem schönen Rücken zu. Einmal mehr bleibt nichts, als mir ein Interview auszumalen, zusammenzustückeln aus den Hauptsätzen, die sie mir nächtelang im Internet zusäuselt und wenigstens dann ins Gesicht. Und überhaupt: wenn schon alles nur eine Fantasie bleiben muss, dann lasse ich es mir gutgehen, lass das Interview liegen: Haiyti und ich liegen aneinander, in einer nebligen Kreuzberger Wohnung auf einer muffigen Matratze. Draussen ist die grosse Stadt und drinnen ist uns wohl. Wir singen ein Duett in Auto-Tune.

↑DU B¥$T M€¥N Z€¥TG¥RL!↓
€R ¥$T M€¥N Z€¥TBO¥. ¥CH B¥N B€¥ D¥R B¥$ DU BROK€ B¥$T.
MACH MAL K€¥N€N JOK€ J€TZT – FÜHL€ M¥CH $O HOP€L€$$ – B¥$ DU W¥€D€R M¥T M¥R DURCHBR€NN$T.
WAS ¥NT€R€$$¥€RT UN$ D¥€ ZUKUNFT?
GAR N¥CHT$. GUCK€ N¥CHT AUF D¥€ UHR.
UND BAB¥, J€TZT G¥BT €$ NUR UN$.

Die Tür geht auf.

J. kommt zurück, ohne Tablett, dafür mit Jacke. Er geht ihr strahlend entgegen und sie steht auf. Küsse. Ineinander verhakt verlassen sie den Raum. Sauhund. Sie verschwindet für immer. Wird wieder Projektion, Sehnsucht, digital.

Die KSB-Serie «Genossen» ist der besten Bar der Stadt gewidmet. Bisher erschienen sind: Ozzy Osbourne / Sophie Hunger / Lenin / Falco / Thom Yorke / Eminem / Die Verflossenen

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