Es war ein Kampf auf Zeit, «KLEINE MUKDISHO» – am Randweg 21 – hätte niemals auf Dauer gehalten werden können. Zu erdrückend die Übermacht der staatlichen- sowie gesellschaftlichen Exekutivorgane. Das war auch den Rebellen klar, trotzdem opferten sie sich auf – im wahrsten Sinne – und vermochten ihre Hochburg rund zwei Jahre zu verteidigen.
Ein Bericht, vom Verlust eines unscheinbar aber wertvollen Ortes.
Diese Geschichte beginnt nicht in Somalia, nicht in Mogadischu, sondern auf einem Parkfeld in der Lorraine, mit einer Horde Tanzender, einem lichterloh brennenden Grill und Bob Marley.
So brannte sich mir dieser Ort erstmals in mein Bewusstsein. Im Sommer vor zwei Jahren, auf dem Weg ins Lorraine-Bedli. Eine Fest – um 13:30 Uhr – alles laut, alles ausgelassen, alle besoffen, alle bekifft, oder alles beides. Durch den Ghettoblaster hämmerte «Burnin‘ and Lootin‘» – zwei Stunden später, die meisten der Rebellen lagen auf dem Asphalt, mit dem Gesicht nach unten, aber – wenn nicht mit Kotze – mit einem Lächeln auf den Lippen. Damals war der Ort ohne deklarierten Namen, dafür aber meist mit einigen wehenden Fahnen im Fenster – hellblau, ein weisser Stern, verschiedene Formen – die Flaggen somalischer Milizionäre.
In den folgenden beiden Jahren war ich durchschnittlich zwei Mal pro Woche dort – weil nebst dem Weg an die Aare, bei MUKDISHO eben auch ein zu frequentierendes Studio liegt – und das Bild wiederholte sich, ungeachtet von Wetter oder Saison, das Fenster war immer offen, die Leute auch, das Volumen meist am Anschlag, die Polizei auch.
Der Rebellenführer J* war ein Chamäleon – war mal Diplomat, mal Erzieher, war mal am Schlichten, mal selber völlig am Ausrasten – er war wohl ein Schluckspecht, aber keinesfalls ein Wendehals, er war alles andere als ein Opportunist. Er glaubte an diese kaputten Menschen, die hier verkehrten, die er zu sich einlud, obwohl sie seinen Mietvertrag aufs Spiel setzten, er brauchte sie, er war Panafrikaner und er war sicherlich sowas wie ein Posthumanist. J* regierte KLEINE MUKDISHO libertär, es gab wenig Regeln – doch etwas zählte, ein Mensch ein Wort und keinen Stress anfangen, das war die Devise!
Trotzdem gabs den pausenlos, dabei war nicht nur Party und Exzess, es gab auch Diskussionen, Sitzungen, Ringkämpfe und – ganz wichtig – es gab Handel. KLEINE MUKDISHO war ein Tauschplatz, für Verschiedenes: Naturalien, Zärtlichkeiten, Geschichten, Genussmittel.
Die Autoritäten freuten sich weniger über diese florierende Prosperität, allein bei den kurzen Momenten meiner Anwesenheit konnte ich dreimal einer Hausdurchsuchung beiwohnen und wurde gar selbst mal von einem Enzianroboter in Vollmontur – Bomberjacke mit überworfener Kevlar und Heckler & Koch im Anschlag – im Treppenhaus «begrüsst»: «Hände hoch! Wohin des Weges?» Ich: «Hab hier Sendung, sonst bin ich unschuldig.» Enzian: «Du hast nichts gesehen, hoch da!»
Und dann war da noch die Liegenschaftsverwaltung, die Hausbesitzer, die Nachbarn – der Ort war dem Untergang geweiht. Allmonatlich war wechselweise eine Scheibe oder die Eingangstür zum Treppenhaus zertrümmert – nach diesen Grillnächten, oder Gin-Nachmittagen, mit BBC Radio auf Endlosschlaufe und einer Kriegsberichterstattung auf dem HD Bildschirm – der Abfall stapelte sich, die Klagen sammelten sich. J* hatte zwar gute Kämpfer, Leute die zum Rechten schauten Selbstjustiz übten, er hatte einen langen Atem auch, wusste sich zu wehren, stand für sein Volk ein, dieser Traube an Menschen, welche sonst in unserer Stadt in dieser Konstellation, nirgends toleriert worden wäre werden würde.
Ich oder du hätten niemals Mitglieder dieser Gemeinschaft werden können, geschweige denn Rebellen von KLEINE MUKDISHO, diese Zugehörigkeit manifestierte sich auf für uns unsichtbare Weise und trotzdem messerscharf.
Aber J* kämpfte gegen Windmühlen und nicht zuletzt mit sich selbst, das Ende dieses Kulturortes nahte, oder sein eigenes, weiter ging es jedenfalls nicht.
KLEINE MUKDISHO war ein freier Treffpunkt, mit all den Sonn-und Schattenseiten eines solchen Platzes. Diese offene Wohnung – J*s Zuhause – sie erzeugte Freude, ermöglichte Übermut, seltene Momente der Unbekümmertheit für sonst arg gebeutelte Leute. Dabei kam halt auch zum Vorschein, was dies im Gegenzug bedingt, die menschlichen Abgründe, nicht zu tilgen: Gewalt, Hass und Angst. Leben.
Nun ist KLEINE MUKDISHO gefallen, letzten Dezember, J* ging in den Entzug – und ich hoffe es geht im besser – die Instanzen haben gewonnen, das Schlachtfeld wurde geräumt. «I Shot the Sheriff» tönt nur noch aus dem Studio. Die Glaser sind gekommen und die Maler.
Etwas Gekritzeltes ist jedoch geblieben, das Stadttor «KLEINE MUKDISHO» über dem Fenster – und ein total verkohlter Grill am Rande des Parkfelds.
J* (Name dem Urs teilweise bekannt)
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