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Glossolalie in der Grosstadt

Mirko Schwab am Mittwoch den 15. Februar 2017

Es war kalt, aber sie hatten Rum: Die Ber(li)ner Gruppe 13 Year Cicada dropt mit dem ersten Langspiel ein wunderlich schönes DIY-Video.

Jaja, da gibts terminologisch schon nach der Kopfzeile einiges zu hinterfragen. Und das hat nicht mal mit der Alkoholverherrlichung zu tun. Problem eins: «Ber(li)ner» – müffelt natürlich verdächtig nach zugezogen Friedrichshain Strich ausgewandert Breitenrain. (Raute endlichkreativ.) Problem zwei: «Do It Yourself!» Was bezeichnen wir damit? Ein Verfahren, eine Ästhetik oder eine Haltung? Also schön der Reihe nach.

Sängerin und Querkopf Zooey Agro jedenfalls ist wirklich aus Berlin. Ihre Band auch. Dass aber «Milk», so heisst die Single des eben erschienenen Debuts, jetzt im Freakblog Ihres Vertrauens abgefeiert wird, hat mit der Berner Wohnung der Sängerin zu tun. Frau Agro zieht ihre Kreise zurzeit nämlich in der Sandssteinstadt. Das hiesige Kulturleben dankt und die geografischen Trivialitäten wären geklärt – drum let’s talk video. Dahinter steckt die Filmschaffende Işıl Karataş und ein kleines Team, das sich in einer saukalten  Winternacht aufmachte, den Berliner Strassenverkehr zu lenken.

Schon in der ersten Einstellung verdichtet sich schön die ganze Diskussion um DIY. Die zur verrückten Verkehrspolizistin verkehrte Protagonistin wird von einer echten Patrouille gemahnt. Die Kamera läuft zufällig mit. Auf den ruckelnden und rauschenden Bildern ist weiter die abfahrende Streife zu sehen, durchgewunken von der falschen Verkehrspolizistin. Das inhaltlich Zufällige, das dilettantisch Dokumentierte und ein gutes Stück Haltung kommen hier zusammen. Der tiefere DIY-Gedanke ist nie nur low budget müssen oder keinen Plan haben (oder die geschickte Inszenierung dessen) – es geht immer auch um die gezielte Irritation des Normativen. Eine verdutzte Polizeistreife ist dafür ein schönes Bild.

Dann kommen die Trommeln ins Rollen. Die Sängerin knallt eine ebenso miesgelaunte wie eindringliche Präambel über das rhythmische Skelett. Und ehe man sich eingefunden hat in dieser rituellen Schattenwelt, entzündet sich schon das wohlige Klangfeuer der erstaunlichen Besetzung aus Schlagzeug, Vibraphon, Bass, Elektronik und Stimme. Und bringt Licht ins Dunkel wie der im Film entflammte Zuckerstock, funkelnde Sprenkel des von der Popkultur sträflich vergessenen Schlaginstruments. Und in den Farben jazzgrüssender Intervalle gemalte, versöhnliche Gesangslinien.

Oder auf Versöhnung bedachte? Der Text zu «Milk», skandierte Bruchstücke noch im Mittelteil des Songs, handelt von gestörter Kommunikation: Vom trübmilchigen Aneinandervorbeireden und der Suche nach Transparenz zwischen Menschen als pragmatische Versöhnung. Ein Aufblitzen von Klarheit in den Augen des Gegenübers. Zooey Agro tritt diesen Taumel performativ los und mit expressionistischen Sprachbildern, die sie auftürmt, bis die Strukturen aufbrechen unter dem Gewicht, Sätze einbrechen und in frakturierten Phrasen übrigbleiben. Als spräche sie in Zungen.

13 Year Cicada ist mit diesem Kunststück (und dem zugehörigen Album) ein audiovisuelles Ausrufezeichen gelungen. Es wäre schade, würde sich der Rest der metaphorischen Prophezeiung im Bandnamen genauso bewahrheiten: Die Magicicada nämlich wachsen während dreizehn Jahren im Untergrund heran. Den Lebensraum am Tageslicht überfallen sie dann auf einen Schlag, mit einem abertausendfachen Ausrufezeichen – und werden meist gefressen von den grösseren Rulern des Ökosystems. Oder sie gehen wieder im Waldboden nieder, wo sie den Untergrund fruchtbar halten als wertvoller Dünger. Das wiederum wäre wünschenswert.

Eine weitere Analogie aus dem Bio-Atlas: 13 Year Cicada überleben durch Massenauftreten. Und sind denn auch fleissig auf Tour: Zu Bern halten sie am 25. Februar im berüchtigten Keller der Schwarztorstrasse 75. Die Debut-LP erscheint am Freitag über das barcelonesische Label Gandula.

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