Sind es die Tramadoltröpfchen oder ist eben gerade … Grosse Persönlichkeiten der Kulturgeschichte gehen im «3 Eidgenossen» eins ziehen. Heute: Wie kann man sich nur so hart gönnen?
Das Jahr gibt langsam den Geist auf und viele sagen, das sei besser so. Seltenwar die Erleichterung über den einigermassen konstruierten kalendarischen Reboot so gross wie heuer. Die politischen Probleme aber werden wir mitschleipfen, wahrscheinlich werden sie auch erst in den nächsten Jahren in ihrer gesamten gruseligen Grösse vor uns aufgehen. Und obendrein (oder darum?) wurde auch noch fleissig gestorben in den Reihen derer, die uns vor solcherlei Orientierungsverlust warnen würden oder wenigstens und in süsser Ablenkung eine bessere Zeit bescheren: die Künstlerinnen, die Künstler. Alles zum Kotzen? Ja, aber mit Stil gekotzt wird erst nach dem Fest.
Es ist schon fast dunkel, draussen und in mir. Ich weiss dann, wo ich hin muss. Höhe Zytglogge kommt mir George Michael entgegen. Er wirkt geknickt, wie eine von der Altjahrsbise erfasste Solarium-Sonnenblume und kämpft sich ein Lächeln ab, als hätte ich ihn um ein Autogramm gebeten. Hab ich aber nicht. Bin schon fast links eingebogen, beim Strassencoiffeur vorbei und stehe endlich unter dem himmlischen Licht der Cardinaltafel. Noch schnell Zigi mache ich ab mit mir. Ein grosser, dicker Schrank leiht mir Feuer – seit wann gibts Türsteher bei den Eidgenossen?
«Seit wann gibts Türsteher bei den Eidgenossen?» Das sei nur heute so, er kenne den Laden gar nicht. Sei bloss angestellt, bisschen sortieren, wer rein darf, wer heim darf – Türstehen halt. Gerade vorher einen heimschicken müssen, schmieriger Typ, der «Jingle Bells» erfunden habe oder so. Das reiche natürlich nicht für einen Eintritt. Ich frage den Dicken, was denn los sei da drin und wer ihn hier hin-, meine angestellt hat. Und übrigens sei das meine Stammbar, meine Wohnung, nicht aufplustern, gell. Das lässt ihn natürlich kalt. Er sei von der Lügenpresse angeheuert worden. Die würden entscheiden, wer hier rein darf oder wer abblitzt. Und er besorge dann halt die Drecksarbeit mit der Liste. Und was da drin abgehe, sei geheim, da könne er nichts sagen, da könne er nichts machen, nein.
Zehn Minuten später stehe ich mittendrin. Der Dicke hat mich schliesslich eingeschleust, da ich ihm beweisen konnte, ich sei dann auch bei der Lügenpresse angestellt. Ein bisschen mit dem grünen Lohnblatt aus Zürich gewedelt, dass er mich zwar ausgelacht hat, selbst als Türsteher verdiene er mehr als ich. Aber dann doch den Schritt zur Seite gemacht und noch «viel Spass da drin.» Die Bar ist in ihrer Innenarchitektur gänzlich verändert und abgedunkelt. Techno. In den stroboskopisch beschleunigten Gezeiten von Licht und Schatten erkenne ich Gesichter, kurz blitzen sie auf, rasch sind sie wieder verschwunden im Gewühl. Gläserbersten, Puderzucker, Rauschgelächter – wie vor einer Wand aus Polaroid-Photographien streife ich durch die Augenblicke des jenseitigen Hedonismus’.
Princess Leia züngelt mit Prince Buster. Leonard Cohen hat sich das alles besinnlicher vorgestellt und sitzt mürrisch und abwesend über einer Flasche Rotwein. Prince hantiert daneben an einer Ampulle K.O.-Tropfen rum. Bruce Geduldig und Alan Vega grölen Schlager. MC Anliker findet Woodstock scheisse. Greg Lake und Keith Emerson protestieren. David Bowie raucht Zigis aus Sternstaub und malt den Eingeschlafenen rote Penen ins Gesicht. Umberto Eco ist eingeschlafen. Peter Lustig sehnt sich nach einer Maus. Leon Russel nach derselben, er kramt schon ein paar kitschige Changes unter dem Cowboyhut hervor. Muhammad Ali gibt beiden auf die Fresse und verschwindet mit der Maus. Fidel Castro mag seinen Cuba Libre nicht teilen. Pierre Boulez und Else Marie Pade wünschen sich einen Dreier mit Richard Wagner. John Lennon und George Harrisson warten noch zu mit dem Dreier – ja, hinten sitzen auch die alten, letztjährigen, und fast immer schon dagewesenen, die schon dutzende oder hunderte male eingeladen worden sind, die immer kommen. Kurt Cobain und Neuling Papa Wemba streiten über kongolesisches Liedgut. Bach haut sich den Bauch mit hundert Mozartkugeln voll. James Dean weiss nicht, was er tun soll. Joe Strummer raucht Blunts mit Bob Marley. Thomas Mann zappelt auf Ketamin. Stanley Kubrick interpretiert seine Filme. Marilyn Monroe interessiert sich nicht dafür und John F. Kennedy pisst nebens Urinal. Mani Matter zieht eine Linie auf dem leeren Geigenkasten und streichelt Freddie Mercurys Schnauz. Albert Hitchcock macht Scherze mit einem Küchenmesser. Bela Lugosi gönnt sich Knoblauchbrot und Weisswein. Martin Luther King träumt endlich wieder, seit er legales Gras ohne THC raucht. Miles Davis zögert lange, ob er einen Schluck nehmen soll. Und Jesus Christus regt sich darüber auf, dass gottverdammtnochmal immer Wein aus dem Hahn komme, obwohl er sich doch nur die Hände waschen wollte.
Nach dem stundelangem Taumel, ich habe die Zeit vergessen und mein Porte-Monnaie verloren, lass ich mich herausspülen, am Dicken von der Lügenpresse vorbei auf die Rathausgasse. Ich blinzle die Morgensonne an. Höhe Zytglogge kommt mir Endo Anaconda entgegen. Sie würden ihn nicht einmal mehr ins Dead End reinlassen, raunt er. Ich wünsche mir fest und sage ihm drum: «Für dieses Fest bist du noch einige Jahre zu früh, mein Freund.»
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Das ist ja der Kulturblog hier, drum meine Frage:
In einem Bund-Artikel (glaub) wurde kürzlich eine Seite erwähnt, die aus zig Jahresbestenlisten die besten Alben eruiert und natürlich auch die einzelnen Listen bereit hält. Was war das für eine Seite?
Das hier ist der Kulturblog und deshalb die nicht ganz blitzschnelle, aber kompetente Antwort:
Das muss dieser Artikel hier gewesen sein:
http://www.derbund.ch/kultur/pop-und-jazz/der-pop-des-jahres/story/23436702
Die erwähnten Seite wären dann die da:
Einerseits «Album Of The Year», andererseits «Metacritic».
Genau das, herzlichen Dank!