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Als sänge einem

Mirko Schwab am Mittwoch den 7. Dezember 2016

Die Popgruppe East Sister aus Basel macht alles richtig. Doch lassen Sie sich von der Niedlichkeit nicht täuschen. Eindrücke von der ersten EP «Colourblind».

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Irgendwo zwischen spät und früh sitze ich auf einem Parkettboden oder liege auf einer Matratze, als ich es zum ersten mal mit East Sister zu tun bekomme. Ich beobachte den Rauch zweier Zigaretten, wie er sich nach der Decke hochschraubt und von einem kühlen Luftstoss zerzaust wird, den man dem Schnauf zuliebe ins Zimmer gelassen hatte. Im Laufwerk dreht sich «Colourblind». Achtzehnminutenlang, bevor die Platte endet, wie sie begonnen hat: mit einer gebrochenen, brüchigen Holzgitarrenfigur.

Das Gefühl von Intimität, Nähe, Wärme – es ist wie ein Schermen vor der daran mangelnden Welt über das ganze Album gespannt. Aber solcherlei Wohligkeit stirbt schnell den Tod des Belanglosen. Oder der Überzuckerung oder woran sonst so verleidet, was uns im Hitradio als Befindlichkeitsmusik entgegengeschmettert wird. Auf «Colourblind» ist nichts zu befürchten. Der darauf ausgeführte Perfektionspop ist eben auch im Timing perfekt, die schöne schiefe Note kommt bestimmt und in Drums, Lines und Sounds hocken die kleinen lustvollen Fallen.

Zum Beispiel «Code», der zweite Song aus fünf. Er verbindet das unschuldige Lächeln mit dieser cleveren Listlust. Laura Schenks Retroorgel aus dem Repertoir kanadisch-amerikanischen Indipops kommt vertraut. Oder Lorraine Dinkels warm und klar formulierte Gesangslinien, die spätestens in Doppelstimmigkeit und Kombination mit der Schlagzeugerei zum ersten unwiderstehlichen Popmoment der Platte führen. Davon gibt es reichlich mehr und auch in balladeskem Register, sie beleuchten den handwerklich-kompositorischen Plan hinter East Sister und der vordergründig bodenständigen Songschreibe.

Die Versuchung, dem Charakter der Band trotzdem mit journalistischen Phillister-Konstrukten wie «clever» oder «intelligent pop music» (IPM?) auf die Spur zu kommen, rührt aber mehr noch von den Einschüben, Abruptheiten und Rückungen, die in der lieblichen Klangwatte ebenso stil- wie effektvoll platziert sind. Beim erwähnten «Code» verblieben wäre das der hereingeschossene skandierte Refrain. Die eingeworfenen Spielkonsolen-Synthsprengsel tragen das ihre dazu bei, dass hier kurz die Braue gehoben werden darf. Auch in der Produktion wird in feinen Dosen experimentiert, mal Rückwärtshall, mal Frequenzeingriff in die Gesangsspur – doch immer im Ausgleich mit einer scheinbaren (selbstverständlich ausproduzierten) Naturbelassenheit, als würde die Band ein unaufgeregtes Konzert spielen in einem schick möblierten Wohnzimmer. Oder als sänge einem Dinkel dicht am Ohr.

Zu unaufgeregt und aus dem Handgelenk heraus präsentieren sich die musikalischen Findigkeiten, als dass man auch die klügsten Momente in die Nähe von Nerdeleien oder zwanghafter Experimentalromantik rücken möchte. Darum muss es bei der Versuchung bleiben, biedere Genresuche zu betreiben und gar daran aufzuhängen, dass hier ob all dem Popwollen sogar Überraschendes herauskommt. Und ist es nicht gerade das liebe Popfach, dass diese Herausforderung einer Balance aus Klischee und Bruch, Vertrauen und Irritation, Schema und Narrenfreiheit oft ganz gut meistert?

East Sister jedenfalls ist ein herausragend vielfarbiges und ausbalanciertes Stück Musik gelungen, das es sich auch live zu gönnen lohnen dürfte – etwa heute Abend, Sonarraum im Progr. Die EP «Colourblind» ist am 2. Dezember auf dem Label Red Brick Chapel erschienen.

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Ein Kommentar zu “Als sänge einem”

  1. der Urs sagt:

    Schöner Schwab hier! Rauchen sie doch mal zu “The Chap” aka “Die London-Berlin-Popgruppe”
    Kam mir grad so in den Sinn.