Sind es die Tramadoltröpfchen oder ist eben gerade … Grosse Persönlichkeiten der Kulturgeschichte gehen im «3 Eidgenossen» eins ziehen. Heute: Falco hilft.
Du graue Stadt. Deine Sandsteinmauern graben sich ins Gemüt. So, wie sie sich in deine Pflastersteingassen graben, in müder Rücklage und innerlich absackend. Ich kann jeden verstehen, der sich in eine sonnige türkische Hafenstadt fortträumt. Auch wenn es die Ex-Freundin ist, auf der Suche nach besseren Zeiten. Im kalten Kaffee spiegelt sich meine trübe Feige, als wollte mir selbst die Tasse bedeuten, dass da nicht viel mehr ist als Selbstmitleid. Schau dich an oder trink mich aus, aber bitter ist es eh.
«Gspritzt.» Ich hebe den Blick und sehe schwarze Lackschuhe, einen schwarzen Mantel und schwarzes, streng frisiertes Haupthaar, das mit den Schuhen um die Wette glänzt. Den Weisswein hält er in der Hand und dreht sich um. Mit dem Rücken zum Tresen schaut er in meine Richtung, deutlich über mich hinweg aber und grinst. Über mir ist der grosse Spiegel aufgehängt. Und als ich realisiere, dass auch er sein eigenes Spiegelbild mustert, dass, egal wie hoch oder tief der Kopf, er sich spiegeln will irgendwodrin, da muss ich lächeln, da muss ich den Bemantelten anlächeln, ein Gruss unter Narzissten. Er schaut mich an, erwidert den Wink und tritt an meinen Tisch. «My name is Falco und du siehst aus, als solltest du etwas anderes trinken als Kaffee.» Er sagt das mit ruhiger, warmer Stimme, als müsste er mir den Weg zeigen, raus aus dem Wald, out of the dark ins Licht. «Eigentlich müssig, den Spiegel an die Wand zu hängen, wenn man ihn auch flach vor sich auf dem Tisch haben kann.» Das schneeweisse Grinsen. Er schnippst nach der Barfrau und verschwindet auf der Toilette. Ich nehme den teuren Whiskey entgegen und bedanke mich verdutzt. Einen Schluck später sitzt er wieder da. «Die Frauen, nicht?» Ich nicke. Sie seien gefährlich sagt er, alle, alle ausser seiner Mutter natürlich. Er setzt an zu einem Monolog um ein seltsames Frauenbild, einer in sich unlogischen, aber rhetorisch brillant vorgetragenen Unterscheidung zwischen Mütter und Frauen und Töchter und Girls, ich hänge ab. Er hat eigentlich eine recht grosse Nase, dieser Falco. Das Geplapper fädelt aus, vielleicht, weil ich etwas fest auf seine Nase starre. Wir schweigen uns kurz aus, dann verschwindet er wieder und als er zurückkehrt, erliege ich der Versuchung schon wieder, glotze seine Nase an. Was für eine Nase! Sie ist doch noch grösser als zuvor und er trägt weiter vor, als wär ich ganz Ohr. Aber er ist ganz Nase. Meine Güte, diese Nase. Toilette. Die Dinge in der Bar verschwimmen. Toilette. Wo ist sein Gesicht hin, da ist nur noch Nase, Nase allenthalben. Toilette. Ich schlage die Augen auf, wo ist die Bar? Wo ist mein Glas? Eine riesige Nase gluckst vor sich hin, laut und ordinär. Wo ist er hin? Ein riesiger Nasenflügel, ein riesiges Nasenloch. Ich muss ihn finden, denke ich in meinem Wahn und klettere in das Nasenloch hinein.
Ich stehe mitten in einem Skigebiet. Überall gleiten Menschen durch den Pulverschnee lautlos die Hänge herunter. Sie tragen altmodische Beinkleider und silberne Perrücken und verschwinden mit halsbrecherischer Geschwindigkeit in einem Tal. Oder ist es ein Meer? Oder sind die schneebedeckten Hügel blitzend weisse Dünen, das Skigebiet ein Strand in der Dominikanischen Republik? Alles wird hell, je mehr ich mich anstrenge, desto weniger kann ich erkennen. Ein Schneesturm bricht aus dem Himmel, unter silbernen, bald goldenen Flocken verschwindet der Ort. Ich greife nach dem Gold und finde mich vor einem Gemälde wieder, in Gustav Klimts «Kuss». Mir wird schwindlig, die glühende Intimität auf der Leinwand überfordert mich, alles wird heiss und giftig. Der Typ im Goldrahmen unterbricht die Schmuserei, dreht sich zu mir und lacht mich schallend aus. In diesem endlosen Echo verglühe ich dann, die Ölfarbe fliesst der Leinwand entlang in einen Abgrund, dass noch Fratzen sind, wo Liebende sich küssten und zuletzt das blanke Nichts. Weiss. Alles weiss, rein, gleich. Gleichgültig und gleichförmig. Ich schleiche mit langsamen Schritten rückwärts aus der Szenerie heraus und erkenne, wie sie sich wieder abzeichnet, die riesige weisse Nase, die vor ein paar Schritten noch eine ewig stille Leinwand war. Auf dem monumentalen Nasenrücken sehe ich mich liegen, auf dem Rücken liegen. Wie Snoopy auf seinem Hundehaus, im Tiefschlaf und zufrieden.
«Letzte Runde!» Ich verwache nasenbohrend an meinem Tisch. Vor mir zwei leere Gläser. Als ich aufstehe, weggehe und ohne gezahlt zu haben auf die Gasse trete, sehe ich einen Falken davonfliegen und grinse ihm nach.
Die Berner sagen: «Mir wei nid grüble.»
Die Österreicher sagen: «Ois hoib so wüd.»