Neue Langsamkeit. Nicht, dass den Bewohnern dieser Stadt das Stigma der Behäbigkeit schon genug schlechte Witze bescheren würde. Aber zum Glück ist das jetzt cool so wie «cool» schon seit mindestens hundertzwanzig Jahren nicht mehr und Bern die Haupstadt des Cloud Rap.
Träge Beats in verspultem Synthiegewebe, Stimme keta-tief oder zum Schlumpf geshiftet, assoziative Texte über das Nichtstun, über miese Drogen nehmen oder vom Freshersein als du. Die Spielarten einer globalen Jugendkultur geistern durch die Stadt. Angefangen hat das alles natürlich anderswo, sagt mein Mitbewohner, der den Hustensaft zwar vorzugsweise wirklich zur Bekämpfung chronischen Winterkränkelns trinkt, sich sonst aber sehr gut auskennt mit solchen Dingen. Amerika oder Schweden also. Von A$AP Rocky und Yung Lean erzählt er mir, wie ein violetter Virus verbreitet sich der Stil in ganz Europa, schliesslich auch im deutschsprachigen Raum. Yung Hurn und Hustensaft Jüngling werden auf den Handys herumgereicht, über Videos und soziale Medien wächst 1 eigene Jugendsprache heran, 1 eigene Ästhetik zwischen Kunsthochschule und Arbeitsamt.
In Bern beginnt die Sache mit einem Rätsel. Wer ist dieser Jungä 6ex God? Mit persiflierten Chauvi-Texten und einem Sack über dem Kopf stolpert er zum Jahresanfang durch die nachttote Stadt. Da will mitgeraten werden. Ein Outing ist nicht zu erwarten, überhaupt ist es seit März still um den Sechsecksgott (?) – was in diesem Genre einer halben Ewigkeit gleichkommt. Unangekündigt und mit hoher Frequenz raushauen gehört zum Stil. Also übernehmen andere: Das Duo Yangboy$, Bern West, stellt in gut zwei Monaten vier Videos ins Netz. Der dritte Streich «Weni Zit Ha» wird zum verspäteten Sommerhit, Yangboy$ für die Altweibertage, wir haben berichtet. Und auch hier wird nicht gespart mit lahmen Lines, die ihre Attraktivität gerade aus dem Konflikt mit einem in der traditionellen Rapszene hochgehaltenen Wertsystem von Skills und Realness beziehen. Whack ist eben geil und scheisse zu gleicher Zeit.
Hinter den Yangboy$ steckt das Kollektiv Darksome Productions, eine Schummerküche für solcherlei audiovisuelle Experimente. Als Donnie Darksome veröffentlicht die bärtige Hälfte der Yangboy$ die EP «Waud». Und der Name ist Konzept, auf acht Tracks wird mit Trance-Ästhetik und Feldaufnahmen verschiedenen Waldfantasien nachgegangen. Wenn Darksome als autogetunter Countertenor den Wald besingt als idyllischen, usrpünglichen Zufluchtsort ohne Netz und Natel – es ist insofern auch ironisch, weil die Subkultur des Cloud Rap nur über Netz und Natel funktionieren kann.
Natürlich mischt sich die Erscheinung mehr und mehr unter die Arrivierten. Dank Jeans For Jesus’ «Dyanmit» können wir erahnen, wie Mani Matter geklungen hätte als Youtube-Phänomen. Und so wird uns die Sache mit dem Cloud Rap noch einige bizarre Überraschungen bereithalten, bevor sie verschluckt wird von der Musikindustrie und so den Tod jeder (erfolgreichen) Subkultur sterben muss. Aber Bern war wiedermal kurz Hauptstadt.
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