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Die Stadt lebt, wo sie ächzt

Mirko Schwab am Freitag den 30. September 2016

Dass die letzten Tage des Treppendachs am Bahnhof Ausserholligen GBS angebrochen sind, ist schnell gesehen: Der neue Stationsname ist mit Folie notdürftig über das alte Leuchtschild gepappt, Löcher im Plastik gähnen seit Monaten – in einer Stadt, in der kaum eine Kritzelei die Nacht ihrer Entstehung überlebt.

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«Ausserholligen GBS» Verschiedene Materialien auf Plastik, Stahl und Beton, Gemeinschaftsarbeit. Verschiedene Autoren, Bern, 2016.

Am Europaplatz wird eifrig an jener mutlosen Idee peripherer Stadt gewerkelt, wie sie auch im Wankdorf Niederschlag findet in gläsernen und doch feisten Büroklötzen und auf weitläufigen Betonplätzen, die sogar den Vögeln zu tot sind, um darauf zu rasten. «Entwicklungsschwerpunkte» nennen die Behörden diese städtebaulichen Versäumnisse der Spätmoderne. Und putzen weg, was noch da ist aus der Zeit der Vernachlässigung. Nur weil sich aber jahrzehntelang kein Schwein vermarktbare Namen ausgedacht hat für solche Orte, bedeutet das nicht, dass dort nicht auch gelebt worden wäre.

Zum Beispiel unser Treppendach. Eine in ungünstigster Weise modische Tat aus der zweiten Hälfte des Zwanzigsten Jahrhunderts, heruntergehundet, und vergilbt, von kunstvollen Graffiti und hingekotzten, von sinnigen und juvenilen Kritzeleien übersät, Kleber, Kleister, Kaugummi, schlängelt es sich wie ein armer Wurm zu den Gleisen der Gürbentallinie herab. Es ist ein grossartiger, grossstädischer Ort, dem eine Geschichte ins Gesicht geschrieben steht. Die Geschichte der Wütenden, Verliebten und Gelangweilten, die sich am Europaplatz schon herumtrieben, als der Ort noch nach dem Karrosseriebauunternehmen Gangloff hiess und kein eigenes Einkaufszentrum hatte. Wer denkt sich eigentlich immer so innovative Konzepte aus?

Es ist also ein symbolischer Ort amtsgrauer Ideenlosigkeit und unliebsamer urbaner Sprenkel. Das autonome «Café Toujours» ist Anrainer des Platzes, sie werden es räumen. Und sie werden das Treppendach wegputzen, weil es den «Kundenanforderungen» nicht mehr genüge und verschandelt sei. Das Hässliche aber gehört zur Stadt und die Verschandelung hat Urheber. Sie lassen sich nicht folgenlos weggentrifizieren. Und auch: Wollen wir Kunden sein?

Lasst den armen Wurm stehen und lasst ihn verenden. Solange ein Dach verhindert, dass alte Leute die nasse Treppe heruntergereicht werden, solange der Lift jene befördern kann, die ihn benötigen. Als Denkmal für den Wandel eines Orts, für Gleichzeitigkeit und Imperfektion. Als Oppenheimbrunnen und zufälliges Kunstwerk. Die anmutigsten urbanen Orte sind Schichtwerk – ironischerweise kann genau dieser aus der Zeit gefallene Ort jene Ahnung von Grossstadt einlösen, der die gutgemeinte Aufwertungsarchitektur provinziell hinterherhechelt.

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2 Kommentare zu “Die Stadt lebt, wo sie ächzt”

  1. Stephan sagt:

    Heisst das immer noch BHF Ausserholligen? Denke, heisst inzwischen Europaplatz.
    Wer über die Treppe schreibt, sollte auch noch den Lift danebebn erwähnen.
    Zu keinem habe ich weniger Vertrauen, in keinem möchte ich weniger steckenbleiben.

  2. Benedikt sagt:

    Das ist doch Blödsinn! Das durchsichtige Dach der Treppe sollte für etwas Übersicht sorgen, damit die “Kunden” keinem Verbrechen zum Opfer fallen. Die Kritzeleien verunmöglichen den notdürftigen Versuch, etwas Sicherheit zu schaffen. Also bitte weg damit, entstehe als Ersatz auch bloss das nächsthässliche Bauwerk.