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Der Zweig des Albert Warner

Sarah Elena Müller am Mittwoch den 14. September 2016

Luftkino, die Zweite. Mit der Obertonstruktur der Kaulquappe, Käsewerbung, qualmenden Mädchen und Warner Brothers Falz- und Faltindustrie. Eine dazu gedachte Mitschrift. 

luftkino

Dies ist die Geschichte von Albert Warner, zweitältester der vier Gebrüder Warner und seinem Versuch, neben dem familiären Filmbusiness einen weiteren Zweig der Industrie zu besteigen, einen Zweig, der ihm ganz alleine gehören würde.

Als 1932 die Cartoonfigur Schweinchen Dick das Licht der Welt und des Projektors erblickte, hatte Albert Warner, Melancholiker der Familie, bereits den geheimen Plan gefasst, eine von den Warner Bro’s unabhängige Identität aufzubauen, die nicht mit billigen Witzen und unflätigen Schweinchen in Verbindung gebracht werden würde.
Um etwas an die Frische Luft zu kommen machte er zunächst ein Praktikum als Fischer. Aber die Arbeit als Fischer war hart und die Freizeit noch härter. Ständig dachte er an Fisch. Albert hievte Netze an Deck, zerschnitt sich daran die Hände und merkte schnell, dass die Fischerei kein Wirtschaftszweig war, sondern ein in Seemannsduselei marinierter Wahnsinn. Während Warner Brothers weiter gedieh, schaute sich Albert in der Textil- und Papierindustrie nach einer geeigneten Verdienstmöglichkeit um. Anfangs der 40er Jahre drehte Albert ein paar Instruktionsfilme für die aufkeimende Frauenbewegung, die er gekonnt mit Instruktionsfilmen für das polytechnische Lehrzentrum der Wifag verwob. Da die bildliche Darstellung der Vulva und ihrem Zubehör damals noch verpönt war, zeigte der gewitzte Albert einfach die Papierfalzmaschinen und Presswalzen der Wifag bei der Arbeit und legte Slogans wie:

»Lernen Sie, wie man unschöne Faltenwürfe vermeidet.«

»Sehen Sie sich den Bewegungsablauf noch einmal genau an.«

darüber. Diese Filme kamen sowohl beim polytechnischen Lehrzentrum der Wifag als auch an Filmabenden von Frauenrechtlerinnen rund um den Globus zum Einsatz. Beflügelt von der Idee, eine eigene Ideologie mit den Falz- und Faltmechanismen der aufstrebenden Wifag zu verbinden, rauschte er durch die Warner Bro’s Filmarchive. Albert war sich bewusst, dass der Platz auf der Welt knapper wird und rief in seinen Lehrvideos dazu auf, alles und jedes zu falzen und zu falten, sogar Flamingos und Schwäne. Verstauen Sie ihre Umgebung, besonders das unhandliche Vogelvieh, der Platzbedarf steigt, die Welt bleibt klein, also hopp! Albert hatte seinen Zweig gefunden.

Erst als seine Tochter im zarten Alter von sechs Jahren zu rauchen anfing, wurde ihm bewusst, dass er sich verstiegen hatte. Er war ein guter Grossindustrieller, aber kein guter Vater. Das Kind sass am Strassenrand, qualmte und erzählte allen, dass Vati und die Chemie der Wifag die Weltmeere verschmutzen und gefaltete Delfine hilflos an der Cote d’Azur anspühlen und verenden. Albert hatte keine Zeit, diese Tochter zu erziehen, aber er sagte sich, sie könne ja Nixe werden, dafür brauche mach keine speziell gelungene Erziehung. Wer raucht, bleibt schlank – sagte sich Vater Albert und widmete sich wieder seiner Falz- und Faltideologie.

Die Tochter am Strassenrand träumte also weiter rauchend vor sich hin, Nixe wollte sie nicht werden, Nixen gab es schon genug, das konnte das Mädchen unschwer an den Passantinnen erkennen. Vielleicht doch lieber in die Werbung? Sie würde dann Zigarettenrauch durch die Löcher eines Emmentalers hauchen und sowohl von den Schweizer Käse- als auch von den Zigarettenproduzenten entlöhnt. Sie wäre innert kürzester Zeit erfolgreicher als ihr Vater mit seinem geistesverwirrten Faltwahn. Der Käse pulsierte segensbringend vor dem inneren Auge des Mädchens. Und wenn alle Stricke reissen würden, konnte sie immer noch ins Familiengewerbe einsteigen.

Kommen Sie am 21. September um 22:00 Uhr zum Luftkino der Solstageum ein letztes Mal gemeinsam durch die überlappenden 16- und 8Millimeter Projektionen und Modularverwebungen der Obertonstruktur der Kaulquappe zu irrlichtern.

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