Bis Ende August präsentiert Ihnen KSB persönliche Sommerhits der Kultur-Prominenz.
Heute mit einem Gastbeitrag von Jürg Halter. Er ist Schriftsteller, Performer und Musiker, hat zahlreiche Veröffentlichungen und Auftritte in ganz Europa, den U.S.A., Afrika, Russland und Japan hinter sich.
«So mit der Zeit, geht alles hin.» Morgens um drei spaziere ich durch die Rathausgasse an der geschlossenen Tübeli-Bar vorbei; denke über die zunehmend realitätsbefreite Berner Altstadt nach; alles wird nett hier, nur noch nette Menschen sollen in netten Cafés verkehren und Smalltalks über Nachhaltigkeit führen, während sie mild lächelnd den Schaum von ihren Latte Macchiattos löffeln.
«Avec le temps» von Léo Ferré zum Trost im Ohr sitze ich auf einem Brunnenrand. «Wenn die Liebe erlischt, braucht man gewiss nicht weiter suchen gehen, man lässt’s geschehen und wird’s verstehen», übersetzt sich mir das Chanson vom Französischen ins Deutsche und ich sag leise vor mich hin: «Willkommen, O, Sommermelancholie».
Inzwischen hat es zu regnen angefangen. Ein Lüftchen umspielt in einem Hauseingang eine Zeitung, in der Analysen zu islamistischen Terroranschlägen, das Ende von Demokratien und den boomenden Waffenhandel stehen.«So mit der Zeit, so mit der Zeit, geht alles hin.»
Vor dem Rathaus stehend, singt Ferré weiter: «Der, den man verehrte, und ging im Regen orten, der Andere, den man ahnte hinter jedem Blick, zwischen den Zeilen, zwischen den Worten, der geht in die Nacht und versiegt.»
In der Postgasse steige ich auf die leere Säule des Lischetti-Brunnes und halte eine kurze unbestimmte Rede für Abwesende, spaziere weiter, schon fast tänzelnd, und tauche dann, ohne nachzudenken, meinen Kopf ins Wasser eines kleinen Brunnens. Wie gut das tut!
Während ich mit offenem Mund in den bewölkten Himmel schaue, höre die sich entfernende stolze, traurige Stimme Ferrés: «So mit der Zeit, so mit der Zeit, all das verfliegt.»
Im August erscheint «Das 48-Stunden-Gedicht» (Wallstein Verlag) mit Tanikawa Shuntaro und am 10. September feiert Halters erstes Theaterstück «Mondkreisläufer – eine Heimsuchung in vier bis unendlich vielen Akten» am Konzert Theater Bern Uraufführung.