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Ceci n’est pas un Volksfest

Mirko Schwab am Mittwoch den 20. Juli 2016

Eine Stadt dreht am Rad, messieur dames! Es ist beinahe rührend, wie es durch alle Mediengattungen tönt und von Tele Bärn bis France 2 unisono ein sportliches Volksfest (angenehmer wenigstens als ein völkisches Sportfest) besungen wird. Gut, schon wieder ein Ereignis internationaler Bedeutung in unserer Hauptstadt – da kann man sich schonmal den Kopf verdrehen lassen. Dem ganzen Schwindel trutzend einmal mehr: KulturStattBern. Der Enthüllungsbericht.

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Aber was hat eine denkbar unspektakuläre Ra(n)dsportart im Kulturblog Ihres Vertrauens verloren? Sie werden es kaum glauben: Das war nie Sport! Die Fakten zur grössten Strassen-Performance je – sie sprechen für sich.

Die Tarnung de Farce:
Von langer Hand geplant! Seit 1903 (Quersumme 13!) wird die Maskerade als Drahteselkaskade abgezogen, um sich schliesslich, 113 Jahre später, bei der 103. Ausgabe (10+3!) in Bern als monumentales gesellschaftskritisches Kunstwerk zu offenbaren.

Die Tarnung vor Ort:
Wo der Zirkus hält, wird materiell geklotzt. In rauen Mengen Töffs und Lastwagen, Polizei und Kameras, Wurst und Bier. Es soll nach einem echten Volksfest aussehen, riechen. Für skeptische Beobachter ist man gewappnet und wer sich nicht in den Massentaumel stürzen möchte, bleibt chancenlos: Trams und Busse fahren zwar als Alibi, jedoch auf völlig unbrauchbaren Routen durch den Agglokranz, Fusswege sind abgeschnitten. Den bekanntesten Verschwörungstheoretiker der Stadt, den pol(i)ternden Lastwagenfahrer E.H., haben die Verantwortlichen übrigens mit dem breiten Assortiment von Schwerstgefährten vorderhand ruhiggestellt.

Die Symbolik:
Wie immer bei grossen Kunstwerken sollte man auch hier nicht zu nah ran. Bei Monet bemerkt man entrüstet, dass alles nur Farbflecken sind, bei Mona im Louvre bleibt einem die Nahbetrachtung gar mit samtener Strenge verwehrt. Die wahre Botschaft erschliesst sich also aus der Ferne, dans la télé: Drohnen und Helikopter übermitteln die Bilder unserer Altstadt aus der Vogelperspektive. Die Strassen als Lebensadern einer Stadt werden von der pedalenden Schar verstopft, die Gefahr einer Carambolage als metaphorische Thrombose ist omnipräsent! Das Volk? Es schaut zu, ja klatscht sogar – und die Lesart des Werks ist eindeutig eine grossartige Kapitalismuskritik. Die Kreuzritter auf ihren Drahtmaschinen verkörpern die ungebremste Fortschrittshysterie, die knallbunten Leibchen gaukeln Individualismus vor, wo sich bei genauem Hinsehen doch nur die Firmenlogos schwergewichtiger Wirtschaftsplayer erkennen lassen. Die altehrwürdigen Altstadtmauern und -strassen werden vorgeführt als dem Volk entzogene soziale Räume, ein von der Wirtschaft viral vergifteter Sandsteinkörper, dem Infarkt preisgegeben. Das Volk schaut zu.

Die Gattung:
Wie kann man den Kapitalismus aufzeigen? Man lässt ihn – wörtlich – passieren. Der wahre Passant aber muss stehenbleiben und zuschauen, wird eingespannt in die Darbietung und spielt sich selbst als macht- und willenloser Gaffer. Die wichtigste Parallele zwischen einer Radsport-Etappe und der Performance ist allerdings, dass beide nur high zu ertragen sind: Hier Epo, da was Lustigeres – aber gedop(e)t sind se alle.

Der wahre Titel:
«Le Tour de France à Berne» nennen sie die List. Der eigentliche Name des Kunstwerks aber findet sich am Ende der Vorführung, im Zielbereich. Am Stadion, das die Einheimischen zwar Wankdorf, glatte Marketingkönner aber le stade de Suisse nennen. Das Stadium der Schweiz. Der Zustand der Schweiz.

Die Frage nach der Autorenschaft:
Die unheilige kommunistisch-kapitalistische Allianz Tschäppät-Rihs hat sich im Vorfeld als Initiantenpaar geriert. Unklar bleibt bisher, ob sie damit nicht einfach den wahren Strippenziehern auf den Leim gegangen sind und  denken, sie hätten gerade ein harmloses Zweirad-Seifenkistenrennen nach Bern geholt. Vermutet wird, dass im Hintergrund ein über mehrere Generationen gewachsenes französisches Untergrundkollektiv am Werk war.

Und was hat das alles mit Bern zu tun?
Die Franzosen waren nämlich schon einmal hier und haben den anciens Obrigen das Patriziat verleidet. Zeit für den zweiten Streich also. Und so haben sie sich aufgemacht, den selbstgefälligen Überdemokraten und Wirtschaftsfreunden mal ein Lied zu geigen von der menschenfeindlichen vélocité des Kapitalismus. Und zwar in der menschenüberströmten vélo-cité der Schweizer Kapitale.

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