Auch dieses Jahr bei uns zu Gast: Das «interdisziplinäre, konsequent experimentelle Kunstprojekt» Transform. Eine Zwischenbilanz zur Versuchsanordnung 5 von transform von Co-Leiterin Julia Haenni.
Auch diese Woche hat ein neues Trüpplein von Kunstschaffenden ihre Arbeitswoche für transform in Holligen angetreten. Und während bei den einen der Gastgeber bereits zum wiederholten Male Kunstschaffende empfing und als alter transform-Hase Tipps gab, wo man das Publikum platzieren könnte oder wie man das so gut machen könnte, wie die anderen beiden Künstler die da vor zwei Wochen sie wissen schon; sahen die anderen erst einmal ihre Erwartungen enttäuscht.
Der Kiosk etwa will am Freitag-Abend nicht extra aufmachen und war auch letzte Woche im Urlaub, so dass die Kunstschaffenden mehr vom Rollladen als vom Laden sahen. So zeigt sich erneut: Jeder Ort und jede Begegnung gestaltet sich von Grund auf anders, bietet mehr oder weniger Hindernisse und bringt damit komplett andere künstlerische Reaktionen hervor, die im Vorfeld kaum auszumachen sind.
Dies führt die transform-Idee, wie sie seit ihren Anfängen vor fünf Jahren besteht, konsequent weiter: Waren bisher Räume Ausgangspunkt und Inspirationsquelle für künstlerische Reaktionen, sind nun in der Versuchsanordnung 5 auch Menschen und die Regeln und Strukturen ihrer Geschäftsräume involviert. So ist es noch viel weniger möglich, mit fixen Konzepten anzureisen und was entsteht, ensteht notgedrungen aus der Situation heraus, site-specific, oder eben situation-specific, wenn man so will.
Die Begegnung steht im Zentrum und eröffnet neue Wege, von denen im Vorfeld noch keiner was ahnen konnte. Und oft tut sie das gerade dadurch, dass eben nicht alles möglich ist. Hindernisse sind Chancen. Weil wenn da so ein Hindernis im Weg steht und ich komm einfach nicht drüber, dann bleibt mir a) das Hindernis zu thematisieren und mich daran abzuarbeiten und oder b) die Abzweigung nehmen, die ich davor vielleicht noch nicht einmal gesehen hatte. Und das ist ja auch das Spannende an der ganzen Wunderkiste.
So waren unerfüllte Erwartungen diese Woche ein Thema, mit dem sich die Kunstschaffenden auseinandersetzen – weil sie sich eben einstellten. Und so waren es laut ihnen die unerfüllten Erwartungen, die es gerade möglich gemacht hatten, mal wieder eben darüber nachzudenken und zu fragen: Was sehe ich, wenn ich aufhöre zu sehen, was alles nicht da ist? Oder anders: Worauf bin ich zurückgeworfen, wenn der Rollladen unten bleibt?
Aber auch eine noch grundsätzlichere Frage gesellte sich scheu zur Diskussion dazu: Darf und soll ich nicht auch was erwarten? Bereits letzte Woche waren die Erwartungen ein grosses Thema, denn die Kunstschaffenden wurden seitens der Gastgeber immer wieder entweder mit sehr klaren Vorstellungen von Kunst oder grossen Fragezeichen zu der Kunst, die da kommen sollte, konfrontiert. So prägten denn auch die künstlerischen Interventionen letzte Woche das Spiel mit Erwartungen und eigenen Vorstellungen von Kunst und deren Sinn und Zweck. Aber es ging vor allen Dingen um die Erwartungen, die die Gastgeber vor Ort hatten und die Frage, was denn Kunst zu liefern, zu sein hat oder eben nicht.
Diese Woche tat sich aber eine neue Dimension der Diskussion auf: Darf die Kunst nicht auch etwas erwarten? Sie ist doch schliesslich kein Dienstleister. Und auch kein Heilsbringer. Sondern ein kritischer Hinterfrager des Vorhandenen, uns Umgebenden. Wie sehr muss sie sich also anpassen, wenn und weil sie Gast ist? Wieviel darf die Kunst, wenn sie zu Besuch ist? Darf sie zum Beispiel klischierte Vorstellungen von Kunst thematisieren und ironisieren? Wieviel Kritik ist angebracht? Wann tritt man den Gastgebern auf den Schlips? Und – ich wage es zu fragen – wäre das denn so schlimm?
Für die restliche Laufzeit von transform gilt es sich in Erinnerung zu rufen, dass wir ungemein dankbar sind für die Offenheit, mit der wir und die Kunstschaffenden in Holligen empfangen werden und stolz auf die wunderbaren zwischenmenschlichen Begegnungen die da entstehen. Es gilt sich aber auch in Erinnerung zu rufen, dass deswegen die Kunst ihre kritische Seite und der Künstler seine eigenen Fragezeichen nicht zurückzustellen hat. Im Gegenteil.
Vielleicht kann auch gerade etwas Freches, was dem Gastgeber eben nicht grad noch so in den Kram passt Gesprächsstoff liefern und eine ganz neue Art von Begegnung und Diskussion schaffen. Eine, in der die Kunst nicht auf den Knien vor den heiligen echten Menschen niederzuknien hat, sondern als ebenbürtiger Partner auch Erwartungen, Einstellungen und Hindernisse (Öffnungszeiten? Das wär mal was!) vorgeben darf, die zu neuen Wegen führen. Respekt muss unbedingt sein, das ist hoffentlich klar. Aber man kann auch als Schlipstreter_In respektvoll sein. Das wurde bereits bewiesen und wäre weiter zu beweisen. Und nein, ich meine damit nicht den heruntergelassenen Rollladen anzupissen. Nein, eben nicht.
Freitag, 26.2., 18.30 Loryplatz, Start Rundgang zu den Aktionsorten von und mit Teresa Vittucci, Dominik Blumer, Maria Ursprung, Elia Buletti, Sandra Künzi, Rob Aeberhard, Restaurant AS, Starmarket, Amers V.I.P. Hairstyle, Pizzeria Lory und ein bisschen Kiosk Irina. Danach Bier und Talk und Konzert mit Miss Tigre und Mr. Tornado im Restaurant AS.
Alle Informationen: www.transform.bz