Der Besuch im Broadway Variété Freitagabend hat mich unweigerlich an die hippen T-Shirts des New Yorker Designers Dylan Chenfield erinnert. Das besonders in Rap-Kreisen beliebte Message-Shirt propagiert die Kunde:
Ich habe zwar gestern nicht Gott getroffen, aber dafür den König. Und ja, sie ist schwarz. Und sie hat eine Stimme wie Billie Holliday, oder Whitney Houston oder doch wie Nina Simone? Seit etwa fünf Jahren habe ich jede Broadway-Aufführung gesehen, aber so politisch konkret wie dieses Jahr war das Thema noch nie: «Le Königreich» heisst die diesjährige Show des «original Spiel- und Verzehrthaters», das jeden Sommer mit Wohnwägen durch die Landen zieht und in fünf Schweizer Städten eine temporäre Parallel-Welt kreiert. Während knapp vier Stunden wird das Publikum von Kleinkunst-Cracks unterhalten und showintegriert mit einem exquisiten Vier-Gang-Menu verköstigt. Nein, Zirkus ist das nicht, oder vielleicht ein bisschen, aber dann mit sehr viel Rock’n’Roll. Dieses Jahr sorgte eben genau dieser König, verkörpert von der tätowierten und gepiercten Kanadierin Sarah E. Reid, für eine Extraportion dieser Ingredienz, oft begleitet von einem hendrix’schen Gitarrenspiel des Gilbert Trefzger.
Hofstaat-Regel Nummer 1: «Die Königin ist ein König», denn sie will als Mann gehandelt werden, damit man sie ernst nimmt. Wie viel Gesellschaftskritik diese Show auslösen will, lässt das Ensemble nicht durchscheinen. Am Ende ist doch alles auf Unterhaltung ausgerichtet. Ich weiss ehrlich gesagt nicht, was man an dieser Einstellung kritisieren sollte (sagen Sie es mir). Ich fand es schlicht cool, haben sich diese irrsinnig talentierten Freaks zusammengeschlossen, um ein zahlungskräfiges Publikum (ein Abend koststet zu recht CHF 120.-) mit ihrem Können zu unterhalten und dem Ganzen kritisches Gedankengut auf humorvolle Art und Weise beizumengen. Nebenbei verschwindet Artistin Sarah Willemin-Zürrer in einem Klavier oder windet sich um einen gigantischen Triangel. Die verschiedenen Showeinlagen passen nicht immer zusammen, aber das stört hier und an diesem Abend niemanden. Das Ambiente ist illusorisch, unwirklich und alles liebevoll gehandwerkt. Küre hatte sich besonders schick gemacht und zog seinen weissen Dandy-Hut vor dem Ensemble: «Ein Wunder, haben die nicht auch noch das WC-Papier selbst genäht.»
Die letzte Berner Vorstellung heute Abend ist ausverkauft. Ab nächster Woche gastiert das Broadway Variété in Zug. Die KSB-Autorin bereut die späte Berichterstattung.
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