«Gaming» ist in den letzten Jahren ein hipper Begriff in der Kultur. Die Pro Helvetia lancierte ein Förderprogramm für «Game Culture», eine Website und ein Passagen-Heft. Als erste Theatergruppe kommt einem in diesem Zusammenhang machinaEx aus Zürich in den Sinn, die «theatrale Point ‘n Click -Adventures, Computerspiele in lebensechter Grafik» entwickeln. Am vergangenen Wochenende spielte 400asa (zusammen mit einer ganzen Herde von Kollaborateuren) in Bern «Der Polder – Das Game». Das hiervon einige Zuschauer/Teilnehmer arg enttäuscht wurden, ist symptomatisch und zeigt, wie unterschiedlich die Vorstellungen von einem «Game» sind, bzw. dass die Ursprünge dieses Begriffs nicht ganz klar sind.
Man kann die Herkunft des Begriffs bei Computerspielen verorten. «Game» ist dann die Abkürzung von «Computer Game». Man bringt dann also Computerspiele zum Beispiel ins Theater. Schön. Könnte ja Spass machen. Schliesslich haben wir auch schon Romane, Filme, Hörspiele, ja sogar bildende Kunst ins Theater gebracht. Die Frage ist nur: Welche Prinzipien, welches Spezifikum von Computerspielen könnten fürs Theater interessant sein? Leider wird diese Frage von den Machern wohl kaum je gestellt.
Computerspiele haben’s an sich, dass sie vorprogrammiert sind, d.h. ein Spieleentwickler müsste sich alle eventuellen Handlungsmöglichkeiten des Spielers überlegen und eine Reaktion des Spieles dazu programmieren. Selbstverständlich ist das nicht möglich. Der Entwickler baut also einige Standartreaktionen oder Schranken ein für, wenn sich der Spieler allzu originell verhält, man denke an die «you cannot do this here»-Antwort in Adventure- oder Quest-Spielen. Dies ist selbstverständlich ein spassbremsender, frustrierender Mangel dieser Spiele. Seit Jahrzehnten strebt die Computerindustrie nach künstlicher Intelligenz, damit Maschinen eben «intelligent» und nicht vorprogrammiert auf Menschen reagieren können.
Das Theater aber scheint sich gerade auf diesen Mangel einzuschiessen. Es behauptet Interaktivität und verpackt sie in scheinbar komplexe Technik, doch, wo beim «Polder» ein App ist, hätten auch einfach ein paar Audiotracks sein können, man hätte nichts an Möglichkeiten verloren. Wo man auf die von Performern verkörperten «Gegner» stösst, gibt’s fast immer eine endliche, und vor allem ziemlich kleine Zahl von möglichen Verläufen. Ein Performer wiederholt völlig verwirrt seine Frage, als ich ihn mit komplexen Antworten oder Gegenfragen herauszufordern versuche, bis ich ihm endlich ein Stichwort liefere, auf das ihn die Macher vorbereitet haben. Das Spielsystem gerät durcheinander und ich werde auf einen sinnlosen Loop geschickt, als ich die vorgesehenen Bahnen verlasse und mit (mässiger) Gewalt ein Buch an mich reisse, obwohl ich mir beim Würfelspiel den Blick darauf nicht erspielen konnte. Die Antwort «Nein, aber ich habe ins Buch geschaut,» ist bei der späteren Frage «Hast du beim Würfelspiel gewonnen?» halt nicht vorgesehen. Die Performer wurden ihrer Intelligenz beraubt und stattdessen vorprogrammiert.
Einige Stationen im «Polder» sind allerdings anders und verwenden meiner Meinung nach interessantere Prinzipien von Games. In diesen Fällen wird «Game» primär als das englische Wort für «Spiel» verstanden, also als (nach Johan Huizinga) Handlung innerhalb festgelegter zeitlicher und räumlicher Grenzen nach freiwillig angenommener aber bindenden Regeln, die «begleitet wird von einem Gefühl […] des ‹Andersseins› als das ‹gewöhnliche Leben›.» Gleichzeitig wird in diesen Szenen des «Polders» aber nicht so getan, als wären die Beteiligten keine Menschen. Philippe Graber als Endgegner reagiert zwar etwas erstaunt, als ich ihm zwei statt einem Spezialwürfel mitbringe (ich hatte den zweiten zufällig auf der Strasse gefunden), gibt mir aber flugs einen Extrabonus. Auch lässt er mit sich verhandeln, als ich meine, er stelle mir jetzt doch ein bisschen viele Zusatzaufgaben, nur weil ich die letzte Aufgabe wider seine Erwartungen lösen konnte. Wir einigen uns ganz menschlich auf einen Kompromiss, was meiner Spielfreude keinen Abbruch tut, sondern mir im Gegenteil wohl das grösste Erfolgserlebnis des Abends beschert.
Nach solchen Prinzipien funktionierte auch das «Polder»-Finalspiel am Sonntag, entwickelt und durchgeführt von dem Berliner Kollektiv Invisible Playground, welches ortspezifische Spiele entwickelt. Auf dem Gelände der NMS im Aarhof kämpfen wir gegen Klone des «Polder»-Protagonisten. Wir tun dies in Variationen von Fangis und Brennball, aber auch mit einem kleinen Schreibwettbewerb (die brutalste Szene gewinnt). Bei allen Aufgaben dürfen wir so kreativ sein, wie wir wollen, und austricksen gilt ausdrücklich. Ja, das ist ein bisschen kindisch. Und gerade deshalb macht es so Spass, verbindet Lebensbereiche, die wir als Erwachsene gerne getrennt halten, und bietet ein Erlebnis fern vom «gewöhnlichen» Leben.
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Jetzt aber, und leider kein Game: Dies ist der vorläufig letzte Beitrag von unserer Frau Kretz auf diesen Seiten. Und das stimmt dann doch überaus traurig.
Jedenfalls schenke ich Ihnen zum Abschied einen Zeitdieb, jetzt, wo Sie aus dem KSB-Game hier leider draussen sind:
Wir sehen uns in den High-Scores!
Das ist mir alles viel zu kompliziert. Darum empfehle ich, auch von 400asa, die vergleichsweise simple, über weite Strecken sehr ruhige Inszenierung von Robert Walsers «Der Teich»:
http://400asa.ch/theater/aktuell/teich/
Diese Woche noch am Mittwoch, Freitag und Samstag je 20.00 Uhr.