Nachdem ich mich letzter Woche mit dem Facebookduckfacedrang der Berner Jugend auseinandergesetzt habe, lässt mich das Thema grad nicht mehr los: Stellen sich Menschen gerne selbst dar, um damit ihr Anderssein, ihr Künstlertum zum Ausdruck zu bringen? Und wo führt er durch, der schmale Grat zwischen Kunst/Kultur und Selbstdarstellung?
Am AUAWIRLEBEN (ja, das ist jetzt schon eine Weile her) letztes Jahr gab es einiges zu sehen, das mit dieser Grenze spielte, bei «Susan and Darren» standen Mutter und Sohn auf der Bühne, bei «This is my Father» Vater und Sohn, beide Stücke (und einige weitere) schöpften aus privaten Geschichten, stellten das eigene Leben aus. Ein anderes Beispiel, grad noch aus dieser Woche, wäre auch der 1000-Franken-Deal, bei dem die drei Performenden den ganzen Abend lang sich selber spielen und ihre eigenen Wünsche und Bühnenträume zeigen. Im Theater gehört diese Selbstdarstellung und -ausbeutung fast schon zum guten Ton, wird aber definitiv noch der Kunst zugerechnet.
Das eigene Leben wird aber in den meisten Fällen nicht wie oben als Fundgrube für künstlerisches Schaffen verwendet oder als dramaturgische Basis eines Werks, sondern als Marketingtrick. Oder wird gar die Kunst zum Werbemittel für das eigene Leben? Waren Beispiele für diese verwirrende Doppelschneidigkeit bisher vor allem aus dem englischen Sprachraum bekannt (Lindsay Lohan an vorderster Front), so haben wir nun mit Heinos Coveralbum «Mit freundlichen Grüssen» endlich auch Gelegenheit, einem deutschen Künstler dabei zuzuschauen, wie er den eigenen Untergang geschickt inszeniert zum Kult macht. Wir können uns fragen, was er eigentlich will: Das eigene Image retten, indem er noch ein letztes Mal gross rauskommt? Oder das Ende seiner Karriere zum Plattenverkauf verwenden? Im folgenden Livevideo kann er grad bei einer solch verwirrenden biographischen Erkenntnis beobachtet werden (für alle, die das lieber überspringen möchten, singt er ab 3:14 «Junge» von den Ärzten).
Was mich aber eigentlich zu diesem Post inspiriert hat, ist ein Meme, das sich seit einzwei Wochen auf Youtube breit gemacht hat, so breit, dass gar der Blick titelte «Gangnam-Style war gestern: Jetzt kommt der Harlem Shake». Das Meme ist für mich, nur so nebenbei, ein erschreckendes Beispiel dafür, wie weisse Kultur schwarze Kultur übermalt und neu verwendet – oder vielleicht sogar ins Lächerliche zieht (siehe hierzu: Harlem reacts to Harlem Shake). Hier also das “original”-Video, das die Geister weltweit bewegt (Achtung: nichts für anspruchsvolle Gemüter):
Hui. Das Beste: Es hat mehrere hundert Nachahmervideos weltweit gefunden. Wenn es beim Gangnam Style-Hype noch darum ging, eigene Messages in den vorhandenen Song einzubetten (mein Liebling: Mitt Romney Style), den Text umzuschreiben und das Video zu verballhornen, eine gewisse Abstraktionsfähigkeit also gefragt war, wird beim Harlem Shake (ja, los, Selbstversuch auf Youtube) vor allem eines betrieben: Selbstdarstellung. In allen Lagen, in allen Lagen. Samstag Nachmittag war es dann soweit. Als ich mit dem Bus am Bundesplatz vorbeifuhr, habe ich mich gefragt, was denn all die kostümierten Jugendlichen da treiben… Et voilà.
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Was mir immer noch nicht ganz klar geworden ist – ist das vielleicht ein Wettbewerb darum, den Harlem Shake mit der grössten medialen Aufmerksamkeit zu machen? Oder irgendwelche Rekorde zu brechen? Hier zB. der “Worls highest Harlem Shake”, aufgenommen in Engelberg.
ich glaub, mit dieser kombination der zwei mit grössten internetphänomenen ist die vision von tim berners lee verwirklicht und wir können das netz jetzt schliessen:
Wunderbar!! Den Harlem Shake jetzt schon auf die Ebene von Katzenvideos zu heben, finde ich allerdings höchst bedenklich, da müssen wir also noch ein paar Jahre (oder Millionen Views) verstreichen lassen, um zu einem fundierten Urteil zu kommen.
Das preichts ziemlich genau. Etwa so genau wie der Ziegelstein die Wäschetrommel.
der Song ist übrigens von Baauer. Die Musik nennt sich Trap und ist ein Südstaaten-hiphop-konzentrat. Dabei von weisser oder schwarzer Kultur zu sprechen ist wenn nicht unpassend, dann rassistisch. Die Vermischung der Kulturen hat längstens angefangen und wird von keiner Seite “dominiert”, im Gegenteil, die Fehler des letzten Jahrhunderts müssen nicht wiederholt werden.
Ist das ihr Ernst mit der Selbstdarstellung? Die Leute maskieren sich. Der Harlem Shake ist eine Ausrede um möglichst blöd zu tanzen.
Btw, who the fuck is Heino?
Der Harlem Shake ist auch für Websites eine Ausrede, mögichst blöd zu tanzen:
http://hsmaker.com/harlemshake.asp?url=http%3A%2F%2Fnewsnetz-blog.ch/kulturstattbern/
Lieber Ruf aus dem Wald
Da haben sie wohl etwas falsch verstanden. Was die sog. cultural appropriation anbelangt, da ist der Harlem Shake ganz vorne mit dabei. Und zwar nicht wegen des Songs, der ist egal, sondern wegen des Namens. Haben Sie sich nicht gefragt, weshalb die Bewohndenden von Harlem derart empört reagiert haben (im Video, dass ich obern verlinkt habe)? Weil eben der Harlem Shake ursprünglich etwas anderes war. Und dieses Meme die reinste Verballhornung dessen ist. Darum spreche ich auch von weisser und schwarzer Kultur. Rassismus geht eben gerade nicht weg, wenn man nicht darüber spricht, oder nicht wahrhaben will, wie oft dass wir Weslter_innen uns etwas von anderen Kulturen klauen, aus ihnen nichts als ein Klischee machen und damit noch Geld Ruhm Ehre verdienen. Genau dieses Phänomen ist ein wichtiger Bestandteil von Rassismus, weil es oft ganz harmlos, wie eben hier beim Harlem Shake, daherkommt.
Zum Tanzen: Ausreden zum blöd Tanzen gibt’s auch sonst genug (zB. Fasnacht), da braucht es doch kein Video dazu. Es geht doch eindeutig darum, zu zeigen, dass man’s tut.
Hier mein Liebling, so als Abschluss (auf Tumblr bekannt als “realistic harlem shake”)

hier lernt man noch was zu dem irgendwie schon sehr seltsamen phänomen:
http://www.huffingtonpost.com/gilad-lotan/the-harlem-shake_b_2804799.html