Logo

Duckface reloaded oder: Was macht eigentlich die Berner Jugendkultur?

Miko Hucko am Sonntag den 17. Februar 2013

Zur Kultur gehört, ganz klar, die Jugendkultur dazu. Vor allem im Zuge der ganzen Nachtleben-Debatte letztes Jahr wurde uns das immer wieder bewusst gemacht. Und wenn über 10’000 Jugendliche für ihr Recht auf Party auf die Strasse gehen, kann das nicht ignoriert werden. Denn 10’000 in einem Zug, das ist in einem provinziellen Hauptstädtchen nicht gerade wenig! Wobei ich immer dachte, so viele Jugendliche gäbe es gar nicht in Bern, und ich war ja da auch dabei und viele meiner älteren Bekannten auch. Item.

Umso überraschter war ich also, als ich eine neue, jugendliche Bewegung der 10’000 entdeckt habe – wenn auch bis jetzt nur virtuell. Die Facebookseite «Berner Schönheiten» ist nämlich nicht, wie ich erst annahm, ein Coup von Bern Tourismus, sondern wird von Jugendlichen betrieben, bespielt, ja, täglich mehrmals aktualisiert. Und hat schon über 10’000 Likes! Die Regeln sind einfach und sind auch die einzige Information von Seiten der Betreibenden:

«Anleitung: 1. Seite liken, 2. Nachricht mit Foto, Name, Alter und Nationalität senden. VIEL SPASS ♥

Regeln
■Die Teilnehmer müssen einen Mindestalter von 14 Jahren haben.
■Keine Beleidigungen. (Meinungen sind erlaubt PS: Umgangssprache)
■Keine doppelten Nachrichten schicken.
■Keine Fakes einschicken.
■Keine Bilder von Freunden einschicken.»

Was jetzt daran der Spass sein soll? Das habe ich mir auch gedacht. Tatsächlich aber werden hier die verschiedenen Bilder miteinander in indirekte Konkurrenz gestellt: Wer hat die meisten Likes? Wer die Kommentare mit den meisten Herzli und Küsslismileys? Klingt zwar auf den ersten Blick ziemlich nach harmloser Jugendbeschäftigung, na klar, Privatsphäre kennen die ja eh nicht… bei längerem Nachdenken hat mich aber das Schaudern dann doch ergriffen. Da ich aus personenschutztechnischen Gründen (also ich glaube da ja noch dran) kein Original hier raufladen möchte, ein Blog ohne Bild aber selten gut ankommt, gibt’s jetzt ein Bild von mir zum Dranrumrätseln:

    Miko, 24gi, Bern, Shwiiz/Slovakei

Ich hoffe, die Illustration gereicht zum Verständnis des Schreckens. Nein, es ist nicht der Winkel (leicht von oben) der Gesichtsausdruck (eben, Duckface, besser hab ich’s einfach nicht hingekriegt) oder die verkrampfte Armstellung (vom sich-selber-Fötelen). All das wäre ja noch im Rahmen der künstlerischen Freiheit und Gleichheit ertragbar. Es ist der Bildbeschrieb. Nicht, dass Sie mich falsch verstehen: An das SH habe ich mich fast schon gewöhnt, das Y hat eh ausgedient – für einmal sind die Probleme nicht sprachlicher Natur. Es ist der gepflegte Nationalismus, der mir Sorgen macht. Wenn dort die Nationalität nicht stünde, hätten Sie sich einen Deut darum geschert? Ich glaube nicht. Ehrlich gesagt kann ich kein Wort Slovakisch, und ich glaube, auch viele der Jugendlichen mit Selbstdarstellungsdrang haben redlich wenig mit “ihrem” Land zu tun. Aber das sind nun mal die Regeln des Spiels, und alle halten sich dran – die meisten suchen wohl irgendwo nach Ahnen im Ausland, andere haben tatsächlich die Erkennungsformel “Eidgenoss” (auch bei Frauen ohne -in, das scheint so eine fixer Ausdruck zu sein, ein Stempel vielleicht) zu ihrem Bild gestellt.

Meinereins fragt ja neue Bekanntschaften immer «was machsch du so» – schon als Kind habe ich meinen Plüschtieren und Legofiguren immer einen Namen und einen Beruf zugeordnet. Ganz nach dem Prinzip du bist was du tust. Hier aber geht um «wo chunsch du so här», und auf einmal verschiebt sich das Gefüge von Gleichheit zu einer Bewertung der Herkunft. Ich war ja immer so idealistisch und habe geglaubt, es sei egal, woher du kommst – aber Zehntausende Jugendliche belehren mich hiermit eines gefürchigen Besseren. Ich frage mich, ob dieser, hm, Nationalismus im Anfangsstadium schon immer da war und ich das einfach nicht mitbekommen habe oder ob sich in den letzten Jahren etwas verschoben hat. Brauchen junge Menschen in Zeiten der allgemeinen Globalisierung, des jederzeit-überall-Seins mehr Halt, mehr Ort, mehr Nationalität um sich irgendwo zu Hause oder dazugehörig zu fühlen? Oder findet das allgemeine Zusammenrücken nur auf bestimmten gesellschaftlichen Stufen statt?

Übrigens stehen die Chancen gut, dass wir die «Berner Schönheiten» bald einmal live erleben dürfen, einer Abstimmung zufolge haben sich um die 60% der Gruppenfans für die Organisation einer Talentshow entschieden. Ich bleibe dran und versuche weiterhin hartnäckig, nicht zu viel Gefallen an der virtuellen Selbstdarstellung zu finden.

 

« Zur Übersicht

Kommentarfunktion geschlossen.