Das Leben ist oft ein Kampf gegen Ängste und Verletzlichkeiten. Uns wird fast täglich bewusst, dass wir umzingelt sind von Gefahren, die unsere Existenz bedrohen. Ein Unfall oder eine schwere Krankheit können uns aus der Bahn oder gar aus dem Leben werfen. Religionen und Glaubensgemeinschaften leben vom Bewusstsein der Menschen, dass nichts so gewiss ist wie die Endlichkeit – zumindest im Diesseits. Sie sind quasi die Versicherungen für ein Leben nach dem Tod. Sie sollen uns die Angst vor dem definitiven Aus nehmen. Die Angst vor der Vorstellung, dass es keine Seele geben könnte und dass nichts von uns übrig bleibt – ausser ein paar Spuren.
Doch taugen Religionen als Versicherungen im übersinnlichen Sinn? Zweifel sind angebracht, denn das Leben und die Wissenschaften – auch die Geisteswissenschaften – lehren uns, dass es nichts Absolutes gibt, also keine Wahrheit. Alles ist subjektiv und relativ. Auch der Glaube an ein höheres Wesen. Glauben heisst ja auch «für wahr halten».
Trotzdem postulieren die Religionsgemeinschaften und Heilslehren einen Absolutheitsanspruch. Ausgerechnet im religiösen und spirituellen Kontext, also im unfassbaren und numinosen Bereich, glauben wir an die Unverrückbarkeit der Offenbarungen, an die letzten Wahrheiten. Dabei ist nichts so relativ, oft auch spekulativ, wie religiöse und spirituelle Erkenntnisse.
Wie relativ diese Glaubenswahrheiten sind, zeigt sich im Umstand, dass es weltweit über 100’000 Glaubensgemeinschaften und Religionen gibt. Alle nehmen für sich in Anspruch, den einzig wahren Gott, die einzig wahre Heilslehre zu vertreten. Diese Götter haben sehr viele Gesichter und nichts miteinander gemein. Wie relativ die Gottesbilder sind, zeigt sich im Umstand, dass sie sich im Lauf der Menschheitsgeschichte gewandelt haben. Unsere Vorfahren beteten die Sonne an, weil sie realisierten, dass Licht und Wärme Leben spenden und das Überleben sichern.
Der Hinduismus geht von einer Vielzahl von Göttern aus, doch mit zunehmender Bildung und Erkenntnis veränderte sich das Weltbild: Der Monotheismus schien plausibler als die Vielgötterei oder der Pantheismus.
Aber auch die Konzepte der verschiedenen Religionen weisen erhebliche Differenzen auf und sind nicht kompatibel. Die Spanne der «religiösen Wahrheiten» könnte kaum grösser sein. Trotzdem hat keine Glaubensgemeinschaft Zweifel, ihre Heilslehre könnte falsch sein oder nicht der Wahrheit entsprechen. Egal, wie exotisch oder spekulativ sie ist. Dieser Umstand müsste Gläubige skeptisch machen. Doch es ist eben das Wesen des Glaubens, dass Zweifel als bedrohlich empfunden werden.