
Amerikanische Soldaten und Häftlinge stehen hinter dem Tor des Konzentrationslagers Buchenwald (April 1945). Foto: AFP
Die Reinkarnationsvorstellung, oft gekoppelt an die Karmatheorie, hat ihre Wurzeln primär in den fernöstlichen Glaubensvorstellungen. Diese religiöse Idee, vor allem im Hinduismus und Buddhismus zu finden, ist sehr alt, hat eine fatalistische Komponente und passt schlecht in ein modernes Weltbild. Heute bauen wir das Zusammenleben, die gesellschaftlichen Ordnungen und Gesetze darauf auf, dass der Einzelne ein autonomes Wesen ist, das für sein Tun die Verantwortung trägt.
Das Konzept von der Wiedergeburt geht hingegen davon aus, dass Menschen Einflüssen ausgesetzt sind, die angeblich mit früheren Leben zu tun haben oder auf kommende ausstrahlen. Zwei Beispiele: Gute Taten im aktuellen Leben können zu einer Belohnung im nächsten führen. Fromme Hindus denken dabei gern an einen Aufstieg im Kastensystem. Oder: Wer in einem früheren Leben jemanden umgebracht hat, muss damit rechnen, dass er später selbst Opfer eines Verbrechens wird, auch wenn er ein vorbildliches Leben führt. Ein solch fatalistisches Weltbild lässt sich schlecht mit modernen psychologischen, sozialen oder pädagogischen Erkenntnissen oder Grundsätzen vereinbaren.
Dass dieser Glaube in Indien fortlebt, weil er einer alten Tradition entspricht, lässt sich einigermassen nachvollziehen. Dass aber heute im Westen Millionen von Menschen die Idee in ihr Weltbild integriert haben, muss als geistiger, kultureller und religiöser Rückfall gewertet werden. Zu verdanken haben wir diesen anachronistischen Rückschritt der modernen Esoterik, die inzwischen weite Gesellschaftskreise durchdrungen hat.
Dieses Beispiel zeigt, welch problematische Auswirkungen esoterische Ideen auf die Geisteshaltung vieler Menschen im Westen heute haben. Die Esoterik westlicher Ausprägung kultiviert das magische Denken und den Aberglauben. Es ist der Glaube an übersinnliche Geistwesen und Verstorbene, mit denen man angeblich kommunizieren kann, der Glaube an Elfen und Einhörner, an die Idee eines raschen spirituellen Paradigmawechsels, der aus uns egozentrischen Menschen sanfte Wesen machen soll.
Wie fatal der Glaube an die Karmatheorie und ihre esoterischen Modifikationen ist, hat uns der Esoteriker Trutz Hardo demonstriert. In seinem Buch «Jedem das Seine» (in Anlehnung an die Torinschrift im Konzentrationslager Buchenwald) wollte er nachweisen, dass die Karmaidee sich auch an einem extremen Beispiel wie dem Holocaust «beweisen» lässt. Der Autor behauptet, die ermordeten Juden hätten sich ihr Schicksal im Dritten Reich ausgesucht, da sie sich in früheren Leben ähnlicher Verbrechen schuldig gemacht hätten. Ist das Dummheit? Vielleicht. Mit Sicherheit aber esoterische Verblendung.