Archiv für die Kategorie ‘Christentum’

Religionskriege: Warum outet sich Gott nicht?

Hugo Stamm am Samstag den 16. Januar 2016
A Syrian refugee holding a baby swims towards the Greek island of Lesbos, September 12, 2015. Alkis Konstantinidis: Another inflatable boat packed with dozens of migrants and refugees heading towards the shore. That’s what I noticed in the distance. The sea was calm and they were cheering on the dinghy. Suddenly, some 200 metres away, the rear of the boat deflated for no obvious reason, and people started falling into the sea. Screams replaced cheers as they frantically tried to stay afloat on life tubes, or by clinging on to the boat. Those who could swim tried to help those who couldn’t. As this dramatic scene unfolded and people drifted away from each other, the biggest challenge was to capture as many of the different scenes as I could. There were people falling overboard; two men trying to keep their friend afloat; a man still on the boat lifting his child in the air; another man, nearing collapse from exhaustion, swimming towards the shore; volunteers rushing towards the boat. In this hectic moment, one man, tense and yelling really loudly, caught my eye so I shot some frames. Later, as he tried to catch his breath on the beach, I asked him where he was from. “Syria," he told me before heading towards a volunteer holding a baby. The distance of the shot hadn’t allowed me to see the details of the picture clearly. It was only when I began editing that I could make out the tiny head of a baby in a life tube, and the screaming man trying to keep himself and the baby above water. Everything I cover, from riots to politics and sports, trains me to be on the alert and try to get the best from what I am shooting. I learned from this experience that disaster can occur even in what appears to be the calmest of situations. Looking back, the most memorable moment was when I opened the picture and saw the baby, who looked fast asleep as if in a cradle - dreaming or listening to a lullaby. REUTERS/Alkis Konstantinidis SEARCH "STORY-YEAR" FOR ALL 14 PICTURES - R

Kann das Gottes Wille sein? Ein syrischer Flüchtling mit einem Säugling vor der griechischen Insel Lesbos (September 2015). (Reuters)

Die Welt brennt, und Gott glänzt einmal mehr durch Abwesenheit. Christen verteidigen ihn mit dem Argument, er habe uns Menschen einen freien Willen gegeben, das Leben und die Welt nach eigenen Vorstellungen, Wünschen und Ideen zu gestalten. Doch dieser Gedanke ist nicht zu Ende gedacht. Es sind vergleichsweise wenige Player im aktuellen politischen Machtpoker, die ihren Willen skrupellos durchsetzen und die Welt destabilisieren. Millionen von Menschen sind ihrem destruktiven Machtwillen ausgesetzt.

Ihre Opfer in den Krisengebieten haben zwar auch einen freien Willen, aber die Ohnmacht verhindert, diesen umzusetzen. Sie sind den Despoten machtlos ausgesetzt. Ihre «Freiheit» beschränkt sich meist nur auf die Möglichkeit, aus der irdischen Hölle zu fliehen. Und nicht selten endet der letzte Rest ihres freien Willens, den Gott ihnen angeblich gelassen hat, in einer maroden Barke, die im Mittelmeer versinkt. Schaffen sie es bis nach Europa, haben sie zwar ihr Leben gerettet, doch sie sind meist entwurzelt, werden angefeindet, sind ohne Zukunftsaussichten.

Eigentlich müsste sich Gott – der christliche, jüdische oder muslimische ─ angesichts der Not und des Elends die Haare raufen. Da säkularisiert sich seine schöne Welt, doch die aktuellen politischen Konflikte werden mehr denn je mit religiösen Ideen befeuert. In seinem Namen massakrieren die «Rechtgläubigen», primär fanatische Muslime, die «Ungläubigen», und die Mörder und Märtyrer sind überzeugt, sich damit das Himmelreich zu verdienen.

Tatsächlich sind die meisten gewalttätigen Konflikte heute religiös oder pseudoreligiös motiviert. Weil viele Staaten im Nahen und Mittleren Osten sowie in Nord- und Westafrika ihren Bürgern wenig Schutz und Identifikationsmöglichkeiten bieten, gewinnt die religiöse Zugehörigkeit an Bedeutung.

Der christliche, muslimische, jüdische oder sonst wie gelagerte Gott könnte die Fanatiker und Gotteskrieger aller Couleur mit einer einfachen Massnahme bändigen: Er müsste sich lediglich in einer Weise offenbaren, die keine Zweifel mehr an seiner Existenz und Identität offenlassen würde.

Denn Gläubige der Buchreligionen (Christen, Muslime und Juden), die sich auf Abraham berufen, erheben den Anspruch, ihr Gott sei der richtige. Sie glauben auch, Gott habe sich sehr wohl offenbart: in der Bibel, dem Koran und der Thora. Sie glauben auch, Gott sei die Liebe. Die Christen zum Beispiel stützen sich auf biblische Aussagen wie: «Gott ist Liebe, und wer in der Liebe bleibt, bleibt in Gott und Gott bleibt in ihm.» (1. Johannes 4,16). Und sie verweisen darauf, dass er aus Liebe seinen Sohn geopfert habe, um uns Menschen zu erlösen.

Da stellt sich die Frage, wie er es aushält, dass der tödliche Kampf um den richtigen Gott Millionen von Menschen ins Elend stürzt. Und weshalb er sich nicht dazu entschliessen kann, sich zu outen und die weltweiten religiösen Konflikte zu entschärfen.

Mörder werden im Heiligen Jahr begnadigt

Hugo Stamm am Samstag den 2. Januar 2016
Der Papst bei der Weihnachtsmesse am 25. Dezember 2015. Foto: L'Osservatore Romano/AP

Wird sein Ablassversprechen dereinst als Anmassung und Sünde bewertet? Der Papst bei der Weihnachtsmesse am 25. Dezember 2015. Foto: L’Osservatore Romano/AP

Die katholische Kirche kämpft seit Jahren mit Imageproblemen. Die negativen Schlagzeilen überwiegen die erfreulichen Meldungen bei weitem: Sexueller Missbrauch, Verschwendungssucht, Skandale bei der Vatikan-Bank, magere Ergebnisse bei der Bischofssynode usw.

Da kommt die Ausrufung des Heiligen Jahres, wie es der Papst an Weihnachten getan hat, zur rechten Zeit. Es gibt der Kurie etwas Luft und ist ein Fest für die Gläubigen. Diese werden Rom 2016 stürmen – es werden 30 Millionen erwartet –, die Stadt wird sich in einen Rummelplatz verwandeln.

Der grösste Anreiz für eine Pilgerreise im Heiligen Jahr, auch Jubeljahr genannt, liegt im versprochenen Ablass. Wer das Ritual erfolgreich absolviert, fährt frei von Sünden heim, wie der Papst verspricht. Egal, ob er ein Kriegsverbrecher, Mörder oder Betrüger ist. Also auch Todsünden werden angeblich getilgt, das Tor zum Himmel öffnet sich nach dem Jüngsten Gericht auch den Verbrechern, wenn sie denn das Ablassritual absolviert haben.

Die Befreiung von den Sünden im Heiligen Jahr ist keine Hexerei. Es braucht keine Wiedergutmachung, keine Fronarbeit für das Reich Gottes, keine Kasteiung mit einer Dornenkrone oder einer Geissel. Die Gläubigen müssen für die grosse Reinigung lediglich die Beichte ablegen, die Kommunion empfangen, das Glaubensbekenntnis ablegen, ein Gebet für den Papst sprechen – hat er das nötig? – und eine heilige Pforte durchschreiten. Die beliebteste befindet sich in der Vorhalle der päpstlichen Basilika von San Giovanni in Laterano in Rom, die normalerweise zugemauert ist, in den Jubeljahren jedoch vom Papst feierlich geöffnet wird.

Heilige Jahre haben in der katholischen Kirche Tradition. Papst Bonifatius VIII. rief im Jahr 1300 zum ersten Mal ein Jubeljahr aus. Meistens fanden diese nach jeweils 25 Jahren statt, diesmal schon nach 15 Jahren. Die Kurie braucht offenbar dringend einen Befreiungsschlag.

Es ist eine der verstörenden religiösen Besonderheiten, dass ein Mensch einen Sündenablass verfügen kann. Pfuscht der Papst damit Gott nicht ins Handwerk? Das Ritual widerspricht dem Gerechtigkeitssinn. Ein Beispiel: Ein Mann, der Ehebruch begangen, den Ablass aber nicht geleistet hat, wird dereinst aus dem Himmel verbannt. Ein Mörder hingegen, der im Jubeljahr rasch durch die Heilige Pforte schlüpfte, findet beim Jüngsten Gericht Gnade.

Ob Gott da mitspielt? Und was ist, wenn sich die Päpste mit dem Ausrufen der Heiligen Jahre verspekuliert haben? Wird vielleicht ihr Ablassversprechen dereinst als Anmassung und Sünde bewertet?

Nimmt man die Bibel als Massstab, könnte dies durchaus passieren. So lesen wir beispielsweise bei Matthäus:

«Ihr Nattern, ihr Schlangenbrut! Wie wollt ihr dem Strafgericht der Hölle entrinnen?» (Mt 23,33)

In einem Korintherbrief heisst es:

«Wisst ihr denn nicht, dass Ungerechte das Reich Gottes nicht erben werden? Täuscht euch nicht! Weder Unzüchtige noch Götzendiener, weder Ehebrecher noch Lustknaben, noch Knabenschänder, noch Diebe, noch Habgierige, keine Trinker, keine Lästerer, keine Räuber werden das Reich Gottes erben.» (1. Kor 6,9–10)

An anderer Stelle schreibt der Evangelist Matthäus:

«Wie nun das Unkraut aufgesammelt und im Feuer verbrannt wird, so wird es auch am Ende der Welt sein: Der Menschensohn wird seine Engel aussenden und sie werden aus seinem Reich alle zusammenholen, die andere verführt und Gottes Gesetz übertreten haben, und werden sie in den Ofen werfen, in dem das Feuer brennt. Dort werden sie heulen und mit den Zähnen knirschen.» (Mt 13,40–42)

Bei solchen Worten kommen Zweifel auf, ob Gott den billigen Ablass der katholischen Kirche akzeptiert und Betrüger und Mörder begnadigt, die das Ablassritual absolvierten. Denn dieses garantiert ja nicht einmal, dass die Sünder ihre Taten bereuen.

Christen missionieren islamische Flüchtlinge

Hugo Stamm am Samstag den 28. November 2015
Dem richtigen Gott nahe: Zeugen Jehovas im Zürcher Hallenstadion. (Bild: Steffen Schmidt/Keystone)

Dem richtigen Gott nahe: Zeugen Jehovas im Zürcher Hallenstadion. (Bild: Steffen Schmidt/Keystone)

Terror, kriegerische Auseinandersetzungen, Vertreibungen, Flüchtlingsströme aus dem Nahen und Mittleren Osten und aus Nordafrika: Die apokalyptischen Warnsignale könnten kaum dramatischer sein. So überrascht es nicht, dass das Endzeitfieber in radikalen esoterischen Gruppen und christlichen Gemeinschaften steigt. Die Johannes-Offenbarung, das letzte Buch der Bibel, kündigt die Vorzeichen der Endzeit mit Schreckensbildern an, die an die aktuelle Weltlage erinnern.

Die Flüchtlingsströme aus den islamischen Ländern lösen bei vielen Freikirchen einen zweiten Reflex aus, den Missionsdrang. Da ihr Verhältnis zum Islam gespalten ist und sie in radikalen Staaten verfolgt werden, sehen sie in der aktuellen Situation ihre grosse Chance: Sie müssen ihr Leben nicht mehr im Feindesland aufs Spiel setzen, sondern können die entwurzelten Flüchtlinge hierzulande abholen, sie betreuen und ihnen Jesus schmackhaft machen.

Tatsächlich glauben viele radikale Christen, die internationalen Konflikte seien ganz im Sinne Gottes, denn nun könnten viele verirrte islamische Seelen vor der anbrechenden Endzeit gerettet und dem richtigen Gott zugeführt werden. Dieser Auftrag, in der Bibel explizit festgehalten, hat in apokalyptischen Zeiten eine besondere Bedeutung.

Besonders auch für Zeugen Jehovas der Wachtturmgesellschaft. Sie sind Missionsprofis und haben ein Merkblatt für ihre Brüder und Schwestern herausgegeben. Dieses enthält klare Anweisungen zur Missionierung von Flüchtlingen. So heisst es unter anderem, man solle vor einer Asylunterkunft mit einem Missionsplakat auf und ab gehen, um Flüchtlinge kennen zu lernen. Sinn und Zweck zeigen sich bei der nächsten Empfehlung: «Am besten kommt man an dem Aufsichtspersonal vorbei, wenn man sagen kann, dass man von einem Bewohner direkt eingeladen sei.» Sind die Zeugen Jehovas erst einmal ins Territorium der Heiden eingedrungen, können sie ihre Missionskünste ungehindert anwenden.

In evangelikalen und charismatischen Freikirchen sind die Meinungen bezüglich der Missionierung von Flüchtlingen gespalten. Die freikirchlich ausgerichtete Zeitschrift «Spektrum» fragte deshalb kürzlich: «Gilt der Missionsbefehl Jesu eigentlich auch für Muslime, die als Flüchtlinge nach Deutschland kommen?» Die meisten Leitungsgremien der evangelischen Kirchen, vergleichbar mit unserer Landeskirche, raten zur Zurückhaltung.

Für viele Freikirchen ist der Missionsauftrag aber ein so zentraler Glaubenspfeiler, dass sie keine Ausnahmen kennen. Viele Gläubige befürchten, sündig zu werden, wenn sie die Rekrutierung von Ungläubigen vernachlässigen.

Schwester Rosmarie Götz, Diakonisse der landeskirchlichen Gemeinschaft «Haus Gotteshilfe» in Berlin, lässt sich von sozialen oder politischen Bedenken nicht beirren und hält stramm an der religiösen Prämisse fest: «Natürlich ist die Missionierung die wichtigste Aufgabe. Wozu sonst schickt uns Gott die Flüchtlinge hierher?», erklärt sie. Solche Haltungen stehen oft am Anfang von religiösen Konflikten. Auch im 21. Jahrhundert.

Junge Katholiken missionieren mit Esoterik

Blog-Redaktion am Samstag den 7. November 2015
Missionieren mit Jenseitskontakten und Esoterik. (Bild: Wikipedia)

Missionieren mit Jenseitskontakten und Esoterik. (Bild: Wikipedia)

Esoterisches und spirituelles Gedankengut ist längst salonfähig geworden und hat sich ins kollektive Bewusstsein eingegraben. Die seichten Medien bespielen das moderne Gesellschaftsritual regelmässig. Die «Glückspost» liefert beispielsweise in jeder Ausgabe zwei Seiten der esoterischen Salbaderei. Zunehmend finden spiritistische und okkulte Rituale den Weg in die Kirchen. So führte die reformierte Pfarrerin Renate von Ballmoos von der Prediger-Kirche in Zürich schamanische Kurse durch, und katholische Bildungsstätten locken das Publikum mit esoterischen Workshops an.

Doch nun überholt der katholische Treff für junge Erwachsene «Jenseits im Viadukt» in Zürich alle Institutionen auf der okkulten Spur: Er bot zu Allerheiligen Jenseitskontakte an. Und niemand in der katholischen Kirche schreit auf. Auch nicht der zuständige Bischof Vitus Huonder, der nichts von der Modernisierung der Kirche hält und sich als Hüter der reinen Lehre starkmacht. Lieber sperrt er Geistliche aus, die es wagen, homosexuelle Paare zu segnen. Dabei werden in der Bibel harte Strafen für jene angedroht, die sich dem Okkulten zuwenden.

So heisst es in im Alten Testament, jeder sei ein Gräuel für Gott, der die Toten befrage. Wer sich Totenbeschwörern und Wahrsagern zuwende, muss mit dem Tod rechnen.

Der katholische Treff hat kirchenferne junge Leute im Visier. Mit Jesus und der Bibel lassen sich diese nicht mehr ködern. Also versuchten es die Jenseits-Mitarbeiter mit esoterischem Brimborium. Der Erfolg hielt sich in Grenzen. Und so griff der katholische Treffpunkt in die ultimative okkulte Trickkiste: Er engagierte mit Alex Hurschler einen Hardcore-Esoteriker, der für die jungen Treff-Besucher Kontakte zu Toten herstellte.

Alex Hurschler will Kontakte ins Jenseits herstellen können. (Bild: Screenshot/Youtube/TeleTop)

Alex Hurschler will Kontakte ins Jenseits herstellen können. (Bild: Screenshot/Youtube/TeleTop)

Der Esoteriker entdeckte seine mediale Gabe, Kontakt zu Toten aufzunehmen, nach dem Tod seiner geliebten Schwester. Diese sei ihm erschienen und habe mit ihm gesprochen. Das erinnert an die Karriere von Uriella: Nach einem Sturz vom Pferd erschien ihr Jesus. Der innige Kontakt hält angeblich bis heute an.

Jenseitskontakte im «Jenseits» drängen sich zwar förmlich auf, doch junge Leute sind wohl das falsche Publikum. Die wenigsten haben verstorbene Angehörige, mit denen sie plaudern könnten. Das Ritual dürfte sie primär aus Neugier an einem okkulten Gruseln interessieren. Somit entpuppt sich die spiritistische Session als Missionsveranstaltung.

Da stellt sich die Frage, wie Jenseitskontakte funktionieren sollen. Wer an das Phänomen glaubt, kann geradeso gut die Überzeugung vertreten, die Erde sei eine Scheibe. Ein paar Fragen und Bemerkungen machen deutlich, dass das Ritual das Produkt von Sehnsucht, Einbildung und einer blühenden Fantasie ist.

Voraussetzung für einen Jenseitskontakt ist die Existenz einer Seele, die nach dem Tod weiterlebt. Bisher konnte niemand eine solche oder ein Leben nach dem Tod nachweisen. Falls es eine Seele gibt, müsste sie immateriell sein. Somit könnten sich Tote den Angehörigen kaum leiblich manifestieren. Das tun sie aber, wie Hurschler behauptet. Seine verstorbene Schwester sei plötzlich in seinem Zimmer gestanden.

Zu klären wäre weiter die Frage, wie Verstorbene aus dem Jenseits zur Erde dislozieren.

Offen ist auch die Frage, weshalb auch verstorbene Menschen mit einem langen Sündenregister den Hinterbliebenen erscheinen können. Denn nach biblischem Verständnis leben diese in einem Zwischenreich und warten auf das Jüngste Gericht. Bekommen sie ebenfalls Ausgang, um der Erde und ihren Angehörigen einen Besuch abzustatten?

Ungeklärt ist zudem, wie die Seelen der Verstorbenen kommunizieren können. Offenbar können sie sprechen, wie die Vermittler von Jenseitskontakten erklären. Das Erzeugen von Lauten ist ein physikalischer Vorgang, Seelen sind aber immateriell.

Unlogisch ist auch, weshalb nur wenige Leute Kontakt zu den Verstorbenen herstellen können. Esoteriker behaupten, es brauche dazu eine mediale Begabung. Eigentlich müsste man meinen, dass katholische Geistliche, die ihr Leben Gott weihen und in engem Kontakt zu ihm stehen, prädestiniert für Jenseitskontakte wären. Doch da ist nichts. Pfarrer und Bischöfe hüten sich, solche okkulte Rituale zu pflegen.

Sollte das Phänomen der Jenseitskontakte funktionieren, liesse es sich problemlos beweisen. Die Verstorbenen, die verschollen sind, müssten konkrete Angaben zum Standort ihrer Leiche machen können.

Das sind natürlich absurde Fragen und Bemerkungen. Aber sie demonstrieren, wie absurd der Glaube an Jenseitskontakte ist.

Der «Spiegel» nannte die Esoterik einst eine sanfte Verblödung. Analog dazu könnte man schliessen, die katholische Kirche trage beim Treffpunkt «Jenseits» zur Volksverdummung bei.​

Es kitzelt im Schoss der katholischen Kirche

Hugo Stamm am Samstag den 24. Oktober 2015
Keine Kommunion für «Sünder»: Der Churer Bischof Vitus Huonder mit einem unbekannten Begleiter, 2011. Foto: Arno Balzarini (Keystone)

Keine Kommunion für «Sünder»: Der Churer Bischof Vitus Huonder mit einem unbekannten Begleiter, 2011. Foto: Arno Balzarini (Keystone)

Morgen Sonntag geht die Familiensynode der Bischöfe in Rom zu Ende. Das geistliche Gremium hat unter anderem darüber debattiert, wie es die katholische Kirche in Zukunft mit den Wiederverheirateten und Homosexuellen halten will. Die Resultate sind noch nicht bekannt.

Aktuell sind Kirchenmitglieder, die homosexuell veranlagt, geschieden und wieder verheiratet sind oder die Pille schlucken in einer «irregulären Situation», wie es der Churer Bischof Vitus Huonder formulierte. Deshalb werden die «Sünder» von der Kommunion ausgeschlossen.

Die konservativen Bischöfe bemühen die Bibel, um ihre fundamentalistischen Positionen zu verteidigen. Mit Vorliebe verweisen sie auf die Bergpredigt, die für sie das moralische Kernstück des Neuen Testaments ist. In dieser Unterweisung setzte Jesus die ethischen Standards, auf die die christlichen Gemeinschaften stolz sind. So verlangte er unter anderem, der Mensch solle nicht töten und seine Feinde lieben. (Dass sein Vater dazu aufruft, die Ketzer und selbst deren Kinder zu töten, ist nur einer von vielen irritierenden Widersprüchen der Bibel.) Erstaunlich ist, dass nur der Evangelist Matthäus die Bergpredigt dokumentierte. Markus, Lukas und Johannes erwähnen sie nicht.

Aufschlussreich ist in diesem Zusammenhang, was Jesus in der Bergpredigt zum Ehebruch sagt: «Wer eine Frau ansieht, sie zu begehren, der hat schon mit ihr die Ehe gebrochen in seinem Herzen» (Mt. 5.28). Die Aussage ist für die konservativen Bischöfe ein wichtiges Zeugnis, doch sie zeugt von wenig Menschenkenntnis. Jesus schätzte offensichtlich Kraft und Eigendynamik der Fantasie und der Sexualität falsch ein. Wie schwer diese zu kontrollieren sind, müssten gerade die katholischen Geistlichen aus eigener Erfahrung oder Anschauung wissen: Obwohl sie im Namen von Jesus geloben, zölibatär zu leben, pflegen viele von ihnen Beziehungen zu Frauen oder leben ihre Homosexualität oder ihre pädophilen Neigungen im Schoss der katholischen Kirche ziemlich hemmungslos aus.

Man kann Jesus vorwerfen, er sei weltfremd gewesen. Man muss ihm aber zubilligen, dass er die Bergpredigt vor rund 2000 Jahren hielt und trotz göttlichem Potenzial von tiefenpsychologischen oder unbewussten Phänomenen wenig Ahnung hatte. Wenn sich Geistliche aber heute noch auf den Standpunkt stellen, erotische Fantasien seien Sünde, eignen sie sich schlecht als Seelsorger. Dann haben sie noch nie ein Fachbuch gelesen oder das Eigenleben ihrer eigenen erotischen Fantasie und ihrer Regungen beobachtet.

Dabei ist es eine Binsenwahrheit: Wer seine Triebe unterdrückt, wird von ihnen eingeholt und möglicherweise übermannt. Es ist ja gerade eine kulturelle Entwicklung, dass wir lernen, verantwortungsvoll mit den Begierden umzugehen. Würden sich die Geistlichen in dieser Frage weniger an der Bibel orientieren, sondern an den psychologischen Erkenntnissen, käme es vielleicht zu weniger sexuellen oder pädophilen Übergriffen innerhalb der katholischen Kirche. Deshalb zeugt es von Doppelmoral, Homosexuelle zu stigmatisieren und Wiederverheiratete von der Kommunion auszuschliessen. Ganz zu schweigen vom Anachronismus, Frauen kirchliche Ämter zu verwehren.

Der Papst vergibt den Sünderinnen

Blog-Redaktion am Samstag den 5. September 2015
Pope Francis delivers his homily during a Mass at Rio de Janeiro's Cathedral in Brazil, Saturday, July 27, 2013.  Pope Francis on Saturday challenged bishops from around the world to get out of their churches and preach, and to have the courage to go to the farthest margins of society to find the faithful. (AP Photo/Luca Zennaro, Pool)

Sein Akt der Barmherzigkeit offenbart auch ein Dilemma: Papst Franziskus. Foto: Luca Zennaro (AP)

Papst Franziskus zeigt ein Herz für Frauen, die abgetrieben haben. Seine Priester dürfen ein Jahr lang den Sünderinnen vergeben. Doch der Akt irritiert auch und wirft Fragen auf. Abtreibungen gehören aus christlicher Sicht zu den schweren Vergehen. Besonders die katholische Kirche und die Freikirchen kennen keine Gnade mit Frauen, die die Schwangerschaft abgebrochen haben. Für radikale Christen ist die Abtreibung eines Fötus Mord. Und somit eine Todsünde. Sie fragen nicht nach den Motiven. Ihr Bannstrahl trifft auch Frauen, die vergewaltigt wurden oder durch die Schwangerschaft am eigenen Leben gefährdet sind.

Alles Leben kommt von Gott, glauben sie. Wer es zerstört, pfuscht ihm ins Handwerk. Abtreibung ist für sie ein Akt wider die Schöpfung. Dabei berufen sie sich auf die Bibel. Nur: Weder das Alte noch das Neue Testament thematisieren den Schwangerschaftsabbruch. Nicht etwa, weil das Phänomen vor 2000 und mehr Jahren nicht bekannt gewesen wäre. Nein, auch damals wurde fleissig abgetrieben. Da strenggläubige Christen überzeugt sind, dass die Bibel von Gott inspiriert wurde, müssten sie zum Schluss kommen, dass er dem Schwangerschaftsabbruch keine grosse Bedeutung beimisst.

In ihrem Dilemma berufen sie sich auf das 6. Gebot, wonach der Mensch nicht töten soll. Doch das Töten ist besonders im Alten Testament ein sehr relativer Begriff. Denn Gott befiehlt seinem auserwählten Volk an diversen Stellen nicht weniger als das Töten. Die Ketzer sollen getötet werden. Auch ihre Kinder. Und generell alle Feinde des Volkes Israel.
In der Bibel wird auch nirgends die Frage erörtert, ob ungeborenes Leben mit dem Leben von ausgereiften Menschen gleichgesetzt werden könne. Hingegen heisst es, das Menschsein sei mit der Atmung und einer lebendigen Seele verknüpft. Die Bibel bewertet also den Fötus nicht als vollwertigen Menschen.

Noch mehr: Verschiedene Aussagen in der Bibel lassen den Schluss zu, dass es in bestimmten Lebenssituationen besser sei, nicht geboren worden zu sein.

Es mutet deshalb willkürlich an, wenn die katholische Kirche respektive der Papst bestimmen, wie schwer eine Abtreibung wiegt. Man sollte eigentlich davon ausgehen, dass dieses Urteil in die göttliche Kompetenz fällt. Ausserdem ist die zeitliche Beschränkung der Vergebung ein Ablass, der Ungerechtigkeiten schafft. Was ist mit den Millionen Frauen, die vorher abgetrieben haben? Und was mit den Millionen, die es in Zukunft tun werden? Bleibt ihnen beim Jüngsten Gericht das Paradies verwehrt, weil sie zum falschen Zeitpunkt geboren wurden? Oder weil sie die Botschaft von der Vergebung nicht gehört haben? Solche Fragen zeigen die verstörend irritierenden oder irrationalen Aspekte und Widersprüche vieler Glaubensbereiche auf und lassen auch manche Gläubige ratlos zurück. Was der Papst als Akt der Barmherzigkeit versteht, offenbart auch ein Dilemma.​

Schlangenbändigung als Glaubensbeweis

Hugo Stamm am Samstag den 29. August 2015
Religionsblog

Schlangenbeschwörung auf Amerikanisch: Religiöses Ritual in einer Pfingstgemeinde in Kentucky (1946). Foto: Wikipedia

Für radikale Christen ist die Bibel von Gott inspiriert und somit die unumstössliche und ewig gültige Wahrheit. Selbst extreme Geschichten aus dem Alten Testament verstehen sie nicht als Gleichnis oder Metapher, sondern als Glaubensrealität oder gar Handlungsanweisung von Gott. Vor allem charismatische Freikirchen versuchen immer wieder, übernatürliche Heilungen und Wunder zu reproduzieren, wie sie in der Bibel beschrieben sind. Viele Pastoren und Gläubige üben sich in der Geistgabe oder in Prophezeiungen, vor allem in Bezug auf die Endzeit. Besonders beliebt sind Wunderheilungen, die in Heilungsgottesdiensten geprobt werden.

Eine der spektakulärsten Formen der übernatürlichen Glaubensmanifestationen war das sogenannte Toronto-Phänomen, das von der Vineyard-Gemeinde bei Toronto ausging und weltweit von charismatischen Freikirchen übernommen wurde. Auch von Pfingstgemeinden in der Schweiz.

In hochsuggestiven und emotionalen Gottesdiensten mit lauter Musik und marktschreierischen Predigten wurde den Gottesdienstbesuchern eingeheizt. Diese steigerten sich in einen ekstatischen Zustand, weil sie hofften, vom Heiligen Geist berührt zu werden. Auf dem Höhepunkt des Rituals legte der Pastor den Gläubigen die Hand auf. Diese verdrehten die Augen, zitterten am ganzen Körper, lachten oder weinten hysterisch und fielen wie von einem Blitz getroffen zu Boden. Hinter jedem Gläubigen stand ein Helfer, der die «Gefallenen» auffing.

Manche blieben bis zu einer Stunde bewusstlos liegen und erwachten oft verwirrt. Es kam auch zu heftigen psychischen Reaktionen. Als selbst in freikirchlichen Kreisen Kritik an diesem problematischen Ritual laut wurde, verzichteten die Gemeinden auf das Phänomen.

Ein neues Ritual, das auf die Bibel zurückgeht, nennt sich «Snake Handling», Schlangenbändigung. Die Gläubigen orientieren sich am Markus-Evangelium. Dort heisst es, dass die Gläubigen Dämonen austreiben, Schlangen anfassen oder tödliches Gift trinken können, ohne Schaden zu nehmen (Mk 16,17–18). Um zu beweisen, dass der Heilige Geist mit ihnen ist und sie beschützt, hantieren sie in den Gottesdiensten mit giftigen Schlangen. Auch beim Beten, Singen und Tanzen.

Kürzlich wagte es auch ein 60-jähriger Amerikaner in Kentucky. Der Schlange gefiel das Ritual offensichtlich nicht, sie biss zu. In der Überzeugung, von Gott nach biblischer Lehre geheilt zu werden, verweigerte er medizinische Hilfe. Sein Vertrauen in den Heiligen Geist wurde nicht belohnt, das Schlangengift raffte ihn dahin.

Dass Gläubige in ihrer religiösen Verblendung den letzten Rest an Vernunft verlieren, ist das eine. Dass aber freikirchliche Pastoren solche Rituale predigen oder zulassen, ist ein Verbrechen. Doch sie werden nicht zur Rechenschaft gezogen, weil man von der Selbstverantwortung der Gläubigen ausgeht. Dabei geht vergessen, dass die Indoktrination durch Geistliche Vernunft und Verstand auszuschalten vermag.

Kehrseite der euphorischen religiösen Gefühle

Hugo Stamm am Samstag den 18. Juli 2015
Foto: Awakening Europe

Signal Gottes und Ausdruck seiner Nähe: Emotionen an einem freikirchlichen Kongress in Nürnberg. Foto: Awakening Europe

Menschen sehnen sich seit je nach starken Gefühlen, viele machen förmlich Jagd nach ihnen. Was im ersten Moment negativ klingen mag, macht aus psychologischer Sicht durchaus Sinn. Grosse Emotionen lassen uns lebendig fühlen und spenden Lebensenergie.

Unsere Vorahnen hatten ähnliche Bedürfnisse, ihre besonderen Emotionen beschränkten sich aber meist auf Liebe und Sexualität. Heute bietet uns die Erlebnisindustrie eine grosse Vielfalt von Angeboten, die eine Adrenalindusche auslösen.

Die wohl stärksten Gefühle können religiöse Rituale bewirken. Euphorie und Ekstase sind in radikalen Gemeinschaften keine Seltenheit, ausgelöst von Hoffnung, Sehnsucht und massensuggestiven Elementen. Gottesdienste in den Landeskirchen lösen hingegen keine euphorischen Gefühle aus. Die Rituale sind bedächtig und frei von Überraschungen. Es überrascht deshalb nicht, dass vorwiegend ältere Menschen in der Kirche anzutreffen sind.

Anders in vielen Sekten und radikalen Glaubensgemeinschaften, die virtuos auf der Klaviatur der starken Emotionen spielen. Bei Gottesdiensten in charismatischen Freikirchen entladen sich regelmässig emotionale Gewitter. Die intensiven Gefühle interpretieren sie gern als Signal Gottes und Ausdruck seiner Nähe. Was psychologisch und hirnphysiologisch erklärbar ist, werten sie als religiöses Phänomen.

Gläubige, die von ihren Emotionen mitgerissen werden, zahlen aber oft einen hohen Preis. Um religiöse Gefühle ungestört ekstatisch ausleben zu können, muss man den Kopf an der Garderobe der Kirche, des Tempels oder des Meditationszentrums abgeben. Vernunft und Verstand wären Spielverderber. Wer die Rituale mit einem kritischen Geist verfolgt, verfällt nicht in eine Euphorie, weil er Widersprüche wahrnimmt, wie sie in solchen Gemeinschaften immer wieder auftreten. Es braucht oft eine emotionale Regression, um sich bedingungslos der suggestiven Atmosphäre hinzugeben.

Ein Beispiel dafür ist der Kongress Awakening Europe (Europa wacht auf) vom vergangenen Wochenende in Nürnberg, an dem 25’000 freikirchlich-charismatische Christen teilnahmen. Die Berichte dazu sind geprägt von überwältigenden Emotionen. Noch nie habe es einen so grossen Hunger nach dem Evangelium gegeben, sagten die Veranstalter. Tausende von Menschen hätten ihr Leben Jesus gegeben. Die Vision, dass sich das Evangelium wie ein Feuer von Nürnberg über ganz Europa ausbreite, scheine sich zu erfüllen. Der Kongress wird als der Start für eine neue Jesusbewegung in Europa gepriesen. Das brennende Herz für Jesus dürfe nicht wieder erkalten, forderte eine Referentin. Die Christen in Europa sollen sich wach küssen lassen von Gott.

Würde ein Pfarrer einer Landeskirche solche Sätze und Bilder in seine Predigt einbauen, würden die Gläubigen den Kopf schütteln. In radikalen Glaubensgemeinschaften sind sie hingegen Teil des Systems.