Archiv für die Kategorie ‘Esoterik’

Eidgenössisch diplomierte Heiler

Hugo Stamm am Samstag den 23. Januar 2016
Kinesiologen wehren sich gegen die Verstaatlichung ihrer Ausbildung: Behandlung einer Seniorin. Foto: UFV (Flickr)

Kinesiologen wehren sich gegen die Verstaatlichung ihrer Ausbildung: Behandlung einer Seniorin. Foto: UFV (Flickr)

Homöopathen und Ayurveda-Therapeuten können in Zukunft ein eidgenössisches Berufsdiplom erlangen. Das Staatssekretariat für Bildung, Forschung und Innovation (SBFI) hat kürzlich die Höhere Fachprüfung für Naturheilpraktiker genehmigt. Nun wollen auch die Kinesiologen ihre Patienten mit dem Segen der Bundesbehörden behandeln.

Kinesiologie ist jedoch eine umstrittene Diagnose- und Behandlungsmethode, eine signifikante Wirkungsweise kann nicht nachgewiesen werden. Allein schon der obskure Muskeltest zur Eruierung verschiedenster Krankheiten macht klar, dass bei der Kinesiologie seltsame Praktiken angewendet werden. Ausbildungskonzept und Prüfungsordnung hat die Organisation der Arbeitswelt Alternativmedizin Schweiz (ODA KT) ausgearbeitet und beim Staatssekretariat eingereicht.

Bemerkenswert ist nun, dass ausgerechnet aus den eigenen Reihen Widerstand gegen die eidgenössisch anerkannte Ausbildung erwächst. So haben sechs Institutionen aus dem alternativmedizinischen Bereich dagegen Einspruch erhoben. Die meisten fürchten sich vor der Überregulierung der Aus- und Weiterbildung, die sehr zeit- und kostenintensiv sei. Der Schweizerische Verband Nicht-Medizinische Kinesiologie (SVNMK) brachte sogar grundsätzliche Kritik an: Er kritisiert nicht nur bestimmte Inhalte der Kinesiologie, sondern bemängelt auch, dass die alternative Methode in den letzten Jahren mit immer mehr medizinischem Zusatzwissen belastet worden sei, das in keinem Zusammenhang mit der tatsächlichen kinesiologischen Arbeit stehe.

Der SVNMK befürchtet gar eine sektenhafte Entwicklung und schreibt in seiner Eingabe ans Staatssekretariat: «Über die blinde Anerkennung der Kinesiologie können inakzeptable Inhalte in das Gesundheits- und Erziehungswesen eingeschleust werden, nämlich Sektenlehren, rassistische und sexistische Inhalte, jede Menge Esoterik und wissenschaftlich längst widerlegte Irrlehren.» Weiter spricht der Verband von der Gefahr einer Scharlatanerie und verlangt eine unabhängige Überprüfung der Ausbildungsinhalte.

Zum Beleg zitiert der Verband aus den Ausbildungsinhalten: Wenn Bedürfnisse übersehen würden, «kristallisiert sich eine psychische Energie in den Nervenkanälen». Bei Wut, Angst oder Verwirrung würde sich eine Art lähmendes Gift in den Kanälen festsetzen. Der Kinesiologieverband liest weiter aus den Unterrichtsinhalten der Transformationskinesiologie, eines wichtigen Zweigs der Kinesiologie, eine offensichtliche Sektenlehre und akute Gefährdung der Patientinnen und Patienten heraus. Es sei völlig unverständlich, dass eine eidgenössische Behörde die Augen vor solchen Inhalten verschliesse und dem Gesuchsteller die eidgenössische Anerkennung zubillige.

Um den Vorwurf der Irrlehre und esoterischen Verstrickung zu untermauern, zitiert der SVNMK in der Einsprache an das Staatssekretariat aus den Ausbildungsinhalten der Transformationskinesiologie. Dort heisst es beispielsweise zu den Solarengeln:

«Zu Beginn hat die menschliche Seele keine Kontrolle über ihre eigenen Vehikel. Sie wird von ihrem Solarengel inspiriert, der ihr dabei hilft, sich von den physischen, emotionalen und unteren mentalen Welten zu lösen. (…) Die erste Einweihung heisst Geburt, womit die Geburt der menschlichen Seele gemeint ist. Jetzt ist der Mensch die Hoffnung auf Glorie, aus dem Inneren Christus geboren. Davor waren wir ein schlafender Same in der Gebärmutter des Solarengels.»

Zur Rassenlehre schreibt die Transformationskinesiologie:

«Wo steht die Menschheit? (…) Während der Periode des Erdenglobus hat sich die Menschheit durch 5 Wurzelrassen hindurch entwickelt. Die Adamische/Polare Rasse. Die Hyperboräische Rasse. Die Lemurische Rasse. Die Atlantische Rasse. Die Arische Rasse. Die Menschheit wird noch zwei weitere Rassen durchlaufen, die 6. und die 7. (…) Die Aufgabe besteht darin, während der Arischen Rasse (5. Wurzelrasse) in der Erdenglobus-Periode die Psyche zu entwickeln.»

Zur Krankheitslehre in der Transformationskinesiologie schreibt der SVNMK:

«Hier wird die Syphilis mit einer Lemurischen Rasse in Verbindung gebracht, der Krebs mit einer Atlantischen Rasse und die Tuberkulose mit einer Arischen Rasse.»

Andrea Bürki, Präsidentin ODA KT, verwahrt sich gegen die ihrer Ansicht nach haltlosen Vorwürfe, die die Kinesiologie in die Nähe von Sektenlehren sowie rassistischen und sexistischen Praktiken brächten. Es sei willkürlich, die angeführten Zitate in einen Zusammenhang mit ihrer Organisation zu stellen. Das Staatssekretariat ging gar nicht erst auf die Eingaben der sechs Verbände ein. Es ist also so gut wie sicher, dass sich Kinesiologen bald zu eidgenössisch diplomierten Berufsleuten ausbilden lassen können.

Das ist eigentlich ein Skandal. Das Staatssekretariat hat sich nicht vertieft mit den Inhalten und der Lehre der Kinesiologie auseinandergesetzt. Es scheint ihm egal zu sein, ob Kinesiologie als Diagnose- und Heilmethode funktioniert oder ob die Patienten allenfalls geschädigt werden, weil sie es verpassen, rechtzeitig eine wirkungsvolle Therapie zu bekommen. Für die Behörden zählt lediglich, dass die Ausbildungsanforderungen erfüllt werden.

Vor ein paar Monaten haben bereits mehrere alternativmedizinische Methoden den Segen des Bundes erhalten. In den Disziplinen Ayurveda, Homöopathie, Traditionelle Chinesische Medizin und Traditionelle Europäische Medizin dürfen eidgenössische Fachprüfungen durchgeführt werden. Eine Methodenkritik gibt es nicht, weil die Prüfungsexperten zwangsläufig Vertreter der Alternativmedizin sind. Es lassen sich in den Komplementär­methoden auch keine unabhängigen Fachleute finden.

Bereits wollen auch die Vertreter weiterer Alternativmethoden eine eidgenössische Anerkennung. Die ODA KT hat die Prüfungsordnung für die Höhere Fachprüfung für Komplementärtherapeuten eingereicht. Diese können sich dereinst in weiteren 13 Methoden eidgenössisch diplomieren lassen. Darunter befinden sich die Akupressur, Shiatsu, Craniosacral-Therapie, Polarity, Rebalancing, Yoga-Therapie und Heileurythmie. Ein wahrer Ausverkauf der Diplome. Die Patienten werden den Therapeuten viel Vertrauen entgegenbringen, weil sie eidgenössisch diplomiert sind. Auch den Scharlatanen unter ihnen.

Die göttliche Aura des Mondes

Blog-Redaktion am Samstag den 5. Dezember 2015
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Zurück aus der religiösen Mottenkiste: Der Mond. (Bild: Keystone)

Unsere Urahnen verehrten die Sonne als göttliche Instanz. Ihnen war schon in grauer Vorzeit bewusst, dass alles Leben vom wärmenden Himmelskörper ausgeht. Auch der Mond wurde in früheren Epochen als nächtliches Pendant zur Sonne und «Nachtwächter» angebetet. Die grosse «Lampe» am Himmel weckte stets mystische Gefühle.

Mit der geistigen Entwicklung und den wissenschaftlichen Erkenntnissen wandelte sich die Bedeutung von Sonne und Mond. Die Astronomie gab uns Einblicke in die Zusammenhänge des Universums und entmystifizierte unsere zentralen Himmelskörper, die ihre religiöse Bedeutung verloren.

Doch nun drehen Anthroposophie und Esoterik das Rad der Zeit wieder zurück. Im Sinne der ewigen Wiederkunft des Gleichen von Friedrich Nietzsche holen sie den Mond aus der religiösen Mottenkiste. Dabei profitieren die beiden spirituellen Geistesströmungen vom Überdruss breiter Bevölkerungsteile gegenüber Wissenschaft und Technik.

Viele Anthroposophen und Esoteriker glauben, der Planet übe eine starke Wirkung auf Mensch und Natur aus. So achten die anthroposophischen Bauern bei der Bestellung der Felder und bei der Aussaat auf die Mondphase, um ihre biologisch-dynamischen Demeter-Produkte zu gewinnen. Rudolf Steiner, der Gründer der Anthroposophie, verlangt es so. Bereits 1924 hatte der Esoteriker seine ungewöhnliche, auf spirituellen und homöopathieähnlichen Erkenntnissen beruhende Anbaumethode dogmatisch festgeschrieben.

Obwohl bisher nicht nachgewiesen werden konnte, dass die Berücksichtigung der Mondphasen zu einer Qualitätssteigerung der Produkte führt, hinterfragen die Anthroposophen die okkult anmutende Methode bis heute nicht. Dabei zeigen schon einfache Fragen das Dilemma: Verändert der Mond die Gene der Pflanzensamen? Beeinflusst das Mondlicht Wachstum und Qualität des Gemüses? Strahlt der Planet eine spirituelle Energie aus? Reagieren Pflanzen auf übersinnliche Kräfte? Wie wirken diese auf die Pflanzen? Kurz: In der Demeter-Methode steckt wohl viel Aberglaube. Angefügt sei aber, dass die anthroposophische Anbaumethode sehr umweltschonend ist.

Noch krasser in die Mondfalle tappen viele Esoteriker, vor allem auch Anhänger der Astrologie, die ihr Leben auf den Mondkalender ausrichten. Ein Blick in einen solchen Kalender offenbart das geistige Bewusstsein der spirituellen Sucher. Aktuell empfiehlt zum Beispiel mondhandy.de bei abnehmendem Mond im Sternzeichen Jungfrau folgende Aktivitäten, die in dieser Phase besonders gut gelingen sollen:

  • Das Entfernen von Zahnstein ist bei abnehmendem Mond besonders günstig.
  • Abnehmender Mond wirkt sich auf Operationen, die nicht dem Mondstand zugeordnete Körperteile betrifft, positiv aus. Nicht zu empfehlen seien folglich Eingriffe an Darm, Milz und Nerven.
  • In dieser Mondphase lässt sich die Hornhaut besonders leicht entfernen.
  • Dauerwellen halten in dieser Phase speziell lang.
  • Die Zeit ist günstig, Haare zu entfernen, denn sie wachsen in diesen Tagen besonders langsam nach.
  • Schuhe lassen sich bei abnehmendem Mond besonders gut und gründlich reinigen.

So ist das mit dem Mond in unseren Tagen. Es macht ihn sicher stolz, dass wir unser Leben nach seinen Phasen ausrichten. Nur: Diese Phasen nimmt er wohl als ganz gewöhnlichen Schatten wahr.

Der Psychiater als Geistheiler

Hugo Stamm am Samstag den 21. November 2015
Werde mit Jesus verglichen: Der umstrittene Samuel Widmer. (Alessandro Della Bella)

Werde mit Jesus verglichen: Der umstrittene Samuel Widmer. (Alessandro Della Bella)

Das Leben des Lüsslinger Psychiaters Samuel Widmer hing kürzlich an einem dünnen Faden, wie er sich ausdrückte. Als «Guru» der tantrischen Kirschblüten-Gemeinschaft unweit von Solothurn hatte er schwere Stunden hinter sich. Eine Razzia in seinen Privaträumen war der Höhepunkt einer langen Kontroverse um seine Psycholyse, eine Therapie unter Einsatz von Drogen wie LSD und Ecstasy. Die Polizei führte Razzien durch, nahm ihn in die Zange und setzte seinen Sohn vorübergehend in U-Haft. Ein eingeschleuster Reporter des Senders ARD wies nach, dass an den Sitzungen der Kirschblütler Drogen verwendet wurden.

Gegen Widmer und drei Familienangehörige läuft eine Strafuntersuchung. Der «Tages-Anzeiger» hatte aufgedeckt, dass die Gemeinschaft offensichtlich seit vielen Jahren verbotene Psychotherapien mit Drogen durchgeführt und Hunderte Drogentherapeuten ausbildet hatte, die teilweise ihrerseits LSD-Sessions in der Schweiz und Deutschland mit Klienten organisieren. Dabei kam es auch schon zu einem tödlichen Zwischenfall.

Die Razzien und Strafanzeigen setzten Widmer offensichtlich zu. Salven von lebensbedrohlichen Herzrhythmusstörungen hätten an seinem Herz gerüttelt und zu einem Herzinfarkt geführt, sagte er. Die Grenzerfahrung löste beim Psychiater aber auch eine übersinnliche Erscheinung aus. Im Spitalbett hörte er eine innere Stimme, die ihm den Auftrag gab, «sich den Menschen künftig auch als Medium für Geistheilung beziehungsweise Heilung durch Liebe für die Behandlung ihrer körperlichen Leiden zur Verfügung zu stellen».

Der 66-jährige Samuel Widmer sah sich immer schon als spiritueller Weltenlehrer, wenn auch als ein verkannter. In einem Interview mit dem «Tages-Anzeiger» sagte er, er sei überzeugt, dass seine Arbeit in 200 Jahren ganz anders beurteilt werde als heute. Aussteiger berichten denn auch, seine Anhänger würden ihn als neuen Messias verehren und mit Jesus vergleichen. Nun hat der Herzinfarkt aus dem spirituellen Meister einen Esoteriker gemacht, der Psychiater bezeichnet sich neu als Medium und legt seinen Klienten die Hände auf.

Die Schilderung seiner spirituellen Metamorphose erinnert an die 86-jährige Uriella. Das «Sprachrohr Gottes» stürzte einst vom Pferd, erlitt Kopfverletzungen und hörte während ihrer Nahtod-Erfahrung eine Stimme, die ihr einen Auftrag gab. Das Resultat ist bekannt: Uriella gründete Fiat Lux, empfing Endzeitbotschaften von Jesus und betätigte sich als Heilerin.

Psychiater Widmer empfängt seit kurzem Patienten, die sich von ihm in ein paar Minuten heilen lassen möchten. Regelmässig führt er zweistündige Heilungssitzungen durch.

Bisher hatte Widmer das Heil in der Drogentherapie, der Inzestfrage und in Tantrakursen gesucht. Der Psychiater sieht nämlich in den Drogen den Schlüssel zur Seele. LSD und Ecstasy sind für ihn Katalysatoren, die die psychische Genesung fördern. Im Angesicht des Todes tritt er nun als Geistheiler auf, um die Menschen körperlich zu kurieren. Er legt zwar immer noch viel Wert auf seinen Status als Psychiater, das wissenschaftliche Territorium hat er aber längst verlassen.

 

Der Kreuzzug der Impfkritiker

Hugo Stamm am Samstag den 17. Oktober 2015
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Wird von Verschwörungstheoretikern und Esoterikern kritisiert: Das Impfen. Foto: Gaëtan Bally/Keystone

Im Herbst stellen sich viele die Frage, ob sie sich gegen Grippe impfen lassen sollen. Statistiken zeigen, dass die Impfmüdigkeit wächst. So liess sich zuletzt nur jede sechste Pflegefachperson impfen. Über 80 Prozent nahmen also das Risiko in Kauf, ohnehin geschwächte Patienten anzustecken und allenfalls einer Todesgefahr auszusetzen. Mit einer Kampagne will der Kanton Zürich die Rate verbessern.

Die Gründe für die Impfverweigerung sind vielfältig. Eine wichtige Rolle spielen aber die radikalen Impfgegner, die mit ihren fragwürdigen Aktionen Verunsicherung und Ängste verbreiten. Sie sind gut vernetzt, viele stammen aus der Esoterikszene, bevorzugen Alternativmedizin oder gehören zu den Verschwörungstheoretikern. Sie verteufeln die Impfungen und verharmlosen Krankheiten. Ihre Argumente sind offensichtlich ansteckend.

Das gesellschaftliche und weltanschauliche Phänomen zeigt sich exemplarisch an einem aktuellen Fall in Deutschland. Der promovierte Biologe Stefan Lanka tingelt seit Jahren als Missionar wider das Impfen durch die Lande und hat mehrere Publikationen zum Thema verfasst. Er bestreitet in verschwörungstheoretischer Manier die Existenz von Viren, die Krankheiten erregen. Es gebe das Aids-Virus nicht, behauptet er, er leugnete auch die Vogelgrippe, und hinter der Schweinegrippe vermutete er eine Verschwörung der USA und der Weltgesundheitsorganisation. Radikale Impfkritiker und Esoteriker verehren ihn als mutigen Kämpfer gegen die Pharmaindustrie, die Schulmedizin und gegen die Mächtigen der Welt überhaupt, die die Menschheit für dumm verkaufen und manipulieren wollen.

So kam Stefan Lanka eines Tages auf die Idee, den Impfbefürwortern den Spiegel vor die Nase zu halten. 100’000 Euro bekomme, wer ihm die Existenz von Masernviren nachweisen könne. Als Biologe mit Doktortitel, der zum Thema molekularbiologische Untersuchung der Virus-Infektion bei Braunalgen promoviert hatte, fühlte er sich fachlich sattelfest.

Die Aktion ärgerte den deutschen Medizinstudenten David Bardens. Er stellte wissenschaftliche Studien zusammen und schickte sie Lanka. Bei den Abbildungen in den von Bardens zugesandten Masernstudien handle es sich keinesfalls um Viren, konterte der Biologe, sondern um künstlich hergestellte Bläschen. Triumphierend stellte er fest: «Die Tatsache, dass es wieder nicht gelungen ist, die Existenz der Viren zu belegen, zeigt, dass der Mainstream einem Irrtum aufsitzt.»

Konsequenterweise weigerte sich Lanka, das Preisgeld herauszurücken. Das liess sich Bardens nicht gefallen und klagte ihn ein. Im März dieses Jahres fand vor dem Landesgericht Ravensburg die Verhandlung statt. Lanka argumentierte, Masern sei eine psychosomatische Erkrankung. Menschen mit traumatischen Trennungen würden daran erkranken. Ähnlich abstruse Theorien vertreten auch die Anhänger der Neuen Germanischen Medizin.

Der Experte Andreas Podbielski vom Rostocker Institut für medizinische Mikrobiologie erklärte dem Gericht, die sechs von Bardens vorgelegten Studien würden sowohl die Existenz des Virus als auch seine Erreger-Eigenschaften beweisen. Es gebe insgesamt über 10’000 Fachartikel zum Thema, ergänzte der Experte.

Lanka legte Berufung ein. Trotzdem hätte er sofort das Streitgeld hinterlegen sollen. Da er dies nicht rechtzeitig tat, erliess das Amtsgericht kürzlich einen Haftbefehl. Ins Gefängnis musste er aber nicht, der Biologe überwies den Betrag vor der Verhaftung.

Es ist davon auszugehen, dass Lanka auch in zweiter Instanz verurteilt wird. Das dürfte ihn aber kaum daran hindern, an seiner Virus-Theorie festzuhalten. Denn sonst würde sein ganzes Weltbild in sich zusammenfallen, und seine Mission, die seinen Lebensinhalt bildet, ginge bachab.​

Lichtarbeit mit göttlicher Sexualität

Hugo Stamm am Samstag den 10. Oktober 2015
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Das Zauberwort heisst Glaube: Ausschnitt aus dem Video «An alle Lichtarbeiter». (Bild: Screenshot Youtube/Gabriele Himmelsbotin)

Channeling und Lichtarbeit sind die Königsdisziplinen der Esoterik. Wer sich den beiden Methoden verschreibt, die zum höheren Selbst und zur Erleuchtung führen sollen, braucht viel Fantasie und den unbedingten Willen, den Lichtarbeitern und spirituellen Meistern Glauben zu schenken. Denn: Mit der gängigen Erfahrungswelt haben die beiden Disziplinen nichts zu tun. Die proklamierten Phänomene sind nicht plausibel und lassen sich schon gar nicht beweisen. Das Zauberwort heisst Glaube. Und Gläubige lassen sich von den versprochenen Wundern gern verzaubern.

Beim Channeling geht es um geistige Botschaften, die göttliche Geistwesen oder Avatare aus den jenseitigen oder kosmischen Sphären den medial begabten Esoterikern vermitteln. Einfach ausgedrückt: Menschen, die sich als medial begabte Meister verstehen, empfangen göttliche Botschaften. Also die letzten und unverrückbaren Weisheiten, die sie ihren Schülern oder Klienten weitergeben.

Komplizierter wird es beim Lichtkörper. Im kosmischen Licht sehen Esoteriker die göttliche Energie. Um diese zu nutzen, brauchen wir Menschen einen Lichtkörper. Durch Meditation und Kurse müssen wir uns transformieren und die Schwingungen erhöhen.

Das deutsche Medium Sabine Wolf formuliert es so: «Der Lichtkörperprozess ist die langsame, stufenweise Hochschaltung eures körperlichen Seins vom bindenden Magnetismus zur lösenden Elektrizität. Er ist die Wiederherstellung eurer geistigen Körper- und Lebensstruktur. In 12 Stufen wird das Netz nach Ablauf von 25 Jahren voll aktiviert sein. Dies ist der Lichtkörperprozess, der euch in kürzester Zeit in jene körperlich-geistige Freiheit zurückführt, die ihr in 12’000 Jahren verloren habt. Jede Lichtkörperstufe erhöht den kosmischen Strom im Erdmagnetgitter und aktiviert ein weiteres Kontingent eurer Zell- und DNS-Informationen sowie Gehirnkapazitäten – sie löst damit allerdings auch eine neue Heilkrise aus.» Im Porträt der Lichtarbeiterin heisst es: «Ab Juni 1995 erfährt Sabine Wolf erste bewusste Begegnungen mit Christus, einigen Erzengeln und Mutter Maria. Hier beginnt die persönliche Schulung durch geistige Wesenheiten.»

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Eine der bekanntesten Channeling-Spezialistinnen an der Arbeit: Cecilia Sifontes. (Bild: Screenshot Youtube/Cecilia Lightflow)

Eine der erfolgreichsten Channeling-Spezialistinnen ist das auch in der Schweiz tätige schwedische Orakel Cecilia Sifontes. Sie hat die Firma Lightflow Productions aufgebaut und erteilt weltweit ihre Seminare «Der neue Lichtkörper» – in diesem Jahr auch in China, Alaska, Südafrika, Zypern, Ägypten und Kasachstan. Sie selbst sieht sich als «ein ausserordentlich klarer spiritueller Kanal und eine hingegebene Lichtarbeiterin». Sie soll laufend neue Dimensionen erforschen, «um auf diese Art göttliche Qualitäten auf der Erde zu verankern, die Welt zu erleuchten und intergalaktische Kommunikation zu ermöglichen».

Diese Forschungsarbeiten haben erstaunliche Resultate erbracht, wie sie schreibt: «Diese kraftvollsten Lichtkammern wurden vor 4000 bis 5000 Jahren in Strukturen verborgen, welche Göttlichkeit abstossen. Sie wurden auf diese Weise verborgen, um die Manifestation des Planeten des Lichts zu verzögern, bis die Zeit reif sein würde. Jetzt haben wir schliesslich eine Ebene des Lichts im Erdgitter erreicht, die uns erlaubt, dieses wunderschöne Licht auf harmonische Weise freizusetzen. Mit grosser Aufregung werde ich dich in dieser Arbeit führen, welche im Herbst 2014 beginnen und im Frühjahr 2016 enden wird. Gemeinsam werden wir das Licht freisetzen, auf das die Menschheit gewartet hat.»

Unterstützt hat sie ein ausserirdisches Engelwesen namens Artee. Dieses besuchte Sifontes und überbrachte ihr die Botschaften des Lichts. Sie fasst es so zusammen: «Der Lichtkörper der Menschheit befindet sich im Moment in einem Prozess des Erwachens und der Aktivierung. Spirituelle Führer aus dem ganzen Multiversum rufen uns auf, zum Licht zu erwachen. Jeder Mensch besitzt einen Lichtkörper und es steht dir frei, unterschiedliches Licht in ihm aufzubauen, um spezifische Resultate damit zu erreichen. Der Neue Lichtkörper hält all die Frequenzen der Erleuchtung und Göttlichkeit, die für einen planetaren und individuellen Aufstieg ins Einssein nötig sind.»

Es überrascht nicht, dass der Aufstieg in die kosmischen Sphären nicht ohne Sex geht. Sifontes dazu: «Und das zeigt, dass du für die nächste Transformationsstufe bereit bist, für diese höchste Form an kreativer Energie, die göttliche Sexualität, welche in Zusammenarbeit der Quelle und der Seele der Menschheit erschaffen wird… Göttliche Sexualität ist eine sehr hohe Energie und hat das Potenzial, deinen Verstand vollständig zu transformieren und dich zu einem kreativeren Wesen zu machen. Sie verändert deine emotionalen Erfahrungen und hebt diese in die göttlichen Zustände des Seins an. Wenn du diese Energie in deinem Körper kanalisierst, wird dies viele Veränderungen bringen. Auf dem Gebiete der Sexualität wird sie deine Fähigkeit, während des Sex höhere Dimensionen zu erfahren, erhöhen.»

Wer das Seminar «Der neue Lichtkörper» besucht, muss einen Vertrag unterschreiben. Darin heisst es: «Ich verzichte auf alle Schadensansprüche, die sich auf meine Teilnahme am Seminar ‹Das Neue Lichtkörper-Jahresseminar 2015› beziehen, und entbinde Lightflow Productions AB, deren Mitarbeiter, Organisatoren, Lehrer und Gastredner von jeglicher Schadenshaftung.» In einem früheren Vertrag mussten die Kursteilnehmer unterschreiben, dass sie bereit seien, ihre alte Identität zu überwinden und quasi ein neues Wesen zu werden. Wörtlich: «Wenn du beginnst, mit dem neuen Lichtkörper zu arbeiten, dann gibt es kein Zurück mehr zu deiner alten Persönlichkeit, nur einen Weg nach vorn, um dein höheres Selbst auf der Erde zu werden. Ist dies dein Wunsch?» Im Vertrag wurde auch darauf hingewiesen, dass die Teilnehmer mit dem neuen Lichtkörper «eine Menge Spontanheilungen verursachen werden». Menschen würden allein dadurch geheilt, dass «sie in dein Energiefeld kommen».

Im aktuellen Vertrag werden die Seminarteilnehmer gewarnt: «Die Meditationen dieses Kurses können als ‹recht abgehoben› wahrgenommen werden. Daher ermutigen wir dich, nicht nur auf die Details dieser Reise zu fokussieren, sondern auch darauf, was in dir geschieht.» Das erinnert an die Warnungen auf den Zigarettenschachteln. Nur sterben die Seminarteilnehmer nicht, sondern verabschieden sich in die kosmischen Sphären und landen im Sektenreich.

Krebs hat keine seelischen Ursachen

Blog-Redaktion am Samstag den 19. September 2015
epa04881176 A pilgrim holds rosary beads during the annual pilgrimage to Fatima Sanctuary, Fatima, Portugal, 12 August 2015. Every year thousands of pilgrims head to Fatima Sanctuary to pray and pay their promises.  EPA/PAULO CUNHA

Gegen Krebs hilft keine Pilgerfahrt: Eine Pilgerin in Portugal. Foto: Paulo Cunha (Keystone)

Krebs ist der Inbegriff einer heimtückischen Krankheit, die existenzielle Ängste hervorrufen und reflexartig Assoziationen an den Tod provozieren kann. Jährlich sehen sich in der Schweiz gegen 35’000 Personen mit der Diagnose konfrontiert. Die Ohnmacht lässt viele Patienten verzweifeln. Und die meisten fragen sich: Warum hat es mich getroffen? Was habe ich falsch gemacht? Gläubige, die in religiösen Kategorien denken, haben Angst, die Krankheit könne eine Strafe Gottes oder eine Prüfung sein.

Studien zeigen, dass mehr als die Hälfte der Krebspatienten neben der medizinischen Therapie auch Heiler und Handaufleger konsultieren oder alternativmedizinische Angebote in Anspruch nehmen. Sie sind überzeugt, dass Krankheiten mit seelischen oder spirituellen Blockaden einhergehen. Deshalb machen sie der Schulmedizin den Vorwurf, bei ihrer Therapie nur die Symptome zu bekämpfen, nicht aber die Ursache der Krankheit.

Ein Beispiel: Nächste Woche beginnt einer der weltweit bekanntesten Heiler, Deepak Chopra, eine 21-tägige Meditationsreihe. Dazu schreibt er, die Teilnehmer würden Wege entdecken, «wie du völlige Kontrolle über Körper und Geist gewinnen und jederzeit psychisch-physisches Wohlbefinden erreichen kannst». In der Ankündigung heisst es, Chopra verbinde wie kein anderer das Wissen des Westens mit der Weisheit des Ostens. «Als erfolgreicher Arzt stellte er fest, dass der westlichen Medizin die Seele fehlt. Daher machte er sich auf die Suche nach einer ganzheitlichen Medizin, die ihn bald in den Grenzbereich von Wissenschaft und Glauben führte, dem er sich bis heute mit Erfolg widmet.» Chopra habe über 75 Bücher geschrieben, die insgesamt 20 Millionen Mal verkauft worden seien.

Patricia Göttersdorfer, Vorstandsmitglied der österreichischen Plattform für Psychoonkologie, verneinte in einem Bericht seelische Zusammenhänge bei Krebs: «Es gab und gibt ganz viele Studien, die zeigen, dass es keinen eindeutigen Zusammenhang zwischen Persönlichkeit und einer Krebserkrankung gibt.» Sie sage den Patienten, die Psyche sei nicht schuld, wenn sie an Krebs erkrankten. Menschen neigten dazu, ein Erklärungsmodell für ihre Erkrankung zu suchen. Ganz nach dem Motto: Es gibt doch einen Zusammenhang zwischen Seele und Krebs. «Und da muss man dann klar sagen: ‹Nein, es ist nicht so!›», erklärte Göttersdorfer.

Die Suche nach einer Erklärung für die Krankheit öffne Tür und Tor für abstruse Behandlungsmethoden, sagte die Psychotherapeutin. «Alles, was wir uns nicht erklären können, macht uns extrem hilflos. Das ist auch der Grund, warum Wunderheiler und Esoterikpraktiken so boomen oder warum Menschen immer wieder in Heilversprechungen flüchten und manchmal sogar sehr weite Reisen – wie etwa nach Lourdes – auf sich nehmen, um genau dieses Bedürfnis nach dem Sinn hinter der Krankheit zu befriedigen.»

Wenn Menschen mit ihren Gedanken allein gelassen würden, kämen sie oft auf unmögliche Zusammenhänge. Sie glaubten beispielsweise, dass Brustkrebs durch eine schlechte Ehe verursacht worden oder der Tumor durch eine schlechte Vaterbeziehung entstanden sei.

Die Erfahrung zeige aber, dass mithilfe von guten Gesprächen die Krebserkrankung für die Patienten erträglicher und klarer werde. Und dass sie besser mit den Folgen umgehen könnten.

Fazit: Seriöse Hilfsangebote können zwar nicht mit spektakulären Heilversprechen aufwarten, dafür den Patienten diffuse Ängste nehmen.​

Tödliche Fehldiagnose eines Heilers

Hugo Stamm am Samstag den 22. August 2015
Gute Besserung? Ein mobiler Heiler, in Mexiko Sobador genannt, behandelt Patienten mit einer Mischung aus Massage und Glauben. Foto: Guillermo Arias (AP)

Gute Besserung? Ein mobiler Heiler, in Mexiko Sobador genannt, behandelt Patienten mit einer Mischung aus Massage und Glauben. Foto: Guillermo Arias (AP)

In der Schweiz betätigen sich mindestens 30’000 Heiler, die alternativ- oder komplementärmedizinische Methoden anwenden. Die meisten dieser Disziplinen sind relativ harmlos. Gefährlich wird es hingegen, wenn die Heilerinnen und Heiler falsche Diagnosen stellen oder ihre Heilkräfte überschätzen. Oder wenn sie schwer kranke Patienten nicht zum Arzt schicken.

Geht man von der konservativen Schätzung aus, dass rund fünf Prozent der Heiler zu dieser Kategorie zählen, sind bei uns rund 1500 Scharlatane tätig. Wenn sich schwer kranke Patienten ihnen anvertrauen, wird es lebensgefährlich. Todesfälle sind deshalb nicht selten. Der «Tages-Anzeiger» hat schon mehrfach über solche Ereignisse berichtet.

Heiler kann sich jeder nennen, der zum Beispiel einen Wochenendkurs in Reiki absolviert hat. Auch wenn er weder von Anatomie noch Pathologie eine Ahnung hat. Wie verhängnisvoll es sein kann, sich einem Heiler anzuvertrauen, zeigt der Fall der 55-jährigen Deutschen Susanne Reichert, den «Spiegel»-Journalisten aufdeckten.

Vor fünf Jahren entdeckte Frau Reichert einen kleinen Knoten in ihrer Brust. Da ihr Ehemann Siegfried als Heilpraktiker arbeitet und sich als Krebsspezialist anpreist, vertraute sie seiner Diagnose. Es handle sich lediglich um eine Zyste, sagte er und gab ihr eine homöopathische Salbe. Er sah keine Notwendigkeit für eine ärztliche Abklärung.

Der Knoten wuchs, die Schmerzen wurden unerträglich. Nach drei Jahren hielt es Reichert nicht mehr aus und konsultierte gegen den Widerstand ihres Mannes eine Frauenärztin. Diese diagnostizierte einen bösartigen Tumor und empfahl eine Chemotherapie. Ihr Mann riet ihr davon ab. Diese bringe nichts ausser gefährlichen Nebenwirkungen. Er «behandelte» sie mit unzähligen, teilweise gefährlichen oder verbotenen Heilmethoden. Dazu gehörte die tägliche Einnahme von 60 Aprikosenkernen. Diese können Blausäure freisetzen, was zu schweren Vergiftungen führen kann.

Linderung erfuhr Susanne Reichert nicht, das Leiden nahm kein Ende. Sie gebe sich den Heilmethoden mit zu wenig Liebe hin, beschuldigte ihr Mann sie. Im Herbst 2014 unternahm sie einen Suizidversuch, wurde aber im letzten Moment gerettet. Im Spital dann der Schock: Der Tumor war inzwischen durch die Brustwand gewachsen und hatte Herz und Lunge beschädigt. Eine wirkungsvolle Therapie sei nicht mehr möglich, sagten ihr die Onkologen. Sie könnten höchstens den Tod hinauszögern.

Ihr Mann zeigte keine Einsicht und gab seiner Frau die Schuld. Als sie sich von ihm trennte, sagte er, die Krebsmedikamente hätten sie psychisch verändert und bezeichnete sie als Lügnerin.

Scharlatane zeichnen sich dadurch aus, dass sie sich als unfehlbar fühlen. In ihrem Realitätsverlust sind sie nicht fähig, Fehler einzugestehen und Einsicht zu zeigen. Niemand zieht sie zur Rechenschaft, und sie können sich in aller Ruhe das nächste Opfer aussuchen. Eine Toleranz, die tödlich sein kann.

Staatlich geförderter Aberglaube

Hugo Stamm am Samstag den 20. Juni 2015
In Holland wird die Wahrsagerei künftig gefördert. Symbolbild: Keystone

In Holland wird die Wahrsagerei künftig gefördert. Symbolbild: Keystone

Das Geschäft mit Esoterik und Aberglauben blüht prächtig. Der neue Wirtschaftszweig generiert Hunderte Millionen Franken. Da dieses Geschäftsmodell meist nur wenige Investitionen erfordert, drängen gerade in wirtschaftlich schwierigen Zeiten immer mehr Leute in dieses Arbeitsfeld. Mit Räucherstäbchen und einem Set Tarotkarten ist man dabei. Wer mit viel Selbstvertrauen gesegnet ist, muss auch keine aufwendige Ausbildung absolvieren. Ein bisschen Lektüre reicht, und schon hat man das esoterische Vokabular drauf. Besonders erfolgreich dürfte der Typ Autoverkäufer oder Hausierer sein. Wer intuitiv die Sehnsüchte und Ängste der Klienten erkennt und sich auf sein geschliffenes Mundwerk verlassen kann, punktet schnell.

Spirituelle Berater wehren sich gegen solche Pauschalkritik. Als Wahrsager, Kartenleger oder persönlicher Berater brauche es spezielle Eignungen und Neigungen, erklären sie. Wer den Lebenslauf dieser Personen liest, stösst denn auch stets auf ein Stereotyp: Er oder sie habe schon als Kind bei sich übersinnliche Fähigkeiten entdeckt. Zum Beispiel die Aura der Mitmenschen gesehen, Engel wahrgenommen oder kosmische Stimmen gehört. Heute seien sie deshalb fähig, in die Zukunft zu schauen oder Jenseitskontakte herzustellen, also mit Verstorbenen zu kommunizieren.

Es lässt sich natürlich nicht prüfen, wie gross die übersinnlichen Fähigkeiten der Wahrsager tatsächlich sind. Man darf auch die Grundsatzfrage stellen, ob es die übersinnliche Wahrnehmung überhaupt gibt, die Menschen angeblich befähigt, in die Zukunft zu schauen.

Keine Zweifel daran hat das holländische Arbeitsamt. Es zahlt Arbeitslosen die Ausbildung zum «spirituellen Berater». Wir lernen: Es braucht offensichtlich keine spirituellen oder paranormalen Fähigkeiten dazu. «Hellseher ist kein verbotener Beruf», sagte der zuständige Beamte. Ein spiritueller Anbieter schult nun die Arbeitslosen für 1000 Euro in einer Schnellbleiche um. Die Disziplin nennt das Unternehmen «Allgemeines paranormales Training». Dabei lernen die Arbeitslosen unter anderem, Karten zu legen und das Schicksal ihrer Klienten in einer Kristallkugel zu erkennen.

Man könnte es auch Ausbildung zu Scharlatanen nennen. Wer ohne Eignungstest und psychologische Ausbildung suizidgefährdete, schwer kranke und verzweifelte Menschen berät und als «Diagnoseinstrumente» Karten und Kristallkugeln verwendet, spielt Schicksal. Fahrlässige Ratschläge können tödlich sein. Mitverantwortlich ist dann das Arbeitsamt. Der Staat ist es ohnehin. Er erhebt die Wahrsagerei zum seriösen Beruf und fördert ihre Reputation. Das ist staatlich geförderter Aberglaube.

Holocaust als karmischer Ausgleich

Hugo Stamm am Samstag den 21. Februar 2015
Hugo Stamm

Amerikanische Soldaten und Häftlinge stehen hinter dem Tor des Konzentrationslagers Buchenwald (April 1945). Foto: AFP

Die Reinkarnationsvorstellung, oft gekoppelt an die Karmatheorie, hat ihre Wurzeln primär in den fernöstlichen Glaubensvorstellungen. Diese religiöse Idee, vor allem im Hinduismus und Buddhismus zu finden, ist sehr alt, hat eine fatalistische Komponente und passt schlecht in ein modernes Weltbild. Heute bauen wir das Zusammenleben, die gesellschaftlichen Ordnungen und Gesetze darauf auf, dass der Einzelne ein autonomes Wesen ist, das für sein Tun die Verantwortung trägt.

Das Konzept von der Wiedergeburt geht hingegen davon aus, dass Menschen Einflüssen ausgesetzt sind, die angeblich mit früheren Leben zu tun haben oder auf kommende ausstrahlen. Zwei Beispiele: Gute Taten im aktuellen Leben können zu einer Belohnung im nächsten führen. Fromme Hindus denken dabei gern an einen Aufstieg im Kastensystem. Oder: Wer in einem früheren Leben jemanden umgebracht hat, muss damit rechnen, dass er später selbst Opfer eines Verbrechens wird, auch wenn er ein vorbildliches Leben führt. Ein solch fatalistisches Weltbild lässt sich schlecht mit modernen psychologischen, sozialen oder pädagogischen Erkenntnissen oder Grundsätzen vereinbaren.

Dass dieser Glaube in Indien fortlebt, weil er einer alten Tradition entspricht, lässt sich einigermassen nachvollziehen. Dass aber heute im Westen Millionen von Menschen die Idee in ihr Weltbild integriert haben, muss als geistiger, kultureller und religiöser Rückfall gewertet werden. Zu verdanken haben wir diesen anachronistischen Rückschritt der modernen Esoterik, die inzwischen weite Gesellschaftskreise durchdrungen hat.

Dieses Beispiel zeigt, welch problematische Auswirkungen esoterische Ideen auf die Geisteshaltung vieler Menschen im Westen heute haben. Die Esoterik westlicher Ausprägung kultiviert das magische Denken und den Aberglauben. Es ist der Glaube an übersinnliche Geistwesen und Verstorbene, mit denen man angeblich kommunizieren kann, der Glaube an Elfen und Einhörner, an die Idee eines raschen spirituellen Paradigmawechsels, der aus uns egozentrischen Menschen sanfte Wesen machen soll.

Wie fatal der Glaube an die Karmatheorie und ihre esoterischen Modifikationen ist, hat uns der Esoteriker Trutz Hardo demonstriert. In seinem Buch «Jedem das Seine» (in Anlehnung an die Torinschrift im Konzentrationslager Buchenwald) wollte er nachweisen, dass die Karmaidee sich auch an einem extremen Beispiel wie dem Holocaust «beweisen» lässt. Der Autor behauptet, die ermordeten Juden hätten sich ihr Schicksal im Dritten Reich ausgesucht, da sie sich in früheren Leben ähnlicher Verbrechen schuldig gemacht hätten. Ist das Dummheit? Vielleicht. Mit Sicherheit aber esoterische Verblendung.

Wenn das Universum einen Porsche liefert

Hugo Stamm am Samstag den 24. Januar 2015
Porsche 300

Danke für die prompte Erledigung, liebes Universum! Foto: porsche-mania.com

Esoterik und kritischer Verstand gehen schlecht zusammen. Sie liegen auf den gegenüberliegenden Polen im Universum. Dies zeigt sich auch beim Ritual «Bestellung beim Universum». Diese Spielart der spirituellen Suggestion entpuppt sich nicht nur als erstaunlich zähes Phänomen, sondern hat sich im Lauf der Jahre in den täglichen Sprachgebrauch vieler Menschen geschmuggelt – auch ausserhalb der Esoterikszene.

Das Ritual geht so: Wenn den Menschen irgendetwas fehlt, schicken sie wie selbstverständlich einen Wunsch ans Universum und sind sich sicher, dass er bald erfüllt wird. Unabhängig davon, wie gross oder unrealistisch er ist. Die Palette der Bestellungen ist so weit wie das Universum selbst und erinnert an die Wünschelrute in Kindermärchen. Wer zum Beispiel in der Stadt krampfhaft einen Parkplatz sucht, schickt einen Wunsch ans Universum. Wer ein gefülltes Bankkonto braucht, einen Liebespartner, ein Auto usw. tut es ebenfalls.

Doch wer ist der Pöstler, wer der Adressat der Bestellungen? Das Universum ist schliesslich beträchtlich in seiner Ausweitung, die Zahl der Sterne ohne Ende. Empfänger der Wünsche ist aber – man ahnt es – die göttliche Instanz, verraten uns die Esoteriker. Diese ist in ihren Augen zwar fähig, alle erdenklichen Wunder zu bewirken, geistig scheint sie aber ziemlich beschränkt zu sein.

So schreibt ein Anbieter von Wunscherfüllungskarten: «Der Wunsch muss positiv formuliert sein, da Negierungen von der höchsten göttlichen Ebene nicht wahrgenommen werden können, denn diese göttliche Schöpferebene sagt einfach immer nur ja zu allem.» Man dürfe den göttlichen Engeln also nicht sagen, ich habe leider keinen roten Porsche, weil «die Schöpferebene mit Bildern arbeitet, die ja letztlich aus lauter Symbolen zusammengesetzt sind». Deshalb lautet die Bestellung richtig: «Ich will einen roten Porsche.»

Fragen scheinen sich die Personen nicht zu stellen, die Wünsche wie Stossgebete ins Universum schicken. Unterhalten die göttlichen Mächte eine Porschefabrik? Fällt das ersehnte Fahrzeug eines Tages vom Himmel? Liefern sie den Fahrzeugausweis gleich mit? Wäre es nicht einfacher von den Engeln, den göttlichen Boten, Geld regnen zu lassen, damit sich der Kandidat einen Porsche kaufen kann und auch der Garagenbesitzer belohnt wird?

Schöpferin des Wunschrituals ist die deutsche Esoterikerin Bärbel Mohr. Sie hat mehrere Bücher zum Thema geschrieben, die in 17 Sprachen übersetzt und zwei Millionen Mal verkauft wurden. Es ist nicht überliefert, wie viele Wünsche die Autorin selbst ans Universum geschickt hat. Offensichtlich hat sie aber einen Wunsch übersehen, nämlich den Wunsch nach einer guten Gesundheit. Denn Bärbel Mohr ist vor vier Jahren im Alter von 46 Jahren gestorben. Ihr Ritual scheint aber unsterblich zu sein. Wie der Aberglaube.

Bärbel Mohr über ihr Buch «Bestellungen beim Universum – Ein Handbuch zur Wunscherfüllung» (Quelle: Youtube)