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Kampf für die Freiheit

Hugo Stamm am Mittwoch den 22. März 2006

Viele Leser fühlen sich durch meine kritischen Texte angegriffen, manche Reaktionen fallen heftig aus. Ich führe einen Feldzug gegen alle möglichen Glaubenskonzepte und spirituelle Erkenntnisse, werfen sie mir vor. Und gelangen zur Überzeugung, ich sei ein „gottloser“ Mensch ohne Einfühlungsvermögen.

Ich gebe es zu: Der Vorwurf der Intoleranz trifft mich. Toleranz ist für mich die Voraussetzung für Emanzipationsprozesse. Deshalb ist es mir ziemlich egal, was jemand glaubt. Das ist seine Privatsache. Und ich respektiere die verfassungsmässig garantierte Glaubens- und Kultusfreiheit. Ich lasse mich bei meiner Aufklärungsarbeit ja gerade vom Gedanken der geistigen Freiheit leiten. Doch genau diese Freiheit versuchen viele radikale Glaubensgemeinschaften und spirituelle Gruppen einzuschränken. Sie missionieren und drängen den Neugierigen mit fragwürdigen suggestiven Mitteln ihre Weltanschauung, ihren Glauben oder ihr spirituelles Konzept auf.

Ich will niemanden von seinem Glauben abbringen, niemanden von irgend etwas überzeugen (ausser natürlich dem Freiheitsgedanken). Vielmehr versuche ich anhand von Missbräuchen aufzuzeigen, wie wichtig die geistige Autonomie ist.

Freiheit und Glauben müssen nicht in Widerspruch zueinander stehen. Auch als gläubiger Mensch kann ich dem Freiheitsprinzip nachleben. Man ist kein Ketzer, wenn man kritische Fragen stellt. Es muss auch in Glaubensgemeinschaften erlaubt sein, Autoritätspersonen und Dogmen zu hinterfragen. Wo dies nicht möglich ist, herrschen sektenhafte Strukturen vor.

Mit meinen Texten versuche ich, die Leser in dieser Hinsicht zu sensibilisieren. Dies ist gerade in Glaubensfragen wichtig. Wohl in keinem andern Lebensbereich ist die Sehnsucht nach Heil und Erlösung so gross. Nirgends sonst ist die Möglichkeit der Beeinflussung grösser. Um nicht von euphorischen Gefühlen mitgerissen und von spirituellen Autoritätspersonen instrumentalisiert zu werden, brauchen wir gerade in Glaubensfragen die geistige Freiheit. Nur so können wir prüfen, ob eine Gemeinschaft seriös ist oder ob sie mit verdeckten Methoden versucht, uns in eine Scheinwelt zu locken und in eine Abhängigkeit zu ziehen.

Fromme aus Freikirchen werfen mir vor, ich sei gar nicht berechtigt, in Glaubensfragen zu urteilen, denn ich hätte keinen Massstab. Es gäbe nur eine wahre Richtschnur, nämlich die Bibel. Es gibt aber auch das Prinzip der geistigen Freiheit als Leitlinie. Wenn ich die vielen Missbräuche im spirituellen und religiösen Bereich erlebe, dann regt sich bei mir auch der Gerechtigkeitssinn. Denn religiöse Manipulation ist für mich Freiheitsbeschränkung. Ich möchte die Leser ermuntern, sich gegen einseitige Beeinflussung und Beschneidung der Freiheit zu wehren.

Kindliche Paradiesvisionen

Hugo Stamm am Samstag den 18. März 2006

Wissenschaft und Technik haben unsere Welt in den vergangenen 50 Jahren radikal verdinglicht. Unser Weltbild ist nüchtern geworden, wir haben uns zu rational denkenden Wesen entwickelt, die sich in einer hochtechnischen und auf materielle Effizienz ausgerichteten Alltagsrealität zurechtfinden müssen. Naturwissenschaftliche Erkenntnisse prägen zunehmend unser Bewusstsein, viele Geheimnisse sind entzaubert worden. Wir müssen uns immer mehr von Illusionen verabschieden. Es besteht die Gefahr der emotionalen Öde. Deshalb sind die „coolen Typen“ hype, mit der Spass- und Eventgesellschaft versuchen wir, die Defizite auszugleichen.

Religiöse und spirituelle Heilskonzepte werden als wirkungsvolles Rezept gegen die grassierende Coolness gepriesen. Tatsächlich erleben wir die Renaissance einer neuen Religiosität. Die Grosskirchen leeren sich zwar, dafür boomen die Kleingruppen unterschiedlichster Couleur. Ich habe gegen 1000 solcher Zirkel und Bewegungen im Archiv. Und das Feld der Parallelreligionen wächst ungebremst weiter. Die kalte Welt fördert die Sinnsuche. Viele fahren mit dem Einkaufswagen durch die Regale des spirituellen Supermarktes und stellen je nach Stimmung die aktuellen Ingredienzien für den neuen Tag zusammen. Mal sind es Tarotkarten, dann ein Barockengel aus hellblauem Glas, ein Buch über Schamanismus, ein Heilstein, eine astrologische Prognose, ein Rückführungsseminar, eine Jenseitssession oder ein Lichtnahrungsprozess.

Erstaunlich ist die Diskrepanz der rational geprägten Alltagsrealität und der archaischen Mythen religiöser Heilsvorstellungen. Hindus fahren im Hightech-Auto zum Tempel und beten kitschige Fratzen von bösen Dämonen an. Ein Esoteriker, der bei Contraves Teile für ein Raumfahrzeug konstruiert, lernt am Abend im Engelseminar seinen persönlichen pausbäckigen Schutzengel kennen und verehren. Ein Computerspezialist wohnt am Samstag in einer Freikirche einem Exorzismusritual bei. Die Managerin einer Hightechfirma tanzt bei der Sonnenwendfeier im Wald um ein Feuer, fühlt sich als Hexe und umarmt Bäume.

Im Alltag leben wir in einer hochmodernen Welt und programmieren unser Bewusstsein nach rein rationalen Kriterien. In der spirituellen und religiösen Welt dominieren hingegen Mythen aus der grauen Vorzeit. Da herrschen Gottesbilder, wie sie kleine Kinder entwerfen. Und wir versinken gern in eine esoterisch-spirituelle Sphäre, die mehr an eine paradiesische Märchenwelt erinnert, als an ein differenziertes mystisches Konzept.

Können wir ungestört in derart gegensätzlichen Welten leben und nach Belieben hin und her switchen? Kann man eine Synthese vollziehen, ohne eine geistige Spaltung zu provozieren? Oder hat es etwa damit zu tun, dass sensible Spirituelle oder Fromme nach einem euphorischen Gotteserlebnis oder einem ekstatischen Ritual gelegentlich psychotische Reaktionen erleben?

Kluft zwischen Gott und Welt

Hugo Stamm am Dienstag den 14. März 2006

Fromme charismatische Christen sind überzeugt, dass der Heilige Geist allgegenwärtig ist und sein gutes Werk an jenen vollbringt, die den rechten Glauben haben und sich als „wahre Christen“ entpuppen. Jesus ist ihr treuer Begleiter und beschützt sie. Und wenn doch einmal etwas schief geht, interpretieren sie es als Strafe Gottes für unkorrektes Verhalten, als Prüfung oder als Sabotage des Satans.

Auch esoterisch Interessierte haben klare Vorstellungen, wie die spirituelle Welt beschaffen ist. Sie glauben, die Gesetze der „anderen Realität“ zu kennen und die übersinnlichen Energien für sich nutzbar machen zu können. Spirituelle Meister behaupten, sie seien hellsichtig, telepatisch begabt und könnten mit den kosmischen, göttlichen Kräften kommunizieren. Sie sind quasi – nach eigener Ansicht – fähig, das Evangelium fortzuschreiben.

Das esoterische Publikum glaubt an solche Phänomene. Die Teilnehmer lernen in Workshops, über die spirituellen Energien nach Belieben zu verfügen. Sie glauben letztlich, erleuchtet zu werden, also göttliche Fähigkeiten zu erlangen. In Rückführungsritualen wandern sie zurück in frühere Leben und machen angebliche karmische Belastungen aus. (Eine Zwischenbemerkung: Viele Esoteriker entdecken, dass sie in einem früheren Leben Cleopatra waren. Auf der Welt tummeln sich momentan mehrere Tausende wiedergeborene Cleopatras…)

Oder nehmen wir die positiven Denker. Sie glauben, durch mantramässige Suggestion und Selbstprogrammierung alles und jedes erschaffen oder manifestieren zu können. Wenn ich zum Beispiel meinem Bankkonto jeden Abend vor dem Einschlafen viel Energie zukommen lasse, wird es automatisch wachsen, sind sie überzeugt. Denn alles, was ich im Geist kreiere, wird sich im Materiellen verwirklichen.

Fromme Christen wie Esoteriker machen sich die religiösen oder spirituellen Phänomene verfügbar. Gott greift ihrer Meinung nach täglich und überall in die Welt ein, der Heilige Geist wirkt in der Alltagsrealität. Er ist stets zu unseren Diensten, kontrolliert und belohnt uns. Oder er lässt es zu, dass uns der Satan bestrafen kann. Das Gottesbild der Frommen entspricht weitgehend unseren Sehnsüchten, Ängsten und unserem begrenzten Bewusstsein.

Ähnlich verhält es sich mit der spirituellen Welt. Die „andere Realität“ ist ein Abbild unserer Bedürfnisse und Wünsche. Die übersinnlichen Energien sind so beschaffen, dass sie sich angeblich optimal zur Befriedigung unserer handfesten Erwartungen eignen.

Erstaunlich ist, dass sich viele religiöse und spirituelle Phänomene nur schwer mit unseren menschlichen Erfahrungen und Erkenntnissen in Deckung bringen lassen. Zwischen der weltlichen Realität und den übersinnlichen Ideen klafft ein unüberwindlicher Graben. Deshalb müssen wir viele kognitiven Erkenntnisse verdrängen, um religiöse und spirituelle Konzepte ungetrübt verinnerlichen zu können.

Wenn Gott aktiv in den Alltag der Menschen eingreifen würde, könnte er angesichts der Ungerechtigkeiten und des Leidens von Millionen kaum mehr ruhig schlafen. Und wenn medial begabte Esoteriker tatsächlich göttliche Botschaften von den kosmischen Hierarchien empfangen könnten, müssten ihre prophetischen Prognosen die Menschheit vor manchem Unheil bewahren.

Angst schränkt die Freiheit ein

Hugo Stamm am Freitag den 3. März 2006

Glauben und Angst sind unheilige Geschwister. Im Windschatten von Ideologien, religiösen Heilsrezepten und spirituelle Konzepte segelt stets die Angst mit. Zwar versprechen alle Gurus, Meister und Propheten die geistige, religiöse oder spirituelle Befreiung, oft auch die absolute Freiheit, doch die Frohbotschaft marschiert durchwegs einher mit der Drohbotschaft.

Ein paar Beispiele.

Christen, die kein gottgefälliges Leben führen und sündig werden, verpassen das Seelenheil. Ihnen wird mit der Apokalypse, dem Fegefeuer oder der Hölle gedroht. In vielen Freikirchen lauert sogar der Satan hinter Büschen und Hausecken. Die Bedrohung wird greifbar.

Auch im Koran finden sich viele Drohbotschaften, im Hinduismus gibt es Hunderte von bösen Geistern und Dämonen, die es täglich zu besänftigen gilt – zum Beispiel mit Opfergaben. Und wer karmische Belastungen auf sich lädt, wird im nächsten Leben dafür bestraft: Er kommt in einer tieferen Kaste zur Welt.

Dass in traditionsreichen Glaubensgemeinschaften, deren geistige Wurzeln mindestens 1500 Jahre alt sind, das Angstprinzip enthalten ist, lässt sich mit dem damaligen Weltbild erklären. (Deshalb hat die evangelisch-reformierte Kirche die Drohbotschaften schon zu einem guten Teil aus den Kirchen verbannt.) Erstaunlich ist aber, dass die „modernen“ esoterischen Erlösungsprinzipien den alten Zopf übernommen haben. Spirituelle Gemeinschaften und Meister kennen ebenfalls ein „Strafsystem“. Wer nicht meditiert, übersinnliche Rituale betreibt oder das höhere Bewusstsein entwickelt, vegetiert als dumpfer Geist auf der grobstofflichen Ebene. Er hat nie die Chance, erleuchtet zu werden und den Wiedergeburtszyklus zu durchbrechen.

Wer Angst hat, kann nie frei werden. Ich werde oft gefragt, ob es denn keine guten Sekten gebe. Meine Antwort: Nur Gemeinschaften, in denen ein Klima der Angstfreiheit herrscht, sind auch frei von sektenhaften Aspekten.
Weshalb regiert denn in fast allen Glaubensgemeinschaften und spirituellen Kreisen – mehr oder weniger ausgeprägt – die Furcht? Es ist in erster Linie eine Macht- und Geldfrage. Über die Angst können Menschen diszipliniert werden. Glaubensgemeinschaften, in denen das Freiheitsprinzip das höchste Gut ist, müssen damit rechnen, dass sich die Mitglieder die Freiheit herausnehmen, lautstark Kritik zu üben, Protest anzumelden und locker den Austritt zu geben, wenn sie sich nicht mehr wohl fühlen.
Die Krux liegt darin, dass sich die religiösen oder spirituellen Fundamente nicht in Einklang mit den kulturellen und gesellschaftlichen Entwicklungen der modernen Zivilisationen bringen lassen. Aufklärung, Emanzipationsbestrebungen und Eigenverantwortung führen zu individuellen und sozialen Freiheiten. Angst hingegen hemmt den Prozess der Bewusstseinserweiterung. Die weltlichen und religiösen Entwicklungen driften immer weiter auseinander.