Diesen Impulstext hat der inverse Goliath verfasst:
Nachdem ich mehrfach eine Idee für einen eigenen Leadtext wieder verworfen habe, gibt sich hier durch die beiden letzten Impulstexte rund um den Sündenfall im Garten Eden und die Opferung eines Menschenlebens die gute Möglichkeit, einige Fragen in die Runde zu werfen. Ausserdem geht daraus hervor, wieso ich, wie hier mehrfach erklärt, die Bibel nicht per se als verstaubtes Buch betrachte, sondern den Reichtum der Geschichten und die Symbolik derselben als für mich wertvoll erachte.
Die relativ unbestrittene Kernaussage des Christentums beruht auf dem Kreuztod Jesu Christi. Das Sühneopfer auf Golgatha ermöglichte der Menschheit, laut der christlichen Lehre, sich mit Gott zu versöhnen, die Erbsünde Adams abzulegen und dereinst ins Himmelreich einzugehen. Die These findet sich im Apostolischen Glaubensbekenntnis ebenso wie im Nicäanischen, im Lutherischen und sowie in nahezu jedem Glaubensbekenntnis der Freikirchen. Es steht in den Evangelien, wie auch schon bei Paulus im ersten Korintherbrief. Christus ist für unsere Sünden gestorben und begraben worden und am dritten Tag wieder auferstanden, auf dass wir errettet werden.
Aufgrund verschiedener Bemerkungen, auch hier im Blog, stellen sich mir folgende Fragen:
Wann ist ein Opfer ein Opfer?
Wer hat mit Jesus Kreuzestod ein Opfer gebracht und was bedeutet dieses Opfer?
Was würde es bedeuten, wenn der Tod Christi als Sühneopfer wegfallen würde?
Diese Fragen stellen sich unter der Prämisse der Geschichten, wie sie die Bibel darstellt. Jesus hat gelebt und ist am Kreuz gestorben. Nicht der Kreuztod Jesu soll also angezweifelt werden, sondern der Sinn dahinter.
Die erste Frage dient der Definition. Was stellen wir uns unter einem Opfer vor? Meinem Empfinden nach ist es eine, meist bewusste, Handlung zur Erreichung eines bestimmten Ziels. Im religiösen Zusammenhang ist es also die Bitte an eine metaphysische, übergeordnete Macht, ausgedrückt durch die (rituelle) Darbringung eines physischen oder nicht-physischen Gegenstandes. In unserem Sprachgebrauch sollte diese Handlung etwas enthalten, das einem teuer ist. Ich gebe etwas auf, um etwas (Besseres) zu erhalten. Die Witwe, die all ihr Geld in den Gotteskasten legte, bringt ein Opfer dar, das von Jesus selbst gewürdigt wurde (Markus 12:41). Oder die Frau, die eine alabasterne Flasche voll kostbarer Salbe auf Jesus Haupt goss, worüber sich die Jünger entrüsteten (Matthäus 26:6).
Damit stellt sich in der zweiten Frage, wer mit Jesus am Kreuz ein Opfer dargebracht hat und welchen Stellenwert dies beim Opferbringer darstellt. Laut der Schrift opfert Gott hier seinen menschgewordenen Sohn, um dadurch die Erbsünde Adams zu tilgen. Neben der bewusst vermiedenen Frage, wieso Gott genau diese Art der Sündentilgung wählt und ob ein Gott der bedingungslosen Liebe durch ein blutiges Opfer überhaupt versöhnt wird, stellt sich mir hier Jesus als eine umstrittene Opfergabe dar. Gott ist sich unter der Prämisse seiner Allmacht und Allwissenheit gegenwärtig, dass sein Sohn am Kreuz stirbt, um wieder aufzuerstehen und neben ihm im Himmel zu sitzen. Jesus selber wusste, dass sein Tod unumgänglich war, aber auch, dass er danach wieder vereint mit seinem Vater im Himmel ist. Zudem gibt sich Gott als Opferbringer gleich selbst vor, was ihn zufriedenstellen wird. Ein Zirkelschluss.
Es stellt sich also die berechtigte Frage, wie stark so ein Opfer gewichtet werden kann, in der die Beteiligten selber involviert sind und wissen, dass es ein vorübergehendes Ereignis ist und auf ihr persönliches ‹Leben› weiter keinerlei Auswirkungen hat.
Wenn wir uns aufopfern, um etwas zu retten, das uns teuer ist, dann gehen wir das Risiko ein, nicht zu wissen, ob es etwas nützt. Trotzdem geben wir alles, unter Umständen unser eigenes Leben, um unser Liebstes zu schützen oder in der Hoffnung darauf, dass die Zukunft besser ist. Gott und Jesus gingen dieses Risiko nicht ein. Sie hofften nicht, sie wussten um den Ausgang der Dinge.
Was also ist dieses Sühneopfer wert? Und was bedeutet es, wenn Christus Tod als Opfergabe wegfällt? Jeder darf das für sich selber beantworten. Die Tat verändert sich nicht, wohl aber der tiefere Sinn. Jesus ist immer noch am Kreuz gestorben, nun aber nicht mehr um der Erbsünde willen, sondern aufgrund seiner Lehre. Das Glaubensbekenntnis bekommt eine andere Bedeutung und richtet sich nach dem Inhalt der Lehre Jesu und nicht an der Bosheit der Menschen. Allein dadurch kann sich das Grundempfinden des Christentums ändern, weg vom ewigen Leidens- und Sündenpfad, hin zur Entdeckung der Symbolik hinter den Geschichten und Gleichnissen Jesus. Er ist nicht für unsere Sünden gestorben, sondern durch unsere Sünden. Die Lehre der Erbsünde Adams ist hinfällig. Jesus selber sagt in Johannes 20:23 «Welchen ihr die Sünden vergebt, denen sind sie vergeben.» Der Opfertod Jesus am Kreuz verändert sich in der Bedeutung und gewinnt durch das zweite Gebot Jesus: «Du sollst Deinen Nächsten lieben wie Dich selbst.» (Matthäus 22:39)