In seinem Buch «Hating God: The Untold Story of Misotheism» ( Oxford University Press, New York) untersucht der gebürtige Schweizer Bernard Schweizer, Professor an der Long Island University in Brooklyn, den Gotteshass mancher Schriftsteller und Philosophen. Ich drucke hier eine Zusammenfassung von Schweizer ab. Hugo Stamm
Nachdem prominente Intellektuelle wie Richard Dawkins und Christopher Hitchens mit ihrem aggressiven Atheismus an die Öffentlichkeit getreten sind, hat man (vor allem in den USA) den Eindruck gewonnen, dass diese Form des Unglaubens so ziemlich das Radikalste ist, was es in Sachen religiöser Nonkonformität gibt. Im Schatten des Atheismus blüht jedoch eine geheimere und wohl auch beunruhigendere Tradition der religiösen Subversion: Misotheismus oder Gotteshass.
Tatsächlich finden sich unter den Gotteshassern viele herausragende Persönlichkeiten, unter ihnen Mark Twain, Friedrich Nietzsche, Zora Neale Hurston, Elie Wiesel, Philip Pullman, und viele andere. Diese Misotheisten (das Wort basiert auf den griechischen Wurzeln «misos» – Hass und «theos» – Gott) lehnen nicht die Existenz Gottes ab, aber sie verneinen, dass Gott barmherzig, liebevoll oder auch nur kompetent sei. Ich habe zehn Jahre für dieses Buch geforscht und dabei versucht, die Frage zu beantworten, was denn gute, aufgeklärte und intelligente Persönlichkeiten dazu führt, mit Gott auf Kriegspfad zu gehen. Es geht dabei nicht nur ums Hadern mit Gott, sondern ganz konkret um Gotteslästerung und das Verdammen Gottes.
Obwohl es manchmal persönlicher Unbill ist, der den Misotheismus hervorruft, so sind es häufiger apokalyptische Tragödien, wie die Massaker des ersten Weltkrieges, der Holocaust, Sklaverei, usw., die Schriftsteller und Philosophen zum Misotheismus treiben. Diese Gotteshasser sind sich der Argumente zur Verteidigung Gottes wohl bewusst – all die Theodizeen, die angeblich die Existenz des Bösen (sowohl kriminelle Akte als auch Naturkatastrophen und Epidemien) erklären, ohne mit der Existenz eines allmächtigen, lieben Gottes zu kollidieren. Aber diese Erklärungsmodelle haben einfach keine Überzeugungskraft für die Misotheisten. Die Theodizee des freien Willens wird zum Beispiel oftmals herangezogen, um die Existenz des Bösen in einer von einem lieben Gott regierten Welt zu erklären.
Wenn Gott immer eingreifen würde, um dem Hass der Misotheisten vorzubeugen oder ihn abzumildern, dann würden wir in einer armseligen, unfreien Welt leben – so ungefähr geht das Argument. Die Theodizee des freien Willens selber wird dabei nicht in Frage gestellt. Aber diese Theodizee zieht nicht in Betracht, dass der Entscheid Gottes, uns einen freien Willen zu geben, genauso determinierend ist wie jede andere göttliche Intervention; zweitens, wenn Gott nicht interveniert, wenn man ihn wirklich braucht, wofür ist er denn da? Drittens, die Prämisse des freien Willens ist auch nur schon suspekt, weil sie nur auf Täter des Bösen zutrifft (und nicht einmal auf alle – einige Kriminelle sind krank und folgen nicht ihrem freien Willen, wenn sie Amok laufen), und überdies haben die Opfer selber fast nie einen freien Willen: Weshalb würde Gott den Kriminellen einen freien Willen zusprechen aber nicht ihren Opfern? Viertens, wenn es um Epidemien und Erdbeben geht, hat das mit freiem Willen überhaupt nichts zu tun, wohl aber mit Gott, denn dieser soll ja allmächtig sein, und wenn er es zulässt, dass eine Viertelmillion Haitianer in ein paar Minuten sterben, dann ist er Komplize an diesem Massenmord. Hier, wie bei anderen Theodizeen, sagen die Misotheisten “nein danke.” Es gibt Gott, aber er ist ein Schurke, und wenn er das nicht ist, dann ist er zumindest unfähig oder korrupt.
Das Buch zeigt, wo die Wurzeln des Misotheismus liegen – im Buch des Hiob, aber auch in Epicurus und vor allem in den philosophischen Systemen des Deismus, Utilitarianismus, und Anarchismus. Er unterscheidet drei verschiedene Formen des Misotheismus: Agonistischer Misotheismus – wo die Gotteshasser konstant mit Gott argumentieren und versuchen, ihren Gotteshass zu überwinden; absoluter Misotheismus – wo die Gotteshasser eigentlichen (wenn auch nur symbolischen) Gottesmord begehen, wie etwa Nietzsche oder in jüngerer Zeit Philip Pullman; politischer Misotheismus – wo Gotteshass auf ideologischer, vor allem anarchistischer Basis beruht.
Der agonistische Gotteshass ist dabei die weitverbreiteste Form, aber gleichzeitig ist es auch die Form des Gotteshasses, die am verstecktesten bleibt. Agonistischer Misotheismus findet vor allem in der Literatur Ausdruck. Dort werden diese subversiven Gedanken geschickt verpackt und halb versteckt, so dass der Misotheist wohl seine Abneigung gegen Gott gewissermassen los wird, aber zugleich nicht das Risiko auf sich nimmt, gesetzlich oder gesellschaftlich verfolgt zu werden, denn die Spuren des Misotheismus wurden gleich wieder verwischt. Nur weil ich genau wusste, wonach ich suchte, habe ich die verschiedenen Indizien des Misotheismus in Werken der Literatur gefunden.
In der Tat, Gotteshass ist keine Bagatelle. In gewissen Ländern kann es drastische Folgen haben, als Gotteslästerer identifiziert zu werden, inklusive in Irland, wo es eine hohe Geldstrafe für Blasphemie gibt, nicht zu sprechen vom Iran, wo Leute, die als “mohareb” – oder Gegner Gottes – verurteilt werden, die Todesstrafe befürchten müssen.
Natürlich wird die Gotteslästerung in vielen westlichen Ländern heute viel lockerer angegangen als noch vor hundert Jahren, weshalb es inzwischen auch Autoren gibt, die mit der Idee des Misotheismus ganz offen spielen, wie James Wood «(The Book Against God»), James Morrow («Blameless in Abaddon»), oder Philip Pullman (die Trilogie «His Dark Materials»). Bis vor Kurzem wagten es jedoch viele Misotheisten nicht, ihren Hass gegen Gott öffentlich auszudrücken und sie machten daher Gebrauch von literarischen Techniken, die es ihnen erlaubten, ihre unakzeptablen Ideen zu tarnen.
Ich räume in meinem Buch auch mit dem Argument auf, dass es einen kausalen Zusammenhang zwischen Moral und Frömmigkeit gebe. Meine Misotheisten haben keine kriminellen Veranlagungen. Im Gegenteil. Misotheisten sind so aufgebracht, weil Gott ihren hohen moralischen Ansprüchen nicht gerecht wird. Sie sind einfach konstitutionell unfähig, ihren Glauben an Gott aufzugeben; daher finden sie keine Zuflucht im Atheismus. Sie müssen glauben, aber sie können nicht an einen guten, kompetenten Gott glauben. Dieser Engpass hat einige der hervorragendsten Werke der Literatur und Geisteswissenschaft hervorgebracht.
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