Archiv für die Kategorie ‘Allgemeines’

Niemand weiss, wo Gott ist

TA Korrektorat am Samstag den 9. Mai 2015

Eine Replik von Josef Hochstrasser* auf den Text «Wo ist Gott?» von letzter Woche.

Hugo Stamm

Eine Frau während einer Trauerfeier für die Erdbebenopfer in Nepal. Foto: Reuters

Elend im Mittelmeer. Verzweiflung in Nepal. Nacktes Grauen in Auschwitz. Genozid an den Armeniern. Eine Todesspur ohne Ende zieht sich durch die Menschheitsgeschichte. Atheisten höhnen: Wo bleibt da Gott? Gläubige Monotheisten stellen dieselbe Frage. Ohne Spott, aber auch ohne eine Antwort zu bekommen.

Ein Paar bekommt ein schwerbehindertes Kind. Es wird nur wenige Jahre leben dürfen. Dann wird es sterben. Der Mann hadert mit Gott. Die Frau versucht anzunehmen, was sie nicht ändern kann und meint gelassen: Eine Laune der Natur!

Mit Gott hat das Schicksal dieser Familie rein gar nichts zu tun. Hätte er es verhindern können, aber dennoch zugelassen, wäre er ein Sadist. Oder ist er ein hilfloser Gott, ohne Macht und Möglichkeiten? Wäre er dann noch Gott? Fragen, die im 3. Jahrhundert v. Chr. schon den griechischen Philosophen Epikur umtrieben und mit Gottfried W. Leibniz vor dreihundert Jahren im Begriff der Theodizee populär wurden.

Biblische Geschichten erzählen vom Eingreifen Gottes in diese Welt. Den Israeliten etwa zeigt er in Form einer Wolkensäule den Weg durch die Wüste ins Gelobte Land. Warum aber liess er die Ägypter qualvoll im Meer ertrinken? War das gerecht von Gott? Ist er parteiisch? Gott kommt buchstäblich in Teufels Küche, wollte er fair in die Geschicke der Menschen eingreifen. Alle Erzählungen über ein Wirken Gottes in der Welt sind Deutungen, keine objektiven Berichterstattungen. Deshalb sind sie noch lange nicht belanglos. Im Gegenteil. Als Mythen schaffen sie Hoffnung und gesellschaftsformende Kraft.

Sich vom Glauben zu verabschieden, nur weil Gott sich nicht für alle Menschen einwandfrei nachvollziehbar ins Weltgeschehen einmischt, tut Gott Unrecht und ist bedauerlich. Die zweite Liedstrophe der sozialistischen Internationale weist den Weg: «Es rettet uns kein höh’res Wesen, kein Gott, kein Kaiser noch Tribun. Uns aus dem Elend zu erlösen, können wir nur selber tun.»

Das Erdbeben in Nepal hat tektonische Ursachen. Hier hat der Mensch nur sehr begrenzte Möglichkeiten, das Naturgesetz zu beeinflussen. Bei der aktuellen Tragik auf dem Mittelmeer aber ist er gefordert. Da hilft kein Schreien nach Gott. Das Flüchtlingselend ist nicht – Vorsicht ist auch bei dieser Vermutung geboten – gottgewollt. Die Migrationspolitik hat einzig und allein der Mensch zu verantworten. Christen stehen auch in diesem Fall vor der Frage, was sie im Namen Gottes tun sollen. Als Antwort bleiben ihnen nur Optionen. Die einen machen in Nächstenliebe und wollen möglichst alle Flüchtlinge retten und in Europa aufnehmen.

Andere greifen viel tiefer und sagen, die Weltgemeinschaft sei ethisch aufgerufen, die kriminellen Regimes einzelner afrikanischer Länder auszuschalten, damit die Menschen in ihrer Heimat ein Leben aufbauen können und erst gar nicht nach Europa zu fliehen brauchen. Welche christliche Handlungsmaxime ist nun im Sinne Gottes? Er wird weiter schweigen.

Gefordert ist in existenziell schwer zu ertragenden Momenten nicht der Hilfeschrei nach oben. Im Sinne Sigmund Freuds wäre dies ohnehin infantil. Heilend wirken kann nur menschliche Nähe und Solidarität.

hochstrasser_150*Josef Hochstrasser (68) war römisch-katholischer Priester. Nach seiner Heirat und dem folgenden Berufsverbot wurde er reformierter Pfarrer. Er ist Autor mehrerer Bücher, darunter die Biografie über den ehemaligen Fussballnationaltrainer Ottmar Hitzfeld.

Tödlicher esoterischer Wahn

Hugo Stamm am Samstag den 11. Oktober 2014

Vor 20 Jahren geriet die Schweiz weltweit in die Schlagzeilen wie noch nie zuvor. Guru Jo Di Mambro inszenierte mit seinem esoterischen Sonnentemplerorden ein beispielloses apokalyptisches Sektendrama. Es musste spektakulärer werden als frühere Ereignisse, wie er schrieb. Er sollte Recht bekommen. Die Bilanz seiner irren Aktion: 74 Tote. Ein Teil seiner Anhänger liess der Sektenchef ermorden, die restlichen Sonnentempler vollzogen mit ihm den «Transit zum Stern Sirius», also den kollektiven Suizid. Im Glauben, auf dem paradiesischen Gestirn den spirituellen Frieden zu finden.

Was geht in einem Menschen vor, der ein solches Massacker zu seinen Ehren inszeniert? Wie kamen seine Anhänger dazu, ihrem Guru in den Tod zu folgen?

Der Uhrmacher Di Mambro war schon in jungen Jahren von spirituellen Phänomenen fasziniert, wie das heute Millionen Esoteriker sind. Er glaubte, mit höheren Wesen aus der göttlichen Hierarchie kommunizieren zu können. Aus seiner angeblichen übersinnlichen Begabung leitete er den Missionsauftrag ab, die Welt in ein neues spirituelles Zeitalter zu führen. Er begründete eine Ersatzreligion und floh geistig in eine Parallelwelt.

Der Übertritt in diese virtuelle Sphäre führte zu einer Entfremdung, die auch geistige und psychische Spuren hinterliess. Da die beiden Welten nicht kompatibel sind, baute er eine zweite Identität auf. In der spirituellen Identität fühlte sich Di Mambro mit göttlichen Attributen ausgestattet. Diese Spaltung, aufgeladen mit wahnhaften esoterischen Ideen, führte zu psychischen Auffälligkeiten. Er entwickelte eine narzisstische Persönlichkeitsstörung und Verfolgungsängste.

Als seine Vision vom neuen spirituellen Zeitalter am mangelnden Interesse der breiten Öffentlichkeit scheiterte, vollzog er den barbarischen Fanal: Er opferte 73 Anhänger, um in die Schlagzeilen zu kommen und in die Geschichte einzugehen.

Doch was war mit den Templern passiert, dass sie dem Guru glaubten und Suizid begingen? Sie hatten sich von spektakulären Ritualen und fantastischen Heilsideen in virtuelle esoterische Sphären entführen lassen, in denen angeblich alle menschlichen Grenzen überwunden werden konnten. Der Aberglaube wurde zur tödlichen Falle. Sie glaubten in ihrer Sehnsucht nach Erlösung an die göttlichen Fähigkeiten ihres Gurus, sein Wort war für sie die unumstössliche Wahrheit. Die suggestiven religiösen Kräfte und gruppendynamischen Prozesse trübten endgültig ihre Sinne.

Der religiöse Wahn weckte zwar ihre übersinnlichen Emotionen, machte sie aber zu spirituellen Robotern und tötete ihre menschlichen Gefühle ab. Deshalb betrachteten sie den Tod als Erlösung.

Der Mythos von der Wiederkehr des Religiösen

Hugo Stamm am Samstag den 5. Juli 2014
MINARETT, MINARETTE, VERBOT, PLAKAT, VOLKSINITIATIVE, INITIATIVE MINARETTVERBOT,

War der Abstimmungskampf um das Minarettverbot wirklich ein Beweis für die Rückkehr des Religiösen, wie manche behaupten? Foto: Urs Flüeler/Keystone

Manche Religionswissenschaftler werden nicht müde, die Wiederkehr des Religiösen zu propagieren. Die amerikanische Expertin Monica Toft gab ihrem neuen Buch sogar den Titel «Gottes Jahrhundert». Wunschtraum einer Gläubigen oder Realität? Die Autorin verweist auf die öffentliche Diskussion über religiöse Themen in den Medien. Dabei erwähnt sie das Burkaverbot in Frankreich. Auch der Schweiz gibt sie die Ehre und zieht das Minarettverbot als Beweis heran.

Tatsächlich tauchen religiöse Themen täglich in den Schlagzeilen auf. Doch Wiederkehr des Religiösen? Man reibt sich verwundert die Augen. Denn die Schlagzeilen demonstrieren uns vor allem die hässliche Seite der Religiosität: Intoleranz, Verfolgung, Hass, Gewalt.

Zuständig für die öffentliche Aufmerksamkeit sind in erster Linie der Islam und die Islamisten. Al-Quaida, Isis, Boko Haram zetteln Bürgerkriege an und sorgen auch im Westen für Angst und Schrecken. Sie kämpfen gegen Aufklärung und Demokratie – und für den Gottesstaat. Wenn die Religionswissenschaftler diese Form der Wiederkunft des Religiösen meinen, dann Gnade Gott.

Das tun die meisten vermutlich nicht. Sie sehnen sich nach einer konstruktiven Religiosität. Doch kehrt diese bei uns zurück? Die Schlagzeilen sind zumindest bei der katholischen Kirche selten schmeichelhaft: sexuelle Übergriffe katholischer Geistlicher, Vatileak, die Verschwendungssucht, Bankskandale im Vatikan usw. Einen Propagandaeffekt erzielt die Kirche nur, wenn ein Papst stirbt oder sich der Pontifex auf einer Weltreise effektvoll in Szene setzt.

Eine klare Antwort auf die angebliche Wiederkehr des Religiösen geben die Zahlen. Zwar gehören immer noch 39 Prozent der Schweizer Bevölkerung der katholischen und 20 Prozent der reformierten Kirche an, doch die meisten sind Karteileichen. Eine Untersuchung des schweizerischen Nationalfonds ergab, dass sich nur noch 23 Prozent der Katholiken und 15 Prozent der Protestanten als echte Anhänger ihres Glaubens bezeichnen. Vor vierzig Jahren besuchte noch rund ein Drittel der Schweizer regelmässig einen Gottesdienst, heute sind es keine 10 Prozent mehr. Ein konkretes Beispiel: In Basel sank die Zahl der Protestanten in den letzten 30 Jahren von 130’000 auf 30’000. Die Folge: Kirchen müssen verkauft oder kommerziell genutzt werden.

Sieht so die Wiederkehr des Religiösen aus? Betrachtet man den Aufschwung der Esoterik als Ersatzreligion, muss eher von einer Wiederkehr des magischen Denkens und des Aberglaubens gesprochen werden.

Religiöser Wahn in Jerusalem

Hugo Stamm am Donnerstag den 13. Februar 2014
Ein Gläubiger in Jerusalem. (Keystone/Brennan Linsley)

Ein Gläubiger in Jerusalem. (Keystone/Brennan Linsley)

Religiöse und spirituelle Phänomene gehören zu den stärksten seelischen Kräften, die in uns Menschen schlummern. Werden sie auf unheilvolle Weise geweckt, entfalten sie mitunter destruktive Energien und stürzen Menschen in psychische Grenzzustände. Im Extremfall drohen auch psychische Auffälligkeiten bis hin zu Wahnvorstellungen und Psychosen. Die Psychologie hat denn auch den Begriff ekklesiogene Neurose kreiert.

Doch dies ist in vielen Fällen schon beinahe eine Beschönigung eines verhängnisvollen Syndroms. Es gibt unzählige Beispiele dafür. Da sind die Massensuizide im Sektenmilieu. Zum Beispiel die Volkstempler von Jim Jones, die sich in einem Wahn umbrachten. Welche psychischen Kräfte am Werk waren, zeigte die Tatsache, dass Mütter ihren Babys Gift in den Mund spritzten, bevor sie selbst das tödliche Gebräu tranken. Die religiösen Überzeugungen waren also stärker als die Mutterliebe. Insgesamt kam es zu einem Massensuizid mit über 900 Toten.

Auch die Sonnentempler in der Schweiz demonstrierten, welche Kräfte religiöse Überzeugungen freisetzen können. Der harte Kern der Sekte brachte zuerst 23 Glaubensgeschwister um, um sich einen Tag später auf Anordnung ihres Gurus Jo Di Mambro selbst umzubringen. Dabei glaubten sie, die bevorstehende Endzeit zu überleben.

Was für eine Dynamik ein fundamentalistischer Glaube entwickeln kann, zeigt auch das Jerusalem-Syndrom. So entwickeln Pilger in der «heiligen Stadt» in ihrer religiösen Verzückung oft solche Suggestivkräfte, dass sie restlos von Sinnen sind. Es beginnt meist mit Wahrnehmungsverschiebungen und endet in psychotischen Schüben. Die Überzeugung, das Leiden von Jesus in der Via Dolorosa authentisch nachzuempfinden, führt zu einer unkontrollierbaren emotionalen Überflutung. Besteht eine psychische Latenz, kann es zur Depersonalisierung und zu psychotischen Reaktionen kommen.

Die «Irren», die in ihrer Überidentifikation mit Jesus glauben, der Sohn Gottes zu sein, verhalten sich auffällig und werden meist in eine psychiatrische Klinik geführt. Spezialist für solche Fälle ist der Psychiater Gregory Katz. Er kennt über 1000 Gläubige, die in Jerusalem psychotisch wurden. Viele konnten mit Medikamenten «ausgenüchtert» werden und nach ein paar Tagen heimreisen. Manche wachten aber nicht mehr aus ihrem Religionstrauma auf.

Religiöse und spirituelle Überzeugungen und Rituale können zweifellos beglückende Gefühle auslösen. Man sollte sich aber auch bewusst sein, dass ein radikaler Glaube eine Dynamik entwickeln kann, der Gläubige in psychische Extremsituationen führt und einen rligiösen Wahn bewirkt. Deshalb sollten sich Gläubige immer mal wieder kritisch mit ihrem Glauben auseinandersetzen, Fragen stellen und die Vernunft einbeziehen. Natürlich ist es ein Rausch, sich von den überwältigenden Gefühlen mitreissen zu lassen. Doch es besteht die Gefahr, dass man nicht mehr rechtzeitig aufwacht.

Gläubige interpretieren diesen Religionsrausch oft falsch. Sie glauben, die starken Gefühle seien Ausdruck ihrer starken religiösen Überzeugung und Gottesnähe. Man kann aber auch argumentieren, die Emotionen würden lediglich von Sturzbächen von Glückshormonen ausgelöst und hätten wenig mit Glauben zu tun.

Wer Gott spielt, macht sich schuldig

Hugo Stamm am Donnerstag den 16. Januar 2014
ai

Die Schöpfung ist vom Schöpfer abhängig: Roboterkind aus dem Film «Artificial Intelligence» von Steven Spielberg.

Dieser Impulstext wurde von Albert Baer verfasst.

«Nicht Gott spielen», sagen manche von uns, wenn Menschen über Leben und Tod bestimmen, wenn sie mittels Gentechnik Geschöpfe verändern etc. Diese Mahnung, dass wir nicht Gott spielen sollen, weisst schon darauf hin, dass dieses «Gottesspiel» nicht unbedenklich, nicht harmlos ist. Vor einem harmlosen Spiel, bei dem niemand zu Schaden kommen kann, muss man nicht warnen.

Doch was bedeutet dieses Gottes-Spiel, und wo findet die Beschädigung oder Verletzung in diesem Spiel statt?

Stellen wir uns Gott als Wissenschaftler vor, der einen Roboter mit künstlicher Intelligenz gebaut hat. In einer Nacht kommt der Roboter plötzlich zu Bewusstsein. Sein Sein ist ihm aber so unerträglich, dass er sogleich Suizid begeht, indem er sich aus dem Fenster stürzt.

Die Frage ist nun, wer hat sich hier schuldig gemacht, wer hat sich «versündigt»? Hat sich der Roboter gegenüber seinem Schöpfer, dem Wissenschaftler, versündigt oder hat sich der Wissenschaftler gegenüber seinem Geschöpf versündigt?

Ich denke, die Sünde hat der Wissenschaftler, also der Schöpfer – oder eben Gott – begangen. Warum?

Schöpfung ist eine eigenmächtige Handlung. Das Geschöpf wird nicht gefragt und kann auch nicht gefragt werden, ob es geschaffen oder eben «geschöpft» werden will, da es ja noch nicht existierte und sich folglich nicht äussern konnte. Schöpfung ist nach menschlichen Massstäben also immer eine gewalttätige Handlung. Jeder Schöpfer lädt sich also Schuld gegenüber seinem Geschöpf auf. Das ändert sich auch nicht, wenn man dem Schöpfer die edelsten Motive unterstellt.

Was immer auch die Gründe sein mögen, wieso ein Schöpfer etwas erschaffen hat, es bleibt eine Verletzung der Souveränität des Geschöpfs und somit eine Vergewaltigung. Aus dieser Vergewaltigung muss nicht zwingend ein Leiden resultieren: Manche Geschöpfe mögen sich über ihre «Schöpfung» freuen, andere nicht. Aber ganz unabhängig davon, wie das Geschöpf reagiert, der Schöpfer steht immer in der Schuld seiner Schöpfung. Da der Schöpfer sein Geschöpf ins Sein gezwungen hat, steht er in der Verantwortung gegenüber diesem.

Die Erbsünde hat also nicht der Mensch gegenüber Gott begangen. Sie erste Sünde hat Gott gegenüber seinen Geschöpfen begangen, und deshalb ist er ihnen etwas schuldig.

Wie kann Gott so viel Leid zulassen?

Hugo Stamm am Dienstag den 19. November 2013
Nur wer glaubt wird selig? Ein Mann während seinen Gebeten. (Foto: Edgar Su/Reuters)

Nur wer glaubt wird selig? Ein Mann während seinen Gebeten. (Foto: Edgar Su/Reuters)

Kürzlich diskutierte Moderator Wieland Backes mit seinen Gästen im «Nachtcafé» (SWR) über den Sinn des Glaubens. Der Titel des Gesprächs lautete: «Nur wer glaubt wird selig?» Gläubige, Skeptiker und Atheisten kämpften um die besten Argumente. Friedhelm Hofmann, Bischof des Bistums Würzburg, versuchte das Publikum zu überzeugen, dass die Menschen auch in der heutigen Zeit noch Heimat und Sinnstiftung im Glauben suchen und finden. «Glauben zu können, ist ein Geschenk. Wenn der Glaube in der Welt fehlen würde, würde sich die Gesellschaft in einen Moloch verwandeln», glaubt der Bischof.

Wie fast immer, wenn Gläubige und Nichtgläubige verbal streiten, tauchte mehrmals die Frage der Theodizee auf. Und wie meistens gerieten die Gläubigen, diesmal vor allem Bischof Hofmann, in die Zwickmühle, wenn sie mit unbequemen Fragen konfrontiert wurden: Wie lässt sich das Leid auf der Welt angesichts eines liebenden Gottes erklären? Wie kann es der Barmherzige zulassen, dass Kinder an Krebs sterben, Frauen in Kriegen massenweise vergewaltigt werden, Zivilisten massakriert, Pilgerbusse verunfallen usw. Das Gegenargument von Bischof Hofmann: Gott hat dem Menschen den freien Willen gegeben. Er bemühte somit die Standardantwort aller Gläubiger, die das Elend aus religiöser Sicht nur schwer erklären können.

Damit bewegte sich der Bischof auf dünnem Eis, denn diese Standardverteidigung ist in sich falsch. Das Leid in der Welt wird nicht – oder nur in seltenen Fällen – durch den freien Willen von Menschen ausgelöst. Wer Leid erfährt, ist meistens Opfer von «höheren Umständen». Wenn jemand an Krebs erkrankt, hat es nichts mit dem freien Willen zu tun. Der Kranke hat sich die Krankheit sicherlich nicht mit seinem freiem Willen herbeigewünscht. Man kann einwenden, dass der Raucher damit rechnen muss, an Lungenkrebs zu erkranken. Es gibt aber Menschen, die ein Leben lang rauchen, ohne zu erkranken.

Oder: Wenn eine Frau ihren Lebenspartner oder ein Kind auf irgend eine Weise verliert, hat dies sicher nichts mit ihrem freien Willen der Frau zu tun. Das Argument sticht nicht einmal bei einem Unfall oder Gewaltverbrechen: Gläubige können argumentieren, wer auf einem Fussgängerstreifen von einem Raser umgefahren wurde, ist Opfer eines Menschen, der den freien Willen hatte zu rasen. Nur: Mit dem freien Willen des Opfers hat es nichts zu tun. Vielmehr erfährt das Opfer mehr Leid als der Täter. Aus ethisch-moralischer Sicht und auch aus religiöser Perspektive ist das Argument mit dem freien Willen widersprüchlich. In manchen Fällen ist es sogar scheinheilig, oder gar zynisch, weil es die Opfer beleidigt.

Ein Bischof schwelgt im Luxus

Hugo Stamm am Freitag den 18. Oktober 2013
Der Bischof des Bistums Limburg, Franz-Peter Tebartz-van Elst .

Der Bischof des Bistums Limburg, Franz-Peter Tebartz-van Elst. (Keystone/Thomas Lohnes)

Mein Redaktionskollege Michael Meier hat eine Analyse geschrieben, die ich hier gern zur Diskussion stelle:

Der Oberhirte von Limburg, Franz-Peter Tebartz-van Elst, hängt an seinem Amt. Doch seine Tage als Bischof der grossen Diözese in Hessen dürften gezählt sein. Medien und Gläubige werfen dem 53-jährigen Kirchenmann seit längerem autoritäres Gehabe, Selbstherrlichkeit und Verschwendungssucht vor. Ein Strafbefehl aus Hamburg und die Offenlegung, wie viel seine Residenz gekostet hat, scheinen die Vorwürfe zu bestätigen. Nun gerät der Bischof in Bedrängnis.

Grund für den Ärger ist der neue Wohn- und Amtssitz des Bischofs samt tiefschwarzer Privatkapelle am Limburger Domberg. Bei Baubeginn 2010 waren dafür 5,5 Millionen Euro veranschlagt. Vor einem Monat noch tat Bistumssprecher Berichte, wonach die Baukosten 20 Millionen betrügen, als aus der Luft gegriffen ab. Die Schätzung stimmte tatsächlich nicht: Diese Woche musste das Bistum bekannt geben, dass der Neubau rund 31 Millionen Euro gekostet hat.

Nun steht der Bischof im Fegefeuer der Kritik: Während die Pfarrgemeinden des Bistums eisern sparen müssten, werfe er das Geld zum Fenster hinaus. Papst Franziskus rufe zur Bescheidenheit auf, er aber führe sich wie ein Fürstbischof auf. Die Bistumsgremien werfen Tebartz-van Elst «bewusste Fälschung» und einen «beängstigenden Umgang mit der Wahrheit» vor. Jochen Riebel vom Vermögensverwaltungsrat erklärte der «Frankfurter Allgemeinen Zeitung»: Er könne sich die Kostensteigerung nur so erklären, «dass der Bischof von Limburg entweder ein raffinierter Betrüger oder krank ist».

Es hagelt Rücktrittsforderungen – selbst von engen Mitarbeitern und vom Priesterrat. Der Münsteraner Kirchenrechtler Thomas Schüller fordert Papst Franziskus auf, die Amtsenthebung des Bischofs einzuleiten. Im September hatte der Papst bereits Kardinal Giovanni Lajolo nach Limburg geschickt, um sich dort ein Bild der Situation zu machen. Der befand, die Abrechnung für den Bau sei einer Sonderkommission der Deutschen Bischofskonferenz vorzulegen. Diese ist jetzt dabei, die Baukosten zu durchleuchten. An deren Höhe aber dürfte sich kaum etwas ändern.

Der Bischof selber hat alle öffentlichen Termine diese Woche abgesagt. Am Wochenende will er sich «in einem Brief an die Gläubigen des Bistums wenden und manches klarstellen». Gegenüber der «Bild» verteidigte er gestern die Kosten seiner Residenz mit den Auflagen des Denkmalschutzes und schob die Verantwortung dem Vermögensverwaltungsrat des Bistums zu. «Wer mich kennt, weiss, dass ich keinen pompösen Lebensstil brauche.»

Doch ebenfalls am Donnerstag erhielt der Bischof unangenehme Post wegen eines First-Class-Flugs. Die Staatsanwaltschaft Hamburg hat gegen ihn Strafbefehl wegen falscher eidesstattlicher Erklärung in zwei Fällen beantragt. In einem Rechtsstreit mit dem «Spiegel» habe der Bischof unter Eid falsche Aussagen vor dem Landgericht Hamburg abgegeben. Der Hintergrund ist ein «Spiegel»-Bericht über seine Indienreise: Der Bischof von Limburg soll «Business» gebucht und mit Bonusmeilen ein Upgrade erreicht haben zu einem First-Class-Flug in die Slums. Sollte Tebartz-van Elst zu einer Geldstrafe verurteilt und von der bischöflichen Prüfungskommission wegen seines Prunkbaus gerügt werden, müsste er eigentlich zurücktreten. Dazu gezwungen werden kann er nicht.

Wer hat Angst vor der Burka?

Hugo Stamm am Dienstag den 1. Oktober 2013
Burkaträgerin Nora Illi, 19. Mai 2010. (Keystone/Alessandro Della Bella)

Aufklärung bringt viel mehr als ein intolerantes Burka-Verbot: Burkaträgerin Nora Illi, 19. Mai 2010. (Keystone/Alessandro Della Bella)

Im letzten Impulstext schrieb ein Kommentator zum Thema Islam und Burka: «Furcht herrscht». Furcht ist immer ein schlechtes Mittel, einem Problem zu begegnen. Natürlich finde ich es auch sehr bedenklich, dass Frauen eine Burka tragen – vor allem in der westlichen Welt. Wenn sich Menschen verstecken (müssen), ist die individuelle Freiheit in Gefahr. Und wer mich kennt und hier gelegentlich liest, der weiss, wie wichtig mir der Freiheitsgedanke ist. Es tut mir auch weh, wenn Mädchen ihre Haare mit einem Kopftuch bedecken (müssen).

Aber ein Verbot? Wann je hat ein Verbot viel gebracht? Und ein Verbot, das vielleicht 0,00001 Prozent der Bevölkerung betrifft? Das ist der Inbegriff der Furcht. Und reine Symbolpolitik. Die Gefahr besteht, dass wir all unsere Fremdenängste auf einen Fetzen Tuch konzentrieren. Und sie damit kultivieren.

Ein Verbot, das nichts bewirkt, zeugt auch von Fantasielosigkeit. So geben wir unsere Ohnmacht zu. Und dokumentieren in Verfassung und Gesetzen unsere Schwäche. Das muss die Islamisten und dogmatischen Muslime geradezu ermuntern, uns weiter zu demütigen.

Es wäre besser, auf die Kraft der Aufklärung zu bauen. Integrieren wir die eingewanderten Muslime. Zeigen wir ihnen die Chancen der individuellen Freiheit auf. Machen wir ihnen klar, dass Intoleranz eine Gesellschaft vergiftet. Dass eine Burka Menschen isoliert, vielleicht unglücklich macht, ihnen die Chancen zur Kommunikation nimmt. Gehen wir auf sie zu und leben wir ihnen vor, was individuelle Freiheit an Lebensqualität bringt.

Wenn wir radikale Muslime bei uns mit Verboten stigmatisieren, sehen sie sich in ihren Vorurteilen über die Dekadenz der westlichen Gesellschaft bestätigt. Damit radikalisieren wir sie und heizen den Konflikt an.

Die Zeit arbeitet für uns. Die muslimischen Frauen und Mädchen, die in westlichen Gesellschaften aufwachsen und unsere Schulen besuchen, adaptieren unbewusst einen Teil unserer Kultur und Lebenshaltung. Sie werden ihre Kinder automatisch offener erziehen. Und ein Grossteil der 2. Generation wird sich die Freiheit nehmen, Nicht-Muslime zu heiraten. Dann ist selbst die Frage nach dem Kopftuch vom Tisch.

Auch in muslimischen Ländern wird die Idee der individuellen Freiheit bald nicht mehr aus den Köpfen zu bringen sein. Die Kinder wachsen mit dem Internet auf und werden mit den problematischen Seiten des radikalen Islams konfrontiert. Viele Frauen tragen heute schon nur widerwillig Kopftuch oder Burka. Viele muslimische Frauen sind wesentlich flexibler im Denken als ihre Männer. Sie erziehen ihre Töchtern mit mehr Toleranz. Auch in muslimischen Ländern finden Säkularisierungstendenzen statt. Wir wissen nur noch wenig davon, weil sie vom Staat unterdrückt werden. Ausserdem begünstigen wirtschaftliche Entwicklungen die Verweltlichung. Immer mehr Frauen arbeiten in Betrieben, was die Autonomie fördert.

Deshalb ist Furcht die dümmste Strategie. Angst führt zur Repression. So werden wir zu dem, was wir bekämpfen: eine intolerante Gesellschaft. Oder kann mir jemand erklären, was das Minarettverbot gebracht hat?

 

Revolutioniert Papst Franziskus die Kirche?

Hugo Stamm am Sonntag den 22. September 2013
Papst Franziskus spricht auf Lampedusa mit Flüchtlingen. (Keystone/Alessandra Tarantino)

Papst Franziskus spricht auf Lampedusa mit Flüchtlingen. (Keystone/Alessandra Tarantino)

Papst Franziskus bringt neuen Wind in den Vatikan. Als er sich anfänglich in seinen Reden an die Armen wendete, blieb eine gewisse Skepsis zurück, denn in Fragen der Lehrmeinung und der Grundhaltung der katholischen Kirche blieb er konservativ. Es stellte sich die Frage, ob er glaubwürdig ist, wenn er sich in sozialen Fragen fortschrittlich, in religiösen aber bieder gibt. Worte kosten schliesslich nichts.

Im jüngsten Interview macht Franziskus aber klar, dass er die Blase Vatikan aufstechen will. «Wir können uns nicht nur mit der Frage um die Abtreibung befassen, mit homosexuellen Ehen, mit Verhütungsmethoden. Das geht nicht. Die Lehren der Kirche sind nicht alle gleichwertig», sagte er. Es dürfe keine spirituelle Einmischung in das persönliche Leben der Gläubigen geben. Somit will er sich von der Rolle der Kirche als Sittenwächter distanzieren. Die Kirche sei das Haus aller, also auch der Schwulen, Geschiedenen und Frauen.

Ein Tabubruch ist auch, dass er nicht im päpstlichen Appartement des Palastes wohnt, sondern in einem Zimmer im Gästehaus des Vatikans. Das vorgesehene Appartement gleiche einem umgekehrten Trichter, der Eingang sei wirklich schmal, sagte er. «Man tritt tropfenweise ein. Das ist nichts für mich. Ohne Menschen kann ich nicht leben. Ich muss mein Leben zusammen mit anderen leben.»

In einem Brief schrieb Franziskus ausserdem, er suche den Dialog mit jenen Nichtgläubigen, die genau wie die Christen an einer friedlicheren, gerechteren Welt interessiert seien. Erfrischende Töne schlägt er auch zur Frage der Homosexualität an: «Wenn ein Homosexueller Gott sucht – wie sollte ich ihn verurteilen?» Jedes Geschöpf, auch ein homosexueller Mensch, werde vom Schöpfer «mit Liebe angeschaut». Homosexuelle müssten integriert werden.

Der neue Papst wagte es auch, «La Strada» von Federico Fellini als seinen Lieblingsfilm zu bezeichnen. Obwohl der Vatikan Fellini damals zensiert hatte.

Letztlich sind auch dies nur Worte. Aber es sind kräftige, die den konservativen Strippenziehern im Vatikan nicht gefallen werden. Denn sind Ideen einmal öffentlich formuliert, entwickeln sie oft eine Eigendynamik. Man muss das Unmögliche zuerst denken, um sich an den Inhalt zu gewöhnen. Dann realisieren manchmal auch Betonköpfe, dass die Welt nicht untergeht, wenn sich etwas bewegt.

Man wird auch Franziskus dereinst an seinen Taten messen. Er selbst weiss auch, dass sich Veränderungen im Vatikan nur schwer umsetzen lassen und viel Zeit brauchen. Seine Entourage wird ihm Berge von Steinen in den Weg legen. Aber die persönlichen Bekenntnisse von Franziskus lassen darauf schliessen, dass er vieles versuchen wird, den starren Apparat Vatikan anzustossen. Das ist mehr, als man erwarten konnte.

Wie kam Jona aus dem Bauch des Wals?

Hugo Stamm am Donnerstag den 12. September 2013
Pieter Lastman (1583–1633): Jonas und der Wal (1621).

Pieter Lastman: Jonas und der Wal (1621).

Das Buch Jona im Alten Testament ist für Christen eine Knacknuss. Es erzählt die sonderbare Geschichte von Jona, der von Gott in die Stadt Ninive entsandt wurde, die im heutigen Irak liegt. Der Prophet sollte den Bewohnern eine Strafe Gottes ankündigen und sie zur Umkehr bewegen. Doch Jona nahm ein Schiff nach Spanien, segelte also in die falsche Richtung. Da schickte Gott einen Sturm über das Meer, der das Schiff zu kentern drohte. Jona wurde für die Bedrohung verantwortlich gemacht und über Bord geworfen. Ein grosser Fisch verschluckte den Propheten und spuckte ihn nach drei Tagen unverletzt unweit von Ninive wieder aus.

Kaum eine andere Geschichte der Bibel wird kontroverser diskutiert. Es ist offensichtlich, dass man bei der Interpretation der Episode in Teufels Küche kommt. Nimmt man sie wörtlich, springen einem die Widersprüche förmlich an. Interpretiert man sie metaphorisch, wird es nicht viel einfacher.

An Jona beissen sich Gläubige wie Bibelforscher die Zähne aus. Sicher ist nur eines: Plausible Antworten werden die einen wie die anderen nicht finden. Für viele Kritiker ist das Jona-Buch gar das Paradebeispiel dafür, dass die Bibel nicht von Gott inspiriert sein kann.

Die meisten Bibelforscher sind sich einig, dass die Geschichte falsch datiert ist. Bei der historischen Einordnung kann etwas nicht stimmen. Die Bibel beschreibt Ninive als Königssitz. Ninive wurde aber erst etwa um 700 v. Chr. Residenzstadt, also viele Jahre nach der Zeit von Jona. Somit fällt die biblische Geschichte bereits in sich zusammen.

Liberale Christen nehmen das Buch von Jona als Gleichnis. Gott hat den Propheten, der in die falsche Richtung segelte, auf den richtigen Weg zurückgebracht, argumentieren sie. Eigenartig ist allerdings, dass die Bibel die Frage offen lässt, weshalb Jona Richtung Spanien gesegelt ist. Im Schiff geirrt hat er sich wohl kaum. Manche Bibelforscher glauben, dass er sich um den Auftrag drücken wollte, weil er nicht verstanden hatte, dass Gott eine «sündige Stadt» zur Umkehr bewegen wollte, deren Bewohner ja nicht zu den auserwählten Israeliten gehörten. Zu diesem Schluss kann man gelangen, weil sich Jona später in Ninive sehr seltsam verhielt und sich sogar umbringen wollte.

Man könnte das Buch Jona auch als Randnotiz abtun, die alle Elemente eines Märchens enthält. Quasi als Sage in der Bibel. Das ist aber nicht zulässig, denn Jesus selbst kommt auf Jona zu sprechen und gibt ihm eine besondere Bedeutung. Jesus vergleicht die dreitägige Reise Jonas im Bauch des Wals mit seiner eigenen Wiederauferstehung nach drei Tagen. Somit kommt Jona eine grosse Symbolkraft zu.

In noch grössere Erklärungsnot stürzt die biblische Geschichte jene Christen, für die die Bibel das authentische Wort Gottes ist. Zu ihnen gehören radikal-konservative Katholiken und Mitglieder von Freikirchen. Sie suchen krampfhaft nach plausiblen Erklärungen für Jonas Reise im Bauch des grossen Fisches, der eigentlich nur ein Wal sein kann. (Dass ein Wal kein Fisch ist, konnten die Verfasser des Alten Testaments nicht wissen, Gott aber schon.)

Gewisse Freikirchen erklären tatsächlich, dass es möglich sei, drei Tage im Bauch eines Wals zu überleben. Die freikirchliche Website Jesus.ch schreibt dazu: «Es ist bekannt, dass ein Mann namens James Bartley einen und einen halben Tag im Bauch eines Wals überlebte, bevor er gerettet wurde. Die Anatomie dieser Säugetiere bietet ausreichend Sauerstoff, um ein Überleben zu ermöglichen.» Sauerstoff im Bauch eines Wals? Das wäre dann wohl doch ein anatomisches Wunder.

Doch wer ist James Bartley, der angeblich die Walattacke überlebt hat? Der amerikanische Fischer soll 1892 bei den Falklandinseln von einem Potwal verschluckt worden sein. Seine Kameraden hätten den Wal erlegt und Bartley befreit, wird berichtet. Belege dafür gibt es nicht, die Geschichte klingt eher wie eine Fischerlegende. Unwahrscheinlich ist ausserdem, dass ein Wal die lange Strecke nach Ninive in drei Tagen schaffen würde. Und: Woher sollte der Wal wissen, dass Jona nach Ninive reisen wollte? Und: Wie sollte er wissen, wo Ninive liegt? Fragen über Fragen.

Zweifel an dieser Interpretation kamen auch den Verfassern des Artikels auf der Seite Jesus.ch. Sie bieten eine alternative Möglichkeit an: «Es könnte auch sein, dass Jona im Bauch des Fisches starb und dass Gott ihn nach drei Tagen zum Leben zurückbrachte. Das wäre mit den Lehren der Schrift nicht unvereinbar, da von mindestens acht weiteren Auferstehungen berichtet wird. Doch das wird in der Erzählung nicht angedeutet und Jona könnte überlebt haben.» Hätte Gott an Jona ein Wunder der Auferstehung vollbracht, so fragt sich, weshalb es dann nicht erwähnt wird. Es wäre ein entscheidendes Element in der Geschichte des Propheten.

Zweifel hegen die Freikirchler auch bei dieser Erklärung. Selbst wenn es keine physikalischen Erklärungen geben sollte, schreiben sie, sei «das noch kein Grund, die Geschichte abzulehnen.» Ihre Begründung: «Auch hier geht es letztlich nicht um die Frage, ob diese Geschichte wahr sein könnte oder nicht, sondern es geht um Gott selbst. Wenn es einen Schöpfer gibt, der Erde, Menschen und Universum geschaffen hat, ist es für ihn ein Leichtes, eines seiner Geschöpfe in einem Wal überleben zu lassen. Selbst ein Fass mit Salzsäure wäre für ihn kein Problem. Gott ist grösser, als die von ihm erschaffenen Naturgesetze.» Bei dieser Antwort stellt sich die Frage, warum es Gott nicht gelungen ist, eine befriedigende Antwort auf die unlogische Geschichte zu geben.

Mit dem Universalargument der Freikirchler lassen sich alle Widersprüche mit einem Strich aufheben. Bei der radikalen Form des Glaubens ist das Denken nur erlaubt, bis es auf Widersprüche stösst. Ab einem gewissen Punkt werden Fragen gefährlich und gern verdrängt. Damit wird der menschliche Geist eingeschränkt, die Freiheit beschnitten.