
Solange sie sich nicht zum Dalai Lama bekennen, haben sie keine Probleme: Buddhistische Mönche in China.
Auf meiner Reise durch Yunnan im Südwesten von China mache ich immer wieder überraschende Beobachtungen – auch was Religion und Glaube betrifft. Man würde meinen, Maos Kulturrevolution habe in den 1960er-Jahren seinem Milliardenvolk alles gründlich ausgetrieben, was nach Transzendentalem und Übersinnlichem riecht. Doch er hat sich wie Marx gründlich verrechnet: Gegen die archaisch verwurzelte Kraft des Glaubens sind Aufklärung und rationale Argumente in religiösen Fragen bei den Massen machtlos.
So begegne ich auf Schritt und Tritt Astrologen, Handlesern und Wahrsagern. Sie sitzen im Garten des mächtigen Stadttors von Jianshui, auf dem Markt von Yuanyang oder im Stadtzentrum von Kunming. Und sie werden fleissig frequentiert. Auch heute noch legen viele Chinesen wichtige Daten nach dem Rat der Wahrsager fest: Wann geheiratet, wann ein Geschäft gegründet oder wann das neue Auto gekauft wird. Der Aberglaube ist in der Volksseele verwurzelt und lässt sich nicht so schnell vertreiben. Der Gang zum Wahrsager ist ein gesellschaftlich verankertes Ritual. Schliesslich hat die Astrologie ihren Ursprung im Reich der Mitte. Und auch hohe Politiker, die sich dem Rationalismus und Kommunismus verschrieben haben, gehen bei privaten Problemen zum Wahrsager.
Für exotische Tiere ist der Aberglaube der Chinesen – und der Asiaten allgemein – eine Katastrophe. Das Horn des Nashorns gilt als besonders starkes Potenzmittel. Dabei könnten die Chinesen gerade so gut ihre eigenen Haare essen. Das gleiche Schicksal teilen die Elefanten. Bedrohte Tiere werden auch wegen ihren Hoden gewildert.
Aber auch seltene Reptilien müssen dran glauben. Auf einem Markt in Yuanyang hatte ein Quacksalber Riesenschlangen, Echsen, Krokodile und Schildkröten ausgestellt. Der Scharlatan verkaufte Fläschchen mit einer roten Flüssigkeit, die er aus dem Blut und vermutlich anderen Bestandteilen der Tiere gewonnen hatte. Er war umlagert, die Kunden durften probehalber den Saft einreiben: gegen Gelenkschmerzen, Hautprobleme, Kopfschmerzen und vieles mehr.
An vielen Türen kleben Bilder von Figuren, die die bösen Geister vertreiben sollen. Oder die Türrahmen sind entsprechend beschriftet.
Der Süden von Yunnan war lange Zeit Sperrgebiet für Touristen. Hier leben Minderheiten, die aus Tibet, Burma, Thailand und Laos eingewandert sind. Die chinesische Regierung kümmerte sich wenig um diese «Wilden», die isoliert lebten. Das änderte sich, als die Beamten das touristische Potenzial dieser Bergstämme entdeckte, die mit ihren kunstvollen Trachten, farbenfrohen Festen und schönen Dörfern eine Attraktion waren.
In allen grösseren Orten finden sich überraschenderweise buddhistische Tempel und kleine Klöster. Die Mönche bewegen sich frei in ihren gelb-rot-orangen Gewändern. So lang sie sich nicht zum Dalai Lama bekennen, scheint dies kein Problem zu sein.
Mehr Probleme haben die Christen. Ein junger Chinese outete sich mit ein paar Brocken Englisch verstohlen als Christ – aber erst, nachdem er sich vergewissert hatte, dass wir aus einem christlichen Land stammen. Tatsächlich sind hier viele christliche Missionare von Freikirchen unterwegs, die Tausende von chinesischen Bibeln ins Land schmuggeln und versteckt missionieren.
Von Falun Gong, einer spirituellen Bewegung, habe ich keine Spuren entdeckt. Die chinesische Regierung hat die Volksbewegung, die ebenfalls auf Aberglauben beruht, verboten. Falun Gong behauptet, den eingekerkerten Anhängern würden in den Gefängnissen Organe entnommen. Die Faktenlage ist dünn.
Ich reise zum dritten Mal in diesen Gegenden Chinas umher. Vor 20 Jahren lebten die Minderheiten noch isoliert, es gab kaum Fahrzeuge. Vor zehn Jahren tuckerten bereits klapprige Transportvehikel umher, und heute begegnet man Edelkutschen aus deutscher Produktion. Und der Bauboom ist abartig. Man findet höchstens noch auf entlegenen Märkten ein paar alte Frauen in den traditionellen Trachten. Doch bereits ihre Töchter kleiden sich nach den neusten Modetrends. Sie leben zwar in ärmlichen Holzhäusern, stöckeln aber in Highheels umher. Sie werden kaum je die schwere Arbeit in den Reisterrassen übernehmen. Die chinesische Jugend ist derart verwöhnt, dass man sich fragt, wer in Zukunft als Bauer oder Handlanger arbeiten soll. Fremdarbeiter aus Afrika? Ich vermute, dass China bald mit gesellschaftlichen Problemen zu kämpfen haben wird. Der Konsumrausch ist vermutlich stärker als jedes kommunistisches Programm.