Archiv für die Kategorie ‘Aberglaube’

Aberglauben im Reich von Mao

Hugo Stamm am Montag den 20. Dezember 2010
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Solange sie sich nicht zum Dalai Lama bekennen, haben sie keine Probleme: Buddhistische Mönche in China.

Auf meiner Reise durch Yunnan im Südwesten von China mache ich immer wieder überraschende Beobachtungen – auch was Religion und Glaube betrifft. Man würde meinen, Maos Kulturrevolution habe in den 1960er-Jahren seinem Milliardenvolk alles gründlich ausgetrieben, was nach Transzendentalem und Übersinnlichem riecht. Doch er hat sich wie Marx gründlich verrechnet: Gegen die archaisch verwurzelte Kraft des Glaubens sind Aufklärung und rationale Argumente in religiösen Fragen bei den Massen machtlos.

So begegne ich auf Schritt und Tritt Astrologen, Handlesern und Wahrsagern. Sie sitzen im Garten des mächtigen Stadttors von Jianshui, auf dem Markt von Yuanyang oder im Stadtzentrum von Kunming. Und sie werden fleissig frequentiert. Auch heute noch legen viele Chinesen wichtige Daten nach dem Rat der Wahrsager fest: Wann geheiratet, wann ein Geschäft gegründet oder wann das neue Auto gekauft wird. Der Aberglaube ist in der Volksseele verwurzelt und lässt sich nicht so schnell vertreiben. Der Gang zum Wahrsager ist ein gesellschaftlich verankertes Ritual. Schliesslich hat die Astrologie ihren Ursprung im Reich der Mitte. Und auch hohe Politiker, die sich dem Rationalismus und Kommunismus verschrieben haben, gehen bei privaten Problemen zum Wahrsager.

Für exotische Tiere ist der Aberglaube der Chinesen – und der Asiaten allgemein – eine Katastrophe. Das Horn des Nashorns gilt als besonders starkes Potenzmittel. Dabei könnten die Chinesen gerade so gut ihre eigenen Haare essen. Das gleiche Schicksal teilen die Elefanten. Bedrohte Tiere werden auch wegen ihren Hoden gewildert.

Aber auch seltene Reptilien müssen dran glauben. Auf einem Markt in Yuanyang hatte ein Quacksalber Riesenschlangen, Echsen, Krokodile und Schildkröten ausgestellt. Der Scharlatan verkaufte Fläschchen mit einer roten Flüssigkeit, die er aus dem Blut und vermutlich anderen Bestandteilen der Tiere gewonnen hatte. Er war umlagert, die Kunden durften probehalber den Saft einreiben: gegen Gelenkschmerzen, Hautprobleme, Kopfschmerzen und vieles mehr.

An vielen Türen kleben Bilder von Figuren, die die bösen Geister vertreiben sollen. Oder die Türrahmen sind entsprechend beschriftet.

Der Süden von Yunnan war lange Zeit Sperrgebiet für Touristen. Hier leben Minderheiten, die aus Tibet, Burma, Thailand und Laos eingewandert sind. Die chinesische Regierung kümmerte sich wenig um diese «Wilden», die isoliert lebten. Das änderte sich, als die Beamten das touristische Potenzial dieser Bergstämme entdeckte, die mit ihren kunstvollen Trachten, farbenfrohen Festen und schönen Dörfern eine Attraktion waren.

In allen grösseren Orten finden sich überraschenderweise buddhistische Tempel und kleine Klöster. Die Mönche bewegen sich frei in ihren gelb-rot-orangen Gewändern. So lang sie sich nicht zum Dalai Lama bekennen, scheint dies kein Problem zu sein.

Mehr Probleme haben die Christen. Ein junger Chinese outete sich mit ein paar Brocken Englisch verstohlen als Christ – aber erst, nachdem er sich vergewissert hatte, dass wir aus einem christlichen Land stammen. Tatsächlich sind hier viele christliche Missionare von Freikirchen unterwegs, die Tausende von chinesischen Bibeln ins Land schmuggeln und versteckt missionieren.

Von Falun Gong, einer spirituellen Bewegung, habe ich keine Spuren entdeckt. Die chinesische Regierung hat die Volksbewegung, die ebenfalls auf Aberglauben beruht, verboten. Falun Gong behauptet, den eingekerkerten Anhängern würden in den Gefängnissen Organe entnommen. Die Faktenlage ist dünn.

Ich reise zum dritten Mal in diesen Gegenden Chinas umher. Vor 20 Jahren lebten die Minderheiten noch isoliert, es gab kaum Fahrzeuge. Vor zehn Jahren tuckerten bereits klapprige Transportvehikel umher, und heute begegnet man Edelkutschen aus deutscher Produktion. Und der Bauboom ist abartig. Man findet höchstens noch auf entlegenen Märkten ein paar alte Frauen in den traditionellen Trachten. Doch bereits ihre Töchter kleiden sich nach den neusten Modetrends. Sie leben zwar in ärmlichen Holzhäusern, stöckeln aber in Highheels umher. Sie werden kaum je die schwere Arbeit in den Reisterrassen übernehmen. Die chinesische Jugend ist derart verwöhnt, dass man sich fragt, wer in Zukunft als Bauer oder Handlanger arbeiten soll. Fremdarbeiter aus Afrika? Ich vermute, dass China bald mit gesellschaftlichen Problemen zu kämpfen haben wird. Der Konsumrausch ist vermutlich stärker als jedes kommunistisches Programm.

Schläge von der Sektenführerin

Hugo Stamm am Donnerstag den 18. November 2010

In einem Haus im aargauischen Dottikon spielten sich jahrelang schauerliche Szenen ab. Die spirituelle Beraterin M. S. (Initialen geändert), eine knapp 60 Jahre alte Esoterikerin, scharte im Lauf der späten 90er-Jahre eine Gruppe um sich und formte sie zu einer Sekte. Mit vielschichtigen Manipulationstechniken machte sie verzweifelte Ratsucherinnen – mehrheitlich Frauen – von sich abhängig und bestimmte ihr ganzes Leben.

Es begann harmlos mit esoterischen Beratungen und Fussreflexzonen-Massage. Dann bildete M. S. 1998 mit ihren Klientinnen eine Hexengruppe, in der sie Rituale und Meditationen durchführte. Eine Lehrerin konsultierte die Beraterin wegen Burn-out-Problemen. «Sie hat mir wie eine Hellseherin Sachen aus meinem bisherigen Leben erzählt, die mich staunen liessen», berichtet sie. Psychisch ging es ihr bald besser, sie schloss sich der Gruppe an. «Als M. S. vor etwa acht Jahren Schülerin des deutschen spirituellen Meisters OM Parkin wurde, begann sie sich zu radikalisieren», sagt die Lehrerin.

M. S. organisierte Seminare («Reise ins Ich»). «Ziel war die Überwindung des Egos, die Entwicklung der reinen Liebe, die Erleuchtung und Verbindung mit Gott», berichtet eine ehemalige Anhängerin.

Kontrollwahn nahm zu

M. S. mischte sich immer stärker ins Privatleben ihrer Anhänger ein. Ehepaare durften im Seminar nicht mehr im gleichen Zimmer schlafen, Sex wurde als triebhafte Begierde abgewertet, die den geistigen Aufstieg behindere. Bald begann M. S. auch, Ehepaare so vor der Gruppe zu kritisieren und demontieren, dass manche Beziehungen daran zerbrachen. Die Sektenführerin entwickelte einen Kontrollwahn. Bis hin zur Frisur, den Kleidern und Wohnungseinrichtung mischte sie sich ins Privatleben der Anhänger ein. Manche zogen nach Dottikon oder mieteten Wohnungen oder Häuser ihrer Meisterin. Vor den Seminaren, die oft bis Mitternacht dauerten, mussten sie Geld, Kreditkarten und Hausschlüssel abgeben. M. S. stellte so sicher, dass niemand abhauen konnte, erzählen ehemalige Teilnehmer.

«M. S. baute allmählich ein Angstregime auf», sagt ein Aussteiger, der den Fall zusammen mit andern Opfern der Zürcher Beratungsstelle Infosekta meldete. «Jeder überwachte jeden, alle denunzierten sich gegenseitig. Jede bekam eine Jahrespartnerin, die wichtiger war als der eigene Ehepartner», berichtet die Lehrerin. Die Sektenführerin jagte ihren Anhängern auch Angst ein: Wer aussteige, würde eine Krankheit erleiden oder verunfallen.

Wüste Schlägereien

Die Gewaltexzesse begannen damit, dass M. S. begriffsstutzige Anhänger wachrüttelte – im eigentlichen Sinn des Wortes. «Sie hatte immer häufiger cholerische Anfälle und ging auf Einzelne los. Bald hetzte sie Seminarteilnehmer aufeinander, es kam zu wüsten Schlägereien», erzählt eine Aussteigerin. Blaue Flecken seien die harmlosesten Verletzungen gewesen: «Ich wurde heftig gebissen, ein Mann erlitt einen Rippenbruch», berichtet ein Aussteiger. Auch M. S. erlaubte sich Übergriffe: «Sie sprang auf liegenden Anhängern herum, traktierte sie mit spitzen Schuhen oder schlug einmal wie von Sinnen mit den Absätzen ihrer Stöckelschuhe auf sie ein.» Mit den Schlägen sollte das Ego ausgetrieben und die spirituelle Entwicklung gefördert werden. Keiner der Anhänger hat es gewagt, M.S. bei der Polizei anzuzeigen. «Ich wollte längst aussteigen, hatte jedoch Angst, dass M. S. mir ihre Gruppe auf den Hals hetzt», sagt eine ehemalige Anhängerin. «Als die körperlichen Übergriffe immer brutaler wurden und eine Kollegin eingesperrt wurde, hielt ich es nicht mehr aus und wagte dann doch den Absprung.»

M. S., die weiterhin Seminare mit einer Gruppe von rund 20 Personen durchführt, war für eine Stellungnahme nicht erreichbar.

Ein ausführlicher Bericht ist auf www.infosekta.ch zu finden.

Aberglauben macht dumm

Hugo Stamm am Sonntag den 4. Juli 2010

England hat vergeblich gezittert. Andy Murray ist wieder einmal gescheitert. Diesmal im Halbfinal an Rafael Nadal. Und wieder einmal in Wimbledon, der weltbekannten Tennis-Stätte. Er hätte der 2. britische Champion nach mehreren Jahrzehnten werden sollen. Doch wieder wurde nichts.

Inzwischen haben sich die Medien daran gewöhnt, dass der talentierte Spieler im entscheidenden Moment nicht über sich hinauswachsen kann. Hatten sie ihn bei den letzten Grand Slams noch gnadenlos zerzaust, beschränkten sie sich diesmal weitgehend darauf, die Umstände zu beleuchten. Es sei allein seine Schuld, monierte die „Sun“. Erstaunlicherweise meinte das Blatt nicht den Akteur auf dem Platz, sondern David Beckham, den glamourösen Fussballstar, der im Publikum gesessen hat.

Verwundert reibt man sich die Augen. Hat Beckham etwa verlangt, dass Murray einen Fussball retournieren muss? Nein, die reine Anwesenheit von Beckham machte ihn zum Schuldigen. Er hat als Glücksbringer versagt, wie die „Sun“ schreibt. Und sie bittet den Star, dem bevorstehenden Cricketspiel England-Australien fernzubleiben. Sonst ereile das britische Team das gleiche Schicksal wie Murray.

Auch der „Telegraph“ hat Beckham als Übeltäter ausgemacht und bereits nach vorn geschaut zum Britisch Open der Golfer, dem nächsten Grossanlass für Einzelsportler. Die einheimischen Athleten würden beten, dass der Fussballer nicht an den Grossevent eingeladen werde.

Das ist Aberglauben und magisches Denken in Reinkultur, verbreitet durch Massenmedien, die sich eigentlich dem logischen Denken verpflichtet fühlen müssten.

Pech hatte nicht nur Andy Murray, Pech hatte auch unsere grösste Velo-“Batterie“ Fabian Cancellara. Wie schon im vergangenen Jahr musste er im Prolog (Zeitfahren) der Tour de France die Nummer 13 tragen. Letztes Jahr montierte er die Startnummer verkehrt aufs Shirt, damit die Zahl ihre Unglückswirkung nicht entfalten konnte. Und siehe da: Der schnelle Radfahrer gewann. Dieses Jahr verzichtete er auf den Trick – und gewann trotzdem.

Man mag solche Spielchen oder Gedanken der Medien und Sportler belächeln. Doch sie haben System. Sie sind Ausdruck für den weit verbreiteten Aberglauben und das magische Denken. Diese prägen das Bewusstsein der Massen, entfremden von logischem Denken und bestimmen ein Weltbild, das durchsetzt ist von abstrusen Vorstellungen und Denkmustern.

Man kann es auch so formulieren: Aberglauben und magisches Denken machen dumm. Viele Leute – Journalisten eingeschlossen – glauben lieber einen Stuss, als sich die Mühe zu nehmen, zwei Gedanken anzustellen.

Zum Beispiel: Hatte Beckham einen Einfluss auf die Flugbahn des Filzballes? Saugt er Murray Energien ab? (Wie Dracula das Blut?) Beeinflusste er die Sehschärfe oder das Reaktionsvermögen des Tennisspielers? Schliesslich entscheiden Spielstärke und Tagesform über Sieg und Niederlage und nicht die Farbe der Socken oder die Zusammensetzung des Publikums.

Ober bei Cancellara: Geht von der Zahl eine magische Kraft aus? Wenn ja: Woher stammt die Energie dazu? Von der Druckerschwärze? Dem Stoff? Der Zahlenkombination? Verliert die 13 die magische Kraft, wenn die Zahl verkehrt herum montiert wird? Warum hat er auch dieses Jahr gewonnen, obwohl er die 13 korrekt getragen hat?

Wer in nebensächlichen Lebensbereichen ein magisches Weltbild entwickelt, wird auch in wichtigen Bereichen Opfer des Aberglaubens. Politiker lassen sich bei ihren Entscheiden von abergläubigen Vorstellungen leiten, Eltern bei der Kindererziehung, Chefs bei der Führung ihrer Mitarbeiter usw.

So lang sich die Menschen weigern, ihre konditionierten Muster zu hinterfragen, wird die Welt weiterhin von irrationalen Entscheidungen und Lösungsversuchen geprägt. Das gilt zu einem guten Teil auch für den religiösen Glauben.

Das Klassentreffen der unheimlichen Patrioten

Hugo Stamm am Samstag den 31. Oktober 2009

Krise und Klima der Verunsicherung fördern den Aberglauben und sind Wasser auf die Mühlen von Sektierern und Weltverschwörern. Diese nutzen die Gunst der Stunde und rotten sich immer mehr zusammen. Ausserdem wagen sie zunehmend den Schritt an die Öffentlichkeit. Wohin dies führt, habe ich in einem Artikel im Tages-Anzeiger vom 31. Oktober aufgezeigt:

Grosser Empfang für Weltverschwörer und Sektierer in der Olma-Halle: Stargast beim Anti-Zensur-Koalitions-Kongress ist Scientology-Boss Jürg Stettler.

Zum Kongress der Anti-Zensur-Koalition (AZK) von heute Samstag in St. Gallen hat der 53-jährige «Apostel» Ivo Sasek eingeladen. Der ehemalige Zürcher Automechaniker verbreitet mit seiner grossen, international tätigen Sekte Organische Christusgeneration (OCG) seit vielen Jahren Drohbotschaften. Nach biblischer Doktrin propagiert er beispielsweise die Züchtigung der Kinder mit der Rute. «Du errettest sein Leben», behauptet Sasek, «blutige Striemen schützen vor der Hölle.»

Sasek wurmt es seit langem, dass seine Gemeinschaft mit Sitz in Walzenhausen AR in der Öffentlichkeit als Sekte wahrgenommen wird und seine Anliegen in den Medien kaum Gehör finden. Deshalb startete er zusammen mit seiner Frau politische Aktionen und gründete die AZK. Aus dem Sektenumfeld stammt auch die Anti-Genozid-Partei (AGP), die gegen die staatliche Überwachung kämpft. Die AGP hatte Unterschriften für das Referendum gegen die biometrischen Pässe gesammelt. Die Partei ist überzeugt, dass die Bevölkerung bald mit implantierten Chips überwacht wird.

Die Anti-Zensur-Koalition hat sich in kurzer Zeit zu einem Forum für Sektierer entwickelt. Sasek organisiert regelmässig Konferenzen, die Hunderte Besucher anlocken. Die Stossrichtung lässt sich aus den Artikeln der «Anti-Zensur-Zeitung» ablesen. Es geht um die «tödlichen Mobilfunkstrahlungen», die «Nebenwirkungen der Homosexualität» («hohe Suizidrate, Depressionen, Ekel vor sich selber»), den Schwindel über die Klimaerwärmung, die neue Weltordnung und die Unfruchtbarkeit durch Gennahrung. In dieses Themenfeld passen auch antisemitische Töne. Die AZK-Zeitung zitiert einen Artikel der «Basler Nachrichten» vom 13. Juni 1946, wonach sich die Zahl der jüdischen Opfer im Zweiten Weltkrieg lediglich zwischen 1 und 1,5 Millionen bewegt habe. Ausserdem äussert das Blatt die Vermutung, dass die Schweinegrippe mithilfe der Gentechnik hergestellt worden sei und nun als militärische Waffe für biologische Kriegsführung diene.

Aufschlussreich ist auch die aktuelle Referentenliste. In der Olma-Halle wird Scientology-Chef Jürg Stettler erklären, «was Scientology wirklich ist». Weitere Redner werden den «Impf-Terrorismus» anprangern und gegen die Klimalügen wettern.
Warnung vor den Illuminaten

Bei einer früheren Konferenz in Chur propagierte Harald Baumann die «Germanische Neue Medizin» des Scharlatans Geerd Hamer, ein anderer Referent beschwor die drohende Eugenik und die neue Weltordnung, und die Impf-Kritikerin Anita Petek Dimmer vom Verein Aegis warnte vor den Impf-Gefahren. In einem weiteren Vortrag wurde die Gefahr der Illuminati, der geheimen Weltregierung, thematisiert.

Obwohl der Eintritt in die Olma-Halle gratis ist, zieht die AZK die Konferenz professionell auf. Die Referenten werden auf mehrere Leinwände projiziert und ihre Vorträge in verschiedene Sprachen übersetzt. Ein grosser Kamerakran kann Publikum und Vortragende effektvoll ins Bild rücken. Selbst die Verpflegung in den Pausen ist kostenlos. Moderiert werden die Grossveranstaltungen von Sektengründer Sasek persönlich. Ein grosses Orchester sorgt für einen würdigen Rahmen. Die eigens komponierte AZK-Hymne wird von sechs seiner zehn Kinder gesungen, wobei die Töchter in züchtigen langen Röcken auftreten.

Ralph Engel, Abteilungsleiter bei den Olma-Messen St. Gallen, stützt sich auf den Entscheid der Gewerbepolizei ab, die den Kongress bewilligt hat. «Wir halten uns aus der politischen und gesellschaftlichen Diskussion heraus», erklärt er. Er werde aber genau prüfen, ob die Veranstalter sektiererisch auftreten oder gegen Sitten und Gebräuche verstossen werden.

Lichtesser entlarvt

Hugo Stamm am Sonntag den 26. Oktober 2008

Der Anthroposoph Michael Werner verkauft sich als biologisches Wunder. Bei Fernsehtalks wie «Aeschbacher» und Interviews erklärt er unermüdlich, sich seit sieben Jahren nur von Licht zu ernähren. Auch Flüssigkeit brauche er nicht zwingend. Trotzdem verliere er kein Gewicht und fühle er sich sehr vital. Er lebe von einer spirituellen oder ätherischen Energie, dem Prana. Hinweise für das Phänomen fand er auch bei Rudolf Steiner, dem Gründer der Anthroposophie.

Werner wollte beweisen, dass er ausschliesslich von Licht lebt. 2004 machte er in einem überwachten Spitalzimmer einen Selbstversuch, den die Kantonale Ethikkommission Bern bewilligt hatte. Der Chemiker ass zehn Tage lang keinen Bissen, trank aber ungesüssten Tee. Seine Körperfunktionen wurden permanent überwacht. Über seine Erfahrungen schrieb er 2005 das Buch «Leben durch Lichtnahrung». Darin erklärt Werner , man müsse darauf vertrauen, dass Licht als Entsprechung kosmischer Liebe alle materialistischen Verkrustungen aufbrechen könne.

Vernichtende Resultate

Eine Expertengruppe entlarvte diese Vorstellung soeben als Humbug. Von Lichtnahrung könne keine Rede sein, schreibt sie in ihrem Bericht. Die Resultate ergaben, dass Werner von den eigenen Körperreserven gezehrt hat. Der Stoffwechselzustand, der sich aus den täglichen Blutwerten ableiten lässt, zeigte, dass ein Hungerzustand eingetreten war. Die Körperfunktionen wurden ausschliesslich von den körpereigenen Fettreserven aufrechterhalten. Werner hat 2,6 Kilogramm abgenommen. Die Studie führt die relativ geringe Gewichtsabnahme darauf zurück, dass Werner schon vorher gefastet und den Stoffwechsel auf Sparprogramm umgeschaltet hatte. Auch die körperliche Leistungsfähigkeit nahm während des Selbstversuchs ab.

Werner erklärt, dass ihn die Resultate der Studie enttäuscht haben: «Ich habe nicht damit gerechnet.» Sie sei falsch angelegt worden, schliesslich ernähre er sich immer noch von Licht. Gleichzeitig bestätigt er, dass er gelegentlich ein wenig Schokolade esse. «Wenn man nun mit dem Finger auf mich zeigt und sagt: Der lügt, der spinnt, der betrügt, dann ist das okay, dann kann ich damit leben.»

Tatsächlich geben die meisten Lichtesser zu, dass sie kalorienhaltige Flüssigkeiten wie Bouillon oder Fruchtsäfte trinken. Wer seinen Körper auf Diät setzt, kann mit wenigen Kalorien überleben, wie Studien zeigen.

Beteiligt am Experiment war auch Peter Heusser, zuständig für Komplementärmedizin an der Uni Bern. Heusser hält das Phänomen des Lichtessens grundsätzlich für möglich, ist aber über das Resultat der Studie nicht enttäuscht. Streng wissenschaftlich könne man ja nur sagen, dass das Experiment unter den gegebenen Bedingungen nicht funktioniert habe. Heusser stellt die Glaubwürdigkeit von Werner infrage. Den Lichtnahrungsprozess hält er trotzdem für unverantwortlich.

Die Untersuchungen haben zweifelsfrei ergeben, dass der menschliche Organismus keine Kalorien aus Luft und Licht beziehen kann. Fazit der Studie: Wer den Lichtnahrungsprozess über längere Zeit durchführt, verhungert.

Die Idee von der Lichtnahrung setzte das Medium Ellen Greve mit dem Geistnamen Jasmuheen in die esoterische Welt. Heute distanziert sich die Australierin von ihrem Lichtnahrungsprozess, den Tausende Esoteriker absolviert haben. Der Grund: Mehrere Lichtesser haben die Kur (7 Tage ohne Flüssigkeit) nicht überlebt. Jasmuheen behauptet, sie selbst nehme seit 1993 keine Nahrung mehr zu sich. Bei einem Test brach die begleitende Ärztin den Versuch aber ab, weil Jasmuheen gefährlich ausgetrocknet war und rasch an Gewicht verloren hatte. Der ehemalige Basler Chefarzt Jakob Bösch propagiert das Lichtessen heute noch.

(Bei diesem Beitrag handelt es sich um einen Artikel, den ich am Samstag im Tages-Anzeiger veröffentlicht habe.)

Michael Werner

Panne im Blog, Kommentare hier

Hugo Stamm am Sonntag den 5. Oktober 2008

Seit gestern Samstag können die Kommentare im jüngsten Beitrag (Der absurde Konkurrenzkampf”) nicht mehr aufgeschaltet werden. Da die Panne wieder einmal am Wochenende passiert, gestaltet sich die Pannenbehebung etwas schwierig. Ich hoffe trotzdem, dass der Blog bald wieder läuft. Ihr könnt versuchen, die neuen Kommentare unter dieser Meldung zu platzieren. Vielleicht funktioniert es.

Ich bitte um Entschuldigung und wünsche Euch trotzdem einen schönen Sonntag.

Liebe Grüsse

Hugo Stamm

Gläubige Schafe und denkende Ziegen

Hugo Stamm am Freitag den 7. März 2008

Sind Gläubige die fantasievolleren Menschen? Oder neigen sie eher zum Wahnsinn als Skeptiker?

Spannende Erkenntnisse dazu hat der Neurowissenschaftler Peter Brugger gemacht, der den Glauben an das Übersinnliche erforscht. Die Quintessenz: Gläubige und Esoteriker ticken tatsächlich anders als nüchtern empfindende Menschen. So jedenfalls erklärte esBrugger meiner Kollegin Monica Müller in einem Interview. Hier Ausschnitte davon:

Herr Brugger, ich habe kürzlich von einer Schulkollegin geträumt, die ich 25 Jahre nicht gesehen habe. Am folgenden Tag bin ich ihr begegnet. Wie beurteilen Sie das?

Man könnte das nüchtern hochrechnen. Wie oft erleben Sie das? Und wie oft träumen Sie von Menschen und dann passiert nichts? Rechnen Sie das aus und vergleichen Sie es mit den Erfahrungen anderer. Das Ergebnis würde zeigen, dass ihr Erlebnis so normal ist, wie wenn Sie im Lotto gewinnen würden. Es gewinnt immer einer. Für den Glücklichen ist das natürlich einmalig, unglaublich. Aber statistisch gesehen, muss es passieren.

Beim Lotto spricht man von Glück, nicht von Vorahnung oder Telepathie. Warum?

Das Lottospiel haben wir unter Kontrolle, wir mischen die Bälle. Aber was im Leben passiert, das haben wir nicht im Griff. Es gibt Leute, die stellen zwischen banalen Zufällen des Alltags bedeutungsvolle Bezüge her – im Fachjargon « Schafe » – und andere, die tun das nicht – das sind « Ziegen ».

Sie erforschen die Glaubens- und Denkmuster von « Schafen » und « Ziegen ». Worin unterscheiden die sich?

« Schafe » assoziieren weiter, denken ungebremster. Wer mehr um die Ecke denkt, erlebt auch mehr bedeutungsvolle Zufälle, weil diese ihm oder ihr auffallen. Wer so veranlagt ist, hat dann auch eher das Bedürfnis, den Bezügen, die ihm auffallen, eine Bedeutung zu verleihen und sie nicht als reinen Zufall abzutun.

Warum haben viele Mühe mit dem Zufall?

Weil unser Wahrnehmungssystem darauf getrimmt ist, Regelmässigkeiten zu entdecken.

Haben Menschen, die schneller ein Muster entdecken, auch ausserhalb der Savanne einen Vorteil?

Sie haben die Veranlagung, kreativer zu sein. Wer kreativ denkt, sieht Zusammenhänge zwischen Dingen, die offensichtlich nicht verwandt sind. Nur wer alte Muster durchbrechen kann, kann auch Neues schaffen. Diese Veranlagung bringt « Schafe » aber nicht bloss in die Nähe der Kreativität, sondern auch des Wahns. Es ist eine alte Einsicht, dass Genie und Wahnsinn nahe beieinander sind. Mit unserer Forschung können wir aufzeigen, dass der Ähnlichkeit von Genie und Wahnsinn nüchterne Verarbeitungsschritte im Hirn zu Grunde liegen. Ich wehre mich aber genauso dagegen, das übersinnliche Denken als krankhaft einzuschätzen, als es für ausschliesslich kreativ zu halten.

Wo verläuft die Grenze zwischen kreativen Gedankenketten und krankhaften Vorstellungen?

Ein schizophrener Patient kann schon beim Lesen des Menüs im Restaurant in Panik ausbrechen. Seine Gedankenkette beim Wort «Spaghetti» bricht nicht bei Italien ab, sondern er denkt weiter an «Mafia» und verlässt das Restaurant in Panik. Ein Schizophrener zieht Schlüsse, die für Gesunde nicht nachvollziehbar sind.

Warum werden Menschen, die von Telepathie, Hellsehen oder Vorahnungen berichten, oft belächelt? Kreativität ist doch gefragt.

Wir machen uns über die Ausgeburten lustig, mit denen oft einfach viel Geld gemacht wird. Man darf Esoterikern nicht unterstellen, dass sie alles glauben, was sie verkünden. Der Hellseher und Zukunftsberater Mike Shiva beispielsweise ist ein hoch assoziativer, cleverer Typ. Ich glaube nicht, dass er alles glaubt, was er sagt. Wenn er anderen damit aber wirklich helfen kann, warum nicht? Für ihn ist seine Beratung ein florierendes Geschäft, für die Klienten wirkt das wie Placebo. Mich interessiert, wie ein Placebo wirkt oder wie esoterisches Denken zu Stande kommt. Ich will nicht darüber streiten, ob es diese Dinge wirklich gibt.

Glauben Sie an den Zufall?

Der Zufall ist keine aktive Kraft, sondern eine abstrakte statistische Grösse. Auch ich glaube also an den Zufall, aber eher im Sinne eines Begriffes, der die Abwesenheit von lenkenden Kräften meint. Der Esoteriker glaubt zwar auch an den Zufall, misst ihm aber übersinnliche Kraft bei. Für Kreationisten und religiöse Fanatiker wiederum bedeutet das Wort «Zufall» nichts anderes als Gotteslästerung – das hatte schon Lessing erkannt.

Wie kamen Sie zu Ihrem Gebiet?

Als Jugendlicher glaubte ich an Telepathie und wollte wissen, wie diese funktioniert. Ich fand in meinen Tests nichts, das darauf hindeutet, dass jemand besser abschnitt als der Zufall, und sah ein, dass es nicht einfach ist, übersinnliche Phänomene wissenschaftlich zu erfassen. Die Verbindung zwischen Gläubigkeit und Hirntätigkeit eröffnet neue Welten.

Dann waren Sie einmal ein « Schaf ».

Ich bin ein konvertiertes « Schaf ».

Waren Sie als « Schaf » glücklicher?

Ich müsste, denn ich vertrete ja die Theorie, dass Gläubige die genussfähigeren Menschen sind. Persönlich verstehe ich mich blendend mit moderaten Esoterikern, sie sind viel aufgestellter als die ewig nörgelnden Skeptiker, die sich meist nicht einmal die Mühe machen, etwas überhaupt zu hinterfragen. Aber intellektuell zähle ich mich schon zu den Skeptikern. Vielleicht gehöre ich irgendwie auch beiden Welten an. Sagen wir es so: Ich bin eine glückliche « Ziege ».

(Peter Brugger leitet die Abteilung Neuropsychologie an der Neurologischen Klinik des Universitätsspitals Zürich. Er erforscht seit 20 Jahren magisches Denken.)

Fauler Zauber

Hugo Stamm am Dienstag den 22. Januar 2008

Aberglaube führt zur Volksverdummung. Die wenigsten erkennen die Gefahren eines verschobenen Weltbildes. Lass doch die Leute, wird mir zwar oft gesagt. Sollen sie doch an die Sterne, an Ausserirdische, an offensichtlich unsinnige übersinnliche Phänomene glauben. Das tut doch niemandem weh.

Ich verstehe diese Haltung nicht. Aberglauben prägt das Bewusstsein. Wer in ausgeprägtem Mass abergläubig ist, muss die Vernunft unterdrücken. Wer es in übersinnlichen Fragen tut, macht es teilweise auch in sozialen und politischen Belangen. Er muss das Weltbild so zurecht (d)rücken, dass der Aberglaube nicht im Widerspruch zur Realität erscheint.

Aberglaube dient oft dazu, die nicht immer leicht verständliche und leicht zu ertragende Wirklichkeit besser verdauen zu können. Die Flucht in eine geheimnisvolle Welt ist verständlich, doch die Abergläubigen tun sich keinen Gefallen. Nur wer die Welt mit klarem Blick bestaunt, ist gegen die Unwägsamkeiten gewappnet. Abergläubige laufen Gefahr, mit falschen Mitteln Schicksalsschlägen zu begegnen. Und sie behindern eine harmonische Persönlichkeitsentwicklung.

Ausdruck des modernen Aberglaubens ist das Casting „The next Uri Geller“ auf ProSieben (jeweils am Diestagabend). Zehn Kandidaten demonstrieren ihre angeblichen übersinnlichen Kräfte. Die erste Sendung verfolgten rund 4 Millionen, die zweite 5 Millionen.

ProSieben täuscht das Millionenpublikum vorsätzlich und fahrlässig. Die angeblich übersinnlichen Kunststücke der Kandidaten sind lediglich plumpe Täuschungen. Solche Zaubertricks beherrschen Hunderte Hobbyzauberer landauf und landab. Der Trickkünstler James Randi ist einer der bekanntesten Zauberer und hat schon vor Jahren die Täuschungsmanöver von Uri Geller aufgedeckt.

Paranormale Phänomene sind für leichtgläubige Menschen der Beweis für eine übersinnliche Zwischenwelt. Sie glauben, medial begabte oder hellsichtige Personen, Magier und Mentalisten könnten die übersinnlichen Kräfte bannen, eine Verbindung zur anderen Realität herstellen und die Tür zum Jenseits einen Spalt weit aufstossen.
Die Castingshow erzeugt bei vielen Zuschauern eine Art metaphysisches Gruseln und weckt Sehnsüchte nach übersinnlichen Wundern. Wenn Hunderttausende von Zuschauern glauben, der Rabe des Berner Geisterjägers Vincent Raven könne mit Verstorbenen kommunizieren, wird ein Weltbild vermittelt, das aus dem Mittelalter stammt. Bei seinen Tricks verwendet er nach Aussagen von Insidern einen Knopf im Ohr, um das Publikum zu täuschen.

Dabei wird gern vergessen, dass magisches Denken Ängste wecken und Abhängigkeiten erzeugen kann. Labile Personen laufen sogar Gefahr, psychische Auffälligkeiten wie Depressionen oder Schizophrenie zu entwickeln, wenn sie sich von den magischen Kräften verfolgt fühlen.

Ist Gott mehr als ein Mythos?

Hugo Stamm am Mittwoch den 26. Dezember 2007

In diesen Tagen macht es Sinn, über Gott nachzudenken. Gibt es einen Gott oder eine göttliche Kraft? Wenn ja: Wie ist sie beschaffen? Was bewirkt sie? Verhält sie sich neutral oder greift sie ins Leben und den Kosmos ein?

Der Volksglaube klammert die Frage nach Gott aus: Gott ist, weil unsere Väter schon an ihn geglaubt haben, weil seine Anbetung einer 2000-jährigen Tradition entspricht, weil wir in die Kirche gehen, weil er uns in der Bibel offenbart wird. Das ist Legitimation genug, deshalb müssen wir nicht weiter darüber nachdenken. Erziehung, Mythenbildung und Macht der Gewohnheit prägen den Gottesbeweis in unserer abendländischen Kultur.

Die beruflichen Denker, die Philosophen, tun sich schwerer mit dem Gottesbegriff. Nur ganz wenige ihrer Zunft wagen es heute noch, einen Gottesbeweis zu postulieren. Es ist zu schwierig, nach den modernen Erkenntnissen der Natur- und Geisteswissenschaften ein in sich stimmiges Weltbild zu konstruieren, in dem Gott widerspruchsfrei Platz findet. „Es gibt keine Instanz über der Vernunft“, sagte Sigmund Freud. „Der Glaube kann uns niemals von etwas überzeugen, was unserer Erkenntnis zuwiderläuft“, erklärt der Philosoph John Locke.

Doch auch die Wissenschafter stossen an Grenzen: Die Teilchenforscher ebenso wie die Astronomen, Morphologen, Neurologen. Sie können uns die Welt einigermassen erklären, doch auch bei ihrem Weltbild tun sich schwarze Flecken auf. Was ist Leben, Energie, Bewusstsein, Kausalität, Bewegung, Zeit usw.? Was ist das Ding an sich? Die Wissenschafter können uns halbwegs erklären, wie die Welt im Kleinen und Grossen beschaffen ist und wie sie funktioniert, doch bei den entscheidenden metaphysischen Fragen stehen sie auch am Berg.

Ist es vielleicht doch eine höhere Macht, welche das Leben anstösst, die Dinge zusammenhält? Gibt es eine höhere Dimension, die unser Bewusstsein ermöglicht und uns die Gefühlswelt öffnet? Wurde der Kosmos vielleicht von einer göttlichen Instanz geschaffen? Gibt es gar keine andere Möglichkeit, die unergründbaren Phänomene des Lebens zu erklären, als mit einer göttlichen Kraft?

Falls doch eine höhere Macht ihre Fingen im Spiel hat: Wie sieht diese göttliche Kraft aus? Ist es eher eine universelle oder göttliche Energie des All-Eins, wie dies spirituelle Konzepte verkünden? Oder handelt es sich um einen väterlichen Gott, wie ihn das Christentum lehrt? Oder ist es gar eine Kraft, die fern unserer Vorstellungsmöglichkeit liegt?

In diesem Sinn schöne Festtage.

Sektenpolitik – nein danke!

Hugo Stamm am Montag den 24. September 2007

In Deutschland ist alles ganz anders. Bei unserem Nachbarn im Norden arbeiten viele Sektenbeauftragte. Die beiden Landeskirchen engagieren Experten, die grossen Städte und die Bundesländer stellen Spezilisten ein, Konsumentenschutz-Organisationen leisten sich Aufklärer, Parteien delegieren Fachleute. Das führt dazu, dass die Bevölkerung ein Bewusstsein für die Gefahren der sektenhaften Vereinnahmung entwickelt hat.

Und es gibt in Deutschland Politiker, die den Mut haben, Sekten öffentlich mit scharfen Worten zu kritisieren. Paradebeispiel ist der ehemalige Bundesarbeitsminister Norbert Blüm, der Scientology einst als krakenhafte Wirtschaftssekte gebrandmarkt hatte und sich nicht vor Prozessen scheute. Heute wagt es der bayerische Innenminister Günther Beckstein, Scientology verbal zu attackieren. Auch an Fernsehdiskussionen. Und in Deutschland gibt es bei aktuellen Sektendiskussionen regelmässig heftige öffentliche Kontroversen.

Und bei uns? Nichts von alledem. Politiker ziehen ohnehin den Schwanz ein, wenn es um Sektenfragen geht. In religiösen Fragen ist man lieber neutral. Man könnte auch sagen: feige. Sektenberatungsstellen, die von der öffentlichen Hand betrieben werden, gibt es in der deutschen Schweiz ohnehin nicht. Alle scheuen die Auseinandersetzung mit Sekten. Also bewilligt man in Zürich auch Privatschulen, die von Scientologen betrieben werden. Sind wir Schweizer toleranter als die Deutschen? Oder einfach nur die grösseren Hasenfüsse?