Archiv für die Kategorie ‘Aberglaube’

Wer an Wunder glaubt, glaubt auch an Gott

Hugo Stamm am Mittwoch den 20. März 2013

Der folgende Impulstext stammt von Ruedi Schmid (Optimus). Vielen Dank.

Pilgerinnen und Pilger in Lourdes. (Foto: Reuters/Jean Philippe Arles)

Hoffen auf Wunder: Pilgerinnen und Pilger in Lourdes. (Foto: Reuters/Jean Philippe Arles)

Der Glaube an Wunder führt zu den religiösen Auswirkungen
Weil Wunder unerklärbar sind, ist der Glaube an Wunder durch nichts eingeschränkt. Dadurch können die vielfältigsten Sekten entstehen und Menschen beliebig beeinflusst werden. In der Folge kann dies zu den gütigsten Menschen bis zu den schlimmsten Terroristen führen.

Nicht der Glaube an Gott ist entscheidend
Wenn man Unerklärbares als Wissensmangel betrachtet, gibt es keine Wunder, und wenn es keine Wunder gibt, braucht es keinen Gott. Ungläubige haben nichts gegen Gott, sie glauben nur, dass Unerklärbares ein Mangel an Wissen ist.

Wie Unmögliches zur absoluten Wahrheit wird
Wenn man alles, was man nicht erklären kann, als Wunder betrachtet, dann gibt es nichts mehr zu erklären. Dann glaubt man, die absolute Wahrheit zu kennen. Hinzu kommt, dass auch Unmögliches als Wunder vorstellbar ist. Damit wird einzig durch den Glauben an Wunder Unmögliches zur absoluten Wahrheit.

Die Vorstellung eines Zauberers macht’s möglich
Obwohl Wunder unerklärbar sind, werden sie von Gläubigen als Erklärung aufgefasst. Und dies mit der Überzeugung, dass wissenschaftliche Erklärungen oft als falsch beurteilt werden. Und als böswilligen Angriff auf die unerklärbare Welt der Wunder. Aber wie kann man das Wort Wunder, das ein unerklärbares Phänomen bezeichnet, als Erklärung auffassen? Die Vorstellung eines Zauberers macht‘s möglich. Während für Gläubige der Zauberer die Erklärung ist, erfolgt für Ungläubige die Erklärung erst durch den Trick.

Gottes Zaubertrick ist aber bekannt
Laufen können wir nur lernen, weil sich die Schwerkraft immer gleich verhält. Kinder können wir nur kriegen, wenn die weibliche Eizelle durch die männliche befruchtet wurde. Erfahrungen können wir nur von Vorgängen sammeln, die sich in Zukunft wiederholen. Alles hat eine vorgegebene Ordnung, während eine auf Wunder basierende Welt in einem völligen Chaos enden würde. Gott hatte gar keine andere Wahl als die Welt mit Hilfe der Naturgesetzordnung aufzubauen und zum Funktionieren zu bringen. Dadurch kennen wir den Trick Gottes, und das Unerklärbare beschränkt sich auf die Entstehung der Naturgesetze, was man, wie Einstein und Spinoza, entsprechend dem Pantheismus als Gottes Offenbarung der gesetzlichen Harmonie des Seienden betrachten kann. Der Streitpunkt zwischen Wissenschaft und Religion ist nicht Gott, sondern nur, ob Gott ohne den Trick der Naturgesetze zaubern kann.

Gott als Machtmittel, um Menschen zu beeinflussen
Ein Gott, der wie beim Pantheismus alles bedeutet, eins mit Kosmos und Natur und damit auch im Inneren des Menschen zu finden ist, wird von fast allen Religionen nicht akzeptiert und als Missbrauch des Wort Gottes verurteilt – und gern als aufgepeppten Atheismus verhöhnt. Das zeigt mehr als deutlich, dass der Religionsgott nicht als Daseinserklärung dient, sondern als Machtmittel, um mit Zuckerbrot und Peitsche Menschen zu beeinflussen. Deshalb die Idee von Himmel und Hölle. Abgesehen von dieser Strategie der Belohnung und Strafe ist kein Zusammenhang mit Gott zu erkennen.

Der Glaube an Wunder blockiert die geistige Entwicklung
Früher waren noch Blitz und Donner unerklärbar. Hätten unsere Vorfahren solche Ereignisse als Wunder beurteilt, hätte sich der Mensch nicht vom Tier abgehoben. Auch würde der Geist eines Kindes im aktuellen Zustand verharren, wenn es seine Wahrnehmungen als Wunder betrachten würde. Der Glaube an Wunder entsteht erst später durch Gehorsam, Respekt, Verlockung oder Angsteinflössung. Viele schaffen aber diesen Schritt nicht, und so begründete z.B. Einstein seine Besonderheit damit, dass er noch nicht aus seiner Kindheit herausgewachsen sei.

Wunder sind einfach zu widerlegen
Vorgänge, die reproduzierbar sind oder sich regelmässig wiederholen, sind keine Wunder, weil sie nach Gesetzen der Natur funktionieren. Dabei ist eine Kenntnis der Naturgesetze nicht erforderlich. So ist z.B. die Regelmässigkeit der Vakuumfluktuation bereits ein Beweis, dass die Entstehung von Materie aus dem Nichts kein Wunder ist.

Auch Zufälle sind keine Wunder
Zufälle verhalten sich wie Wunder, sie sind weder nachvollziehbar noch reproduzierbar und folglich auch nicht vorhersehbar. Dies nährt den Verdacht eines überirdischen Einflusses, welcher meist als Glück oder Pech empfunden wird. Zufälle entstehen aber durch unbestimmbare Faktoren, die erklärbar sind. Beim Würfeln entsteht so die Zufallszahl wegen der unbestimmbaren Wurfbewegung. Weil aber die Wurfbewegung durch die Naturgesetze erklärbar ist, kann man alle überirdischen Einflüsse ausschliessen.

Auch Wunderheilung ist widerlegbar
Heilungsphänomene werden oft auf Wunder zurückgeführt. Aber die Placebo-Experimente, die von Scheinmedikamenten über Scheinbehandlungen bis zu Scheinoperationen reichen, zeigen deutlich, dass ein positiver Gemütszustand der Hoffnung die Ursache ist. Heute lässt sich dank moderner Technik die heilenden Botenstoffausschüttungen als Funktion des Gemütszustandes sichtbar machen. Die Heilwirkung erfolgt also durch eine erklärbare irdische Ursache und nicht durch eine unerklärbare überirdische. Der Glaube an ein Wunder kann jedoch die Hoffnung verstärken, was die Heilwirkung verbessert. Ein Vorteil, den man durch die Erkenntnis verliert.

Vorteil des Wunderglaubens
Hoffnung kann – wie oben begründet – heilen, die Gesundheit fördern, Leid mindern, aus der Verzweiflung helfen und motivieren. Solange die Hoffnung nicht erlischt, ist sie eine der besten Lebenshilfen. Dabei ermöglicht der Glaube an die Unsterblichkeit Hoffnung bis ans Lebensende, und mit dem Glauben an Wunder kann man aus jeder noch so aussichtslosen Situation Hoffnung schöpfen.

Das Beste für die Menschheit
Kant zeigte mit seinem Werk: «Die Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft», dass ein vernunftorientierter Religionsglauben das Beste für die Menschheit wäre. Aber leider berufen sich die Religionen auf historische Wundererzählungen und die Glaubensgelehrten streiten sich um Wahrheitsauslegungen, wobei ihnen das menschliche Wohl egal ist. Solange die Religionen aufs falsche Ziel setzen, können sie die Vorteile des Glaubens nicht nutzen.

Aber auch die Naturwissenschaften setzen aufs falsche Ziel
Wie herrlich und intellektuell spannend uns auch die Erkenntnis der Wirklichkeit erscheinen mag: Würden wir uns einseitig auf sie konzentrieren, würde dies zu einer trostlosen rationalen Erfassung unseres Daseins führen. Aber nur über die Wissenschaft kann man zur praktischen Vernunft gelangen und herausfinden, was für die Menschheit am besten ist.

Chancenlose Vernunftreligion
Weil es dem Glauben an Vernunft fehlt und der Vernunft am Glauben, können die Vorteile des Glaubens nicht genutzt werden. Deswegen hatte Kants Vernunftreligion keinerlei Chancen, und weil Kant wegen seiner Vernunft nicht an Gott glaubte, konnte auch er davon nicht profitieren.

Schlussfolgerung
Die Weichen, ob man fähig ist, an Wunder zu glauben, werden hauptsächlich in unserer Kindheit gestellt und es bleibt uns nichts anderes übrig, als aus dem, was man glauben kann, das Beste zu machen. Dabei bietet der Glaube an Wunder unbegrenzte Möglichkeiten, aber da er sich nicht nach der Vernunft richtet, kann er leicht in die Unvernunft abgleiten. Dann haben Macht- und Habgierige leichtes Spiel. Um Opfer zu vermeiden, scheint Aufklärung nach der Art von Hugo Stamm das Beste zu sein.

Die Welt geht unter, ganz bestimmt

Hugo Stamm am Freitag den 21. Dezember 2012
Szene aus Roland Emmerichs Film «2012». (Fot0:)

Das Ende naht, immer und immer wieder: Szene aus Roland Emmerichs Endzeitfilm «2012». (Fot0: Colombia)

Heute geht die Welt unter. Die Zeichen stehen auf Sturm. Esoteriker, die den heiligen Berg Pic de Bugarach in Südfrankreich belagern, wollen bereits Ufos gesichtet haben. Der markante Felsen, 1300 Meter hoch, weist eigenartige Schründe auf. Hangars für die unbekannten Flugobjekte, erklären Ufo-Experten. Damit sollen die Aliens Auserwählte abholen, damit sie die erwarteten Naturkatastrophen überleben und ein neues Zeitalter in spiritueller Eintracht begründen können.

Die Erde ist dem Untergang geweiht oder erlebt eine Wendezeit, weil der wichtigste Maya-Kalender ausläuft, erklären Apokalyptiker. Gleichzeitig bedroht uns ein unbekannter Planet. Was uns da erwartet, können wir in der Johannes-Offenbarung nachlesen: Das Tor zur Hölle öffnet sich.

Die persönliche Endzeit

Die endzeitgläubigen Apokalyptiker, Esoteriker und Verschwörungstheoretiker liegen mit ihren Prognosen nicht grundsätzlich falsch. Endzeit ist immer. Jeden Tag. Newtown erlebte sie beim Massaker in ihrer Schule. Anders Breivik setzte mit seinem Blutbad ein apokalyptisches Zeichen. Der Tsunami von Japan lieferte Bilder des Grauens. Die «Tagesschau» demonstriert uns fast täglich, dass irgendwo Endzeit ist. In Spitälern spielen sich dauernd Schicksale ab, hinter jeder Todesanzeige steckt eine persönliche Endzeit.

Nichts im Leben ist so sicher wie das Ende der Zeit. Die individuelle Apokalypse beginnt mit der Geburt. Das Bewusstsein von der Endlichkeit ist allgegenwärtig, begleitet uns wie ein Schatten. Das Ende kann mit dem nächsten Schritt oder Herzschlag eintreten.

Dramatische Bilder lösen Ängste aus und faszinieren uns gleichzeitig. Es gibt nichts Schaurig-Schöneres als Gemälde von der Endzeit, an der sich berühmte Maler in allen Epochen abmühten. Lebend in den Abgrund zu schauen, löst ein wohliges Gruseln aus. Wir fühlen uns selten so lebendig, wie wenn wir mit dem Grauen konfrontiert sind. Vor allem, wenn wir selbst verschont bleiben. Was uns abstösst, zieht uns magisch an. Ausserdem hat der Glaube an eine globale Apokalypse etwas Tröstliches: Wir teilen das Schicksal der ganzen Menschheit.

Auch die Medien mischen kräftig mit, wenn es darum geht, den Mythos vom auslaufenden Maya-Kalender ins kollektive Bewusstsein zu stanzen. Der Endzeit-Blockbuster «2012» von Roland Emmerich hat in den USA Massenhysterien ausgelöst. Das mediale Gewitter entfaltet eine magische Wirkung, die normative Kraft der Begriffe «Weltuntergang» und «Apokalypse» ist beträchtlich. Die Massensuggestion entfaltet enorme Energie. Deshalb machen auch nach unzähligen Endzeit-Pleiten immer wieder neue Szenarien die Runde.

Wildes Konstrukt von Absurditäten

Die Propheten liegen also nicht falsch, wenn sie vielfältige Zeichen der Endzeit erkennen. Bemühen sie aber die Maya und astronomische Phänomene, um ihre Prognosen zu untermauern, machen sie eine schlechte Figur. Nennen sie gar konkrete Daten für die Endzeitstürme, werden sie zu apokalyptischen Brandstiftern. Dann brennt ihr prophetisches Temperament mit ihnen durch, und die Sehnsucht nach der Endzeit bestimmt ihren Fahrplan.

Würden sie sich bei ihren Prognosen und Spekulationen um Fakten kümmern, müssten sie ihre Endzeitbühne sofort abbrechen. Stattdessen ergötzen sie sich im Welttheater an der Angst sensibler und psychisch belasteter Menschen, geniessen ihre Rolle als vermeintlich hellsichtige Propheten und machen gute Geschäfte mit dem Mythos des Maya-Kalenders. Sie verkaufen Bücher über den Weltuntergang, Plätze in Archen und Atombunkern, Überlebenskits, Reisen zu Kraftorten usw. Selbst die Migros ist auf das Endzeitzüglein aufgesprungen und propagiert – wenn auch ironisch – in ganzseitigen Inseraten ihre Schokolade: «Am 21. Dezember ist Weltuntergang. Greifen Sie zu, der Sommer kommt ja nicht mehr.»

Bei näherem Hinsehen entpuppen sich alle Prophezeiungen rund um den Maya-Kalender und die angeblich bedrohlichen astronomischen Ereignisse aber als wildes Konstrukt von Absurditäten. So läuft der Maya-Kalender «Lange Zählung» nicht heute aus. Vielmehr geht die 13. Periode zu Ende und die 14. beginnt. Es ist wie bei unserem Kalender: Am Tag nach dem 31. Dezember 1999 begann das 21. Jahrhundert. Die Maya haben auch nie von einem Weltende gesprochen.

Auch bei den astronomischen Phänomenen, die sich in diesen Tagen ereignen sollen, haben sich die Esoteriker und Apokalyptiker tüchtig verhauen. So berichten sie seit Jahren von einem geheimnisumwitterten unbekannten Planeten, Nibiru genannt, der in diesen Stunden grosses Unheil anrichten soll. Auch in diesem Punkt sind die Apokalyptiker inzwischen als Fantasten entlarvt, denn der unbekannte Planet müsste von blossem Auge erkennbar sein. Ausserdem besteht kein Zusammenhang zwischen dem Maya-Kalender und den aktuellen astronomischen Phänomenen.

Ein Rechnungsfehler

Vielleicht haben sich Apokalyptiker und sensible Leute ohnehin vergeblich geängstigt. Wissenschaftler vermuten, dass beim Abgleichen des Maya-Kalenders mit unserer Zeitrechnung ein Fehler passiert ist und die «Lange Zählung» erst in 200 Jahren ausläuft. Doch auch diese fundamentale Endzeitpleite wird die Apokalyptiker nicht daran hindern, Ausschau nach dem nächsten Ereignis zu halten, das das Potenzial hat, als erfolgreiche Endzeitmatrix zu dienen. Offenbar brauchen wir Menschen das apokalyptische Gruseln.

Die Massensuggestion hat enorme Energie. Darum kursieren immer wieder neue Endzeit-Szenarien.

Arbeiter liessen sich aus Aberglauben erschiessen

Hugo Stamm am Freitag den 19. Oktober 2012
Hielten sich für unverwundbar: Streikende Minenarbeiter im Visier der Polizei. (Bild: Reuters)

Hielten sich für unverwundbar: Streikende Minenarbeiter im Visier der Politei. (Bild: Reuters)

Am 16. August starben bei einem Streik in der Platinmine Marikana in Rustenburg, Südafrika, 34 Arbeiter im Kugelhagel der Polizei. Die Polizisten beriefen sich auf Notwehr, Beobachter erzählen aber, dass die Streikenden wie streunende Hunde abgeknallt worden seien. Überraschend war, dass die Arbeiter wenig Respekt vor den Polizisten zeigten, die mit dem Gewehr im Anschlag vorrückten.

Untersuchungen zeigen nun, dass die Arbeiter glaubten, sie seien unverwundbar. Sie hatten an einem sogenannten Muti-Ritual teilgenommen. Dabei verabreichte ein Sangoma, ein Medizinmann oder Geistheiler, den Arbeitern eine Tinktur, die ihnen aussergewöhnliche Kräfte und Fähigkeiten verleihen sollte. Der Heiler ritzte ihre Haut und träufelte die braune Flüssigkeit in die Wunde. Im Fall des Streiks versprach ihnen der Sangoma, sie würden unverwundbar und unverletzlich. Deshalb stellten sich die Minenarbeiter mutig den bewaffneten Polizisten. Erst als mehrere Arbeiter von Schüssen niedergestreckt zu Boden fielen, erkannten ihre Kollegen die Gefahr und flüchteten.

Nun müsste man meinen, die überlebenden Arbeiter hätten den faulen Zauber des Rituals durchschaut und sich den Sangoma vorgeknüpft. Doch weit gefehlt. Die Mineure erklärten bei der Untersuchung, ohne das Muti-Ritual wären noch viel mehr Kumpel gestorben.

Das ist ein klassischer – und leider tragischer – Fall von Aberglauben. Um die Menschen vor solchem Unsinn zu schützen, hilft nur die Aufklärung. Man muss die Welt hinter den Dingen nüchtern analysieren, um sich von unheilvollen Vorstellungen befreien zu können. Diese Befreiung wirkt dann tatsächlich befreiend: Man ist nicht mehr abhängig von irrationalen Vorstellungen und Ängsten.

Eine solche Aufklärung wird im südlichen Afrika allerdings noch viel Zeit beanspruchen, bis sie erste Wirkungen zeigt. Rund 80 Prozent der schwarzen Südafrikaner suchen bei Problemen regelmässig Wunderheiler auf, deren Zahl auf 20’000 geschätzt wird.

Man hüte sich aber, mit dem Finger auf die schwarzen Südafrikaner zu zeigen. Viele Rituale, Heilsversprechen und Lehrsätze der Esoterik stecken ebenfalls voll von Aberglauben, dem grosse Bevölkerungskreise anhängen. Mit dem einzigen Unterschied, dass unser Aberglaube etwas zivilisierter und subtiler ist.

Christliche Fanatiker provozieren Islamisten

Hugo Stamm am Freitag den 14. September 2012
Demonstranten vor den US-Botschaft in Kairo. (Foto: Keystone)

Religion birgt grosses Gewaltpotenzial: Demonstranten vor den US-Botschaft in Kairo, 12. September 2012. (Foto: Keystone)

Der Film «Die Unschuld der Muslime» ist ein dümmliches, demagogisches Machwerk. Er ist einzig und allein darauf angelegt, die islamische Welt zu provozieren und das Blut der Islamisten in Wallung zu bringen. Der plumpe Trick hat funktioniert: Das Attentat in Benghazi, die Angriffe auf die US-Botschaften in Jemen und Ägypten, die Demonstrationen in der islamischen Welt demonstrieren es. Die Filmemacher haben also ihr schäbiges Ziel erreicht. Bleibt nur zu hoffen, dass es nicht zu einem Flächenbrand kommt.

Islamkritik in Ehren, doch der Film transportiert primitivste Metaphern. Der junge Mohamed wird von den Dienern konsequent als Bastard bezeichnet. Er wird gezwungen, eine Frau zwischen den Beinen zu lecken. Einen Esel tauft er zum «ersten muslimischen Adam». Als er den Koran in Auftrag gibt, verlangt er einen Aufguss aus der jüdischen Thora und dem Neuen Testament. Was bedeutet: Der Islam ist ein dürftiges Plagiat der jüdischen und christlichen Heilslehre. Im Film steht die Forderung im Raum, der Koran soll Sex mit Kindern erlauben und die Pädophilie dulden.

Wer sind die Brandstifter? Regisseur Sam Bacile behauptet, er sei israelischer Jude und habe von 100 jüdischen Spendern 5 Millionen Dollar erhalten. Doch so genau weiss das niemand, denn ein Regisseur mit diesem Namen gibt es nicht. Höchstwahrscheinlich versteckt sich dahinter der koptische Christ und vorbestrafte Checkbetrüger Nakoula Basseley. Eine wichtige Rolle bei der Filmproduktion spielt auch Steve Klein, ein evangelikaler Freikirchler. Zu den Anschlägen sagte dieser: «Es hätte nicht besser laufen können, um der Welt zu zeigen, wie gefährlich Muslime sind.» Übrigens: Der Film hat höchstens 100’000 Dollar gekostet.

Hier sind fanatische Christen auf dem modernen Kreuzzug. Wieder einmal zeigt sich: Religion birgt ein grosses Gewaltpotenzial. Deshalb muss der Glaube domestiziert und zivilisiert werden. Sonst besteht die Gefahr, dass er Unheil anrichtet. Vor allem muss sich die Gesellschaft säkularisieren, was bei uns mit der Trennung von Kirche und Staat ein Stück weit erreicht worden ist.

Zivilisieren muss sich aber besonders der Islam. Während in der westlichen Welt die meisten Leute gelassen auf religiöse Provokationen reagieren und lediglich christliche Fundamentalisten als Hardliner auftreten, steckt in der islamischen Welt die Säkularisierung noch in den Anfängen.

Wir verdanken den Fortschritt in der westlichen Welt vor allem der Aufklärung und den Geisteswissenschaften, die sich kritisch mit allen Lebensbereichen auseinandersetzen und die geistige Emanzipation förderten. Die islamischen Gesellschaften haben bis heute die Aufklärung verpasst. Deshalb kann sich die Politik nicht von den religiösen Einflüssen befreien. Die Wahlerfolge der Muslimbrüder in verschiedenen arabischen Ländern zeigen es. Aber auch die fanatischen Reaktionen auf einen plumpen Film christlicher Fundamentalisten.

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Mit Jenseitskontakt auf Mördersuche

Hugo Stamm am Montag den 18. Juni 2012
Jennifer Love Hewitt.

Die Hamburger Polizei befragte mithilfe eines Mediums gleich das Mordopfer selbst: Jennifer Love Hewitt (r.), Hauptdarstellerin der Serie «Ghost Whisperer», hört Stimmen aus dem Jenseits. (Bild: CBS)

Jahrelang tappte die deutsche Polizei bei der Aufklärung einer Mordserie an acht Türken und einem Griechen im Dunkeln. In ihrem Dilemma griff die Hamburger Polizei auf die Hilfe eines iranischen Geisterbeschwörers zurück, der sich Metaphysiker nennt, wie Polizeidokumente zeigen.

Der Iraner bot den Polizisten 2008 an, über ein geistiges Medium Jenseitskontakt mit dem 2001 ermordeten Türken Süleyman T. aufzunehmen und auf diesem Weg Informationen über dessen Mörder zu erhalten. Die Beamten gingen auf den Deal ein, wollten aber kein Honorar zahlen. Immerhin stellten sie ihm die Belohnung von 300’000 Euro in Aussicht, falls seine Hinweise zur Verhaftung der Täter führten. «Versuch macht klug, und verlieren können wir letztlich nichts», notierte ein Polizist, wie «Spiegel online» berichtet.

Über drei Monate präsentierte der Iraner seine übersinnlichen Ermittlungsergebnisse der Polizei. Er habe 15 Minuten lang geistigen Kontakt mit dem Ermordeten aufbauen können, sagte er. Der Mord sei nicht geplant gewesen, Drogen hätten ein Rolle gespielt, und Süleyman T. habe Kontakt mit einer Rockerbande gehabt. Sogar Namen lieferte der Iraner. Ein Bandenmitglied heisse Amin oder Armin, ein anderes Mustafa. Der «Metaphysiker» präsentiert auch ein Signalement des Täters. Dunkler Teint, braune Augen, schwarze Haare. Der Mörder sei sehr jung, vermutlich ein Türke. Die Angaben schienen den Polizisten plausibel, sie glichen die Angaben mit ihrem Informationssystem ab.

Seit der kürzlichen Verhaftung der Mörder aus dem Umfeld des «Nationalsozialistischen Untergrunds» ist klar, dass der Iraner eine kapitale Fehlprognose lieferte und die Hamburger Polizei sich mit ihren Voodoo-Methoden grandios blamierte. Der Spur in die rechtsextreme Szene sei die Polizei nicht nachgegangen, ärgert sich der zuständige Bundestagsabgeordnete Sebastian Edathy, dafür habe sie sich auf Angaben eines Geisterbeschwörers gestützt.

Soweit die absurde Geschichte. Sie ist ein Beispiel, wie leichtgläubig viele Menschen sind, sogar hochrangige Polizisten. Bei Vorträgen oder bei der Aufklärungsarbeit höre ich immer wieder den Spruch: Es ist unglaublich, wie doof manche Leute sind. Und rasch schieben diese Personen nach: Mir könnte so etwas nie passieren, ich würde mich nicht erwischen lassen.

Die Erfahrungen zeigen aber ein anderes Bild. Viele Menschen sind erstaunlich leicht beeinflussbar. Wer hat nicht schon Dinge gekauft, die er nicht brauchen konnte, nur weil der Verkäufer oder «Hausierer» mit seinem Mundwerk uns geschickt beeinflusste und ein Bedürfnis weckte, das in Wirklichkeit gar nicht existierte?

Viele Glaubensgemeinschaften und Sekten sind wahre Meister in dieser windigen Disziplin. Ihre Missionsbestrebungen zielen darauf ab, uns einzulullen, zu verwirren, unser Koordinatennetz auszuradieren, so dass wir in unserer Verunsicherung Dinge und Glaubensinhalte akzeptieren, die wir in einer ruhigen Minute nicht annehmen würden.

Tatsächlich macht Aberglaube vor kaum etwas oder jemandem Halt. Nur wenn wir uns bewusst sind, wie leicht die meisten verführbar und beeinflussbar sind, können wir Abwehrstrategien zum Voraus entwickeln, um die Missionstechnik rasch zu erkennen und reflexartig abzuwehren. Wer vorbereitet ist und die Gefahren intuitiv erkennt, kann die Vereinnahmungsversuche am besten durchschauen und sich rechtzeitig wappnen.

Verhalten sich Freikirchen sektenhaft?

Hugo Stamm am Freitag den 14. Oktober 2011

Auch ihre Geschichte ist eine Frage der Interpretation: Adam und Eva als nicht offizielle Playmobil-Figuren eines deutschen Pfarrers.

Reinhold Bernhardt, evangelischer Theologieprofessor an der Uni Basel, kritisierte in der christlichen Zeitschrift «Idea/Spektrum» die Freikirchen, speziell auch ihr Bibelverständnis. Die Kritik an den Freikirchen veranlasste Armin Mauerhofer, eine scharfe Entgegnung zu formulieren. Mauerhofer lehrt an der Staatsunabhängigen Theologischen Hochschule Basel, an der vor allem freikirchlich orientierte Gläubige studieren. Die Standpunkte der beiden Professoren zeigt, wie weit selbst bei Experten die Meinungen und Ansichten zum christlichen Glauben auseinanderdriften. Hier eine Zusammenfassung der Argumente der beiden Theologen.

Ausgelöst hat die Debatte in «Idea/Spektrum» ein Interview, das Bernhardt der «Badischen Zeitung» (Freiburg) gegeben hatte. Darin kritisierte der Basler Professor, Freikirchen verhielten sich teilweise sektenhaft und betrieben einen «Missbrauch der Bibel». Sie würden ausblenden, dass «zwischen der biblischen Überlieferung und heute 2000 Jahre liegen».

Weiter kritisiert Bernhardt, dass Freikirchen hoch selektiv mit der Bibel umgehen würden. Sie würden diejenigen Stellen herausgreifen, die in ihr Glaubensbild passten, «und sie dann nach dieser Formatvorlage auslegen». Dazu zitiert er den jüdischen Religionsphilosophen Martin Buber: «Wer die Bibel wörtlich nimmt, der nimmt sie nicht ernst.»

Die Botschaften in vielen Freikirchen sind seiner Ansicht nach ziemlich schlicht. Ausserdem werde unterschwellig Angst geschürt, vom rechten Weg abzukommen. Sektenhaft würden Freikirchen, wenn Gemeindeleiter versuchten, die Gläubigen an ihre Gemeinde zu binden, etwa durch repressive Formen der Sozial-, Moral-, Glaubens- und Gesinnungskontrolle. Bernhardt warnt vor der «Verflachung der christlichen Botschaft zu einem religiösen Konsumartikel».

In seiner Entgegnung hält Armin Mauerhofer fest, dass es gar keine andere Möglichkeit gebe, «den tieferen Sinn der Bibel zu erfassen, als sie wörtlich zu verstehen». Wenn man sich davon löse, seien unendlich vielen spekulativen Auffassungen, wie der Text zu verstehen sei, Tür und Tor geöffnet. Durch die historisch-kritische Bibelauslegung würden heute Theologen den Sinn des Textes selber festlegen.

Dies kann laut Mauerhofer zu einer «existenzialen, feministischen, tiefenpsychologischen oder materialistischen» Bibelinterpretation führen. «Die Theologen sagen den Bibellesern, wie sie die Bibel zu verstehen haben», so der Professor, der selbst Pastor einer evangelikalen Freikirche ist. Dies führe letztlich zu einer Bevormundung.

Die schlichten Auslegungen des göttlichen Wortes in den Freikirchen seien ihm lieber als die selbst gebastelten theologischen Auffassungen in vielen Kirchen, mit denen niemand etwas anfangen könne. Gerade deshalb seien heute, so Mauerhofer, viele Kirchen leer.

Maya: Kein Weltuntergang in Sicht

Hugo Stamm am Sonntag den 21. August 2011
Der Weltuntergang ist abgeblasen: Illustration der Kollision von Mond und Erde.

Der Weltuntergang ist abgeblasen: Illustration einer möglichen Kollision von Mond und Erde.

Obwohl der Maya-Kalender ausläuft, besteht kein Grund zur Panik, sagten vier Nachfahren der Maya gestern im Zürcher Kongresshaus. Dann beteten sie zusammen, damit die Welt schneller heil wird.

Das Zürcher Kongresshaus war am Donnerstagabend fest in der Hand von Esoterikanhängern. Die spirituellen Sucher füllten den grossen Saal und harrten vier Stunden aus, um von Maya-Ältesten zu erfahren, was es mit dem ominösen Datum vom 21. Dezember 2012 wirklich auf sich hat. An diesem Tag läuft einer der Maya-Kalender aus, verbunden mit apokalyptischen Katastrophen. So verkünden es zumindest viele Endzeitpropheten und Esoteriker. So suggeriert es auch der Untergangsthriller «2012» von Starregisseur Roland Emmerich.

In einem Punkt waren sich die vier Maya-Ältesten Juan Camaja, Cutzal Mijango, Elizabeth Araujo und Vilma Cristina aus Guatemala und El Salvador einig: Die Welt wird Ende nächsten Jahres nicht untergehen, wenn die 5200-jährige Epoche endet. Die Zeitrechnung beginne einfach wieder von vorn. Einig waren sich die Nachfahren der Maya auch, dass grosse Veränderungen anstehen. Die Menschheit werde sich auf neue spirituelle Werte besinnen und einen Weg in die Harmonie finden.

Um die Entwicklung zu beschleunigen, beteten die Kongressbesucher gemeinsam zum Schöpfer des Universums; auf Geheiss von Elizabeth Araujo gaben sie sich alle die Hände.

Liebe, Harmonie, Kosmos

Der Informationsgehalt der Reden der vier Maya, die von Esoterikveranstaltung zu Esoterikveranstaltung gereicht werden, hielt sich in Grenzen. Auch ihre spirituellen Botschaften blieben auf einer bescheidenen Ebene stecken: In jedem zweiten Satz war unspezifisch von Liebe, Harmonie, spiritueller Energie und Kosmos die Rede. Die Hunderten von Zuhörern warteten vergeblich auf die versprochenen neuen Fakten über den Zeitbegriff der Maya, ihre 20 Kalender, ihre Tradition und Kulturen. Das lag wohl daran, dass die ursprünglichen Maya vor 1000 Jahren ausgestorben sind und nur wenige Zeugnisse hinterlassen haben. Ausserdem wurden ihre Hieroglyphen erst um 1980 von westlichen Forschern entziffert.

Das hielt Grandmother Elizabeth Araujo nicht davon ab, die Gelehrten zu kritisieren und ihre Vorfahren zu verklären. Es stimme nicht, dass ihre Ahnen Menschenopfer dargebracht hätten. Diese seien sanfte, spirituell hoch entwickelte Wesen gewesen. Ihre Weisheit kehre in unseren Tagen zurück, ihre Prophezeiungen von einer harmonischen Welt würden sich nun erfüllen. Als Quelle ihrer Erkenntnisse gab sie mündliche Überlieferungen an. Nur: Die Nachfahren der Maya interessierten sich über Jahrhunderte nicht um die Traditionen ihrer Ahnen. Wohltuend aus dem Rahmen fiel Cutzal Mijango. Er prangerte die Unterdrückung der Maya-Nachfahren in Guatemala an. «Wir sind bei uns zu Hause nichts wert», sagte er, «in den Schulbüchern wird behautet, die Maya existierten überhaupt nicht.»

Vilma Cristina erklärte, ihr gesticktes Kopftuch stelle eine Schlange mit Flügeln dar und schaffe eine Verbindung von den Haaren zum Kosmos. Dies gebe einer Frau Kraft. Würde sie die Haare schneiden, gehe die kosmische Energie verloren. Für ihre Spiritualität sei es wichtig, dass sie den Kalender ihrer Vorfahrern benutzen könnten. Schade nur, dass die unterprivilegierten Maya, von ihren Landsleuten abschätzig Indios genannt, den Kalender kaum kennen.

Aliens im Anflug auf die Erde

Hugo Stamm am Donnerstag den 4. August 2011
Die Sehnsucht nach Aliens ähnelt der Sehnsucht nach Gott: Imaginierte Ufo-Landung.

Die Sehnsucht nach Aliens ähnelt der Sehnsucht nach Gott: Imaginierte Ufo-Landung.

Erich von Däniken ist einer der erfolgreichsten Schweizer Autoren – zumindest wenn man den Erfolg an den Auflagen misst. Er beweist, dass die Frage nach ausserirdischem Leben viele Menschen fasziniert. Der Gründer des Mysteryparks in Interlaken – für einmal keine Erfolgsstory – sucht in alten Kulturen Dokumente, Monumente und Spuren, die seine These stützen, dass früher Aliens oder ETs unseren Planten besucht haben. Das sind zwar reine Spekulationen, doch von Däniken liefert zumindest interessante archäologische Hinweise. Die grosse Gemeinde der Ufo-Fans klammert sich dagegen nur an unscharfe Fotos von vermeintlichen fliegenden Untertassen und an «Erfahrungsberichte» von Menschen, denen Aliens im Schlaf begegnet sind.

Sind die Spekulationen über ausserirdisches Leben reine Phantasmen? Kaum. Allein die Wahrscheinlichkeitsfrage zeigt, dass Leben auf andern Gestirnen möglich ist. In unserem Sonnensystem existieren mehrere hundert Milliarden Sterne. Und es gibt Milliarden von Galaxien. Es ist fast nicht denkbar, dass da draussen im All nicht irgendwo Leben entstanden ist, denn es gibt mit Sicherheit viele Gestirne, die ähnliche Lebensbedingungen aufweisen wie die Erde.

Die Frage ist nur: Was für ein Leben? Ufo-Fans und von Däniken gehen von menschenähnlichen Aliens aus. Als Menschen können sie nicht anders, als sich die Ausserirdischen nach ihrem Ebenbild zu schaffen. Es ist das gleiche Phänomen wie bei den monotheistischen Religionen: Die Menschen haben Gott auch nach ihrem Ebenbild geschaffen.

Ausserirdisches Leben kann sich aber auch nach ganz anderen Kriterien entwickeln. Vielleicht ist es ein Leben, das auf andern chemischen Bausteinen beruht, das nicht auf Kohlenstoff basiert und nicht auf Zellen aufbaut. Vielleicht funktioniert die Energieversorgung nicht über eine Lichtquelle oder einen Stoffwechsel. Vielleicht sind es Wesen ohne Bewusstsein, die nur «niedrige» Lebensformen entwickeln. Vielleicht haben die Aliens zehn Köpfe oder bestehen nur aus einem Hirn.

Früher suchten die Ufo-Gläubigen ihre Artgenossen auf dem Mond oder einem unserer Planeten. Astronomie und Weltraumforschung haben ihre Illusionen zerstört: Hochentwickeltes Leben ist da nicht zu finden, weil es kein Wasser gibt oder weil es zu heiss oder zu kalt ist. Als die Wissenschafter immer weiter ins All vordrangen und keine Anzeichen von Leben fanden, mussten die «Ufo-Forscher» ihre stümperhafte Suche ausweiten.

Dabei verstrickten sie sich in einen unlösbaren Widerspruch: Wie kann ein Alien nachts eine Frau in ihrem Bett vergewaltigen – das ist ein reales Beispiel, das Ufo-Gläubige immer wieder kolportieren -, das eigentlich Hunderte von Lichtjahren entfernt wohnt? (Es wäre zumindest ein aufwändiges Sexabenteuer.) Wie sollen Ausserirdische uns Menschen entführen? Das alles ist Stoff für die Verschwörungstheoretiker, die behaupten, Regierungen würden Fakten unterdrücken, die den Besuch von Ausserirdischen beweisen würden.

Ufo-Fans bleiben bei allen wissenschaftlichen Erklärungen bei ihren Spekulationen und greifen zu kuriosen Ausflüchten: Ausserirdische werden sehr alt; Fremde Intelligenzen haben technische Möglichkeiten entwickelt, um mit Lichtgeschwindigkeit zu uns reisen; sie überwinden endlose Distanzen durch Bilokation oder Entmaterialisation.

Das alles ist Humbug. Auch von Däniken hat keine plausible Erklärung, wie die Aliens früher zu uns gekommen sein sollen. Er glaubt, dass unsere Vorfahren aus der Steinzeit in den Aliens Götter gesehen haben. Und Götter haben bekanntlich eine unerschöpfliche Trickkiste.

Fazit: Viele Menschen lassen sich nicht von Vernunft und Verstand leiten, wenn es um religiöse, pseudoreligiöse, spirituelle Fragen oder Science-Fiction-Ideen geht. Dann bestimmen Sehnsüchte, Ängste, Hoffnungen und Erwartungen das «Denken». Viele Menschen werden Spielball unbewusster Kräfte und erleiden Wahrnehmungsverschiebungen und Realitätsverluste. Wer sich in Scheinwelten flüchtet, ist manipulierbar und droht, die geistige Autonomie zu verlieren.

Showheilung im Hallenstadion

Hugo Stamm am Dienstag den 7. Juni 2011

Die meisten religiösen und spirituellen Heilstheorien und Glaubenskonzepte befassen sich intensiv mit dem Thema Krankheit und Heilen. Krankheiten passen schlecht ins Bild einer von Gott oder einer geistigen Hierarchie bestimmten Ordnung. Deshalb müssen religiöse und spirituelle Führer der Krankheit eine religiöse Funktion zuordnen: Krankheit kann und darf kein Zufall sein in einer von Gott geschaffenen „guten“ Welt. Deshalb müssen Heilslehren eine Antwort geben: Weshalb werden Menschen krank? Welche Bedeutung hat das Leiden aus Sicht des Glaubens?

Krankheit auf eine körperliche Fehlfunktion zu reduzieren, wollen radikale Prediger, Geistheiler und Esoteriker nicht akzeptieren. Für sie hat das Leiden nicht nur eine physische oder psychosomatische Komponente, sie verknüpfen sie mit dem Glauben: Krankheiten sind eine Prüfung, eine Strafe, eine Chance, das Leben nach religiösen Prinzipien zu ordnen, wie wir bei der letzten Diskussion gesehen haben.

Ein klassisches Beispiel ist der deutsche Prediger und Missionar Reinhard Bonnke. Der Star unter den christlichen Heilern, der in Afrika schon vor einem Millionenpublikum Blinde angeblich sehend gemacht und Lahme zum Laufen gebracht hat, tritt am kommenden Samstag im Hallenstadion auf. Eingeladen hat ihn Leo Bigger, Chef des International Christian Fellowship ICF. Bigger leistet sich einen Grossevent zum 15. Geburtstag seiner charismatischen Freikirche, die inzwischen 40 Ableger hat. Indem Bigger Reinhard Bonnke einlädt, zeigt er sein wahre Gesinnung: Bonnke ist selbst in freikirchlichen Kreisen umstritten, denn seine „Heilungen“ sind zweifelhafte Shows auf Kosten von Kranken und Verzweifelten.

Heute Abend diskutiert der Club über Bonnke und Bigger, an der ich auch beteiligt bin: http://www.sendungen.sf.tv/club/Sendungen/Club

Einen guten Einstieg ins Thema bietet die Sendung Rundschau: http://www.videoportal.sf.tv/video?id=8bd2967b-2172-45c3-b508-fc488fbe093e

Quantenmedizin: Wissenschaftliche Methode oder Hokuspokus??

Hugo Stamm am Donnerstag den 17. März 2011
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Die Grundlage der Quantenmedizin wird von einem amerikanischen Anbieter visualisiert.

Zur Praxiseröffnung schaltete der Zürcher Mediziner Matthias Wissler ein Inserat. Darauf sind geheimnisvolle Weiterbildungen aufgelistet: Matrix Energetics, EFT, CQM und Yuen-Methode. Es handle sich dabei um Quantenmedizin, steht im Begleittext – was nicht zufällig an Quantenphysik erinnert. Das hat Methode. Mit solch pompösen Begriffen geben sich alternative Therapien, die sich nicht wissenschaftlich verifizieren lassen, einen pseudowissenschaftlichen Anstrich. Heiler und Naturärzte suggerieren, ihre Therapien seien modern und wissenschaftlich revolutionär. Werden sie von einem Arzt wie Matthias Wissler angeboten, wird an ihrer Wissenschaftlichkeit kaum mehr gezweifelt.

Darauf setzt die deutsche Firma Quantendoc: «Quanten- und Informationsmedizin ist eine therapeutische Neuentwicklung, die auf den Erkenntnissen der Quantenphysik beruht», schreibt sie. Bakterien, Viren, Umweltgifte, Elektrosmog und psychosoziale Faktoren würden das Quantenfluktuationsfeld stören und verändern. Die Quantenmedizin spüre diese Hintergrundinformationen auf und lösche sie, wird behauptet. Dies ermögliche Heilungen bei chronischen und akuten Krankheiten.

Der virtuelle Doktor

Dann lässt Quantendoc die Katze aus dem Sack: Die Quantenmedizin habe sich aus der traditionellen chinesischen Medizin (TCM), Homöopathie und Bioresonanztherapie entwickelt. Das sind Alternativmethoden. Angereichert worden seien diese Therapien mit Forschung der russischen Raumfahrttechnologie, Quantenphysik, Biophotonenforschung, Zellbiologie usw.

Quantendoc bietet seine «Medizin» als eine Art Fernheilung «durch Informationstransfer auf dem Weg der Quantenphysik» an. Der virtuelle Doktor benötigt nur ein Foto, das Geburtsdatum, den Wohnort und eine kurze Beschreibung des Leidens. Ein Gesundheitsabo in der Testphase kostet ab 72 Euro pro Monat, also rund 95 Franken.

Was sagt der Zürcher Arzt Matthias Wissler dazu? «Diese Art der Medizin versucht sich durch quantenphysikalische Modelle zu erklären. Es geht im Grunde darum, auf der Informationsebene, im morphischen Feld einer Person, neue Möglichkeiten zu integrieren.» Wobei der Arzt betont, dass es sich um Modelle handelt, deren Wirksamkeit noch nicht schlüssig bewiesen wurde. «In der Praxis haben sich die Methoden jedoch bewährt – gerade auch in Kombination mit der Schulmedizin.»

Zum Umfeld der Quantenmedizin gehört auch die Matrix Energetics. An den Seminaren kann jedermann teilnehmen und erhält nach kurzer Ausbildung ein Diplom. Und das deutsche Institut Heede, das auch in Thalwil Seminare anbietet, ködert neue Kunden mit einem Erlebnisabend. «Erleben Sie selbst die universellen Energien.» Im Anschluss kann man das Seminar beginnen. Es gibt drei Level zu je zwei Tagen und 595 Franken pro Stufe. Und schon kann er sich eine neue Visitenkarte drucken lassen: Hans Muster, Quantenmediziner.