Ein Gastbeitrag von Marcel Mertz*
In diesem Blog wurde die Religion als Basis für eine Ethik schon oft kritisiert. Dabei haben diese Kritiken unterschiedliche Stossrichtungen: dass Religion zwar eine Ethik biete, diese aber selber ethisch fragwürdig sei; dass sich religiöse Personen nicht an die eigene Ethik hielten; oder dass, weil Religion erkenntnismässig unhaltbar sei, auch jede darauf basierende Ethik zwangsläufig unhaltbar sein müsse.
Diese dritte Kritik soll im Folgenden der Ausgangspunkt dieser Abhandlung darstellen. Als Alternative zu einer religiösen Ethik wird im Blog oft ein Naturalismus angeboten: die Auffassung, dass es nur natürliche, keine übernatürlichen Dinge gibt (sog. ontologische Annahme), dass vor allem die Naturwissenschaften, wenigstens die empirischen Wissenschaften, diejenigen Instanzen sind, die bestimmen können, was es wie gibt (sog. erkenntnistheoretische Annahme) und dass es einen gangbaren Weg von empirischer Erkenntnis zu normativer Begründung gibt – also der Begründung von dem, was wir tun sollen, woran wir uns halten oder orientieren sollen usw. (sog. methodologische Annahme).
Die These, die ich hier skizzenhaft diskutieren möchte, ist diejenige, dass der Naturalismus als Alternative zu einer religiösen Ethik in einem Trilemma endet: a) entweder muss er die Begründung einer Ethik insgesamt aufgeben; b) er muss eine (natur-)wissenschaftliche Begründung anbieten, die aber höchst problematisch ist und meistens auf Mittel-Zweck-Begründungen hinausläuft (bei der die Richtigkeit ethischer Normen usw. bereits vorausgesetzt werden muss); oder c) für die Begründung einer Ethik muss er seine erkenntnistheoretischen und methodologischen Annahmen aufgeben (oder wenigstens abschwächen), sodass gegebenenfalls auch ein strikter, konsequenter Naturalismus aufgegeben werden muss.
Ad a) Da keine (natur-)wissenschaftliche Ethik möglich ist, und nur (Natur-)Wissenschaften erkenntnistheoretisch in der Lage sind, zu bestimmen, was wahr und falsch ist, somit zu Begründungen fähig sind, ist es auch nicht möglich, eine Ethik zu begründen. Ethik ist daher entweder eine Sache der willkürlichen Entscheidung (sog. Dezisionismus) oder nur Ausdruck von subjektiven Gefühlen (sog. Emotivismus). Das Problem hierbei ist, dass es völlig willkürlich wird, welche Ethik man vertritt. Man kann dadurch nicht mehr zeigen, dass eine zum Beispiel humanistisch orientierte Ethik «besser» ist als eine religiöse oder dass die Menschenrechte «richtig» sind. Tatsächlich verliert man hier als Naturalist sämtliche Ressourcen, um religiöse Ethik inhaltlich auf objektiver Basis kritisieren zu können.
Ad b) Ein Ausweg aus diesem Problem wäre offenbar: Bestreiten, dass es keine (natur-)wissenschaftliche Ethik geben kann, beziehungsweise aufzeigen, wie Ethik (natur-)wissenschaftlich begründet werden kann (wie zum Beispiel sogenannte evolutionäre Ethik, bei der versucht wird, aus den Erkenntnissen der Evolutionsforschung «abzuleiten», was moralisch richtig und falsch ist usw.). Dies scheitert aber am sog. Sein-Sollen-Fehlschluss. Dieser besagt, dass nur aus dem, was ist, nicht abgeleitet werden kann, was sein soll. Nur aus empirischen Ergebnissen allein folgt nicht, was richtig oder falsch, was «gesollt» oder «nicht gesollt» sein soll; ein neuropsychologisches Experiment beispielsweise kann nur sagen, wie Menschen moralisch urteilen, welche Urteile sie für richtig halten und welche für falsch – nicht aber, ob deren Urteile nun richtig oder falsch sind. Wird der Sein-Sollen-Fehlschluss von Naturalisten akzeptiert, wird jedoch nicht selten die Begründung einer Ethik missverstanden: Sie wird dann auf eine Mittel-Zweck-Begründung reduziert (zum Beispiel «Wissenschaft kann zeigen, wie weniger Kinder mit Gendefekten geboren werden können»), wobei immer schon von der Richtigkeit des Zwecks (zum Beispiel, dass weniger Kinder mit Gendefekten geboren werden sollen) ausgegangen und dieser nicht mehr hinterfragt werden kann. Aber gerade das wäre die Aufgabe einer Ethik: Begründen, dass der Zweck richtig oder gut ist, und nicht nur die empirischen Mittel festlegen, wie der Zweck erreicht werden kann.
Ad c) Als dritte Option stünde nun als Ausweg zur Verfügung, einige der Annahmen des Naturalismus aufzugeben oder wenigstens abzuschwächen, um so eine Begründung einer Ethik zu ermöglichen. Die Annahme, dass es keine übernatürlichen Dinge geben kann, stellt dabei das Minimum dar, damit überhaupt noch sinnvoll von «Naturalismus» gesprochen werden kann. Jedoch ist dieses Minimum mit derart vielen ethischen Positionen verträglich – so mit fast allen Spielarten philosophischer Ethik –, dass es als konkrete Alternative zu einer religiösen Ethik nicht mehr viel aussagt. Auch wird nicht viel über die Begründungsmöglichkeiten ausgesagt, abgesehen von der Unmöglichkeit, die Begründung über übernatürliche Prinzipien oder über Metaphysik laufen zu lassen. Man müsste von einer «naturalistischen Ethik» demnach mehr verlangen können als nur den Verzicht auf Übernatürliches.
Oder es müssen einige der erkenntnistheoretischen und methodologischen Annahmen aufgegeben oder abgeschwächt werden: eine Erkenntnis über ethische Werte, Normen und Prinzipien, die eben nicht rein (natur-)wissenschaftlich möglich ist, muss irgendwie möglich gemacht werden.
Doch wie viele Annahmen darf man aufgeben, ohne auch den Naturalismus als konsequente Position aufgeben zu müssen? Muss man auf die Methoden der Naturwissenschaften pochen, um Naturalist sein zu können, oder darf man auch die Methoden der Sozialwissenschaften, ja sogar der Geisteswissenschaften berücksichtigen, obwohl diese ganz anders «funktionieren»? Darf man sogenannte transzendentale Begründungen zulassen (wie beispielsweise Kant beim Kategorischen Imperativ), die nichts mit den Begründungen, wie sie empirische Wissenschaften ermöglichen, zu tun haben? Muss man so etwas wie die alltägliche Lebenspraxis als Quelle der Begründung zulassen? Wie kann man, wenn man philosophisches Denken als «Methode» sowie normative Begründungen zulässt, diese mit den naturalistischen Erkenntnisidealen vereinbaren – welche Art von Erkenntnis kann eine solche «Methode» beanspruchen (denn naturwissenschaftliche Erkenntnis ist es freilich nicht)? Wie können, wenn man als Naturalist auf die Richtigkeit der Menschenrechte pocht (wie es hier im Blog des Öfteren getan wird), diese auf Basis des Naturalismus als «richtig» nachgewiesen werden – und nicht nur als willkürliche Vereinbarung, die im Prinzip auch anders aussehen könnte?
Sicher dürfte die dritte Option die vielversprechendste sein, um eine naturalistische Ethik zu begründen. Die Gefahr scheint aber, wie die Fragen oben beispielhaft illustrieren sollen, recht gross zu sein, eine ursprünglich «starke» Position zu verwässern oder sich Inkonsistenzen einzuhandeln, die man theoretisch irgendwie auflösen können muss. Denn kann man das nicht, läuft man Gefahr, je nachdem theoretisch inkonsistenter zu sein als das, was man kritisiert: eine religiöse Ethik.
*Marcel Mertz ist wissenschaftlicher Mitarbeiter an medizinethischen Instituten in Köln und Hannover. Nach einem Studium der Philosophie und Soziologie in Basel hat er in Mannheim mit einer Arbeit zum Verhältnis von empirischen Daten und (medizin-)ethischen Normen in Philosophie promoviert.
@Marcel Mertz
Dank viel mal für ihren Beitrag.
Ich gehe voll auf a): Naturalismus kann tatsächlich keine Begründung für Ethik geben. Sie kann aber sehr wohl als *Filter* dienen. Sie kann jede Begründung die aus Wissenschaftlichem Grund unhaltbar ist entlarven.
Mann muss sich dann natürlich fragen was rationelle ‘Begründung’ noch bedeuten kann. M.E. kann es nur bedeuten, dass man überhaupt bereit ist Gründe anzugeben, mit welchen man hoffen darf anderen überzeugen zu können. Und gerade dort bringt das naturalistische Filter natürlich schon Einiges.
Sie sagen die Alternative a) führe zu Dezisionismus oder Emotivismus. Ich denke aber, dass gerade in der Frage nach der Begründung die Antwort steckt. Begründung ist eine Aktivität die man gegenüber, oder lieber, *mit* seine Mitmenschen macht, um einen gemeinsamen Ethik zu finden. Das ist dann natürlich intersubjektiv, aber nicht willkürlich. Ich wüsste nicht welche Ethik höher sein kann, als Eine mit welche Allen übereinstimmen. Mehr liegt nicht drin. Wir sind Gott nicht.
Da wo empirische Wissenschaft sich gründen muss im Objekt dass sie studiert, da muss Ethik sich gründen in das Zusammenleben von Menschen. Dieses Zusammenleben ist veränderlich, und damit fällt auch die Idee weg, dass es eine Art Letztbegründung geben muss. Eine Ethik die sich aber an den Menschen die von dieser Ethik betroffen sind, und sie auch leben sollen, ist wohl kaum eine Ethik zu nennen.
Da fehlt natürlich etwas:
Eine Ethik die sich aber *nicht* an den Menschen die von dieser Ethik betroffen sind und sie auch leben sollen *orientiert*, ist wohl kaum eine Ethik zu nennen.
@Marcel Mertz
Ihre Ausführungen zur Ethik des Naturalismus sind gut durchdacht, doch Ihre Grundannahmen überzeugen mich nicht.
Ich bin mit Ihnen einverstanden, dass die Naturwissenschaften nicht begründen können , was ethisch richtig sein SOLL. Doch dies wollen die Naturwissenschaftler ja gar nicht begründen. Sie können hingegen beschreiben, welche Vorteile eine ethische Theorie hat. Sie können die Akzeptanz in der Bevölkerung und den evolutionären Erfolg von ethischen Normen prüfen. Sie können Widersprüche von philosophischen Theorien entlarven.
Sie setzen voraus, dass es eine einzig richtige Ethik geben muss. Auf die Frage, was ich tun soll, gibt es unzählige Antworten. Es geht nicht darum zu begründen, welche Ethik, welcher -ismus richtig oder gut ist und welcher falsch. Das scheint mir ein falscher Ansatz zu sein. Es ist so unsinnig, wie wenn man herausfinden möchte, was DIE richtige Kunst, DIE richtige Musik oder DIE richtige Architektur ist. Man kann nicht entscheiden, ob jetzt der Bauhausstil, der kritische Regionalismus oder der Brutalismus die richtige Architektur ist. An sich sagt die Etiquette sowieso noch nicht viel über die tatsächliche Qualität eines Werkes aus. Völlig unsinnig wäre aber auch die gegenteilige Behauptung, dass die Qualität einer Architektur eine willkürliche Entscheidung ist. Der Mensch entscheidet zwar häufig willkürlich, was ihm gefällt. Doch die Qualität des Werkes lässt sich auch noch in tausend Jahren überprüfen, ohne Rücksicht auf die damalige Mode. Gewisse Kriterien sind universell: z.B. Kohärenz, Harmonie, Übereinstimmung von Form und Inhalt, Effizienz der Mittel. Sie gelten schon in der Natur. Denken wir an Wespennester, Vogellauben oder nur schon ein Schneckenhaus. Die Qualität lässt sich mit Hilfe der Naturwissenschaften beschreiben, z.B. mit den Finobacci Zahlen.
Auch das soziale Verhalten von Wölfen lässt sich beschreiben. Offensichtlich gibt es für die Hilfsbereitschaft im Rudel einen evolutionären Vorteil. Aber was soll die Frage, ob das ethische Verhalten von Raubtieren richtig oder falsch sein soll? Es ist schlicht ein erfolgreiches Modell. Allerdings haben sich die Krokodile schon hundert Millionen Jahre länger ohne diese soziale Ethik behauptet. Es gibt nicht das EINE richtige Verhalten.
Die Frage, was das richtige Verhalten sein soll, ist nicht zielführend.
Ich sehe natürlich, dass Sie als philosophisch denkender Medizinethiker die unlösbare Aufgabe haben, eine Antwort über die richtige Ethik zu finden. Das eigentliche Dilemma liegt im Anspruch der Philosophie an sich.
@Hypatia
In meinem an Sie gerichteten Beitrag vom 29.März 2015 um 15:41 ist mir ein Schreibfehler passiert. Natürlich handelt es sich bei dem von mir erwähnten Beitrag an Macel Mertz um den vom 27.März um 22:23. Ich bitte um Entschuldigung.
Ihr Free Info
@alle:
Ich war die letzten Tage aufgrund von Abreisevorbereitungen und dann dem Ankommen in Birmingham, wo ich das nächste halbe Jahr im Rahmen eines Forschungsaufenthaltes verbringen werde, leider nicht in der Lage, auf die Kommentare einzugehen. Ich werde aber schauen, dass ich die nächsten Tage dazu komme, und Danke den Blogteilnehmern für Ihre interessanten Beiträge und Diskussionspunkte.(@hm: Ihren Beitrag habe ich nicht vergessen!)
@Lieber Herrn Mertz
Wünsche viel Spass in UK und mit neue Erfahrungen sammeln.
Ich werde weiter mitkämpfen für die Personenfreizügigkeit-damit die jungen Menschen nicht an der Urfer sitzt.
Und Danke-dass Sie ihrem Gedanken mit uns “alten” geteilt haben.
@Marcel Mertz
Als Ergänzung zu: Was soll die Frage, ob das ethische Verhalten von Raubtieren richtig oder falsch ist?
Sie werden einwenden, dass die Raubtiere nicht über Ethik nachdenken können, wir Menschen aber schon.
Es geht aber nicht darum, was menschlichem Nachdenken nach ethisch richtig ist, sondern ob DIE richtige Ethik objektiv existiert. Sie kritisieren ja selbst die willkürliche Entscheidung und den Ausdruck von subjektiven Gefühlen. Wie wollen Sie denn sonst definieren, was ethisch richtig ist, ausser wenn diese Ethik objektiv eindeutig wäre.
hm 27. März 2015 um 17:12
“Ich habe heute Morgen den politischen Diskurs als ethischen definieren wollen (das natürlich nur unter der Prämisse einer pluralistisch begründeten Konsensfindung und vielleicht auch, weil ich es metaethisch sinnvoll fand, d.h. ich habe mir “politischer Diskurs = ethischer Diskurs“ und später „als diskursethische Metaebene” notiert … hm), aber im politischen Diskurs ist Erkenntnis […] keine Kategorie, massgebend ist Konsens, Konsens über das Erkannte – an Werten bspw. auch. Insofern lässt sich auf dieser Schiene schon ein Teil Ihrer Fragestellung (Von welchen Erkenntnissen aus werden ethisch-normative Begründungen gebildet?) beantworten.”
Das wäre in der Tat erst mal eine Möglichkeit. Es scheint mir aber ein wenig auf das hinauszulaufen, was manche Vertreter der sog. empirischen (Medizin-)Ethik mit negativem Unterton als “ethics by opinion polling” bezeichnen. Also platt: Man macht Umfragen, schaut, was die Mehrheit für richtig hält, und so entscheidet man dann. Natürlich haben Sie einerseits von pluralistischer Konsensbildung gesprochen, was – so, wie ich das verstehe – dann eben politischer Diskurs und nicht wissenschaftlicher Diskurs ist, und andererseits auf mehr als nur Umfragen bei der sozialwissenschaftlichen Erforschung von Werten verschiedener gesellschaftlicher Gruppen etc. hingewiesen (zumindest habe ich so verstanden). Das geht freilich beides über “opinion polling” hinaus.
Dennoch sehe ich eine vergleichbare Gefahr dabei: Da die jeweiligen Werte und Normen, die man erforscht und als sozialempirische Erkenntnis als Basis (?) eines politischen Diskurses nicht hinterfragt, kritisiert, reflektiert usw. werden, und demokratische Konsensbildung nicht zwingend die Berücksichtigung von Minderheitenmeinungen beinhalten muss, kann der ethische Diskurs dann darauf hinauslaufen, einfach nur – mal drastisch formuliert – die Vorurteile und Ideologie der gerade herrschenden Gesellschaftsschicht usw. zu bestätigen oder zu reproduzieren (die Schweiz ist mit ihrer späten Umsetzung des Frauenwahlrechtes leider ein gutes Beispiel für solche Gefahren). Man müsste bereits so was wie diskursethische Idealbedingungen voraussetzen oder deren Einhaltung im Rahmen des Möglichen einfordern, um diese Gefahr zu mildern. Das wäre dann aber bereits wieder mehr, als sich auf das sozialempirische Erkannte bezüglich (aktueller) Wertvorstellungen, für richtig gehaltene Normen usw. aufzubauen.
Das andere, mehr auf der Rechtfertigungsebene liegende Problem sehe ich darin, dass man ein Prinzip wie “Was der politische Diskurs konsensuell ergibt, ist moralisch richtig” oder noch problematischer “Was die Gesellschaft gegenwärtig für moralisch richtig hält, soll (von einem moralischen Gesichtspunkt aus) auch getan werden” voraussetzen müsste. Doch warum sollten solche Prinzipien überzeugend sein? Dass man in einer demokratischen Regierungsform das politisch zu tun hat, was demokratisch entschieden wurde, ist eine Sache. Auch die Moralität daran zu knüpfen, eine andere.
“Dass im Rahmen einer historischen oder soziologischen Untersuchung diese Inhalte zudem nicht anders als empirisch ausgewertet werden sollen, d.h. frei von normativem, persönlichem Inhalt gemäss weberschem Postulat, hat übrigens für mich mit Ihrem „Problem“(?), dass ethisch-normative Begründungen nicht ausschliesslich aufgrund empirischer Erkenntnisse erfolgen können, nichts zu tun.”
Da bin ich nicht sicher, ob ich Sie recht verstanden habe. Ich hatte mich eigentlich nicht gegen das Werturteilspostulat gewendet, höchstens in dem einen oder anderen Kommentar darauf hingewiesen, dass es in den Sozialwissenschaften auch andere Auffassungen dazu gibt, sowie, dass es in der Praxis empirischer Studien freilich nicht so ist, dass das immer so “sauber” eingehalten wird bzw. nicht immer explizit genug gemacht wird, von welchen normativen Voraussetzungen ausgegangen wird.
Schwierig finde ich aber, ungeachtet dessen, die Gleichsetzung von “normativem Inhalt” mit “persönlichem Inhalt”. Hier denke ich tatsächlich, dass, wenn man es so auslegt (und das wird nicht selten so gemacht), die Webersche Linie einen Emotivismus o.Ä. unterstellt, dafür aber nicht argumentiert, und so den methodologisch einsichtigen Punkt eigentlich unnötig metaethisch “überhöht”.
olive 28. März 2015 um 15:07
“Deshalb noch eine Erklärung aus MSS’s dazu: Hinter dieser Ausweitung verbirgt sich nicht nur eine gestiegene emotionale Bereitschaft, sich in andere einzufühlen, sondern auch ein bemerkenswerter intellektueller Fortschritt, nämlich derÜbergang vom moralischen Dualismus zum ethischen Monismus. Was ist damit gemeint? Nun, im Unterschied zum moralischen Dualismus, der, wie wir gesehen haben, wertend zwischen den Mitgliedern der eigenen und den Mitgliedern fremder Gruppen unterscheidet, akzeptiert daseinheitliche (monistische) Denken keine unterschiedlichen Ethiken für unterschiedliche Gruppen, sondern wendet ein und dasselbe ethische Prinzip – das Prinzip der gleichen Berücksichtigung gleicher Interessen – gleichermaßen auf alle Individuen aller Gruppen an.”
Ich finde, MSS macht es sich hier zu einfach (ich kann mich jedoch nur auf das von Ihnen gelieferte Zitat beziehen!), und bezieht sich, so wie ich ihn verstehe, nun mehr auf die tatsächlich gelebten Moralen als auf die Frage, welche Ethik “richtig” ist.
In der philosophischen Ethik war das, was er “moralischen Dualismus” nennt (man könnte es auch einfach “moralischer Chauvinismus” nennen), eigentlich nie ernsthaft salonfähig, aus dem simplen Grund, dass es einem zentralen rationalen Konsistenzkriterium widerspricht.
Wobei ich hier ein “caveat” einfügen muss: Wer von moralischen Rechten geschützt ist, wird (meistens) nicht unmittelbar im Moralprinzip (z.B. Kategorischer Imperativ oder utilitaristisches Maximierungsprinzip) festgehalten, sondern in der Bestimmung des sog. “moralischen Universums”. Dieses beinhaltet alle Entitäten, die moralisch zu berücksichtigen sind. D.h., selbst wenn man ein Prinzip der gleichen Interessensberücksichtigung bejaht, kann die “Menge” an Entitäten, deren Interessen zu berücksichtigen sind (oder denen man überhaupt Interessen zuspricht!), durchaus unterschiedlich beantwortet werden. Anthropozentriker würden eben sagen: Nur die Interessen von Menschen. Pathozentriker dagegen, Interessen von allen leidensfähigen Lebewesen. Biozentriker sogar, von allem, das lebt (auch Pflanzen). Holisten können sogar so weit gehen, selbst Steine und Flüße als intrinsisch moralisch schützenswert aufzufassen (wobei ich glaube, sie dann nicht mehr behaupten würden, dass diese über “Interessen” verfügen, sondern den Schutz auf andere Weise rechtfertigen würden).
D.h., man kann den “ethischen Monismus”, wie MSS den nennt, vertreten, und trotzdem der Meinung sein, dass bspw. Tiere nicht auf dieselbe Weise zu berücksichtigen sind wie Menschen. Man kann bereits anderer Auffassung sein, was bspw. den Schutz von Embyronen betrifft (manche würden sagen, das sind noch keine Personen und daher nicht an sich schützenswert, sondern nur über die Interessen anderer, z.B. der Eltern, andere dagegen würden sagen, auch die – anzunehmenden – Interessen eines Embryos seien an sich zu berücksichtigen, usw.).
Deshalb halte ich es für wenig überzeugend, zu behaupten, der “ethische Monismus” liefe auf eine “einzige Ethik” hinaus. Er läuft “nur” darauf hinaus, ein bestimmtes ethisches Grundprinzip zu teilen, und so, wie er es formuliert, wird es schon da schwierig. Denn während in der philosophischen Ethik so etwas wie moralischer Chauvinismus durch das bereits erwähnte Konsistenzprinzip überall ausgeklammert ist, besteht bei der Frage, was die Eigenschaft ist, die moralischen Schutz verleiht, natürlich keine Einigkeit. MSS geht anscheinend von einer sog. interessen-basierten Ethik aus, wie das bspw. viele Utilitaristen tun. Ein Kantianer aber würde sagen, nicht Interessen, sondern Würde ist die zentrale moralische Eigenschaft. Liberalisten würden sagen, es ist v.a. Selbstbestimmung. Usw.
Einfach zusammengefasst, würde ich sagen: MSS erfindet neue Bezeichnungen für ein altes Thema, das in der philosophischen Ethik unter dem Stichwort “Universalismus” (vs. “Partikularismus”) läuft, und verbindet dieses Thema m.E. unzulässig mit der inhaltlichen Ausgestaltung eines zentralen Moralprinzips sowie der Bestimmung des moralischen Universums.
Searchers 29. März 2015 um 13:03
Ich muss leider sagen, Ihren Beitrag verstehe ich nicht so richtig, und kann ihn auch nicht ganz einordnen. Denn zum einen schreiben Sie zu Beginn:
“Ja, Herr Mertz ist mit seinem ‘Naturalismus’ auf einem Abweg.”
Dann aber machen Sie gleich weiter mit:
“Was er betrachten muss ist die ‘Naturgesetzlichkeit’ die wir Menschen durch die Methode der Naturwissenschaft zu erkennen, zu formulieren und kommunikationsfähig darzustellen suchen […]”
und entwerfen (auch danach) einen rigorosen Naturalismus, der hier im Blog, glaube ich, bisher seinesgleichen sucht.
Deshalb – welchen Naturalismus, den (angeblich) ich vertreten würde (?), ist ein Abweg? Der Naturalismus als Grundoption kann ja Ihrer Meinung nach unmöglich “ein Abweg” sein, da Sie eben einen ziemlich starken Naturalismus zu befürworten scheinen. (Wobei ich glaube, dass Sie naturwissenschaftliche Erkenntnis und Naturrecht kategorial durcheinander bringen – gerade Naturrechts-Ansätze haben mit Naturalismus ziemlich wenig zu tun).
Kees 30. März 2015 um 14:17
Vielen Dank für Ihren Beitrag!
“Ich gehe voll auf a): Naturalismus kann tatsächlich keine Begründung für Ethik geben. Sie kann aber sehr wohl als *Filter* dienen. Sie kann jede Begründung die aus Wissenschaftlichem Grund unhaltbar ist entlarven.”
Also ich verstehe Sie so, dass Sie sagen wollen, dass naturwissenschaftliche Erkenntnis oder generell empirische Erkenntnis als “Filter” dienen kann. Dem würde ich zustimmen, nur die Anmerkungen hinzufügen, dass es a) gar nicht immer so leicht ist, zu bestimmen, ob eine philosophische Begründung aus “wissenschaftlichen Gründen” abzulehnen ist (und nicht wegen anderer philosophischer Gründe, die in den “wissenschaftlichen Gründen” hineingeschmuggelt wurden bzw. implizit mitgetragen wurden), und b) zu entscheiden, ob eine bestimmte philosophische Begründung überhaupt Aussagen macht, die empirisch angreifbar sind (und inwiefern). Aber generell, möchte ich betonen, stimme ich Ihnen hier zu.
“M.E. kann es nur bedeuten, dass man überhaupt bereit ist Gründe anzugeben, mit welchen man hoffen darf anderen überzeugen zu können.”
Auch dem stimme ich zu, wobei ich noch auf einen (kritisch stets diskutierbaren) Rahmen von Regeln verweisen würde (Rationalitätsannahmen, Argumentationstheorie, Logik, empirische Methodologie …), an denen sich solche Gründe resp. deren Hervorbringung und Rechtfertigung orientieren müssen. (Überzeugen kann man jemanden m.E. auch mit Rhetorik im negativsten Sinne; o.k., man kann allenfalls dann von “Überreden” sprechen statt von Überzeugen; aber irgendwelche über-individuellen bzw. intersubjektiven Kriterien, auf die man sich wiederum intersubjektiv verständigen kann, scheinen mir erforderlich).
“Sie sagen die Alternative a) führe zu Dezisionismus oder Emotivismus.”
Nicht ganz. Ich sage, dass a) zu Dezionismus oder Emotivismus führt, wenn man einen Naturalismus vertritt. Wer von Vorneherein derlei nicht vertritt, hat dieses Problem nicht und muss auch nicht zu einem Dezisionismus oder Emotivismus “gezwungen” sein. (Freilich hat man auch als Naturalist eine Antwortmöglichkeit: “bite the bullet”, also bestreiten, dass es ein Problem ist, ein Dezisionismus oder Emotivismus zu vertreten).
“Eine Ethik die sich aber *nicht* an den Menschen die von dieser Ethik betroffen sind und sie auch leben sollen *orientiert*, ist wohl kaum eine Ethik zu nennen.”
Grundsätzlich würde ich zustimmen. Es scheint mir aber auch sehr davon abzuhängen, wie man das mit dem “orientiert” auslegt. Manche würden vielleicht sagen, so etwas wie der Veganismus oder auch manche Forderungen der Klimaethik orientierten sich nicht an den Menschen, die von dieser Ethik betroffen sind (weil viele nicht so leben wollen) – macht das alleine (!) den Veganismus oder diese oder jene Position der Klimaethik zu einer “unethischen” Position? Wie weit muss man gewissermaßen “Zugeständnisse” machen in dem, was man ethisch-argumentativ fordert, und wann verliert Ethik auch ihr kritisch-reformatives Moment, einen gegenwärtigen Zustand als unzureichend bewerten zu dürfen und Änderungen fordern zu können? (Das sind keine einfachen Fragen; darauf habe ich auch keine sofortigen Antworten und kämpfe selber damit).
Alexander 31. März 2015 um 11:52
Auch an Sie Dank für Ihren Beitrag!
“Ihre Ausführungen zur Ethik des Naturalismus sind gut durchdacht, doch Ihre Grundannahmen überzeugen mich nicht.”
Das ist nun ein Detail, auf das ich aber trotzdem hinweisen muss: Meine Grundannahmen sind nicht dieselben wie die Grundannahmen des Naturalismus, den ich im Text problematisiert habe. (Oder meinen Sie, meine Grundannahmen darüber, was der Naturalismus für Grundannahmen hat, seien nicht überzeugend?).
“Ich bin mit Ihnen einverstanden, dass die Naturwissenschaften nicht begründen können , was ethisch richtig sein SOLL. Doch dies wollen die Naturwissenschaftler ja gar nicht begründen.”
Diesen Punkt habe ich schon mehrmals eingeräumt, und ich entschuldige mich erneut, dass es offenbar zu einem solchen Missverständnis auf Basis meines Textes gekommen ist: Der Naturalismus ist eine philosophische Position u.a. über den Wert und die Einsatzmöglichkeiten naturwissenschaftlicher/empirischer Erkenntnis, die vornehmlich von Philosophen vertreten wird.
Aber: Das schließt a) nicht aus, dass auch vereinzelte Naturwissenschaftler diesen philosophisch (!) vertreten können, und b) auch nicht, dass manche Naturwissenschaftler unbewusst/implizit so einen Naturalismus vertreten, auch wenn sie das eben nicht explizit machen (können).
(Deshalb würde ich auch lieber von einer Position/Theorie sprechen, und nicht von Personen, die bestimmte Forschungstätigkeiten ausüben – denn sehr wahrscheinlich wird man irgendwo einen Naturwissenschaftler oder empirischen Wissenschaftler finden, der dann doch irgendwelche normativen Aussagen auf Basis seiner Forschung macht und dem man deshalb vorwerfen könnte, eben doch Gründe dafür zu suchen, was man tun soll. Aber das wäre dann eben aus theoretischer und methodologischer Sicht zu kritisieren).
“Sie können hingegen beschreiben, welche Vorteile eine ethische Theorie hat. Sie können die Akzeptanz in der Bevölkerung und den evolutionären Erfolg von ethischen Normen prüfen. Sie können Widersprüche von philosophischen Theorien entlarven.”
Dem stimme ich zu, mit der Erweitung auf Sozialwissenschaften (Akzeptanz der Bevölkerung bspw. ist eine sozialwissenschaftliche, keine naturwissenschaftliche Kategorie) und dass Widersprüche in philosophischen Theorien auch durch die Philosophie aufgedeckt werden können (aber das wollten Sie vermutlich auch nicht bestreiten, sondern nur erwähnen, was empirische Erkenntnis in Bezug auf Ethik/ethische Theorie auch leisten könnte). Die schwierige Frage ist, welche Bedeutung für ethische Theorie “Akzeptanz der Bevölkerung von ethischen Normen” oder auch “evolutionärer Erfolg” hat; siehe auch mein Posting oben an hm, 1. April 2015 um 09:56.
Sie scheinen davon auszugehen, dass das relevant ist (und ich stimme Ihnen in Massen, zumindest was die Akzeptanz betrifft, durchaus zu). Es gibt viele ethische Positionen, die sagen würden, dass das völlig irrelevant ist in Hinblick darauf, was nun moralisch richtig und falsch ist, und das allenfalls eine Rolle spielt, wenn es um die Umsetzung ethischer Normen geht – was für nicht wenige Ethiker dann aber nichts mehr mit “Ethik” zu tun hat (eine Auffassung, die ich nicht teile, bzw. die ich differenzieren würde: es hat nichts mehr mit philosophischer Ethik zu tun, aber sehr viel mit interdisziplinärer Angewandter Ethik).
“Sie setzen voraus, dass es eine einzig richtige Ethik geben muss.”
Nein, tue ich nicht. Der Naturalismus tut das. (Oder von mir aus: Ich gehe davon aus, dass der Naturalismus das tut oder tun muss). Ich selber vertrete eher einen diskursethischen Ansatz in Kombination mit einem sog. Prinziplismus/Prinzipienethik, der von einer schmalen “common morality” ausgeht und durchaus Raum für Pluralismus lässt (vgl. h ttp://link.springer.com/article/10.1007%2Fs00481-013-0243-y).
“Auf die Frage, was ich tun soll, gibt es unzählige Antworten.”
Faktisch sicher. Das ist aber nicht die Frage. Die Frage ist, ob auch alle Antworten gleich gut oder richtig sind, v.a. dann, wenn sie diametral zueinander stehen. (Es gibt auch in Bezug auf die Frage, was wahr ist, faktisch unzählige Antworten; auch hier sind wir, wenigstens wissenschaftlich, interessiert daran, herauszufinden, welche dieser Antworten zutrifft oder am plausibelsten zu vertreten ist usw.).
“Es geht nicht darum zu begründen, welche Ethik, welcher -ismus richtig oder gut ist und welcher falsch. Das scheint mir ein falscher Ansatz zu sein.”
Wir könnten uns darauf einigen, dass es wichtiger ist, zu bestimmen, welche Norm oder noch mehr: welches moralische Einzelfallurteil richtig ist.
Aber da wir zur Bestimmung und Begründung davon zwangsläufig theoretische Annahmen ins Spiel bringen müssen, die von Ethiken bzw. ethischen Theorien (mehr oder weniger) systematisch und rational entwicket und geprüft werden, scheint es mir indirekt dann doch wieder auf die Frage hinauszulaufen, welche Ethik gut oder richtig ist. Oder, wenn man einen pluralistischen Ansatz vertritt, welche Minimalkriterien eine Ethik oder vielleicht dann eher: Moral weshalb erfüllen muss und wie man mit unterschiedlichen Ansätzen dann arbeiten kann, da es zwar gar nicht so selten zu konvergenten Ergebnissen bei Anwendung verschiedener Ethiken kommen kann, aber eben nicht immer kommen wird.
“Es ist so unsinnig, wie wenn man herausfinden möchte, was DIE richtige Kunst, DIE richtige Musik oder DIE richtige Architektur ist”
Hier scheinen Sie zu unterstellen, dass Ethik so etwas wie Kunst ist, und Moral im Extremfall so was wie eine “Geschmacksfrage”? Das sehe ich definitiv nicht so, dazu sind (manche) moralischen Güter (wie Unversehrtheit) zu wichtig. (Oder habe ich Sie hier missverstanden?).
“Aber was soll die Frage, ob das ethische Verhalten von Raubtieren richtig oder falsch sein soll?”
Eine solche Frage würde ich gar nicht erst stellen. Wie Sie richtig ergänzt haben, würde ich sagen, dass Raubtiere keine Personen sind und daher auch nicht über moralische Entscheidungen nachdenken können. Wir tun das aber, und deshalb scheint mir auch sehr naheliegend, dass wir uns fragen, ob und warum diese Entscheidungen richtig sind oder nicht. Und ob sie das sind, können wir nun mal nicht bloß durch Beschreiben festmachen, auch wenn wir daraus natürlich wichtige “Ressourcen” für unsere normativen Argumentationen gewinnen können.
“Es gibt nicht das EINE richtige Verhalten. Die Frage, was das richtige Verhalten sein soll, ist nicht zielführend.”
Das behauptet doch auch niemand, dass es generell um das EINE richtige Verhalten geht. Eine Ethik versucht, Normen und Prinzipien zu bestimmen, anhand der Regeln und Einzelhandlungen bewertet werden können und die dadurch normative Orientierung für unser (prospektives) Handeln und auch für institutionelle Regulierungen geben sollen. Mehrere Verhaltensweisen können dann diesen Normen und Prinzipien entsprechen. Ethik, als Tätigkeitsgebiet, und auch Ethiken, als ethische Positionen oder Theorien, sind nicht eine “kasuistische Moral”, in der ganz genau festgelegt ist/wird, wie man in allen denkbaren Fällen zu handeln hat (was eh nicht möglich wäre).
Klar kann es aber Fälle geben, in denen schon die Anzahl der Handlungsoptionen gering ist. Wenn wir, for the sake of the argument, nur zwei Optionen in einer Situation haben, und beide haben gegenteilige und drastische Folgen (nehmen wir “Töten” und “Nicht-Töten”), dann scheint es naheliegender zu sein, anzunehmen, dass es hier “das eine richtige” Verhalten gibt. (Klammern wir aber Dilemma-Situationen hierfür aus, in denen es höchstens eine Handlung gibt, die etwas weniger schlecht ist als die andere).
“Es geht aber nicht darum, was menschlichem Nachdenken nach ethisch richtig ist, sondern ob DIE richtige Ethik objektiv existiert.”
Also mir persönlich geht es gar nicht darum. Wie ich in verschiedenen Kommentaren, u.a. an fred, geschrieben habe, gehe ich gerade nicht davon aus, dass es “mehr” als eine menschliche Ethik gibt. Ob ein (starker) Naturalismus gezwungen ist, davon auszugehen, dass “DIE richtige Ethik objektiv existiert”? Ich weiß nicht. Ich denke, Naturalisten würden auch sagen, dass Ethik auf uns Menschen bezogen ist, und naturwissenschaftliche Erkenntnis uns objektive Gründe geben soll, uns so oder so zu verhalten bzw. diese oder jene Normen als richtig anzuerkennen. Ich glaube nicht, dass sie behaupten würden oder müssten, dass es eine objektive Ethik gäbe, die bspw. auch für Raubtiere gelten müsste oder dergleichen.
“Sie kritisieren ja selbst die willkürliche Entscheidung und den Ausdruck von subjektiven Gefühlen. Wie wollen Sie denn sonst definieren, was ethisch richtig ist, ausser wenn diese Ethik objektiv eindeutig wäre.”
Wie oben schon geschrieben, verfolge ich selber mehr einen pluralistischen und diskursethischen Ansatz. Daher gehe ich davon aus, dass wir über rationale, kritische und offene Argumentation am ehesten zu über-individuellen, intersubjektiven Gründen kommen können (“objektiv” im Sinne davon, dass es nicht rein subjektive Gefühlsäußerungen oder dergleichen sind). Dass für diese Argumentationen z.B. moralsoziologische, moralpsychologische und evolutionäre Erkenntnisse bereichernd oder je nachdem sogar entscheidend sein könnten, würde ich nicht bestreiten. Aber wie sie beitragen oder beitragen sollen, ist wiederum eine philosophische Frage, die m.E. keine noch so gute empirische Forschung beantworten kann.
“Ich sehe natürlich, dass Sie als philosophisch denkender Medizinethiker die unlösbare Aufgabe haben, eine Antwort über die richtige Ethik zu finden.”
Nochmals, ich vertrete einen eher pluralistischen Ansatz. Wiederum ist es m.E. der Naturalismus, der die Frage nach der “richtigen Ethik” in dieser Stärke aufwirft oder aufwerfen muss.
Aber klar, ich frage mich natürlich bei den jeweiligen moralischen Herausforderungen z.B. in der Medizin, was dort die richtigen Antworten sein könnten und warum, und v.a. frage ich mich, welche praktischen Ansätze für das Handeln in der Medizin geeignet sind und warum, und zwar nicht nur aus eigenem Forschungsinteresse, sondern weil in der Medizin und der Pflege durchaus auch eine gewisse Nachfrage nach medizinethischen “Instrumenten” und Orientierung besteht. (Das mag alles etwas weniger unlösbar sein). – Aber freilich bleibe ich aufgrund meines philosophischen Hintergrundes auch offen für die Frage, ob es eine generelle “richtige Ethik” gibt, und wenn ja, welche (bzw. akademischer gewendet: welche ethische Theorie weshalb die “bessere” ist).
“Das eigentliche Dilemma liegt im Anspruch der Philosophie an sich.”
Nicht alle philosophischen Positionen sind der Meinung, dass es eine “richtige Ethik” gibt. Relativismus, Subjektivismus, metaethischer Nonkognitivismus usw. sind alle nicht dieser Auffassung.
@ Marcel Mertz
1. April 2015 um 10:21
Vielen Dank.
Die theoretische Beurteilung MSS’ Ausführungen kann nicht an mir liegen aus oben erwähnten Gründen.
Es ist auch möglich, dass er das Buch für philosophische Laien etwas einfacher hält, zum anderen , ist ein Zitat, wie Sie sagen, etwas wenig, um sich ein Urteil zu bilden. Mir hat einfach gefallen, was er dem ethischen Monismus zuschreibt:
Gute Zeit in Grossbritannien, ich beneide Sie ein wenig.
@ Marcel Mertz
Vielen Dank, dass Sie sich die Mühe gemacht haben, mir zu antworten. Ich kam erst jetzt dazu, Ihre Antwort zu lesen. Jetzt ist alles klar. So in etwa hatte ich mir das gedacht, aber es hat noch ein bisschen was gefehlt um sicher zu sein, dass ich es richtig verstanden habe. Merci!
@Marcel Mertz
Danke für Ihre ausführliche Antwort. Ihre Haltung ist mir etwas klarer geworden. Entschuldigen Sie , dass ich nicht früher geantwortet habe. Sie haben mich dazu gebracht, Ihre Dissertation über KRITERIOLOGISCHE UNTERDETERMINATION VON ETHIK DURCH EMPIRIE herunterzuladen und durchzulesen.
„(Oder meinen Sie, meine Grundannahmen darüber, was der Naturalismus für Grundannahmen hat, seien nicht überzeugend?).“
Nein Ihre implizite Grundannahme, dass man philosophische Theorien braucht, um Handlungen zu bewerten, überzeugt mich nicht. In Ihrer Antwort haben Sie dies auch explizit geäussert: „Eine Ethik versucht, Normen und Prinzipien zu bestimmen, anhand der Regeln und Einzelhandlungen bewertet werden können und die dadurch normative Orientierung für unser (prospektives) Handeln und auch für institutionelle Regulierungen geben sollen.“
Wir brauchen keine philosophische Theorie, um zu entscheiden, ob Mord nicht richtig ist, oder ob wir unseren Planeten nicht zerstören dürfen. Es sind stattdessen die einzelnen Tatsachen selbst, die wegen Ihres Wertes ein bestimmtes Verhalten von uns einfordern. Wenn ein kleines Kind über die Strasse rennt, dann bremsen wir als Autofahrer unmittelbar. Wir nehmen das Kind wahr und fragen uns nicht mehr lange, ob das Leben schützenswert ist. Das Geschehen und die Pflicht, anzuhalten, können nicht voneinander getrennt werden. Sein und Sollen sind miteinander verbunden.
Wenn wir unsere Erde erforschen, dann genügt es nicht, sie es bloss als dritten Gesteinsplanenten der Sonne mit einer grossen Fläche H2O und einer dünnen Atmosphäre zu definieren – so wie es ein 1000 Lichtjahre entfernter Ausserirdischer tun würde – und dabei den essentiellen Wert für Mensch und Tiere zu unterschlagen. Mit dem deskriptiven Begriff „Erde“ ist seine Schutzwürdigkeit unmittelbar verbunden. Und weil sie schutzwürdig ist, verdient sie auch geschützt zu werden. Es braucht da gar kein Kriterium für einen Schluss. Die Taxierung „naturalistischer Fehlschluss“ ist fehl am Platz – 1000 Lichtjahre. Wenn etwa ein Klimaforscher verlangt, den CO2 Ausstoss zu verringern, dann geht es nur um die Frage, ob mit dem heutigen Konsum unsere Lebensgrundlage gefährdet ist oder nicht. Die Frage, ob der Zweck, die Erde zu schützen, gut ist, kann man sich sparen.
Kriegverbrecher missachten den menschlichen Wert Ihrer Opfer. Islamistische Terroristen behaupten von sich, das Leben Unschuldiger zu respektieren. Doch Ungläubige sind eben nicht unschuldig, darum dürfen sie abgeschlachtet werden. Sie betrachten die Opfer nur noch als Objekte ohne Wert. Das heisst, sie sprechen ihnen das Menschsein ab. Das Verbrechen wird durch eine Perversion der Tatsachen gerechtfertigt. Es bringt nichts, wenn man den Verbrechern sagt, dass selbst der Islam das Töten Unschuldiger verbietet. Auch wenn sie Mord als Sünde ansehen, betrachten sie die Tötung nicht als Mord. Würden sie es (empirisch) als Mord anerkennen, wäre dies eine ausreichende Begründung, dass sie dies nicht tun dürfen. Die Frage nach einem Kriterium für den ethischen Grundsatz, nicht zu morden, ist schlicht überflüssig.
Eine ethische Theorie ergibt sich aus der Bewertung von Handlungen gewissermassen von selbst. Principle follows evaluation. Es scheint mir eine grosse Kunst zu sein aus den vielen Bewertungen eine kohärente ethische Theorie zu formulieren.
„Hier scheinen Sie zu unterstellen, dass Ethik so etwas wie Kunst ist, und Moral im Extremfall so was wie eine “Geschmacksfrage”? Das sehe ich definitiv nicht so, dazu sind (manche) moralischen Güter (wie Unversehrtheit) zu wichtig. (Oder habe ich Sie hier missverstanden?).“
Nein, ich sehe die Kunst als Vorbild für die Ethik. Ein guter Architekt zum Beispiel schaut ja auch nicht in Theoriebüchern nach, was gute Architektur sein soll, wenn er gute Architektur entwerfen will. Das gute Projekt entsteht durch die richtige Umsetzung der Anforderungen und das Verständnis der in der Architektur inhärenten gestalterischen Gesetzmässigkeiten. Aus den guten Bespielen entwickeln Theoretiker eine Architekturtheorie bei der es nicht um die Geschmacksfrage geht, sondern um den Prozess des Gestaltens. Eigentlich sind die tatsächlichen Folgen viel wesentlicher als der ursprüngliche Zweck.
Die moralische Frage, ob der Zweck eines Baus gut war, steht auf einer anderen Ebene und erübrigt sich irgendwann einmal. Die Casa del Fascio von Giuseppe Terragni büsst Ihren architektonischen Wert nicht ein, nur weil sie von einem Faschisten für Faschistische Versammlungen gebaut wurde. Eine Sache kann eben auch gut sein, wenn es der ursprüngliche Zweck nicht war.
Alexander 4. April 2015 um 14:43
Auch Ihnen nochmals Dank für Ihre Antwort, und entschuldigen auch Sie, dass ich nicht früher geantwortet habe.
“Sie haben mich dazu gebracht, Ihre Dissertation über KRITERIOLOGISCHE UNTERDETERMINATION VON ETHIK DURCH EMPIRIE herunterzuladen und durchzulesen.”
Das freut mich; ich habe jedoch die Befürchtung, dass Sie Ihnen nicht so viel bringen wird, weil Dissertationen keine Texte sind, die sich an Fachfremde oder gar Laien richten. Zuweilen kann es dann bereits schwer sein, die Problem- und Fragestellung nachvollziehen zu können. Wenn Sie aber damit etwas anfangen können, freut mich das natürlich.
“Nein Ihre implizite Grundannahme, dass man philosophische Theorien braucht, um Handlungen zu bewerten, überzeugt mich nicht.”
Ich würde nicht behaupten, dass man eine explizite philosophische Theorie benötigt, um Handlungen zu bewerten. Aber wenn wir Handlungen bewerten, tun wir das auf Basis theoretischer Gehalte: Auf Basis von Überzeugungen, Wertvorstellungen, anhand von Normen und Regeln. Selbst wenn solche auch internalisiert und damit “natürliches Wissen” im Sinne der Wissenssoziologie darstellen können, sind sie selber theoretischer Natur. D.h. spätestens dann, wenn man sie hinterfragt und problematisiert, oder thematisiert, wie sie zustande kommen und warum wir sie als “richtig” anerkennen, wird ihre theoretische Natur offensichtlich (was hier nicht meint, dass nicht auch empirische Anteile darin vorkommen können!).
“In Ihrer Antwort haben Sie dies auch explizit geäussert: ‘Eine Ethik versucht, Normen und Prinzipien zu bestimmen, anhand der Regeln und Einzelhandlungen bewertet werden können und die dadurch normative Orientierung für unser (prospektives) Handeln und auch für institutionelle Regulierungen geben sollen.’“
Ich denke – und das ist mir erst durch den Blog hier deutlicher geworden, dass man das stärker betonen muss -, man muss zwei Aufgaben einer Ethik unterscheiden, die aber auch ineinandergreifen:
Zum einen geht es darum, unsere alltagsmoralischen Intuitionen zu überprüfen, zu rekonstruieren und zu rechtfertigen (oder zu verwerfen und zu reformieren). Denn (siehe oben und auch gleich unten) es wäre freilich absurd, zu behaupten, man bräuchte erst eine philosophische Theorie, um zu wissen, was man – im Allgemeinen – tun soll. Aber auch in diesen Fällen wird eine Ethik versuchen, Normen und Prinzipien zu bestimmen, die “hinter” unserer alltagsmoralischen Praxis liegen, wird diese aber zwangsläufig auch versuchen, kohärenter zu machen und je nachdem auf Ungereimtheiten und Widersprüche aufmerksam machen. Wesentlich bei dieser Aufgabe ist so etwas wie “Selbstvergewisserung”: Ist das, was wir tun, eigentlich richtig, selbst wenn wir im Alltag davon ausgehen? Warum sind wir berechtigt, so zu handeln? Wären andere Handlungsweisen nicht auch richtig? Warum nicht? (Wäre eine Ethik dezisionistisch zu rechtfertigen, um wieder den Link zum Naturalismus und seinen Problemen zu machen, müssten wir einräumen, dass wir im Alltag auch gerechtfertigt wären, ganz anders zu handeln). Solche Fragen werden gerade dann auch aufgeworfen, wenn man mit anderen Moralen konfrontiert wird, z.B. aus anderen Kulturen oder zeitlichen Epochen, oder evtl. auch aus der Literatur usw.
Zum anderen soll eine Ethik versuchen, uns Antworten bei jenen (prospektiven) Handlungen und Regulierungen zu geben, bei denen wir mit unserer Alltagsmoral nicht mehr weiterkommen oder bei der uns die Alltagsmoral zumindest keine eindeutige Richtung mehr vorgibt oder vorgeben kann. Das sind dann so “typische” Fragestellungen, wie man sie bspw. auch dann und wann in der Tagespresse verfolgen kann und was im Grunde die Hauptaufgabe sog. “Angewandter Ethik” (als Fach/Interdisziplin) ausmacht. Diese Aufgabe kann aber nicht völlig in Absehung der ersten Aufgabe stehen (wenngleich sie sicherlich auch nicht in ihr “aufgehen” muss).
“Wir brauchen keine philosophische Theorie, um zu entscheiden, ob Mord nicht richtig ist, oder ob wir unseren Planeten nicht zerstören dürfen.”
Wie gesagt, natürlich haben wir unsere jeweilige, historisch und kulturell geprägte Alltagsmoral, die wir u.a. durch Sozialisation internalisieren usw. (die aber eben theoretische Gehalte aufweist). Deshalb brauchen wir keine philosophische Theorie “a priori”, um zu entscheiden, ob Mord – im Allgemeinem – richtig oder falsch ist (bei “Planet zerstören” bin ich mir bereits weniger sicher, ob man da sagen kann, dass das – bereits – in der Alltagsmoral verankert ist).
Wenn wir aber wissen wollen, warum es eigentlich falsch ist, warum wir darin gerechtfertigt sind, dann kommt m.E. zwangsläufig philosophische Theorie, und zwar zunehmend explizit, mit ins Spiel. Und sobald es um schwierigere Fragen geht, wie bspw. “Ist Tyrannenmord rechtfertigbar?” oder “Ist Abtreibung Mord?”, kommt unsere Alltagsmoral an ihre Grenzen, und wir müssen anfangen, ethisch zu reflektieren – und werden eben anfangen, philosophische Theorien zu entwickeln (dann vielleicht auch nur “laienhaft” und nicht so durchdacht und auf Kohärenz und Systematik bedacht wie akademisches Philosophieren).
“Es sind stattdessen die einzelnen Tatsachen selbst, die wegen Ihres Wertes ein bestimmtes Verhalten von uns einfordern.”
Es sind m.E. nicht die Tatsachen selbst, sondern wie Sie eigentlich selbst sagen: Der Wert, oder allgemeiner, der evaluative oder normative Gehalt, den wir den Tatsachen beiordnen, die ein bestimmtes Verhalten von uns einfordern.
“Das Geschehen und die Pflicht, anzuhalten, können nicht voneinander getrennt werden. Sein und Sollen sind miteinander verbunden.”
Nur in der praktischen Situation, nicht, wenn wir sie analysieren und darübr reflektieren, warum wir gerechtfertigt waren, so und so zu handeln. Dann wird eben deutlich, dass das eine die Tatsache ist (“Kind läuft auf die Straße”), das andere die zu erwartende Folge (“Kind wird getötet, wenn ich nicht bremse/ausweiche”), und wieder das andere der evaluative und normative Anteil (“Es ist nicht gut, wenn ein Kind getötet wird”, “Du sollst es vermeiden, ein Kind zu töten”). Letzterer kommt nicht direkt aus der Tatsache selber.
(Um genau zu sein, könnte man hier ganz klassisch aristotelisch von einem praktischen Syllogismus sprechen; vgl. den entsprechenden Abschnitt in meiner Dissertation).
“Wenn wir unsere Erde erforschen, dann genügt es nicht, sie es bloss als dritten Gesteinsplanenten der Sonne mit einer grossen Fläche H2O und einer dünnen Atmosphäre zu definieren – so wie es ein 1000 Lichtjahre entfernter Ausserirdischer tun würde – und dabei den essentiellen Wert für Mensch und Tiere zu unterschlagen. Mit dem deskriptiven Begriff „Erde“ ist seine Schutzwürdigkeit unmittelbar verbunden.”
Das ist bereits eine bestimmte (natur-)ethische Position, die man selbstverständlich einnehmen kann. Ich sehe nicht, wie das zwingend aus den Tatsachen selber folgen soll. Wenn Sie behaupten würden, man “erkenne das einfach”, dann müssten Sie eine Art Intuitionismus vertreten (der dann zur Folge hat, dass alle, die das nicht so “erkennen”, irgendwie “wertblind” sein müssten). Das wiederum ist eine bestimmte metaethische Position, die sich nicht aus den Tatsachen selber egibt – was alles darauf hinausläuft, dass man früher oder später wieder auf eine philosophische Theorie zurückgeworfen ist, wenn es darum geht, zu begründen, warum etwas wertvoll, richtig, gutg, schutzwürdig usw. ist.
“Die Taxierung ‘naturalistischer Fehlschluss’ ist fehl am Platz”
In der Tat, weil Sie, wie ich oben versucht habe nachzuzeichnen, neben einer deskriptiven Prämisse auch eine evaluative oder normative Prämisse “eingeschmuggelt” haben.
“Die Frage, ob der Zweck, die Erde zu schützen, gut ist, kann man sich sparen.”
Vielleicht. Da bin ich mir nicht so sicher. Denn wie weit reicht diese Verpflichtung? “Erde schützen” ist ja sehr abstrakt. Weshalb müssen wir sie schützen? Nur um unser Überleben zu sichern, oder auch wegen den anderen Lebewesen, oder gar wegen “der Erde an sich”? (Die Antwort auf diese Frage kann bereits entscheiden, wie wir “Erde schützen” auslegen!). Und warum sollte es mir überhaupt wichtig sein, was nach meinem Leben geschieht? Was geht mich die nächste Generation an? – Ich finde, Antworten auf solche Fragen sind nicht unwichtig, um a) darzulegen, weshalb es moralisch angezeigt ist, “die Erde zu schützen”, und b) v.a. zu konkretisieren, was das bedeutet und zu was wir konkret verpflichtet sind und zu was nicht. Das sagt uns unsere (gegenwärtige) Alltagsmoral nicht.
“Die Frage nach einem Kriterium für den ethischen Grundsatz, nicht zu morden, ist schlicht überflüssig.”
Wie gesagt, ich bestreite ja überhaupt nicht die Existenz einer Alltagsmoral usw. Aber Sie machen selber auf etwas aufmerksam: Die Reichweite eines solchen ethischen Grundsatzes.
Dass Sie “ganz natürlich” so argumentieren, dass alle Menschen ungeachtet ihrer Religion usw. durch den Grundsatz geschützt werden müssen, ist nicht so “selbstverständlich”. Das gilt für alle ethischen Grundsätze. Wenn bspw. Aristoteles in seiner Nikomachischen Ethik von der Freundschaft spricht, meint er bloß die Freundschaft unter Bürgern der Polis (also freie Männer, keine Sklaven, keine Frauen). (Damit ist nichts gegen die Nikomachische Ethik generell gesagt, z.B. über die darin enthaltenen Überlegungen zum Glück usw.!).
Diese Universalisierung, von der Sie wie selbstverständlich ausgehen, ist sozial- wie ideengeschichtlich überraschend neu. Und warum diese Universalisierung auch gerechtfertigt ist, warum es eben nicht richtig ist, den Grundsatz für bspw. “Ungläubige” aufzuheben, ist eine ethische, damit eben auch theoretische Leistung. (Aber dass es nicht so leicht ist, das “moralische Universum” zu bestimmen, zeigt sich auch an für uns weniger klaren Fällen als jenen mit den Terroristen: Bis wann gilt der Grundsatz auch am Lebensanfang und am Lebensende? Fallen Tiere auch darunter, oder nur Menschen?).
“Eine ethische Theorie ergibt sich aus der Bewertung von Handlungen gewissermassen von selbst. Principle follows evaluation.”
O.k., das ist eine metaethische (!) Theorie, die man vertreten kann (ich würde sagen, geht in die Richtung der Kasuistik/dem Kasuismus).
Ich halte es aber für wichtig, hier zwischen Moralentwicklung/Moralpädagogik/moralische Praxis auf der einen Seite und der kritischen Reflexion und Selbstvergewisserung auf der anderen Seite zu unterscheiden. Dass wir “immer schon” bewerten und uns an etwas orientieren, und das auch i.d.R. erlernen, ist lebensweltlich unbestrittenes Faktum. Ob wir das aber eben auch zurecht tun, oder ob unsere Bewertungsmaßstäbe eigentlich doch nicht so gut sind, oder zu Widersprüchen führen usw., ist die andere Seite, die der kritischen Reflexion – die auch Reformierung erlauben kann. (Wenn immer nur strikt “principle follows evaluation” gelten würde, sähe ich wenig Raum für moralische Reformen).
“Es scheint mir eine grosse Kunst zu sein aus den vielen Bewertungen eine kohärente ethische Theorie zu formulieren.”
Das ist es in der Tat. (Sehen Sie bei Gelegenheit unter den Stichwörtern “Kohärentismus” und “Überlegungsgleichgewicht” nach).
“Nein, ich sehe die Kunst als Vorbild für die Ethik. […]”
O.k., danke für die Klärung. – Ich glaube aber, dass Sie meinen Ansatz und den vieler (fast alle?) philosophischen Ethiker falsch verstehen. Sie scheinen zu glauben, dass “wir” ernsthaft meinen (?), man müsste zuerst eine explizite Theorie haben, bevor man moralisch handeln könne. Das ist Unsinn (wie oben schon angerissen). Daher nochmals als eine Art abschließende Zusammenfassung: “Wir” würden vielmehr sagen: Wir (Menschen) handeln immer schon auf Basis moralischer Überzeugungen und Intuitionen, die wir mehr oder weniger für richig halten (oder über die wir z.T. auch gar nicht groß nachdenken). “Wir” wollen nun aber wissen, ob diese Überzeugungen usw. auch wirklich richtig sind, ob wir vielleicht manche unserer moralischen Überzeugungen auch ändern müssten, um den moralischen Verpflichtungen in Form von Grundsäatzen/Prinzipien zu entsprechen, die wir – notabene – auch in unserer bisher gelebten Alltagsmoral implizit mittragen, aber eben nicht immer kohärent und konsequent durchdenken. Manche von “uns” kommen zum Schluss, dass die Alltagsmoral in vielen Teilen doch nicht so moralisch ist, wie wir glauben (z.B. viele Utilitaristen, aber bspw. auch Tierrechtler), weshalb sie Reformen vorschlagen. Und “wir” wollen schließlich auch schauen, was für Antworten es auf unklare Situationen gibt, wenn man dieser oder jenem Grundsatz (konsequent) ausgeht.
(Der Ansatz, den ich verfolge, hat, wie mal erwähnt, einen “common morality”-Anteil, d.h. er geht davon aus, dass es bestimmte Prinzipien gibt, die interkulturell Moral ausmachen. Es handelt sich dabei um das Prinzip des Respektes vor der Selbstbestimmung anderer, dem Nichtschadensgebot, dem Wohltungebot, und dem Prinzip der Gerechtigkeit – wobei zurecht eingewendet wird, dass es eher um verschiedene Prinzipien der Gerechtigkeit geht als um ein Prinzip. Keines dieser Prinzipien steht a priori vor einem anderen; nach der “common morality”-Theorie ein zentrales Merkmal menschlicher Moral und eine Kritik an ethischen Theorien, die ein einzelnes Prinzip priorisieren. Aber dennoch sind diese Prinzipien zwangsläufig abstrakt und müssen konkretisiert werden, sei es auch im Nachhinein, um zu überprüfen, ob die Entscheidung rechtfertigbar war oder nicht. Und hier ist die Frage, wie bzw. mit welchen Inhalten genau?).
Marcel Mertz,
vielen Dank für Ihren Kommentar. War abwesend, somit hier meine späte Antwort.
Ich verstehe Sie so: „Die Naturwissenschaft führt nicht zu einer Menschlichen Ethik sondern nur zu „Naturalismus“, als eine materialistische Anschauung von „Gegenseitigen Nützlichkeits-Kriterien“. i.e. “Utilitarismus“.(?).
Mein Ausblick verrät, dass die Naturgesetzlichkeit die die Naturwissenschaft zu erkennen und darzustellen sucht, uns Menschen einen umfassenderes Verhalten als Daseinssinn aufzeigt. Ich nenne das den Sinn zum “Ganzen”. (frei nach Heisenberg)
Ich wäre Ihnen für eine weitere Erklärung dankbar.
Searchers 8. April 2015 um 15:02
“Ich verstehe Sie so: „Die Naturwissenschaft führt nicht zu einer Menschlichen Ethik sondern nur zu „Naturalismus“, als eine materialistische Anschauung von „Gegenseitigen Nützlichkeits-Kriterien“. i.e. “Utilitarismus“”
Dann haben Sie mich falsch verstanden. Ich meinte, jetzt knapp zusammengefasst, Folgendes: Der Naturalismus (das ist eine philosophische Position) geht davon aus, dass es nur naturwissenschaftliche (oder breiter: empirische) Erkenntnis gibt (oder dass wenigstens diese Erkenntnis die “beste”, “wertvollste” ist). Mit naturwissenschaftlicher/empirischer Erkenntnis kann man aber keine Werte, keine Normen, keine moralischen Prinzipien begründen (es gibt keinen einfachen Weg vom “Sein” zum “Sollen”), daher auch keine Ethik. Jedoch gibt es Naturalisten, auch hier im Blog, die z.B. eine humanistische Ethik propagieren. Wie können diese nun ihre Ethik nur mit dem, was ein Naturalismus “anbietet”, begründen?
Gegen den Utilitarismus habe ich mich nicht speziell negativ geäußert (das haben andere Blogteilnehmende), eher verteidigt, da gerade der Utilitarismus oft unfair und “vulgär” dargestellt und aufgefasst wird. Er ist auch keine Folge eines Naturalismus, resp. hängt nicht von ihm ab, deshalb spielt er per se für das oben nicht wirklich eine Rolle.
“Mein Ausblick verrät, dass die Naturgesetzlichkeit die die Naturwissenschaft zu erkennen und darzustellen sucht, uns Menschen einen umfassenderes Verhalten als Daseinssinn aufzeigt.”
Deshalb bin ich davon ausgegangen, dass Sie offenbar einen sehr rigiden Naturalismus vertreten. Gut, wie ich jetzt vermute, nicht ganz so einen “klassischen” wie der, der heute größtenteils vertreten wird, weil Sie offenbar Naturrechts-Überlegungen mit naturwissenschaftlicher Erkenntnis zusammenführen wollen oder Ähnliches. Dennoch scheint mir, das Problem, das ich im Impulstext formuliert habe, trifft Ihren Ansatz erst mal genauso.
@ Marcel Mertz
Wie ich hier vernehme, bereiten Sie sich zur Abreise vor. Umso mehr schätze ich die Zeit die Sie mir mit Ihrer Antwort vom 8. April 2015 um 15:56 gegönnt haben.
Ich erlaube mir aber doch, noch einige Beobachtungen aufzuzeigen bezüglich Ihres Impulstextes zu diesem Blog und Ihren Antworten auf diesbezügliche Beiträge hier, besonders aber die Meinigen.
Von Ihrem Einführungs CV wird nicht klar genug auf welchem Verständnis Hintergrund ihre geistige Wissenslandschaft zu betrachten ist.
Es scheint mir, Ihre Hinweise auf Naturwissenschaft werden wie ein quasi abstrakter Begriff eingesetzt. In meinem ersten Beitrag vom 29. März 2015 um 13:03
versuche ich meine Ausführungen in eher weitausgreifenden Grundlagebemerkungen, in einen ziemlich umfassenden Kontext bezüglich Ihres angegangenen Themas zu stellen; sogar zu unserer gegenwärtigen wirtschaftlichen und politischen Gesellschaftssituation in unserer Evolutionsgeschichte bis jetzt. Im Besonderen, mein Anliegen und meine Kritik an den Geisteswissenschaftlern über ihr Desinteresse – seit Descartes und seiner Konfrontation mit der Kirche -, sich in die Tiefen der Naturwissenschaften zu wagen und zu verstehen zu suchen, hatte ich erwartet würde den „Beelzebub unter die Jünger setzen“.
Sie scheinen sich nicht mit diesen Hinweisen befassen zu wollen, und sehen offenbar im Kontext keine Bedeutung. Ich bin ausserordentlich enttäuscht über diese Berührungsscheu der Geisteswissenschaftler mit der Naturwissenschaft, wobei Zusammenarbeit fundamental notwendig ist. Als Elektro Ingenieur, gehe ich da besonders auch aus von Bohr und Heisenbergs unermüdlichem Dringen auf die Notwendigkeit solcher Zusammenarbeit, darauf gefolgt von Hans-Peter Dürr vom Planck Institut, um das unentbehrliche „Ganze“, den Mitmenschen und besonders denen die sich als Elite betrachten, wie auch Politiker, in ihr Erfassen zu bringen.
Die Geisteswissenschaftler und ihr gesamter Stand, aber geben nicht einmal einen Gedanken geschweige ein Interesse an die Tatsache ab, dass all ihr Denken und Theoretisieren in ihrem zweigeteilten Gehirn stattfindet durch die neurobiologischen Interaktionen und Verbindungselastizität von Billionen von Neuronen mit ihren Axonen & Dentriten, ihren Molekülen, Atomen Ionen etc. als Natur, in der Natur und aus der Natur, und kann somit die Naturgesetzlichkeit nicht umgehen. Unser andauernd „SeinWerdendeVergehen“ nach Naturgesetzlichkeit der wir in unzähligen „Schichten“ unser erwachendes Unbewusst-, Unterbewusst- und Bewusstsein verdanken, und vermutich auch das das wir als Spiritualität ahnen, und so als „DAS GANZE“ empfinden, und andauernd zunehmend ahnen und erfassen können als die “Vegangenheit, Gegenwart und Zukunft der Ewigkeit“. Dabei ist unser Universum mit Erde und Menschheit ein “SeinWerdendVergehender Zustand“ der Ewigkeit, von denen wohl unzählige, von unserem Universum aber wohl absolut artverschiedene Zustände, die Ewigkeit ausmachen,und die durch einen Verlauf – wie wir ihn mit unserem Universum nach dem “Universumalen zweiten Gesetz“(bekannt als Spezialfall in der Thermodynamik) durchmachen- und in der “Ewigkeit gerechten Form“ in die Ewigkeit eingehen, wobei diese selbst sich verändert was ihr das Wesen der Ewigkeit gibt. So, selbst wenn Gott die Ewigkeit ausmachte, müsste er/sie sich selbst Veränderung gefallen lassen.
So musses höchste Zei sein, dass die Geisteswissenschaftler einsichtig werden, und ihre Notwendigkeit und Bedeutung für das Überleben der Menschheit, mindestens seit Descartes wenn nicht schon seit Pelagius (+ 418) der von Augustinus (+430) mit seiner Erbsündenlehre aus der Kirche gedrängt worden war, die Menschheit grundsätzlich und andauernd hindern und gefährden.
Zur heutigen Zeit in der die Naturwissenschaft gezwungen wird, die Naturgesetzlichkeit im Lichte von „Quanten-Biologie“ und „Quanten-Mikrochemie“ zu verfolgen (i.e. nicht mehr nur Moleküle, Atome, Ionen, Zellen, Organe, sondern Verhalten von Photonen, Elektronen, Positronen, Muonen, Quarks, uam., die weder Raum noch Zeit anerkennen, muss berücksichtigt werden) um besonders Hirn-Funktionen und Lokalität durch SPECT Beobachtungen verstehen und erklären zu können, sollen sich einmal demütigen und durch das entsprechende Vertiefen in- und Verstehen suchen von der- Naturgesetzlichkeit, einsehen, dass sie ihre Bedeutung durch Isolation verloren haben.
Eine gute Einführung könnte das Buch sein des Hirnforschers, Neurophysiologen und Psychiater’s mit über 40 Jahren Erfahrung, Iain McGilchrist durch sein Buch „The Master and his Emissary“, The Divided Brain and the Making of the Western World.
Er ist leider kein besonderer Optimist für unsere Zukunft. Schon C.G. Jung und der Physiker W. Pauli in den 1950iger Jahren kamen in ihren Gesprächen überein, der Mensch sei in seiner Evolutionsgeschichte dort angelangt wo sein Fortbestand einen Evolutionssprung fordert der psychologisch und physiologisch gleichbedeutend sein müsse wie der seiner Vorfahren, als sie sich zum Aufrechtgang erhoben. McGilchrist selber gesteht ähnliche Ahnungen zu. Er stellt die nachteiligen Folgen dar die die menschliche Spezies ihrer Gehirn Entwicklung in den vergangenen ca. 2400 Jahren angetan hat (ca. nach Sokrates). Wir sind soweit, dass unsere Linke Hirnstrukturfunktionen (Kurzzeit- und Lokal-Fokus des “Logos“) die Rechtsstrukturfunktionen (Langzeit- und Gesamtheits-Fokus des “Mythos“) unterdrücken und missachten. “Der Emissär glaubt fälschlicherweise, er könne ohne den Meister besser auskommen!“
Die Symptome des Daseinszustandes der Menschheit in dieser unserer Welt werden uns täglich , ja, dauern vorgeführt und mitgeteilt über die Medien und unser persönliches tägliches Erleben auf der Arbeit, in der Familie in den Schulen, auf den Strassen, Supermärkten und Büros. Von Politikern in Parlamenten und Regierungen, die uns warnen vor Gefahren und warum sie uns mehr und mehr unsere Freiheit beschränken müssen, wegen Terroristen und weil Geld knapp und knapper wird für Löhne in Fabriken, Spitälern, für Lehrer, Schulen, Beamte, Verkehr, Flüchtlinge, Arme, Kranke, keine Arbeit für die die suchen. Der Zustand der Weltwirtschaft, alle Länder überschuldet, das Geldsystem das mysteriöser Weise von gleichfalls mysteriösen Leuten in Zentralbanken, der BIZ in Basel (als CH ex Territorialer Ort), und Dollar Jongleuren an der Wallstreet betrieben werden. Land, Häuser, Wohnungen sind nur gegen “Blasenpreise“ zu haben, und unterwerfen die Hypothekenschuldner als Sklaven für Generationen den Bankern. Die Aktienpreise steigen, jemand wird reich, nur die nicht die reale Werte schaffen.
Herr Mertz, in diesem Zusammenhang wird klar aber doch enttäuschend, wie Sie am Ende Ihres Impulstextes Ihre dritte Option abtun mit:“….oder sich Inkonsistenzen einzuhandeln, die man theoretisch irgendwie auflösen können muss. Denn kann man das nicht, läuft man Gefahr, je nachdem theoretisch inkonsistenter zu sein als das was man kritisiert: eine religiöse Ethik“. d.h. man übergibt das Problem den Erfindern Gottes und seiner Stellvertreter hier auf Erden. Kein Wunder, dass wir sind wo wir sind, wie seit jeher Sklaven der Hierarchie Gott>Kaiser/Könige>Aristokratie der Landbesitzer (privaten Banken) mit Armee>Untergebene die Werte schaffen.
Mit was für einer Ethik rechtfertigt sich wohl diese Ordnung die dem Leben, nur aber dem Menschen nicht, den freien Zugang zu den Naturgütern Naturgesetzlich gewährt?
Übrigens:
A.C. Greyling, Literary Review schreibt über McGilchrists Buch:“A beautifully, written, erudite, fascinating and adventurous book. It embraces a prodigious range of inquiry, from neurology to psychology, from philosophy to primatology, from myth to history to literature and art. It goes from the microstructure of the brain to great epochs of Western civilisation. One turns its five hundred pages – a further hundred are dense with notes and references in tiny print. McGilchrist tells us about the rapidly evolving technologies and experimental work in fascinating and lucid detail.”
Ich wünsche Ihnen eine angenehme Reise.
Searchers 10. April 2015 um 15:25
Danke für Ihre Antwort. Ich bin bereits in Birmingham, kann mir aber gerade Zeit nehmen. Jedoch nicht so viel, um auf Ihren Beitrag überall eingehend antworten zu können. Ich möchte daher vor allem versuchen, ein paar Dinge richtig zu stellen, die – wie ich glaube – falsch “angekommen” sind.
“Von Ihrem Einführungs CV wird nicht klar genug auf welchem Verständnis Hintergrund ihre geistige Wissenslandschaft zu betrachten ist.”
Meine akademische Vita mit Publikationen können Sie hier (h ttp://geschichte-ethik.uk-koeln.de/de/forschungsstelle-ethik/mitarbeiter/wissenschaftl/marcel%20mertz) und hier (h ttps://www.mh-hannover.de/20990.html?&L=1) einsehen.
Aber zu einigen “Eckpunkten”: Ich bin agnostischer Atheist, schwacher Naturalist (weshalb die Themen im Impulstext mich auch persönlich ein Stück weit betreffen, wenngleich ich eben nur ein “schwacher” Naturalist bin, der sich mehrheitlich auf die ontologische These beschränkt), bin vorwiegend – nicht ausschließlich – in inter- und transdisziplinären Projekten im Bereich der Medizinethik tätig gewesen (d.h. habe regelmäßig mit Medizinern, z.T. Naturwissenschaftlern, Sozialwissenschaftlern und Juristen zusammen gearbeitet). Außerdem verfolge ich methodologisch eine Richtung, die als “empirische Medizinethik” bezeichnet wird, bei der es darum geht, normative und empirische (meist sozialwissenschaftliche) Disziplinen und deren Ergebnisse systematisch miteinander zu verbinden. Meine Masterarbeit und meine Dissertation hatten entsprechend auch mit solchen Themen/Fragestellungen zu tun.
(An der Stelle sei mir erlaubt, darauf hinzuweisen, dass ein Impulstext auch bewusst provokativ geschrieben sein kann und auch kritische Punkte aufwerfen darf, mit denen man selber konfrontiert ist – zumindest verstehe ich u.a. philosophisches Denken und Schreiben so, dass es mehr um die Probleme von Positionen, Theorien und Annahmen etc. gehen soll als nur darum, seine eigenen Ansichten darzustellen).
“Es scheint mir, Ihre Hinweise auf Naturwissenschaft werden wie ein quasi abstrakter Begriff eingesetzt.”
Das ist schlicht auch dem Kontext hier im Blog, also hinsichtlich Leserschaft und Länge des Textes, geschuldet. Es ist schließlich kein Fachartikel, manche Sachen mussten (zu) einfach bleiben.
“In meinem ersten Beitrag vom 29. März 2015 um 13:03 versuche ich meine Ausführungen in eher weitausgreifenden Grundlagebemerkungen, in einen ziemlich umfassenden Kontext bezüglich Ihres angegangenen Themas zu stellen”
Wie weiter oben geschrieben, war mir nicht so klar, was ich mit Ihrem Beitrag “anfangen” soll. Und ich gebe zu, ein Stück weit auch jetzt nicht, weil er m.E. doch teilweise recht weit vom Thema ablenkt und ehrlicherweise gesagt mir z.T. wirr erscheint (der ganze Absatz z.B. “SeinWerdenVergehen” usw.).
Wenn angefangen wird, von der BIZ und dem Zustand der Weltwirtschaft usw. zu reden, wenn es um ein Grundlagenthema wie dem im Impulstext geht, gebe ich zu, dass ich – einfach schon aus Zeitknappheit – anfange, das nicht mehr für so relevant einzustufen für das gegenwärtige Thema. Das ist mir dann eine Ecke zuviel Abschweifung. Auch deshalb konzentriere ich mich nun vonehmlich auf Aussagen Ihrerseits, wo ich einen deutlicheren Bezug zum Thema sehe.
“Sie scheinen sich nicht mit diesen Hinweisen befassen zu wollen, und sehen offenbar im Kontext keine Bedeutung.”
Siehe Bemerkung oben.
“Ich bin ausserordentlich enttäuscht über diese Berührungsscheu der Geisteswissenschaftler mit der Naturwissenschaft, wobei Zusammenarbeit fundamental notwendig ist.”
Nun ja, ich bin i.d.R. enttäuscht über die Berührungsscheu “der Naturwissenschaftler” mit der Geisteswissenschaft, die meiner Erfahrung nach nicht geringer ausfällt – wenn von “denen” nicht sowieso gleich Bemerkungen kommen wie “Das ist gar keine Wissenschaft” o.Ä., also überhaupt keine Anerkennung als “Partner” von Vorneherein besteht; was nun mal absolut entscheidend ist, wenn man zusammenarbeiten will/soll.
Die Zusammenarbeit ist jedoch nicht überall erforderlich. Und das sage ich als jemand, der sich mit interdiszplinärem Arbeiten durchaus auskennt und das auch prinzipiell wertschätzt – gerade deshalb sage ich das. Nicht für jede Fragestellung braucht man interdisziplinäre Forschung (mit all ihrem Aufwand). Disziplinäre Forschung wird auch weiterhin unabdingbar bleiben, mit allen Vorteilen und (leider) auch Nachteilen.
“Die Geisteswissenschaftler und ihr gesamter Stand, aber geben nicht einmal einen Gedanken geschweige ein Interesse an die Tatsache ab, dass all ihr Denken und Theoretisieren in ihrem zweigeteilten Gehirn stattfindet durch die neurobiologischen Interaktionen und Verbindungselastizität von Billionen von Neuronen mit ihren Axonen & Dentriten, ihren Molekülen, […]”
Dann sollten Sie mal in der Philosophie mal so Personen wie Daniel Dennett oder Paul und Patricia Churchland sowie andere prominente Vertreter der Philosophie des Geistes bzw. “philosophy of mind” berücksichtigen (knallharte Naturalisten und z.T. sog. “Eliminativisten”, vgl. h ttp://de.wikipedia.org/wiki/Eliminativer_Materialismus). Dadurch wird auch deutlich, dass Sie hier eine philosophische Position mittragen (empirische Ergebnisse sind eine Sache, deren weitergehende, eben philosophische Interpretation und v.a. Bewertung – “Was sagt uns das nun in Bezug auf die ‘großen Fragen’? – eine andere).
Ein anderer Punkt ist, inwieweit das für “die Geisteswissenschaftler” (wenn wir das nun mal so for the sake of the argument verallgemeinern, auch wenn das empirisch unsinnig ist) für ihre Forschung wirklich relevant ist. Was hat ein Germanist genau davon, der sich mit – was weiß ich – der Interpretation vom “Steppenwolf” beschäftigt? Oder der Historiker, der die Situation der Landarbeiter im frühen 16. Jahrhundert in der Ostschweiz untersucht? Faktische Forschungsprojekte haben auch in den Geisteswissenschaften oft mit viel “kleineren” Fragestellungen zu tun als “das GANZE”.
Umgekehrt könnte man auch einwenden, dass vieles, was v.a. die Philosophie im Bereich der Epistemologie und Wissenschaftstheorie erarbeitet hat, für “die Naturwissenschaftler” und ihre Arbeit höchstrelevant wäre (v.a. wenn es darum geht, weitreichende Schlussfolgerungen aus mageren Einzelexperimenten zu ziehen), derlei aber auch nur selten berücksichtigt wird. Aber auch hier kann zurecht gefragt werden: Ist das für jede konkrete Forschung immer gleich wichtig? Nein, würde selbst ich als jemand mit philosophischem Hintergrund sagen.
“So musses höchste Zei sein, dass die Geisteswissenschaftler einsichtig werden, und ihre Notwendigkeit und Bedeutung für das Überleben der Menschheit, mindestens seit Descartes wenn nicht schon seit Pelagius (+ 418) der von Augustinus (+430) mit seiner Erbsündenlehre aus der Kirche gedrängt worden war, die Menschheit grundsätzlich und andauernd hindern und gefährden.”
Der Gedanke hat zwar nich ganz so viel mit dem Thema zu tun, aber ich frage mich nun schon, an was Sie da genau denken: Wo hindert und gefährdet “die Geisteswissenschaft” (Ihnen ist klar, wie viele und welche Disziplinen darunter fallen?) die Menschheit? Ganz konkret?
(Über eine Wissenschaftsgruppe/Fakultät, bei der meist beklagt wird und die auch von außen meist dafür kritisiert wird, dass sie keinen Einfluss auf “die Wirklichkeit” hätte, sondern “Elfenbeinturm-Wissenschaft” sei, wäre das auf jeden Fall eine erstaunliche Leistung! – Evtl. wäre gut, Sie würden mal kurz schreiben, was genau Sie unter “Geisteswissenschaft” verstehen. – Ich erinnere mich an einen merkwürdigen Kommentar vor ein paar Monaten oder so zu einem Newsnetz-Artikel über die zu vielen Studierenden in den Geisteswissenschaften, wo jemand – ich hoffe, das waren nicht Sie! – so etwas Absurdes geschrieben hat wie dass Geisteswissenschaftler alles “Geistliche” wären, also Theologen oder andersartig religiös Involvierte … da hatte jemand aber echt gar keine Ahnung, was die Geisteswissenschaften sind. Und dabei würde schon ein Blick in Wikipedia klären, was die Geisteswissenschaften sind und was nicht).
“Die Symptome des Daseinszustandes der Menschheit in dieser unserer Welt werden uns täglich […]”
O.k., aber was genau hat das mit den Geisteswissenschaften zu tun? Manche Geisteswissenschaftler würden hier einwenden, dass wenn man auf sie hören würde, viele soziale Missstände gerade nicht bestünden (weil sie über so Sachen wie soziale Gerechtigkeit nachdenken usw.).
Und was genau wäre die Alternative, wenn “wir alle” uns nur an den Naturwissenschaften orientieren würden? (Was immer das auch heißen mag, schließlich sind “die Naturwissenschaften” ja auch ein riesiges Konglomerat verschiedener Einzeldisziplinen, die auch nicht immer in Friede, Freude und Eierkuchen koexistieren oder immer derselben Meinung sind)?
“Herr Mertz, in diesem Zusammenhang wird klar aber doch enttäuschend, wie Sie am Ende Ihres Impulstextes Ihre dritte Option abtun mit:“….oder sich Inkonsistenzen einzuhandeln, die man theoretisch irgendwie auflösen können muss. Denn kann man das nicht, läuft man Gefahr, je nachdem theoretisch inkonsistenter zu sein als das was man kritisiert: eine religiöse Ethik“. d.h. man übergibt das Problem den Erfindern Gottes und seiner Stellvertreter hier auf Erden.”
Erinnern Sie sich an meine Anmerkung weiter oben: Impulstexte können auch provokativ formuliert werden. Gerade dieser Schluss war so gedacht: Er sollte v.a. die Naturalisten hier im Blog herausfordern, aufzuzeigen, wie man das vermeiden kann (was leider nicht geklappt hat).
(Übrigens bin ich selber ein Vertreter dieser “dritten Option”, weil ich dort die einzige Möglichkeit sehe, dem Trilemma zu entkommen; und deshalb u.a. bin ich auch nur ein “schwacher” Naturalist. Also bin ich sicher keiner von denen, die “das Problem den Erfindern Gottes und seiner Stellvertreter hier auf Erden” übergeben würden, schon aufgrund meines Atheismus’ nicht).
“Mit was für einer Ethik rechtfertigt sich wohl diese Ordnung die dem Leben, nur aber dem Menschen nicht, den freien Zugang zu den Naturgütern Naturgesetzlich gewährt?”
Welches Naturgesetz – im naturwissenschaftlichen Sinne! – gewährt freien Zugang zu Naturgütern? Spätestens hier ist der Ort, wo Sie m.E. ein konzeptuelles Durcheinander machen. Man kann ja eine Naturrechts-Position vertreten, aber über Naturgesetze geht das nicht (nicht, solange man “Naturgesetz” wissenschaftstheoretisch korrekt versteht). Und wenn Sie doch einen gangbaren Weg dazu finden, den Sie argumentativ “sauber” darlegen können, rate ich Ihnen, das mal auszuformulieren und einer philosophischen Fachzeitschrift anzubieten (das meine ich ernst!).
Searchers 10. April 2015 um 15:25
Noch zwei Ergänzungen:
Zu meinem: “Nun ja, ich bin i.d.R. enttäuscht über die Berührungsscheu ‘der Naturwissenschaftler’ mit der Geisteswissenschaft, die meiner Erfahrung nach nicht geringer ausfällt”
Wenn man von dem Spiel, den schwarzen Peter hin und her zu verschieben (“Wer will weniger mit den anderen zu tun haben, wessen Schuld ist es, dass es keine Zusammenarbeit gibt?“), absehen will, würde ich (wissenschafts-)soziologisch sagen, ist es unvermeidbar, dass grundsätzlich eher wenig Interesse in den Einzeldisziplinen besteht, v.a. mit “ferneren” anderen Einzeldisziplinen zu kooperieren (oder sich auch nur für andere Disziplinen zu interessieren). Das hängt mit den kognitiven, institutionellen und anderen sozialen Faktoren zusammen, die eine Disziplin ausmachen. (Wie sich die “Disziplinierung” der wissenschaftlichen Wissensproduktion auswirken kann, kann man bereits bspw. an manchen Debatten zwischen Soziologen und Philosophen sehen).
Zu Ihrem: “So musses höchste Zei sein, dass die Geisteswissenschaftler einsichtig werden, und ihre Notwendigkeit und Bedeutung für das Überleben der Menschheit, mindestens seit Descartes wenn nicht schon seit Pelagius (+ 418) der von Augustinus (+430) mit seiner Erbsündenlehre aus der Kirche gedrängt worden war, die Menschheit grundsätzlich und andauernd hindern und gefährden”
Der Hinweis mag hier angebracht sein, dass es “die Geisteswissenschaften” erst seit dem späten 18. Jahrhundert gibt, genauso wie “die Naturwissenschaften”. Sowohl Einzeldisziplinen als auch Disziplinengruppierungen (“Kulturen”) haben sich erst in der Renaissance und Neuzeit angefangen, sich aus der Philosophie – und z.T. aus dem Handwerk – zunehmend auszudifferenzieren. Vorher waren “die Naturwissenschaften” lange Zeit “Angewandte Naturphilosophie”, und zwischen dem, was wir heute disziplinär zu denken gewohnt sind, bestanden keine so scharfen Trennlinien. (Man denke an bspw. Aristoteles, den wir heute als Philosoph, Mathematiker, Logiker, Physiker, Biologe, Politikwissenschaftler, Erziehungswissenschaftler und Literaturwissenschaftler – und noch mehr – bezeichnen könnten. Ein Isaac Newton, als weiteres Beispiel, hat neben Arbeiten in der Physik auch theologische Traktate verfasst sowie Dinge geschrieben, die wir heute mehr der Philosophie als den Naturwissenschaften zuordnen würden; und daneben hat er sich auch mit heute etwas merkwürdigen Dingen wie Alchemie und der Suche nach dem Stein der Weisen beschäftigt, wenngleich das wissenschaftshistorisch keineswegs überraschend ist).
Eine historische Kausalität “den Geisteswissenschaften” an irgendetwas vor dem, sagen wir mal: beginnenden 19. Jahrhundert zuschreiben zu wollen, scheint mir auch schon deshalb wenig überzeugend zu sein.
@ Marcel Mertz 10 April 2015 um 16:33 & 19:13
Vielen Dank für Ihre prompte und produktive Antwort die mir Einiges zum Überdenken aufgibt.
Ich schätze Ihre grundsätzliche Ehrlichkeit.
Ja, ich habe Ihr Impulstextformat vielleicht nicht entsprechend genug berücksichtigt, aber mir scheint dieses gebe Ansporn zu Diskussion.
Ihr bedeutender CV Hinter- und Vordergrund sind mir durch Ihre Links deutlicher geworden. Philosophie sticht heraus. Mit Elektro Ingenieur Studium und GrossKraftwerkbau Praxis muss ich Ihnen wohl etwas “wirr“ vorkommen.
Ich verstehe warum meine Ausführungen Ihnen etwas wirr erscheinen können, und Ihre Kritik ist berechtigt. Aber ich will mich nicht an herkömmliche Konventionen und Lehrdogmas halten, weil diese ein Hindernis sind um Neues zu denken. Dazu braucht es auch etwas Wortfantasie, die eine lebendige Sprache tolorieren sollte.
Sie haben wohl diese Freiheit nicht, weil ja die Akademia von Staatsgeld oder noch schlimmer von privaten Interessen abhängig sind, und so ihre Unabhängigkeit verloren haben. Die müssen doch in das umfassende Paradigma mit ihren Dogmen und Ideen passen. Universitäten haben ihre freie Vordenker und Neudenker Aufgabe den Banken und Geschäftsinteressen unterzuordnen, damit die Bürger nicht noch schlau würden.
Da kommen wir ja gerade an die fundamentale Schnittstelle der materiellen und immateriellen Wirklichkeit. Falls Sie mich hier nicht verstehen sollten, weise ich hin auf die Situation in der sich die Naturwissenschaft, und zwangsläufig die Geisteswissenschaft, befinden. Nämlich, die “ “NaturPhilosophischen“ Grundfragen, deren Beantwortung uns das Wesens-Verständnis der Naturgesetzlichkeit bringen sollte, die unser Universum, unsere Welt mit uns Menschen und damit uns selbst und unsere Zukunft bestimmen, sind offen. Diese Fragen drängen sich auf wegen der existierenden mangelhaften Begriffsbestimmungen und Definitionen, d.h. nur wenigstens die “Darstellungen“ in Wort, Formel oder sogar Kunst dessen das wir, – sagen wir einmal -“Naturphilosophische Universalgesetzlichkeit“ nennen könnten.
Dies betrifft den Ersatz für die landläufige FAPP, i.e. “For All Practical Purposes“ genügenden Vorstellungen, auch wenn diese in FAPP mathematischen Definitionen den gegenwärtig bekannten Anwendungen genügen (analog der in mm unterteilten ‘Messtape‘ für den Schreiner und Bau etc.) aber uns Grenzen setzen für tieferes Verständnis und Erfassen der Naturgesetzlichkeit, weil sie nur die FAPP materielle Wirklichkeit erfassen kann, aber nicht die materielle Wirklichkeit die mit der Immateriellen Wirklichkeit DAS GANZE bildet. Das betrifft unsere Vorstellungen von Energie, Entropie, InFormationsPotential, und Potentielle InFormation. – Wirr?
Übrigens DAS GANZE bestimmt das Fortleben auch der Menschlichen Gemeinschaft. (scheuen Sie sich vor Bohr; Heisenberg/ Physik und Philosophie; Pauli/ An C.G. Jung; Schrödinger/What is Life; John Bell/Photons Entanglement as Empathy?)
Das BIZ kontrollierte Private Weltgeldmonopol hat mit Mafia Methoden die Menschen zu deren Sklaven gemacht. Das ist das Imperium der Psychopathen(re McGilchrist/Hirn der Psychopathen; Lobaczewski/durchschnittlich 6% unterentwickeltes Psychopathen Hirn/12%der Menschen folgen denen als Hörige. Wie rechtfertigen die Ethiker solche Einrichtungen?
Ich kenne Daniel Dennet, Paul und Patricia Churchland, Fritjof Capra etc), alles wertvolle Ansätze.
Pelagius. Augustinus gewann die Röm. Kirche für seine Erbsünden Lehre mit der diese den Menschen der sog. Christlichen Welt ihr Selbstvertrauen zerstörte und Gott/Jesus unterwarfen. Pelagius wurde aus der Kirche verbannt weil er insistierte, dass die Natur alles besitzen müsse für ein gottgefälliges Menschenleben.
Re Naturgesetzlichkeit und freien Zugang zu Naturgütern. Sprechen die Ethiker dem Menschen das Recht auf Leben ab? Wenn nicht, wie kann er dieses Recht für sich und seine Nachkommen ethisch durchsetzen? Indem er bei der Gott/Klerus>Kaiser-König>Arsitokratie dieser Ethik Hirarchie als Untertan unten ansteht und deren Banken als Sklaven lebenslänglich Hypotheken abzahlen? Bedingt das Naturrecht nicht Naturvernunft, die sogar die Würmer, Schnecken, Affen etc. besitzen?
Was ist historische Kausalität? Mensch gemacht, auch der krankhafte Irrsinn? Ich sehe in der Naturgesetzlichkeit, dass jede Generation von Leben selbst bestimmt wie sie ihr Leben und Überleben sichern. Für Menschen muss es kriminell unethisch sein, nachkommende Stimmbürgergenerationen den Mensch gemachten Gesetzen der vergangenen Generationen zu unterwerfen ohne, dass die Neuen Generationen das Rech haben selbst zu entscheiden ob sie die bestehenden Gesetze, oder dergleichen, bestehen lassen, abändern, abschaffen oder sich neue geben wollen. Als einzige Nation der Welt haben die CH Bürger dieses Recht durch das Initiativ und Referendumsrecht, wenn auch mit Verbesserungsnotwendigkeit, aber immerhin Nachahmungswürdig mit der folgenden Möglichkeit die EU (Sau)Ordnung aufzuräumen.
Mit besten Wünschen FFR
@ Marcel Mertz
Ich wollte Sie nochmals auf das Buch von Iain McGilchrist “The Master and his Emissary” aufmerksam machen. Sehen Sie es bei Gelegenheit an. Ich glaube es würde besonders gut in Ihr Berufsprofil passen.
FFR
@Marcel Mertz
Kennen Sie diesen Artikel aus diesem Medium: «Die Wissenschaft hat Gott nicht abgeschafft»?
Insofern verblieb meine Frage an Sie unbeantwortet:
Wieso soll ein Naturalist seine Weltsicht ‘verraten’ wenn er ‘Ethik’ als einen ‘vertrauensbasierten Konsens’ betrachtet und in aller Bescheidenheit auf noch offene Fragen der Naturwissenschaften hinweist?
Wir haben schon einmal das ‘Prinzip der Natur’ erwaehnt – und dabei hat ein anderer Kommentator auf Conway (Game of Life) hingewiesen sowie das gegenteilige ‘Prinzip der Gnade’ vorgestellt. Das sind sehr interessante Gedanken – besonders wenn man die allumfassende Einheit als eine moeglicherweise prinzipielle Dualitaet der Erscheinungen begreift (Tag/Nacht, Sommer/Winter, Leben/Tod (Sein/Nichtsein), etc.)) und also moeglicherweise der ‘goldene Pfad der Mitte’ einen praktischen Loesungsweg anbieten koennte. So war denn auch meine an Sie gerichtete Frage zu verstehen, ob Sie ueber einen Blumen-, Kraeuter- oder Gemuesegarten verfuegen koennen (mir hat diese Arbeit viele Einsichten geliefert, weshalb ich von den beiden Prinzipien ‘Natur’ resp. ‘Gnade’ so dermassen angetan bin). Es ist immer ein ‘sowohl als auch’….und wenn wir die Vertrauensfrage herbeiziehen, die ja die Grundlage jeglicher ‘ethischer’ Konsensfindung darstellt, erhellt sich allenfalls auch, wieso Ethik nicht sein kann, was sie sein soll.
Searchers 11. April 2015 um 16:45
Ich gehe erst auf das von Ihnen erwaehnte Buch ein, dann auf Ihr Posting.
“Ich wollte Sie nochmals auf das Buch von Iain McGilchrist “The Master and his Emissary””
Ich habe mal zuerst auf h ttp://www.iainmcgilchrist.com/brief_description.asp#content die Zusammenfassung gelesen, dann Mary Midgleys positive Besprechung (h ttp://www.theguardian.com/books/2010/jan/02/1), dann A.C. Graylings negative Besprechung (h ttp://www.literaryreview.co.uk/grayling_12_09.html) – aus letzterer haben Sie ja schon frueher etwas zitiert, merkwuerdigerweise aber so selektiv, dass das eigentliche Urteil von Grayling gar nicht heruebergekommen ist.
Er schreibt naemlich u.a. in seiner Besprechung:
“It offers nothing less than an account of human nature and Western civilisation as outcomes of the competition between the human brain’s asymmetrical halves. Thus baldly described, the endeavour doubtless seems implausible at least.”
Oder:
“Now to return to that matter of jumping to the conclusion that what McGilchrist’s book seeks to do is, at very least, implausible. Alas, it is. The chief reason is that far too much is made to turn on the suppositious and slender state of knowledge in brain science. Although a great deal of intensely interesting work has been done and is being done in that field (McGilchrist tells us about the rapidly evolving technologies and experimental work in fascinating and lucid detail), nevertheless it simply does not permit such claims as that ‘the right hemisphere underpins our sense of justice’, ‘only the right hemisphere understands metaphor’, ‘the left hemisphere closes most routes to reality’, and the overarching claim for which McGilchrist argues, namely that the narrow, fragmenting, thing-based, mechanical, overly self-confident, black-and-white, unempathetic, even zombie-like left hemisphere is dominating our civilisation to its cost.”
Usw. Grayling zerlegt das Buch inhaltlich (wenngleich nicht vom Stil her!): ich verstehe darum nicht ganz, warum Sie Graylings Besprechung als positives Statement eingefuegt haben (oder haben Sie die gesamte Buchbesprechung von Ihm gar nicht erst gelesen?).
Nachdem bei mir schon bei der Zusammenfassung auf der Seite von McGilchrist die “Alarmglocken” angegangen sind – was sie schnell tun, sobald irgendwelche komplexen sozialen und kulturellen Phaenomene und historische Entwicklungen monokausal erklaert werden, und dann ganz besonders bei Neurowissenschaften, bei der in den letzten Jahren zu oft weitreichende Aussagen auf Basis zwar spannender, aber letztlich kleiner Experimente gemacht wurden -, habe ich bei Grayling sozusagen die “Bestaetigung” fuer den “Alarm” erhalten.
Insbesondere schliesse ich mich Folgendem an:
“His argument might have been framed in quite different terms, closer to the standard counter-Enlightenment tropes that promote the authority of emotion, art, religion, ethnic feeling and the like over the supposed reductive barrenness of reason.”
Wenn es letztlich nur darum geht, dass solche Sachen wie Gefuehl, Kunst, soziale Beziehungen usw. ein groesseres Gewicht haben sollten als Vernunft, Logik, Theorie usw., dann ist das keine neue Forderung, sondern ziemlich “alter Kaffee”. Auch in der Ethik gibt es seit laengerem solche Ansaetze (z.B. Mitleidsethik, Care-Ethics, bis zu einem gewissen Grad Tugendethiken und einige feministisch orientierte Ethiken).
Ich sehe also nicht so genau, was neu an der “core message” sein soll; die Begruendung mag vielleicht heute mehr der “Mode” entsprechen, “alles” ueber Ergebnisse der Hirnforschung zu rechtfertigen, fuegt aber der “core message” nichts hinzu, und ist zudem aufgrund ihrer Monokausalitaet und dem Stand der Neurowissenschaften m.E. fragwuerdig.
Schliesslich sehe ich auch nicht so ganz, wie dieses Buch Ihre Forderung nach “mehr Naturwissenschaften” belegen koennen soll. Wie Mary Midgley in ihrer positive Besprechung u.a. schreibt:
“Our whole idea of what counts as scientific or professional has shifted towards literal precision – towards elevating quantity over quality and theory over experience – in a way that would have astonished even the 17th-century founders of modern science, though they were already far advanced on that path. […] And the ideal of objectivity has developed in a way that would have surprised those sages still more.”
Doch welche Wissenschaften sind i.d.R. jene, die auf Quantifizierung bauen und einen hohen Objektivitaetsanspruch erheben (rhetorische Frage)? Natuerlich gerade die Naturwissenschaften! Wie sollen also diejenigen Wissenschaften, die – nach McGilchrists Einteilung – voellig der linken Gehirnhaelfte froenen, der “Schluessel” dazu sein, die rechte Gehirnhaelfte (wieder) zu ihrem Recht zu verhelfen? Waeren da die Geisteswissenschaften mit ihren viel qualitativ orientierten Vorgehensweisen, ihrer zuweilen bestehenden Naehe zur Kunst (Literaturwissenschaften, Kunsthistorik, Aesthetik usw.) und ihrer staerkeren Betonung der subjektiven Erfahrungswelten nicht besser geeignet? Ja muss man Ihre Aussage von frueher, dass die Geisteswissenschaften es seien, die das Uerberleben der Menschheit usw. behindern wuerden und historisch mehrmals schon getan haetten, vor dem Hintergrund nicht gerade korrigieren und sagen: Nein, es sind die Naturwissenschaften mit ihrer Linkshirn-Lastigkeit, die unsere Gesellschaft dorthin gebracht haben, wo sie heute steht, mit diesen schwierigen Problemen, die Sie angesprochen haben? (Z.T. rhetorische Fragen drin, aber die Grundfrage, warum Sie dieses Buch anscheinend als “Beleg” fuer Ihre Position sehen, obwohl es m.E. genau auf das Gegenteil hinweist, ist ernstgemeint)
Searchers 11. April 2015 um 16:33
“Aber ich will mich nicht an herkömmliche Konventionen und Lehrdogmas halten, weil diese ein Hindernis sind um Neues zu denken. Dazu braucht es auch etwas Wortfantasie, die eine lebendige Sprache tolorieren sollte.”
Ich weiss jetzt nicht, wie ich hierauf am besten reagieren soll. Zum einen, um weiterhin ehrlich zu sein, halte ich persoenlich solche Saetze eher fuer vorgeschobene Entschuldigungen fuer “sloppy writing” und damit auch oft fuer “sloppy thinking” (da “sloppy writing” zu “sloppy thinking” fuehrt und umgekehrt), oder fuer eine gewisse Selbstbeweihrauecherung von angeblich “unabhaengigen Denkern”, die so tun, als wuerde nur eine idiosynkratische Sprache, die ausser dem Autor kaum jemand versteht, es erlauben, “Neues zu denken”. (Ohne dass es ernsthafte Belege gaebe, dass es anders nicht gehen wuerde!). Oder zumindest fehlt die Einsicht zuweilen, dass “Neues” nicht automatisch “besser” bedeuten muss, oder dass angeblich “Neues” schon x-mal in anderen Formen gedacht worden ist, und dazu meistens noch besser, als man es zu dem Zeitpunkt selber konnte (letzteres leider eine der traurigeren Erfahrungen, wenn man Philosophie studiert).
Zum anderen ist es aber natuerlich auch nicht voellig falsch, dass etablierte Begriffe und v.a. methodische Einschraenkungen auch Einschraenkungen fuer bestimmte “Denkoptionen” sein koennen. Ich wuerde es daher wie folgt halten: Man kann einen neuen Begriff einfuehren, wozu auch gewisse Sprachfantasie erlaubt ist (ich habe z.B. in meiner Dissertation den Begriff “Genonormativitaet” eingefuehrt), aber man muss irgendwie darlegen koennen, warum man das eigentlich tut – welcher sprachliche/begriffliche Mangel kann man damit beheben? Gibt es wirklich noch keinen anderen, existierenden Begriff fuer das, was man ausdruecken will? (Das zielt schlicht darauf ab, dass man nicht unnoetig neue Woerter und Begriffe entwickelt).
“Sie haben wohl diese Freiheit nicht, weil ja die Akademia von Staatsgeld oder noch schlimmer von privaten Interessen abhängig sind, und so ihre Unabhängigkeit verloren haben. Die müssen doch in das umfassende Paradigma mit ihren Dogmen und Ideen passen. Universitäten haben ihre freie Vordenker und Neudenker Aufgabe den Banken und Geschäftsinteressen unterzuordnen, damit die Bürger nicht noch schlau würden.”
Ich weiss nicht, wie es im Elektroingenieur-Studium oder anderen Studiengaengen ist, aber fuer die Studiengaenge der Philosophie und Soziologie interessiert sich “die Wirtschaft” nicht die Bohne (warum auch?). Welche Einfluesse also von der Seite kommen sollen, dass die Unabhaengigkeit gefaehrdet ist, weiss ich nicht. Ich habe auch noch nie erlebt, dass “der Staat” irgendwie vorgegeben hat, was man z.B. fuer Seminare oder Vorlesungen in der Philosophie anbieten soll, oder zu welchem Thema man seine Dissertation ausrichtet usw. (mit der Ausnahme von allem, was Grundrechte anderer tangieren wuerde – aber das ist in der philosophischen Forschung auesserst selten, dass so was ueberhaupt auch nur im Prinzip, geschweige denn faktisch vorkommen kann). Und wenn Sie mal schauen, wie voellig Verschiedenes in der Philosophie an den Universitaeten gemacht wird, sehe ich echt nicht, wo dort ein “umfassendes Paradigma” zum Zuge kommen kann.
Haben Sie denn irgendwelche empirischen Belege, konkrete Vorkomnisse usw., um Ihre Aussage in dieser Allgemeinheit aufrecht zu erhalten? Oder z.B. Forschungsergebnisse der Wissenschaftssoziologie, die so etwas nahelegen? Ansonsten ist das mehr ein (ideologisches) Vorurteil, keine begruendete Meinung.
“Da kommen wir ja gerade an die fundamentale Schnittstelle der materiellen und immateriellen Wirklichkeit”
Moment – jetzt fuehren Sie neben einer materiellen Wirklichkeit eine immaterielle Wirklichkeit ein, von der bislang (?) nicht die Rede war. Sind Sie nun eher ein Dualist, der davon ausgeht, dass es Materie und Geist gibt? Oder verstehen Sie unter “immaterieller Wirklichkeit” mehr so etwas wie das, was Popper die “Welt 3” genannt hat, die Welt der Theorien, Meinungen, Argumente usw.?
“Nämlich, die “ “NaturPhilosophischen“ Grundfragen, deren Beantwortung uns das Wesens-Verständnis der Naturgesetzlichkeit bringen sollte, die unser Universum, unsere Welt mit uns Menschen und damit uns selbst und unsere Zukunft bestimmen, sind offen”
Das duerfte etwas vom Wenigen sein, auf das wir uns werden einigen koennen: naturphilosophische Grundfragen sind offen, nicht abgeschlossen (so wie die allermeisten philosophischen Fragen). Schon bei “Wesens-Verstaendnis der Naturgesetzlichkeit” hoert die Einigung aber wieder auf.
“– Wirr?”
Es ist besser als beim letzten Mal – definitiv! -, aber mir fehlen noch zu viel von Ihren Grundannahmen, die Sie implizit mitdenken, dem Leser Ihrer Texte aber nicht zugaenglich machen, um wirklich zu verstehen, was Sie sagen wollen. Dazu wuerde bspw. gehoeren, zu klaeren, was Sie mit “materieller” und “immaterieller Wirklichkeit” meinen, wie diese Ihrer Meinung nach zusammenhaengen, was Sie v.a. auch unter “Naturgesetz” verstehen usw.
Die Kernaussage scheint aber zu sein, wenn ich Sie nun nicht voellig missverstanden habe, dass die gegenwaertigen naturwissenschaftlichen und geisteswissenschaftlichen Theorien/Auffassungen/Annahmen (ich lasse das mal breit offen) nicht geeignet sind, um die “eigentliche” Wirklichkeit (“the really real” sozusagen) zu erkennen, die vermutlich in einer Art gesamtheitlichen Erkenntnis nur zu erkennen ist oder Aehnliches (was nun keine allzu neue Grundidee waere).
“scheuen Sie sich vor Bohr; Heisenberg/ Physik und Philosophie; Pauli/ An C.G. Jung; Schrödinger/What is Life; John Bell/Photons Entanglement as Empathy?”
Komische Frage. Ich koennte auch schreiben: Scheuen Sie sich vor Kant “Kritik der reinen Vernunft”, Berger/Luckmann “Die soziale Konstruktion der Wirklichkeit” oder Habermas’ “Theorie des kommunikativen Handelns”? – Buecher liest man m.E. nach Interesse, Relevanz und verfuegbaren Zeitressourcen (oder in Schule/Studium vielleicht auch ein wenig wegen “Zwang”). Und nein, die von Ihnen genannten Werke finde ich gegenwaertig wenig interessant, wenig relevant, und Zeit habe ich fuer diese gegenwaertig auch nicht. Und ich koennte voellig verstehen, wenn Sie bei meiner Auflistung oben genau dasselbe schreiben wuerden.
“Das BIZ kontrollierte Private Weltgeldmonopol hat mit Mafia Methoden die Menschen zu deren Sklaven gemacht. Das ist das Imperium der Psychopathen(re McGilchrist/Hirn der Psychopathen; Lobaczewski/durchschnittlich 6% unterentwickeltes Psychopathen Hirn/12%der Menschen folgen denen als Hörige. Wie rechtfertigen die Ethiker solche Einrichtungen?”
Wer sind “die Ethiker”? Meinen Sie, Ethiker sind alle immer derselben Meinung und/oder wuerden, nun karikiert, sich jaehrlich auf grossen Weltkongressen treffen und festlegen, welche Meinung nun alle vertreten sollen? (Rhetorische Frage)
Es gibt genug (Wirtschafts-)Ethiker, die die gegenwaertige Wirtschaftspraktik kritisieren oder mehr soziale Gerechtigkeit fordern usw. Aber freilich auch gerade manche Libertarianer (denen Sie m.E. eigentlich nahe stehen muessten, siehe ganz unten), die das kapitalistische Marktprinzip in der heutigen Form als bestes Prinzip halten, um Wohlstand einer Gesellschaft zu sichern, bzw. davon ausgehen, dass, mal platt gesprochen, maximale Freiheit fuer alle nur mit “Reibungsverlusten” zu haben ist.
“Ich kenne Daniel Dennet, Paul und Patricia Churchland, Fritjof Capra etc), alles wertvolle Ansätze.”
O.k. Und wie kommen Sie dann auf die generalisierende Aussage, “die Geisteswissenschaften” wuerden neurowissenschaftliche Forschung prinzipiell nicht beruecksichtigen? Und wo sehen Sie beim Eliminativismus der Churchlands noch so was wie eine “immaterielle Wirklichkeit”?
“Naturgesetzlichkeit und freien Zugang zu Naturgütern. Sprechen die Ethiker dem Menschen das Recht auf Leben ab?”
Nochmals: Wer sind “die Ethiker”? Ansonsten nehme ich Ihre Frage hier rhetorisch auf; ernst meinen koennen Sie die ja kaum.
Sie haben immer noch nicht gesagt, welches Naturgesetz (naturwissenschaftlich verstanden!) Ihrer Meinung nach freien Zugang zu Naturguetern rechtfertigt.
Naturrechtlich kann man das wie gesagt machen; da gibt es eine lange Tradition. Was Sie schreiben (auch spaeter, im letzten Absatz), erinnert stark an Libertarianismus, z.B. von einem Robert Nozick (vgl. auch zum Einstieg h ttp://de.wikipedia.org/wiki/Libertarismus). Aber Naturrecht ist eben nicht Naturgesetz, zumindest, solange mit dem Wort “Naturgesetz” auf das verweist, was naturwissenschaftlich damit gemeint ist. (M.E. verwechseln Sie nach wie vor Naturrechte mit Naturgesetzen – klar, man kann Naturrechte auch “Naturgesetze” nennen, aber wenn man von Naturgesetzen im Kontext von Naturwissenschaften redet, so, wie Sie angefangen haben, ist derlei nun mal nicht gemeint).
“Bedingt das Naturrecht nicht Naturvernunft, die sogar die Würmer, Schnecken, Affen etc. besitzen?”
Jetzt kommen Sie selber mit “Naturrecht”, machen aber nicht klar, ob das synonym zu “Naturgesetz” zu verstehen ist. Ihre Frage kann ich zudem schon deshalb nicht beantworten, weil ich nicht weiss, was Sie unter “Naturvernunft” verstehen. (Sie erinnern sich an den Hinweis auf das Problem idiosynkratischer Sprachen?).
Wozu Sie sich nicht geauessert haben, sind konkrete historische und aktuelle Beispiele, wo die Geisteswissenschaften “die Menschheit grundsätzlich und andauernd hindern und gefährden”. (Und auch, was Sie unter “Geisteswissenschaften” verstehen).
phil barbier 12. April 2015 um 20:05
“Wieso soll ein Naturalist seine Weltsicht ‘verraten’ wenn er ‘Ethik’ als einen ‘vertrauensbasierten Konsens’ betrachtet und in aller Bescheidenheit auf noch offene Fragen der Naturwissenschaften hinweist?”
Zuerst: Was hat das eine (Ethik als vertrauensbasierten Konsens betrachten) mit dem anderen (auf noch offene Fragen der Naturwissenschaften hinweisen) zu tun? Da sehe ich jetzt keinen Zusammenhang. Oder habe ich irgendwo angedeutet, ein Naturalist “verrate” seine Weltsicht, wenn er auf offene Fragen der Naturwissenschaften hinweist? (Ich sehe den Zusammenhang wirklich nicht, ist also eine ernstgemeinte Frage).
Freilich kann ein Naturalist das tun, Ethik als “vertrauensbasierten Konsens” betrachten (wobei mir nicht ganz klar ist, ob wir hier jetzt wirklich ueber Ethik oder ueber Moral sprechen). Dann wuerde er aber m.E. auf die “dritte Option” ausweichen muessen und darlegen koennen, warum die Betrachtungsweise, dass Ethik (Moral?) ein “vertrauensbasierter Konsens” ist, begruendet ist. Mit welchen Mitteln? Welches bspw. naturwissenschaftliche Experiment, oder welche empirische Forschung generell zeigt das? Usw.
Und noch schwieriger: Wenn die Behauptung ist, dass Ethik vertrauensbasierter Konsens sein soll, also andere ethische Theorien “falsch” sind.
Derlei geht m.E. eben nur, wenn man anfaengt, die erkenntnistheoretischen und methodologischen Annahmen des Naturalismus aufzuweichen. Man kann nicht behaupten, Begruendung waere nur durch X moeglich, und dann bei Ethik bspw. ploetzlich mit Y kommen. Dann muss man entweder zeigen, wie Y nichts anderes als X ist, oder muss die Behauptung, dass Begruendung nur durch X moeglich ist, aufgeben.
Oder wie sehen Sie das?
@ Marcel Mertz 14. April 2015 um 18:06
“Oder wie sehen Sie das?”
Nunja, schliesslich scheint mir Ihre ursaechliche Fragestellung (erster Titel) auf ein typisches Münchhausen-Trilemma hinaus zu laufen. Ansonsten haben Sie mit Ihrer Stringenzanforderungen sicherlich absolut und unbedingt recht.
Auch kann ich verstehen, dass die von X isolierten Ys im selben Satz/Gedanken Ihren strengen Anforderungen nicht genuegen koennen ((‘vertrauensbasierter Kontext’ (fuer einen Naturalisten eh ein absonderlicher Begriff) vs. ‘offene Fragen’)). Letztlich muss aber ein jeder fuer sich selber die Grenzen des noch Ertraeglichen abstecken – der eine begibt sich ohne jegliche Notwendigkeit selbst in ein Trilemma, der andere ist weniger streng und gleitet frueher oder spaeter in Sphaeren ab, die durchaus auch zu zu simplen Versprechungen verfuehren koennen. Fast ist mir, als ob mir Mephistopheles’ Zaeuseln fehlen wuerde, um stets Mich statt Das zu hinterfragen.
Neben einem Leben mit all den 0 und 1 (also unseren vordefinierten kleinsten Informationsbausteinchen) ist unkrautjaeten wie ZEN und die Kunst, ein Motorrad zu warten.
@Marcel Mertz:
„Wir (Menschen) handeln immer schon auf Basis moralischer Überzeugungen und Intuitionen, die wir mehr oder weniger für richig halten (oder über die wir z.T. auch gar nicht groß nachdenken). “Wir” wollen nun aber wissen, ob diese Überzeugungen usw. auch wirklich richtig sind, ob wir vielleicht manche unserer moralischen Überzeugungen auch ändern müssten, um den moralischen Verpflichtungen in Form von Grundsäatzen/Prinzipien zu entsprechen, die wir – notabene – auch in unserer bisher gelebten Alltagsmoral implizit mittragen, aber eben nicht immer kohärent und konsequent durchdenken. Manche von “uns” kommen zum Schluss, dass die Alltagsmoral in vielen Teilen doch nicht so moralisch ist, wie wir glauben.“
Ich habe mir lange überlegt, ob ich Ihre Ausführungen einfach so stehen lassen will. Aber ich möchte meinen Punkt doch klarstellen. Den Sinn der Ethik als philosophisches Fachgebiet wollte ich natürlich nicht in Frage stellen und ich hinterfrage die Alltagsmoral wie Sie. Nach meiner Erfahrung handeln wir allerdings nicht immer auf der Basis von moralischen Überzeugungen, sondern häufig unverständlich und willkürlich.
Ich selbst frage mich weniger, ob eine Überzeugung richtig ist, sondern welche praktischen Konsequenzen sie hat. Wenn eine Haltung dazu führt, dass die Erde zerstört wird, dann ist es so. .
Mit dem deskriptiven Begriff „Erde“ ist seine Schutzwürdigkeit unmittelbar verbunden.
„Das ist bereits eine bestimmte (natur-)ethische Position, die man selbstverständlich einnehmen kann. Ich sehe nicht, wie das zwingend aus den Tatsachen selber folgen soll. Wenn Sie behaupten würden, man “erkenne das einfach”, dann müssten Sie eine Art Intuitionismus vertreten (der dann zur Folge hat, dass alle, die das nicht so “erkennen”, irgendwie “wertblind” sein müssten)“
Ja, natürlich sind die Menschen, welche die Schutzwürdigkeit nicht sehen, blind. Les yeux qui ne voient pas.
Die Erde ist schutzwürdig, weil sie einmalig ist, wir keine andere zur Verfügung haben und ohne sie nicht leben könnten. Dies sind Tatsachen und keine Intuitionen.
„Weshalb müssen wir sie schützen? Nur um unser Überleben zu sichern, oder auch wegen den anderen Lebewesen, oder gar wegen “der Erde an sich”? (Die Antwort auf diese Frage kann bereits entscheiden, wie wir “Erde schützen” auslegen!).“
Es ist offensichtlich, dass alles zutrifft. Die Schutzwürdigkeit der Erde setzt sich, wie Sie es antönen, aus verschiedenen Aspekten zusammen. Sie folgt aus ihrer faktischen und essentiellen Beziehung zu den Menschen und anderen Lebewesen. Daneben gibt es natürlich noch andere Werte, die man berücksichtigen muss: Wirtschaftlichkeit, persönliche Freiheit.
Doch die Schutzwürdigkeit der Erde nimmt deswegen nicht ab. Nachdem wir die Schutzwürdigkeit erkannt haben, nehmen der Souverain und die Gerichte eine Interessenabwägung vor – leider meist unabhängig von der Meinung von Wissenschaftler und Philosophen.
„Und warum sollte es mir überhaupt wichtig sein, was nach meinem Leben geschieht?“
Es geht ja nicht darum, was Ihnen wichtig ist, sondern was der Menschheit wichtig ist.
„Es sind m.E. nicht die Tatsachen selbst, sondern wie Sie eigentlich selbst sagen: Der Wert, oder allgemeiner, der evaluative oder normative Gehalt, den wir den Tatsachen beiordnen, die ein bestimmtes Verhalten von uns einfordern.“
Da kann man verschiedener Meinung sein: Man kann wie Sie glauben, dass man den Tatsachen erst einen Wert beiordnen muss. Oder man kann der Ansicht sein, dass man die tatsächlichen Werte nur noch erkennen muss, also dass sie schon existieren und gewissermassen nur auf ihre Entdeckung warten. Auf jeden Fall ist es erwiesen, dass man Tatsachen überhaupt erst wahrnimmt, wenn sie einen gewissen Wert haben. Unwichtiges gelangt gar nicht ins Bewusstsein. Das Gehirn bewertet schon, bevor es Tatsachen erkennt. Aus diesem Grund halte ich Sein und Sollen miteinander verbunden.
Das Geschehen und die Pflicht, anzuhalten, können nicht voneinander getrennt werden.
„Nur in der praktischen Situation, nicht, wenn wir sie analysieren und darüber reflektieren, warum wir gerechtfertigt waren, so und so zu handeln. Dann wird eben deutlich, dass das eine die Tatsache ist (“Kind läuft auf die Straße”), das andere die zu erwartende Folge (“Kind wird getötet, wenn ich nicht bremse/ausweiche”), und wieder das andere der evaluative und normative Anteil (“Es ist nicht gut, wenn ein Kind getötet wird”, “Du sollst es vermeiden, ein Kind zu töten”). Letzterer kommt nicht direkt aus der Tatsache selber.“
Im Nachhinein und in der Analyse kann man die Sachen schon voneinander trennen. Es gibt viele Dinge, die man sich theoretisch getrennt denken kann, die aber doch miteinander verbunden sind. Die Quarks der Teilchenphysik z.B. kann man getrennt denken, doch sie lassen sich in Wirklichkeit nicht trennen.
Im Strassenverkehr muss man ja erst dann vermeiden, ein Kind zu töten, wenn es tatsächlich durch einem selbst getötet werden könnte. Ich nehme ja nicht zuerst ein Kind wahr und überlege mir anschliessend, ob es einen Wert hat und bremse dann ab. Sondern schon vor der Wahrnehmung findet im Hirn eine Bewertung statt und ich handle schon, bevor ich es mir überlege.
Ich bewundere Katzen, die viel schneller wir Menschen reagieren können. Bevor wir die Maus sehen, haben Katzen sie schon gefangen. Würde die Bewertung erst nach der Wahrnehmung erfolgen, wären Katzen schon längst ausgestorben. In diesem Sinn halte ich die Wahrnehmung von Tatsachen und die Wahrnehmung ihres Wertes für verbunden.
Ja, ich räume Ihnen ein, dass wir im Nachhinein noch über den Wert einer Maus philosophieren können, aber der Wert einer Maus besteht für die Katze schon dann, wenn sie piepst.
Weil der Wert einer Tatsache schon mit der Wahrnehmung existiert, braucht es keinen nachträglichen Schluss. Darum ist die ganze Argumentation über den angeblichen naturalistischen Fehlschluss ein Fehlschluss.