Wie Jesus weiss wurde

History Reloaded

Wie auch immer Jesus aussah, so wahrscheinlich nicht: Gemälde von Diego Velázquez (1632). Foto: Wikimedia

Wenn ein Polizist heute Jesus Christus zur Fahndung ausschreiben müsste, dann würde er bei der Personenbeschreibung wohl Begriffe eintippen wie: «hellhäutig» oder «europäisch». Der Polizist hätte den Verdächtigen ja schon hundertfach gesehen, auf Bildern aller Art – die Haare gerade und bräunlich, die Nase schmal, die Haut ganz hell oder sogar so weiss, dass ein bläuliches Licht durchschimmert.

Gut möglich also, dass Jesus Christus, der Wiedergeborene, den Fahndern durch die Lappen ginge. Denn man darf annehmen, dass er im ersten Leben völlig anders aussah. Die Bevölkerung seiner nahöstlichen Heimat fällt jedenfalls selten ins beschriebene Raster. Und vor 2000 Jahren, also lange vor dem Kontakt mit bleichen Germanen, Kreuzzüglern, Kolonisatoren und Touristen, dürften die vorherrschenden Looks sogar deutlich weniger europäisch gewesen sein.

Er würde wohl den Kopf schütteln

Nun wissen wir ja, dass unsere gängigen Jesus-Bilder arge Überzeichnungen sind. Manch einem erscheint es mittlerweile auch wunderlich, dass Menschen von den Andenhöhen bis zum Kongobecken eine Figur anbeten, die aussieht wie ein Surflehrer aus Biarritz. Aber wie das kam, wissen wir nicht.

Die Frage, so merke ich, ist gar nicht einfach zu klären. Wer sich einliest, sieht rasch, dass es sogar eine ernsthafte Literatur gibt, die sich Gedanken macht über die Rasse von Jesus – beziehungsweise darüber, wie die Figur immer wieder zurechtgebogen wurde. Es gab tatsächlich Versuche, ihn zum Arier zu schreiben. Oder es gab Versuche, ihn als Afrikaner zu deuten. Am Sinn solcher Übungen darf man getrost zweifeln, selbst wenn man kein Theologe ist und den Punkt vernachlässigt, dass der Mann selber die ethnischen Wälle überwinden wollte: Aussehen egal.

Der junge Mann wäre nicht aufgefallen

Das Neue Testament macht sich nicht einmal die Mühe, ihn zu beschreiben. Keiner, der Jesus gesehen hat, hinterliess auch nur eine Skizze. Das hat wohl auch damit zu tun, dass Menschenbilder für die Juden jener Zeit – ähnlich dem heutigen Islam – offenbar verwerflich waren.

«Der gute Hirte», frühes 3. Jahrhundert. Foto: Vanderbilt University

Unsere frühesten Darstellungen von Jesus entstanden also weit später und vor allem: ferner, nämlich in der christlichen Subkultur von Rom. Das war rund zweihundert Jahre nach der Kreuzigung. In den Calixtus-Katakomben gibt es ein Fresko, das ihn als «guten Hirten» darstellt. Es zeigt – eben einen Hirten. Bartlos, schwarz- und kurzhaarig, in Tunika: Der junge Mann wäre im Italien jener Zeit kaum aufgefallen.

Ebenso verspätet tauchen erste Schilderungen seines Aussehens auf, wobei die Fern-Autoren ihren Jesus nicht etwa als Heldenfigur beschreiben, sondern manchmal sogar als klein und missgestaltet. Das war einerseits Spott gegen die hochfahrende, verbotene Religion; aber vielleicht wollte man auch unter den Gläubigen die sympathische Normalität des Menschen Jesus betonen.

Nachfahre von Zeus

Der Weg zu unserem Strahlenchristus wurde erst frei, nachdem die römischen Herrscher das Christentum anerkannt hatten. Dann aber ging es rasch: Schon ab dem 4. Jahrhundert tauchen erste Bildnisse auf, auf denen Jesus allen heute gängigen Vorstellungen ähnelt – mit langem, geradem Haar und Bart. Ob seine helle Haut damals auch ein Schönheitsideal ausdrückte (wie sich das auch heute noch in vielen Weltgegenden findet)? Möglich. In der Offenbarung des Johannes wird eine mystische Jesus-Erscheinung beschrieben, in der es anerkennend heisst: «Haupt aber und die Haare waren weiss wie weisse Wolle, wie Schnee, und seine Augen wie eine Feuerflamme, und seine Füsse gleich glänzendem Erz…».

Aber entscheidend wurde etwas anderes. Nämlich dass ein starker Pfeiler des Christentums jetzt, wo die Bilder plötzlich frei und fleissig produziert werden konnten, im mächtigen Umkreis von Ostrom entstand. Aus naheliegenden Gründen zeigten die Ikonen dort starke griechische Einflüsse. Womit nicht nur Jesus, sondern alle Heiligenbilder der jungen Kirche auch direkt in die Tradition der alten Olymp-Götter gerieten.

Und wenn ein Polizist heute Zeus, Apollo oder Aphrodite zur Verhaftung ausschreiben müsste – wie würde er sie dann wohl in der Personenbeschreibung einordnen?

11 Kommentare zu «Wie Jesus weiss wurde»

  • Peter Müller sagt:

    Interessant, die Aussage im Text, das Christentum sei von den römischen Herrschern anerkannt worden. Kaiser Konstantin, der dem Sonnengott zugetan war, vermischte diesen mit Christus, da die Christen eine ihm ungefährliche Religion waren. So konnte er gene seine Feinde vorgehen, die zu vielen Göttern beteten. Die Christen konnten sich ausbreiten und er wurde schliesslich alleiniger römischer Herrscher, ohne jemals getauft zu werden.
    Der Monotheismus der Christen musste später auf drei Götter und diverse Heilige ausgedehnt werden. Der Isis-Kult wurde durch Maria abgelöst.
    Interessant, dass Jesus nur vom Geschichtsschreiber Josephus erwähnt wurde, der eine zwielichtige Person war. Weitere Zeugen für seine Existenz gibt es nicht. Apostel Paulus war ein PR-Mann, der Jesus nie begegnete…..

  • René Meier sagt:

    In der Bibel heisst es dass man Gott kein Bildnis machen soll. Dä Jesus Sohn Gottes genannt wird, git vermutlich das gleiche. Das Jesus unser Erlöser ist, ist wohl Wissenschaftlich nicht erklärbar. Ob und wie Jesus ausgesehen hat, spielt keine Rolle, er sagte ja zum Ungläubigen Thomas, du glaubst weil du mich gesehen hast, wieviele sind gesegnet die glauben obwohl sie ihn nicht sehen.

  • Roberto Casagrande sagt:

    In der katholischen Ikonographie stösst man gar auf blonde Madonnen mit blondem Christuskind. Im Grunde war Jesus ein Palästinenser. Wer schon mal in Palästina war, weiss wie sehr Jesus‘ Erscheinungsbild in Europa idealisiert wurde. Mit Zeffirellis Jesus hat das wahre Antlitz mit grösster Sicherheit nichts gemeinsam.

  • Hansruedi Früh sagt:

    Könnte er nicht auch wie ein Inder ausgesehen haben? Das würde die Hypothesen unterstützen, dass er ab 12 bis etwa 30 in Indien unterrichtet wurde. Und vielleicht ist die Hautfarbe auch der Auslöser, warum Jesus damals als nicht von Josef stammend erkannt wurde. Eine göttliche Befruchtung hätte damit dieses Problem elegant gelöst.

  • Doris Angst sagt:

    Die christliche Darstellung sowohl des Guten Hirten wie auch des Gekreuzigten ist idealtypisch und nicht individualistisch. Sie spiegelt die idealtypische Vorstellung der jeweiligen Kultur. Also nicht als Fahndungsvorlage geeignet… Eine etwas genauere Recherche zum starken alttestamentarischen Bildnisverbot, das stets im frommen Judentum und in (nahezu) jeder Synagoge gilt, und welches vom Islam und später gerade vom zwinglianischen Protestantismus übernommen wurde, wäre angebracht gewesen. History reloaded yes, but please in-depth.

  • Eveline Jäger sagt:

    Wie Jesus Christus als Mensch aussah ist völlig unwichtig, um glauben zu können, seine Mission war die Erlösung zu bringen. Von keinem anderern Mensch gibt es so viele Darstellungen wie über ihn und dabei braucht es nur das Wort, es löst in jedem das eigene Bild aus. Den Künstler Diego Velazquez würde ich fragen: Soll das der Gesichtausdruck eines Gefolterten sein?

    • Carlo sagt:

      Im Christentum herrscht kein Bilderverbot wie im Judentum oder im Islam. Desweiteren ist das Christentum die einzige Religion die behauptet, dass Gott himself einmal in menschlicher Gestalt unter uns wandelte. Da darf man sich ja schon mal die Frage stellen wie dieser Typ höchstwahrscheinlich aussah.
      Und noch was: Ein weisser Jesus, der den „Barbaren“ in Europa, als auch weltweit den unterworfenen Völkern mit dem blanken Schwert beigebracht wurde – schmeckte für die meisten nicht so nach „Erlösung“, sondern eher nach Blut- und Pesthauch..

    • René Meier sagt:

      Bei dieser Antwort wäre ich gerne dabei. Grins ???

      • Peter Müller sagt:

        @Carlo:
        Schon bei den Griechen und Römern wandelten die Götter unter den Menschen. Einige zeugten sogar halbgöttliche Nachkommen (Leda und der Schwan;-)

Die Redaktion behält sich vor, Kommentare nicht zu publizieren. Dies gilt insbesondere für ehrverletzende, rassistische, unsachliche, themenfremde Kommentare oder solche in Mundart oder Fremdsprachen. Kommentare mit Fantasienamen oder mit ganz offensichtlich falschen Namen werden ebenfalls nicht veröffentlicht. Über die Entscheide der Redaktion wird keine Korrespondenz geführt.