Was Johann Caspar Lavater Köbi Kuhn voraushatte

Nach dem streitbaren Pfarrer sind in Zürich Strassen und Gebäude benannt. Ob man den legendären Fussballer dergestalt ehren soll, ist hingegen umstritten. Weshalb?

Johann Caspar Lavater (1741-1801) war stets dort, wo die Berühmten und Mächtigen waren: Porträt eines unbekannten Künstlers. Foto: Alamy

Die Fussball-Legende Köbi Kuhn ist tot. Soll er in seiner Heimatstadt Zürich mit einem Denkmal oder einem Strassennamen geehrt werden? Kaum lag die Idee auf dem Tisch, ging das Gezerre los: Stünde diese Ehre nicht eher einer Frau zu? Und: Gibt es nichts Wichtigeres als Fussball?

Früher hatte man eindeutig weniger Bedenken, Heroen der Vergangenheit durch Namensgebungen unsterblich zu machen. Ohne rundes Jubiläum, ohne sichtbaren Anlass heisst die Nord-Süd-Verbindung im Zürcher Enge-Quartier «Lavaterstrasse» – die Benennung fand 1886 statt, also 145 Jahre nach der Geburt von Johann Caspar Lavater und 85 Jahre nach seinem Tod.

Damit ehrte Zürich einen sehr streitbaren Pfarrer, der über Religion philosophierte, berühmte Kanzelreden hielt und forschte, zum Beispiel über die Physiognomie der Menschen. Auch befasste sich Lavater mit übersinnlichen Phänomenen wie Hellseherei und Magnetismus. Zudem starb er eine Art Heldentod. Lavater bietet also viele Anknüpfungspunkte. So verwundert es nicht, dass es in Zürich auch den Lavatersaal gibt, das Lavaterhaus und das Lavaterschulhaus. Auch anderswo sind Strassen nach ihm benannt, nämlich in Birsfelden, St. Gallen und Wien.

Ein Promijäger seiner Zeit

Warum all diese Ehrungen? Dieser Lavater war ein PR-Genie, lange bevor jemand diesen Begriff kannte. Der Pfarrer war sehr öffentlichkeitsbewusst. Er suchte die Nähe zur Prominenz der damaligen Zeit und sorgte eigenhändig dafür, dass die Öffentlichkeit von seinen Treffen mit Johann Wolfgang von Goethe, Albrecht von Haller oder Johann Conrad Herder erfuhr.

Die Physiognomik, zu deren Hauptvertretern Lavater gehörte, wollte unter anderem aus Ähnlichkeiten zwischen menschlichen und tierischen Zügen auf menschliche Charaktereigenschaften schliessen. Illustration aus dem späten 16. Jahrhundert. (Wikimedia)

Würde Lavater heute leben, würde er eher in der «Schweizer Illustrierten» und im «Gala» erscheinen als in «Nature» und in «Science». Ein sprechendes Beispiel dafür ist sein Zusammentreffen mit dem österreichischen Kaiser Joseph II. im Jahre 1777. Am 25. Juli kommt der Blaublüter nach Waldshut. Johann Caspar Lavater hat eben seine ersten Bände von «Physiognomische Fragmente zur Beförderung der Menschenkenntnis und Menschenliebe» publiziert. Darin gibt er ganz konkrete Anleitungen, anhand von Gesichts- und Körperformen verschiedene Charaktere zu erkennen – eine bis heute beliebte, aber sehr umstrittene Methode der Menschenkenntnis. Lavater lehnt sich mit seinen Theorien weit aus dem Fenster, zudem ist seine schwärmerische Art nicht jedermanns Sache. Er gilt als ehrgeizig bis eitel und als eine Art Promijäger seiner Zeit.

Audienz beim Kaiser

Trotz aller Vorbehalte interessiert sich der grundsätzlich wissensdurstige Joseph II. für ihn. Die Audienz beim Kaiser schildert der übereifrige Lavater detailliert: «Ich weiss nicht, wie ich die Treppe hochkam! Ob roth? Ob blass? … Das aber weiss ich, dass der erste Moment, da ich den Saal betrat, mir in seinem zimmtfarbenen Kleide der Kayser sich mir darstellte, mich zur … sorglosen Heiterkeit stimmte … so schicklich, so signifikant, so schmeichelhaft.»

Vor allem Letzteres beherrscht der Zürcher Pfarrer meisterhaft: Er schmeichelt den Mächtigen, sodass seine Tagebucheintragungen geradezu vor überbordenden Gefühlen triefen. Er attestiert Joseph einen «an Genie gränzenden Verstand». Dass der Kaiser ihn einen «gefährlichen Menschen» genannt haben soll, weil er «den Menschen ins Herz» hineinsehen könne, ehrt Lavater – und er rapportiert es noch so gern und lässt es publizieren. «Ich erwarte unendlich viel Gutes und sehr viel Grosses von diesem Fürsten», schreibt Lavater, dabei erhofft er sich vor allem eine Verbreitung seiner Physiognomik.

Umgekehrt hat Lavater beim hochrangigen Kaiser doch nicht so viel Eindruck hinterlassen: Im sonst sehr ausführlichen Tagebuch von Joseph II. wird Lavater mit keinem Wort erwähnt.

Was heisst das für Köbi Kuhn? Er war kein PR-Genie wie Lavater. So kann man ihm umso lieber eine Strasse, eine Gasse oder einen Platz widmen. Noch lieber wäre ihm wahrscheinlich ein Fussballplatz. Oder gleich ein Stadion.

Informationen zu Lavater:
www.lavaterhaus.ch
www.lavater.com

3 Kommentare zu «Was Johann Caspar Lavater Köbi Kuhn voraushatte»

  • sepp z. sagt:

    Köbi Kuhn war erschreckend bescheiden.
    Kam halt auch von ganz unten, Büezer-Familie.
    Hat nebenbei seine kranke Frau jahrelang gepflegt.
    Nebst dass er der beliebte Nati-Trainer war.

    Und so einem will Grüne-Gemeinderätin und Gewerkschafterin Katharina Prelicz-Huber die Strassenbezeichnung nicht gönnen. Ob es aus Männerhass oder Büezerhass ist, oder beides zusammen, weiss man leider nicht.

  • M. Schnieder sagt:

    Was uns die Geschichte lehrt? Er soll ein PR-Genie gewesen sein. Das der Unsinn heute noch grassiert, den Lavater verbreitet hat, mag man darauf zurückführen. Auch auf Wikipedia findet sich dieser Unsinn noch „Die Physiognomik ist eine uralte Teildisziplin der Medizin“. Als ob sich vom Aussehen des Menschen auf dessen „Seele“ schliessen lassen könnte. Georg Christoph Lichtenberg hat mit dem „Fragment von Schwänzen“ eine geeignete Antwort darauf gefunden (https://www.lichtenberg-gesellschaft.de/pdf/l_wirk_satir_fragment_von_schwaenzen.pdf).

  • Stefan Gisler sagt:

    Oh – Lavater war ein Vorreiter der Eugenik. Das wusste ich nicht. Erschreckend.
    Man könnte den Kunstrasen im Heuried doch Köbi-Kuhn-Platz taufen …

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