Braucht Brasilien wieder einen Kaiser?

Dom Pedro II. auf einer Aufnahme von 1875. Er regierte Brasilien fast 50 Jahre lang. Foto: Alamy
«15. November 1889: vermaledeites Datum!» So ein Kommentar unter der Hymne des brasilianischen Kaiserreichs auf Youtube. Ein anderer User schwärmt von den «Zeiten, in denen Brasilien sogar von den USA respektiert und gefürchtet wurde.» Heute sei es «ein Witz geworden», lamentiert er – wohl in Anspielung auf den derzeitigen Präsidenten.
Diese glorreiche Zeit endete in der Nacht vom 14. auf den 15. November 1889: In Rio de Janeiro stürzte General Deodoro da Fonseca die Regierung von Ministerpräsident Alfonso Celso. Der unblutige Putsch führte zur Abschaffung der Monarchie und Errichtung der Republik Brasilien.
Eine Monarchie, ein Kaiserreich in Südamerika? Und dies zu einer Zeit, in der die anderen Kolonien der Neuen Welt sich vom Mutterland abgelöst hatten oder ablösten?
Ein Sonderfall in Lateinamerika
Tatsächlich kann man von einem Sonderfall sprechen. Die napoleonischen Wirren in Spanien und Portugal führten in Brasilien nicht unmittelbar zur Unabhängigkeit. Vielmehr wurde das Land Hort und Garant für das Überleben des portugiesischen Königs Dom João, der 1807 mitsamt Hof dorthin geflüchtet war. Brasilien war spätestens nach dem Wiener Kongress von 1815 nicht mehr abhängige Kolonie, sondern gleichberechtigter Bestandteil des Mutterlandes mit Rio de Janeiro als Hauptstadt Portugals und seiner Überseegebiete.
Und trotzdem hat die Monarchie viel mit der Unabhängigkeit des Landes zu tun: Als Dom João 1821 nach Portugal zurückkehrte, um sich dort den Thron zu sichern, blieb sein Sohn Pedro in Brasilien zurück. Dieser liess sich ein Jahr später zum Kaiser krönen, erklärte das Land für unabhängig und installierte eine parlamentarische Monarchie.
Neun Jahre später folgte Pedro I. dem Beispiel des Vaters: Nachdem er auf Druck des Parlaments abdanken musste, kehrte er in die alte Heimat zurück. Zurück blieb der Prinzregent, der 1840 im Alter von 14 Jahren als Pedro II. zum Kaiser gekrönt wurde. Es ist vor allem seinetwegen, dass manch ein Brasilianer auch 130 Jahre später noch dem Kaiserreich nachtrauert.
Dom Pedro II., der aufgeklärte Kaiser
Der junge Kaiser erhielt eine sorgfältige Ausbildung, sprach mehrere Sprachen, war belesen und wollte sein Land nach dem Vorbild der USA modernisieren. Dank der bereits von seinem Vater vorangetriebenen europäischen Einwanderung begann die Industrialisierung des Landes – vorab im Süden. Der Export wichtiger Rohstoffe wie Kautschuk und Edelhölzer sowie von Zucker, Kaffee, Rindfleisch brachte Reichtum. Dom Pedro II. liess Eisenbahnen, das Telefon- und Telegrafennetz bauen. Und er förderte Kultur und Wissenschaft in In- und Ausland.
Ein Makel blieb am Image des sich modernisierenden Landes mit aufgeklärtem Monarchen aber haften: die Sklaverei. Zwar entstand bereits in den 1860er-Jahren neben einer republikanischen auch eine abolitionistische Bewegung – nicht zuletzt auf Druck des Auslands. Doch erst 1888 wurde die Sklaverei abgeschafft. Dies brachte die Grossgrundbesitzer endgültig gegen die Monarchie auf. So analysierte die NZZ am 17.11.1889, dass «die alte republikanische Propaganda einen Anstoss durch die (…) endgültige Aufhebung der Sklaverei» erhalten hatte, sodass «es die Fraktion der in ihren Interessen gekränkten Sklavenhalter ist, welche am lautesten nach der Republik zu rufen begann und die Monarchie für ihre Humanität zu züchtigen unternahm».

Die Sklaverei passte nicht zum sich modernisierenden Land: Zeichnung von 1834. Foto: Getty
Doch dies war nicht der einzige Grund für den Putsch: Im Krieg gegen Paraguay hatte das Militär trotz Sieg wegen technisch veralteter Ausrüstung und Unterzahl schwere Verluste hinnehmen müssen und entwickelte Ressentiments gegen die Politiker in ihren Gehröcken. General Fonseca, der Anführer des 15. Novembers, wurde von ihnen angestiftet.
Dom Pedro II. weigerte sich, den Aufstand niederzuschlagen. «Wenn das Volk die Republik wolle (…) und diesen seinen Willen zum klaren Ausdruck bringe, so würden sie ihm nicht in den Weg treten», schrieb die NZZ. Zwei Tage später bestieg er mit seiner Familie ein Schiff, das ihn in die Heimat seiner Ahnen bringen sollte. Die Republik war geboren – das einzige Kaiserreich Südamerikas Geschichte.
Wunschbild und Wirklichkeit
Zurück zu den Kommentaren auf Youtube: «Brasilien braucht wieder so einen Kaiser», schreibt da einer. Also ein «history reloaded» in Brasilien?
Tatsächlich waren die 67 Jahre Kaiserreich eine politisch stabile Zeit, die eine wichtige Rolle für die Entwicklung und das Selbstverständnis des Landes spielte. Es ist nicht erstaunlich, dass sich die heutige Bevölkerung nach Korruptionsskandalen ehemaliger Präsidenten und einem rüpelhaften, ultrakonservativen und polarisierenden jetzigen Amtsinhaber nach Stabilität und einer humanistischen Integrationsfigur sehnt, die im Ausland Ansehen geniesst.
Aber: Bild und Ruhm des Imperiums werden in der kollektiven Erinnerung verklärt. Denn Pedro II. war mehr Schöngeist als Politiker. Seine Modernisierungsversuche beschränkten sich auf einen kleinen Teil des Landes. Brasilien blieb im Vergleich mit anderen amerikanischen Nationen lange im Hintertreffen. Mit seiner wirtschaftsliberalen Politik und der Fassade einer «gekrönten Demokratie» bot Pedro II. zwar ein zivilisiertes Bild seines Landes, das ausländische Investoren anlocken sollte. Doch dieses Bild nützte sich im eigenen Land zunehmend ab: Die Monarchie wurde von einer wachsenden aufgeklärten Mittelschicht als anachronistisch und unamerikanisch angesehen.
Immerhin ein Trost bleibt jenen, die dem Kaiserreich nachtrauern: Die Melodie der Krönungshymne für Dom Pedro II. ist auch jene der heutigen Nationalhymne.
6 Kommentare zu «Braucht Brasilien wieder einen Kaiser?»
Die verklärung der kollektiven Erinnerung ist in der Brasilianischen Politikgeschichte ein schwerwiegendes Problem. Mann könnte fast glauben die Bevölkerung leidet an einer kronischen Amnesie. Volkspopulistische Parteien bestimmen immer noch die Wahlabsichten der grösstenteils ungeklärten Bevölkerung um fünf vor Zwölf. Wärend Prominente der Unterhaltungsbranche kurioserweise, entgegen dem amerikanischen Vorbild, lieber konservativ und kleinlaut stimmen. Man bekommt schnell den Eindruck dass sich das Volk nach einem Autoritären rechten Flügel sehnt: die Ungleichheit, ein althergebrachtes Problem soll nicht gelöst sondern nur gezügelt werden. Alles Folgen des Brasilianischen Volksdeliriums, die Darlehen ohne Risikobegrenzungsgesetze zu Lula da Silva’s Zeiten, sind schon lange geplatzt.
Nun, die Brasilianer sind aktuell recht zufrieden, nur die Splittergruppe namens PT treibt noch etwas ihr Unwesen, aber in den Wahlen hatten sie klar verloren.
Wenn schon, dann gibt es einige, die sich die Militärdiktatur zurück wünschen, oder zumindest ein Eingriff des Militärs: Nämlich den noch mit den PT Vasallen besetzten Obersten Gerichtshof zu verhaften, der mit seiner Entscheidung Mörder, Vergewaltiger, aber auch korrupte Politiker aus dem Gefängnis zu entlassen, wenn sie nicht letztinstanzlich verurteilt sind (was dazu führen kann, dass mit juristischen Tricks ein Haftantritt um viele Jahre verzögert werden kann, wenn man das nötige Kleingeld hat).
Aber wie gesagt, Brasilien ist aktuell auf einem guten Weg, abwarten und Tee trinken.
Kein kritisches Wort über Bolsonaro? Mann oh Mann, die Welt ist am Abgrund.
@Buehler: Man kann sich natürlich auch die Welt zurecht fantasieren, aber Fakt bleibt, dass die Zustimmung zur momentanen Regierung mittlerweile auf rund 30% abgesackt ist. Unter den anderen 70% mag es ein paar Fanatiker geben, denen Bolsonaro nicht weit genug ging, wesentlich plausibler ist aber, dass mindestens die Hälfte der Brasilianer ein gänzlich anderes, progressiveres Land möchte.
Der Rest ist auch eher absurd, hat doch gerade die Absetzung von Rousseff und die korrupte Temer-Regierung gezeigt, dass die wahren Herrscher in Brasilien seit je her die konservativen, militärischen, grossgrundbesitzenden und kriminellen Seilschaften waren, sind und bleiben. Bolsonaro ist auch nur deren Marionette.
Herr Bühler, leben Sie in Brasilien oder in einem gut bewachtem Condominio in Sao Paulo?
Brasilien ist eine auseinanderdividierte Gesellschaft. Ohne intelligente, praktikable, humane Lösungen, die die ganze Bevölkerung, auch die ausgeschlossene, verrohte, ethisch motivieren, wird die Gewalt weiterwüten, wird das Bewusstsein, dass man landesweit, nicht nur in der Familie im selben Schiff sitzt, schwer wachsen. Der Kaiser, die Kaiserin, wahrscheinlich die einzige Lösung. Kann sein Sportler, Wissenschaftler, Gedankengenie, charismatisch, voller Courage, harmonisierend. Ja, das könnte funktionieren. Muss einfach glaubwürdig sein, redlich, integrativ, überlegen, herzlich, brillant, bescheiden, mit Klasse, mit Stil. Brasilien hat solche Figuren, ganz bestimmt.