Wie der Absinth die Welt eroberte

Die Schweiz nimmt manchmal auf unvorhergesehenen Wegen Einfluss auf die Weltgeschichte.

Absinth spielte auch eine Rolle auf humorvollen Postkarten, die Ende des 19. Jahrhunderts die Runde machten. Foto: Getty Images

Die Reise von Absinth um die Welt zeigt, dass die Schweiz auf unvorhergesehenen Wegen Einfluss auf die Weltgeschichte nahm. Von einer lokalen Spezialität stieg die Grüne Fee zu einem globalen Kultgetränk auf, das eine ganze Generation von internationalen Künstlern beeinflusste, bevor es schliesslich in Verruf kam.

Die Geschichte von Absinth endete aber nicht mit seinen Verboten vor dem Ersten Weltkrieg, da sein Konsum in manchen Ländern legal blieb und Absinth in der Schweiz auch weiterhin im Geheimen hergestellt und konsumiert wurde. Das Verbot wurde im frühen 21. Jahrhundert wieder aufgehoben, und das Getränk gewann wieder an Popularität, sodass zahlreiche Hersteller mit ihren Kreationen dem einst geschmähten Getränk einen zweiten Aufschwung ermöglichten. Überall in der Welt wird die Grüne Fee wieder zum festen Bestandteil der Getränkekarten von populären Bars und Restaurants.

Anekdoten und Mythen haben den Absinth schon immer begleitet. Wann genau das Getränk aufkam und wie es entstand, ist unklar. Erste Erwähnungen stammen aus dem späten 18. Jahrhundert und orten die Grüne Fee im neuenburgischen Val-de-Travers. Erwiesen ist, dass der Schweizer Daniel-Henri Dubied und sein Schwiegersohn Henri-Louis Pernod 1798 mithilfe eines neu erworbenen Absinth-Rezepts eine erste Brennerei in Couvet eröffneten und dass Pernod 1805 im grenznahen Pontarlier die Brennerei Pernod Fils für den internationalen Markt gründete. In den nächsten Jahrzehnten entstanden in der Schweiz und Frankreich mehrere Absinth-Brennereien.

Medizin für Soldaten

Popularität erreichte der Absinth mit der brutalen kolonialen Eroberung Algeriens. Den in Nordafrika stationierten französischen Soldaten wurden ab 1830 Absinth-Rationen verabreicht. Medizinische Theorien schrieben dem Absinth eine reinigende Wirkung des Wassers zu, und Militärärzte gingen davon aus, dass Absinth Schutz vor Krankheiten wie z.B. Malaria biete. Die Soldaten übernahmen diese Idee von Absinth als Prävention und rechtfertigten ihren täglichen Konsum auch während der Besetzungen von Indochina (ab 1881) und Madagaskar (ab 1895) noch mit medizinischen Erklärungen.

Als die ersten Warnungen zu körperlichen und psychologischen Folgen des übermässigen Absinth-Konsums publik wurden, war es bereits zu spät: Viele französische Soldaten in Algerien waren ihrer «Medizin» verfallen. Die siegreichen Kriegsveteranen verhalfen dem Absinth zum Auftrieb, sodass sich bald auch in der Heimat patriotische Franzosen diesem Genuss hingaben. Der Absinth boomte, und französische Künstler wie Charles Baudelaire und Édouard Manet oder der niederländische Maler Vincent van Gogh entdeckten das Getränk für sich.

Die Reblaus drückt den Preis

Aber nicht nur in Frankreich wurde seit den 1850er-Jahren mehr Absinth konsumiert: Überall in der Welt entschieden sich Männer und Frauen dazu, inspiriert von der Mode in Frankreich, Absinth zum Aperitif ihrer Wahl zu machen. Schweizer und französische Absinth-Brennereien exportierten ihre Produkte vor allem in grenznahe Gebiete und in Regionen, in denen sich Europäer niederliessen, sowie in Weltstädte wie Prag, Buenos Aires, New Orleans oder Saigon.

Trotz dieser wachsenden Popularität war Absinth bis in die 1870er-Jahre in Frankreich relativ teuer und nur einem kleinen Kreis vergönnt. Die Preise knickten erst ein, als die französischen Weinberge von der Reblaus befallen wurden. Dieser Schädling zerstörte einen Grundbestandteil von Absinth, sodass sich die Brennereien gezwungen sahen, billigeren Alkohol aus Zuckerrüben einzusetzen. Der Absinth wurde billiger, während die Weinpreise stiegen. In Frankreich griffen Arbeiter, Künstler am Rande der Gesellschaft und Bedürftige statt wie bisher zum Wein neu zu Absinth. Einst als gesundes Getränk gepriesen, wurde aus Absinth mit dieser Ausweitung der Kundschaft das Grüne Gift, das verantwortlich gemacht wurde für Wahnsinn, Kriminalität und «Degeneration».

Ein Mord im Rausch

Der tatsächliche Niedergang des globalen Modegetränks begann jedoch in der Schweiz: Jean Lanfray ermordete am 28. August 1905 in Commugny, Kanton Waadt, seine Frau und Kinder, nachdem er zwei Gläser Absinth und eine beträchtliche Menge von Wein und Spirituosen getrunken hatte. Nicht der Alkohol per se wurde für Lanfrays Tat verantwortliche gemacht; die geheimnisvollen Bestandteile des Grünen Gifts hatten ihn wahnsinnig gemacht. Nach dem sogenannten Absinth-Mord wurden überall Stimmen gegen den Absinth lauter. Eine regelrechte Absinth-Panik brach aus und führte nach 1905 zu einer Welle von nationalen Verboten. Ein Grossteil der Schweizer Bevölkerung, unterstützt von der Abstinenzbewegung, verlangte ein Verbot, das zwei Jahre nach der Volksabstimmung von 1908 durchgesetzt wurde.

Der Absinth, der sowohl seinen Anfang als auch sein vorläufiges Ende in der Schweiz gefunden hatte und der weltweit inspirierte, berauschte und entrüstete, wurde international immer als Symbol Frankreichs wahrgenommen, im positiven wie im negativen Sinn. In der Blütezeit des Getränks stand die Grüne Stunde, die zwischen 17 und 19 Uhr begann und in der Absinth traditionell in Frankreich konsumiert wurde, für französische Lebensqualität; später wurde exzessiver Absinth-Konsum als Le mal français bezeichnet.

  • Adams, Jad. Hideous Absinthe: A History of the Devil in a Bottle. London/New York: Tauris Parke Paperbacks, 2008.
  • Baker, Phil. The Dedalus Book of Absinthe. Sawtry: Daedalus, 2001.
  • Conrad, Barnaby III. Absinthe: History in a Bottle. San Francisco: Chronicle, 1988.
  • Delahaye, Marie-Claude. L’absinthe: Histoire de la fée verte. Paris: Berger-Levrault, 1983.
  • Delahaye, Marie-Claude. L’absinthe: Son Histoire. Auvers-sur-Oise: Musée de l’Absinthe, 2001.
  • Noël, Benoît. Nouvelles confidences sur l’absinthe. Yens sur Morges: Édition Cabédita, 2003.

8 Kommentare zu «Wie der Absinth die Welt eroberte»

  • Ronnie König sagt:

    Die Wurzeln des Ansinths liegen im Dunkeln. Wohl war, selbst in einer der nun zahlreichen Brennereien weis keiner Bescheid, aber viele Gerüchte. Das Hochtal war wohl immer schon sehr speziell. Das letzte mal in anderer Sache, dem Bankgeheimnis. Reger Kontakt über steile Berge zu den unmöglichsten Zeiten bestand immer. Auch zahlreich erschienen Hugenotten einst, sie brachten Wissen ins Land. Lange davor wandelten die Druiden wohl dort umher, sehr kräuterkundige Männer, das Tal war aber so gesehen nicht so abgeschieden, wenn man die Geschichte genauer betrachtet. Der Fantasie hier freien Lauf lassend, war es eine Abart des Zaubertranks? Die Zutaten sind uU sehr zahlreich, so vermutete man auch Heilwirkung, richtig. Gab es auch bunte Flecken auf der Haut? Im Geist wohl schon.

    • Jessas Neiau sagt:

      Herrgott nochmal, Herr König. Nehmen Sie sich doch etwas zusammen, bevor Sie solch wirres, unverdauliches Zeug absondern. Man könnte meinen Ihr eigener Alkoholgenuss sei längst ausser Kontrolle geraten.

    • Gabriel sagt:

      Ronnie, bist du der verrückte Onkel, der jeweils nach ein paar Gläschen den Kindern wilde Räubergeschichten erzählt?

  • Maike sagt:

    Absinth ist lecker ! Aber wie bei jeder Droge auch, die Menge machts.

  • marianne pomeroy sagt:

    In einem Basler Restaurant hängt ein Plakat aus dem frühen 20ten Jahrhundert. Es zeigt eine Arbeiter der schon am Morgen Alkohol trinkt. Die Aussage war: „so nicht“! Eine treffende Bebilderung zu diesem Artikel.

  • Joerg Bucher sagt:

    Alfred Jarry lebte in reger Vernunftehe mit der ‚gruenen Fee‘.
    Und er-zeugte einen Nachkommen, den gekroenten Surrealisten, ‚Koenig
    Ubu’…. .

    • christopher robert sagt:

      Und ein geistiger Nachkomme von Koenig Ubu, gut erkennbar an surrealen Texten (oder Liebe zu Absinth?) oben, nennt sich auch König… 😉

  • Max Blatter sagt:

    Auf eines hat der Absinth bis heute keinen Einfluss gehabt: auf die Sprachkompetenz der Deutschen. Die sprechen das Wort noch immer deutsch aus statt französisch.

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