Die Herzensammlerin aus dem Aargau

History Reloaded

Rachel im Theaterstück «Phèdre» von Jean Racine. Lithografie von 1850. Foto: Wikipedia

Dies ist die unglaubliche Geschichte einer Schauspielerin, die im kleinen Dorf Mumpf, Kanton Aargau, zur Welt kam. Und die später die Bühnen Europas eroberte und die Herzen von Herren aller Schichten. Und die in der Schweiz kaum einer kennt.

Die Rede ist von Elisa Rachel Felix. Sie war als Schauspielerin Mitte des 19. Jahrhunderts vor allem auf Frankreichs grossen Bühnen eine gefragte Reformerin, weil sie mit ihrem schnörkellosen, kräftigen Stil Tragödien besondere Intensität verlieh. Sie befreite das Theater vom zuvor herrschenden Pathos. Sie trat auf als Rachel oder Mademoiselle Rachel und verkörperte die grossen Rollen der damaligen Zeit. Ein grosser Fan ihrer Darstellungskunst war auch der Schweizer Dichter Gottfried Keller, der sie in Berlin mit Dramen von Corneille und Racine sah.

In Paris spielte sie an der berühmten Comédie Française, in Wien vor dem Kaiser, in St. Petersburg vor dem Zaren, in London vor der königlichen Familie. Der Preussenkönig Friedrich Wilhelm IV. war so begeistert, dass er ihr zu Ehren auf der Berliner Pfaueninsel eine Statue errichten liess. Die Rachel aus Mumpf im Aargau war ein Star in ganz Europa!

Tochter jüdischer Kleinkünstler

Doch noch mehr als durch ihre Bühnenkunst machte sie durch ihr turbulentes Privatleben von sich reden. Sie hatte viele und sehr berühmte Liebhaber, manche für eine Nacht, andere für länger, aber niemanden fürs Leben. So soll sie unter anderen die Mätresse von Kaiser Napoleon III. gewesen sein, aber auch von Napoleon Bonapartes unehelichem Sohn Alexandre Colonna-Walewski – der letzten Verbindung entsprang ihr erster Sohn Alexandre. Der Vater des zweiten Sohnes, Gabriel-Victor, genannt Zozo, war auch ein Bekannter der damaligen Zeit, nämlich ein Enkel des Generals Henri-Gratien Bertrand.

Porträt von Rachel, gemalt von William von Etty, ca. 1840. Foto: Wikipedia

Aber was hat die Künstlerin, die sich auf dem gesellschaftlichen Parkett ebenso geschickt zu bewegen wusste wie auf den Bühnenbrettern, mit der Schweiz zu tun? Mit dem Dorf Mumpf bei Rheinfelden?

Sie kam per Zufall in der Schweiz zur Welt, genauer: im Zimmer 13 des Mumpfer Gasthofs Sonne. Ihre Eltern Jacob und Esther Felix waren wandernde jüdische Kleinkünstler, Hausierer und Händler. Die Familie stammte aus dem Elsass, war auf der Durchreise von Deutschland nach Frankreich und legte mit der hochschwangeren Esther bei Mumpf am Rhein eine Rast ein. Die Wehen nahmen zu, die lokale Hebamme Theresa Toni wurde gerufen, und Elisabeth Rachel kam am 21. Februar 1821 zur Welt.

Bereits nach ein paar Tagen reiste die Familie weiter, begleitet wie immer vom Mischlingshund Mouton, der die Kinder, wenn sie müde waren, auf seinem Rücken reiten liess. Das Zimmer 13 in der «Sonne» hiess noch während Jahrzehnten «das Judenzimmer». Bereits als Kleinkind musste Elisa-Rachel auf den Strassen singen und für die Familie Geld verdienen.

Die Tourneen setzten ihr zu

Als die Rachel bereits eine europäische Berühmtheit war, kam sie nochmals in die Schweiz. Sie gab am 4. Juli 1848 nochmals ein Gastspiel in Basel. Ob sie dann auch ihren Geburtsort Mumpf besucht hat, ist leider nirgends festgeschrieben. Aber es ist eher unwahrscheinlich: Denn sie hatte damals einen Säugling, den am 26. Januar geborenen Gabriel. Und eigentlich war sie von Juni bis Oktober in Amsterdam unter Vertrag. Zudem brandete in Paris die Revolution auf, an der sie sich beteiligte. Nacht für Nacht sang sie in der überfüllten Comédie die Marseillaise. Da hatte sie wohl für Mumpf keine Zeit.

Das ständige Unterwegssein kannte sie zwar seit ihrer Kindheit, dennoch setzte es ihr zu. Nach anstrengenden Tourneen durch Russland und durch die USA litt sie an Lungentuberkulose und starb 1858 im Alter von 36 Jahren in Südfrankreich bei Freunden.

Ihr Geburtshaus in Mumpf steht nicht mehr: Das Hotel Sonne brannte 1984 ab, und die Parzelle wurde mit einer Wohnüberbauung überzogen. Die Erinnerung an die berühmte Elisa Rachel ist verblasst.

«The Rachel Portfolio» von Owen Hyde Clark. Die Zeichnungen wurden für eine Bühnenproduktion von 1947 über das Leben der Schauspielerin angefertigt.

11 Kommentare zu «Die Herzensammlerin aus dem Aargau»

  • Rita Sophia sagt:

    Danke Jean Roth…so ist es! Solche Geschichten bereiten Abwechslung und zeigen eine Vergangenheit die genauso interessant…wenn nicht interessanter…als die Gegenwart oft ist. Schade dass sie so jung starb…jedoch hat sie vieles gesehen in ihrem kurzen Leben…sogar eine Tournee in den USA…alles andere als einfach zur damaligen Zeit…als es noch keine Jets und Limousinen fuer Stars gab…Dem Foto nach eine sehr huebsche Frau!

  • Cédric Ruckstuhl sagt:

    Kurzum: Eine Frau, die sich hochgeschlafen hat. Nichts neues also, gabs schon damals genauso wie heute.

    • Shekina Niko sagt:

      Es fällt auf, dass Sie zu History Reloaded Beiträgen, die von Frauen erzählen, öfters einen herablassenden Kommentar schreiben. Die Verunglimpfung erfolgreicher Frauen ist Ihnen offenbar ein ganz besonderes Anliegen.

      • Cédric Ruckstuhl sagt:

        @Niko
        Ihrer Meinung ist es also erfolgreich, wenn man sich hochschläft? Ich kann fast nicht glauben, dass sie das wirklich ernst meinen.

      • Claudi sagt:

        Shekino Niko, wenn die History Reloaded nur noch um Frauen gehen dürfen, verstehe ich seine Herablassung. Was wir gegenwärtig in den Medien sehen, ist ein perfider peinlicher Feldzug der Medien gegen Männer. Speziell wenn sie noch alt sind. Heute grad wieder ein feministischer Artikel im Tagi mit dem Titel „Immer auf die alten, weissen Männer!“.
        Wer den Sexismus und den Rassismus nicht findet, dem ist wirklich nicht mehr zu helfen.

      • Anh Toàn sagt:

        @Cédric Ruckstuhl: in einer patriarchalen Welt, und auch Sie können nicht bestreiten, dass die Frau hier in einer solchen lebte, gibt es zwei Wege nach oben für die Frau“ Entweder Sie schläft sich nach oben oder sie gebiert einen erfolgreichen Sohn. Die „Prostituierte“ ist die einzige Alternative zur Sohngebärmaschine.

        Nina Hagen hat es so schön formuliert:

        „Ich schenk Dir keine Kinder zum Zeitvertreib /
        Na leg‘ ich lieber Puder Kamm und Lippenstift bereit / Und gehe mit Frau Holle auf den Strich / Kurz gesagt, du bist mir einfach widerlich.“

      • Anh Toàn sagt:

        @Cédric Ruckstuhl

        Mich würde Ihre Planung zum Aufstieg interessieren, wenn sie 1821 als weibliches Kind armer Eltern geboren worden wären.

        Wie die Stones es besingen, gab es rund 150 Jahre später selbst für Jungs auch nicht viele Wege:

        What can a poor boy do
        ‚cept for sing in a Rock’Roll‘ band
        There’s no place in a spleepy London Town
        for a street fighting men.

    • Rita Sophia sagt:

      Bin voellig gleicher Meinung Shekina…Ruckstuhl hat nie etwas Gutes zu sagen…immer nur Kritik..Kritik…Kritik….ein armer Mann!

      • Barbara V.E. sagt:

        @Ruckstuhl: naja, begonnen hat sie die Karriere als Kind zusammen mit den Eltern. Gemäss Text. Ob sie sich dann hochgeschlafen hat oder ob sie, als erfolgreiche Künstlerin, männliche berühmte „Groupies“ hatte, lässt der Text nicht erkennen. So wie ich den Text lese ist beides möglich. Dass sie den Erfolg dank der einflussreichen Herren hatte. Oder dass die einflussreichen Herren um sie warben als sie erfolgreich war.
        Ihre Interpretation sagt mehr über Sie aus als über Rachel Felix.

    • Cédric Ruckstuhl sagt:

      @Claudi
      Das sehe ich auch so. Es ist ziemlich lächerlich, wie man uns völlig unbedeutende Nebenfiguren als Meilensteine der Geschichte präsentieren will.
      @Anton
      Wie wäre es denn mit etwas leisten gewesen?
      @Rita Sophia
      „Immer nur Kritik“ – eine kritische Haltung und selbständiges Denken sind die Grundlagen unserer Kultur. „Hat nie etwas Gutes zu sagen“ – wenn Ihnen nach seelischen Streicheleinheiten ist, lesen Sie einen Frauenroman von Rosamunde Pilcher.
      @Barbara
      Was sagt denn meine Interpretation über mich aus?

  • Jean Roth sagt:

    Solche Geschichten sind für mich immer interessant. Sie erzählen etwas was aus dem Nichts kam, war, bestanden hatte, grosse Erfolge beschehrte und verschwunden ist. Leider!

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