Der Durst der britischen Politiker

Betrunken im Parlament: Das politische Ausnahmetalent William Pitt der Jüngere. (Foto: Getty Images/Henry Guttmann Collection)
Das Zechen im britischen Unterhaus hat eine lange Tradition. Ein fröhliches «Cheers» gehörte stets zum parlamentarischen Betrieb – oftmals schon früh am Tag.
Als sich Frankreich und England zu Beginn des 18. Jahrhunderts wieder einmal in den Haaren lagen, plagten den jungen liberalen Politiker Robert Walpole (1676–1745) Sorgen. Ihn kümmerte weniger das Schicksal der nordamerikanischen Kolonien, um die sich die beiden europäischen Grossmächte stritten. Walpole litt vielmehr unter dem Handelsembargo, das die Krone gegenüber Frankreich ausgesprochen hatte, denn damit versiegte sein Weinnachschub aus dem Bordeaux. Glücklicherweise hielt Walpole einen einflussreichen Posten in der Admiralität, sodass er seine französischen Flaschen via Holland schmuggeln lassen konnte, wo Schiffe der Kriegsmarine sie abholten. Walpole hatte den politischen Wert eines gut dotierten Weinkellers frühzeitig erkannt. Denn dieser war eine Voraussetzung, um sich im Beziehungsdschungel von Westminster zu behaupten. Der Mann wurde später erster britischer Premierminister.
Partyverbot für die Abgeordneten
Walpoles Findigkeit illustriert den Durst des politischen London. Anscheinend arteten die Trinksitten in der letzten Zeit derart aus, dass sich das Büro des Unterhauses im Winter gezwungen sah, diesem Treiben Einhalt zu gebieten. So wurde als Zeichen des guten Willens der Alkoholausschank im Tearoom der Commons verboten. Die Aufregung hielt sich in Grenzen, weil unweit die Stranger’s Bar zur Einkehr lädt – neben etlichen anderen Lokalitäten im House of Commons. Des Weiteren sind die Abgeordneten neuerdings angehalten, nach der Sperrstunde in ihren Büros doch, bitte sehr, keine privaten Partys mehr zu veranstalten. Anscheinend kam es regelmässig zu Exzessen.
Robert Walpole erreichte ein Alter von 71 Jahren, was damals ordentlich war. Offenbar schadete ihm der Effekt der französischen Weinzufuhr kaum. Etwas anders liegt der Fall bei William Pitt dem Jüngeren, der 1806 bereits mit 46 Jahren das Zeitliche segnete. Laut dem BBC-Parlamentsberichterstatter Ben Wright, der sich in seinem Buch «Order, Order!» den politischen Trinksitten angenommen hat, war der Konservative Pitt das grösste politische Talent in der britischen Geschichte. Er war bereits mit 23 Jahren Finanzminister und ein Jahr später der jüngste Premierminister des Königreichs. Unglücklicherweise erbte Pitt die fragile Gesundheit seines Vaters. Der Hausarzt der Familie riet Pitt, zu Therapiezwecken dem Portwein zuzusprechen. Pitt nahm diese Aufforderung etwas gar ernst und kippte laut seinem Biografen William Hague, selbst ein Tory-Politiker, drei Flaschen täglich. Das ist laut Hague indes weniger, als man meinen könnte. Denn der Portwein war damals leichter, und die Flaschen waren kleiner. William Pitt hatte dennoch oftmals Auftritte im Parlament, bei denen ihm zum Gaudi der liberalen Opposition das aufrechte Stehen ebenso schwerfiel wie das klare Sprechen.
Happy Hour im Parlament?
Wer an die durstigen Politiker der Insel denkt, bringt zuerst Winston Churchill aufs Tapet. Der Kriegspremier zeichnete sich in der Tat durch etwas ungewöhnliche Trinksitten aus. Er pflegte tagein, tagaus ein Glas mit stark verdünntem Whisky in Reichweite zu haben. Churchill zelebrierte allerdings seine Trinkgewohnheiten ebenso in der Öffentlichkeit wie seinen Zigarrenkonsum. Und da kommt dem politischen «Order»-Experten Wright ein begründeter Verdacht: Wahrscheinlich sind die Berichte von Churchills Durst massiv übertrieben.
An stille Trinker wie ihn wird die Richterin Dame Laura Cox kaum denken, die sich mit den Folgen des Becherns im Unterhaus beruflich beschäftigen muss. Sie klagt, dass es immer wieder zu Übergriffen auf das Personal komme, wenn die Honourable Members einen sitzen haben. Als Gegenmassnahme schlägt Cox höhere Preise für Bier und Wein vor, denn das Trinken im Parlament ist seit je viel günstiger als anderswo.
5 Kommentare zu «Der Durst der britischen Politiker»
Nach diesem Artikel sehe ich die unsäglich peinlichen Brexit-Debatten im britischen Parlament in einem ganz anderen Licht: Die Abgeordneten waren schlicht sturzbesoffen. Ausnüchtern und dann wieder an die Arbeit, kann ich da nur empfehlen.
Es bedarf einer gewissen sprachlichen Kühnheit, oder der Trunkenheit, die reguläre Tätigkeit von Politikern Arbeit zu nennen. Was dieser Tätigkeit ja keineswegs an Relevanz und Bedeutung nimmt. Der Schriftsteller Urs Widmer schrieb einst treffend:
Beim Schreiben kann man manchmal so ins Schwitzen kommen, dass es fast wie Arbeit aussieht.
I.A. gilt, auch wenn etwas schwer fällt, es anstrengt und dann noch viel Geld einbringt, Arbeit ist das meiste davon nicht.
Urs Widmer schrieb auch; „Das Normale und die Sehnsucht“ … – und die Seele sucht gerne den Alkohol (wie Espirit), wenn möglich in feinster Form.
p.s.: Pol Roger ist u.a. Winston Churchill gewidmet. Wie F-GB Freundschaft in schweren Zeiten. Mouton-Rothschild ist der engl. Stamm, Lafite-Rothschild der franz. Stamm. Auch harte Konkurrenten. Beide in Pauillac, Médoc ansässig, siehe auch Klassifikation von 1855..
Churchill? Obwohl eher kein Fachmann in der Materie – mein letztes Glas Champagner, und damit Alkohol – liegt 2 Jahre zurück, spricht seine Biographie „No more Champagne; Churchill and his Money“ beziehungsweise die darin aufgeführten konstant astronomischen Rechnungen für Champagner, Rotwein, Port; Whisky, etc. seines Weinhändlers (die er notabene jahrelang schuldig bleiben musste, ehe er sie dann doch mit ächzen irgendwie bezahlen konnte) eine deutliche Sprache…
Ich werde trotzdem beim nächsten passenden Anlass (Ablehnung des Rahmenabkommens?) eine Flasche Champagner, hoffentlich bar bezahlt, auf sein Wohl trinken!
Menschliche Kultur ohne Drogen ist völlig ausgeschlossen und unter den Drogen nimmt der Alkohol eine unbestrittene Sonderposition an. Alkohol ist eher ein Grundnahrungsmittel und das beste, weil das am schnellsten und breitbandig wirkende Psychopharmakum aller Zeiten. Ein Besseres wird es auch in Zukunft nicht geben. Ein Leben ohne Alkohol ist möglich, im Sonderfall manchmal notwendig, i.A. aber nicht zu empfehlen.