Das Ende der Geschichte ist brandgefährlich
Was verbindet einige der furchtbarsten Ideologien der Menschheit? Was vereinigt Massenmörder wie Hitler, Mao, Stalin, Pol Pot? Sie wussten, wohin der Hase läuft. Sie glaubten, dass die menschliche Entwicklung auf ein ganz bestimmtes Ziel hinführt – und dann ist das gloriose Ende erreicht: Die klassenlose Gesellschaft. Das Reich Gottes. Das Dritte Reich. Das tausendjährige Reich.
Dass sich fixe Zielvorstellungen in einem Staat niederschlagen, passierte immer wieder in der Geschichte; auch in kleinerem Rahmen, etwa bei der schrecklichen Herrschaft der Wiedertäufer von Münster im 16. Jahrhundert oder beim Mahdi-Reich im Sudan des 19. Jahrhunderts. Wer solchen Gesellschaftslehren anhängt – man nennt sie manchmal teleologisch –, liest die Zukunft entweder aus religiösen Schriften oder aus der Vergangenheit heraus, oder er vermischt gleich beides.
Wir sollten nicht lästern
Das stärkste Beispiel bot sicher der Marxismus. Die Gläubigen meinten hier, die Menschheit strebe in einer Abfolge von Revolutionen zur kommunistischen Gesellschaft; These, Antithese, am Ende die Synthese. Bei den Nazis waren die Vorstellungen vulgär-darwinistisch grundiert, sie glaubten an ein Hin und Her der Rassenkämpfe, bei dem sich am Ende der Allerstärkste durchsetzt.
Natürlich ist das Unfug. Oder wissenschaftlicher gesagt: Es gibt keine empirischen Belege dafür, dass die menschliche Entwicklung auf irgendeine Bestimmung hinsteuert.
Trotzdem sollte man als moderner Mensch des 21. Jahrhunderts nicht einfach lästern über die alten Endziel-Vorstellungen. Im unverwüstlichen Fortschrittsglauben blitzt dasselbe Muster ja auch bei uns auf: Viele glauben, dass die Menschheit stetig zivilisierter, moderner, hochtechnologischer wird – irgendwie, quasi per Naturgesetz.
Der Unfug kann furchtbar sein
Und so veröffentlichte vor nicht allzu langer Zeit ein renommierter Politologie-Professor, Francis Fukuyama, ein Buch namens «Das Ende der Geschichte». Dessen These: Mit dem Zusammenbruch des Kommunismus sei ein Endzustand erreicht – «die westliche liberale Demokratie als die finale Form der menschlichen Regierung». Das Werk wurde Anfang der 1990er-Jahre zum Salonthema und zum Bestseller, um bald wieder von der Wirklichkeit überrollt zu werden.
Das Problem ist nun: Der Unfug kann furchtbar sein. Weil sich die Geschichte halt doch nicht an eiserne Regeln hält, sind die Endziel-Ideologen versucht, die gesellschaftliche Entwicklung gewaltsam auf die Zielbahn zu biegen. Ein schlechtes Gewissen brauchen sie dabei nicht zu haben, denn der Diktator oder Führer ist ja selber nur das Vehikel der «Vorsehung». Und der normale Mensch hat in dieser Vorstellungswelt keinen freien Willen: Das Individuum muss nicht berücksichtigt werden.
Heute wissen sie kaum, wohin es geht
Natürlich erklären sich die Brutalitäten der braunen, schwarzen oder roten Regimes nicht alleine aus der fixen Zielidee, bei weitem nicht: Wir reden von einem Detail. Aber es sind eben auch Detailfaktoren wie dieser, die einen Einfluss darauf haben, ob ein autoritäres Regime am Ende überhaupt keine Grenzen mehr kennt.
Grundsätzlich jedenfalls wären solche feinen weltanschaulichen Aspekte ebenfalls zu beachten, wenn man, wie es jetzt gerade so beliebt ist, überall wieder die Gespenster der Vergangenheit wittert und eifrig Vergleiche zieht.
Und dann fällt auf: Die Autoritären des 21. Jahrhunderts tun gar nicht erst, als ob sie wüssten, wohin es geht. Das esoterische Element fehlt. Ein Putin, Erdogan, Orban oder Nicolás Maduro will eher frühere Zustände rekonstruieren oder retten. Aber keiner blufft mehr mit grandiosen Schicksalsbestimmungen. Das macht die Sache noch nicht unbedingt besser. Aber zumindest sind die Aussichten nicht so erschreckend.
Im Grunde gibt es momentan nur eine ernsthafte politische Bewegung, in der Endziel-Vorstellungen herumgeistern – der extreme Islamismus. Und auch dort scheinen sie nur eine Minderheit zu beschäftigen, vielleicht sind es nur Propagandasprüche. Aber immerhin: In den Verlautbarungen erst von al-Qaida, dann des sogenannten Islamischen Staates fanden und finden sich Ideen von einer mehrphasigen Entwicklung, an deren Ende erst ein «Kalifat» über die ganze Gemeinschaft der Gläubigen herrscht – und dann den Kampf um die Weltherrschaft aufnimmt.
- Teil 1 zum Thema: Die zyklischen Geschichtsbilder – «Steve Bannon glaubt, dass sich die Geschichte in Kreisläufen wiederholt. Welche Theorie steht dahinter?»
13 Kommentare zu «Das Ende der Geschichte ist brandgefährlich»
Solche Restaurations-Phasen gab es in der Geschichte öfters, wo Machthaber versuchen alte Zustände wieder herzustellen. Ob sie nun weltlich oder theologisch untermauert werden, spielt letztlich keine Rolle. Fakt ist, dass wir zuviele Menschen auf der Erde haben, die sich mehr und mehr in Verteilungskämpfen um Ressourcen aufreiben. Das wird zunehmen – und schlussendlich zu Kriegen führen, auch in zivilisierten Gegenden (Europa, USA, Asien).
Orban in einer Reihe mit Putin, Erdogan, Maduro, das ist schon etwas übertrieben. Schliesslich hat der Mann, bei allen autokratischen Tendenzen, Europa zus. mit Oe. und den Balkanstaaten einen grossen Dienst erwiesen, indem er bestehendes EU Recht angewandt und durchgesetzt hat. Die westeuropäischen Larifari-Regierungen tragen auch einen grossen Teil zum Aufkommen rechter (um nicht das unbrauchbare linkspopulistische Adjektiv „populistisch“ zu gebrauchen) Strömungen bei.
Der Islamismu ist deutlich schlimmer als Faschismus und Kommunismus. Denn die beiden letzteren waren „man made“, die Religions-Ideologien Islam/Islamismus aber sind vom Allmächtigen anbefohlen und daher fraglos und kritiklos umzusetzen. Das verheerende Resultat dieser Lehren sehen wir in der islamischen Welt.
Die „Rückbesinnung“ d.h. „Reformation“ eines alten, vermeintlich besseren Zustandes wie z.B. der „grosse Faschismusexperte“ Recep der Weise bzw. der Grossungare Victor dies wollen, ist sehr wohl teleologisch. Nur wird das ganze eben als „back to the roots“ verbrämt.
Eine solche Legitimation des Neuen durch Rückbesinnung aufs Alte war bis zur Aufklärung der „Normalzustand“ (s.h. Luther, die Bauern in den Bauernkriegen) Letztendlich wollen ja aber auch die Islamisten zum (herbeiphantasierten) „reinen Ur-Islam“ zurück und Hitlers tausendjähriges Reich wollte ja auch die „ursprüngliche Trennung“ der Rassen wieder herstellen.
Einzig beim Vladi ist es wohl purer zynischer Machterhalt, wenn er gerade die orthodoxe Kirche wieder installiert.
1/2: Was, wenn wir uns als Letzte Menschen (Nietzsche) tatsächlich im Limbo des Endes der Geschichte (Fukuyama) befinden, was man als Zeitalter des Nihilismus (Nietzsche/Heidegger) bezeichnen könnte? Wenn also an nichts mehr wahrhaftig geglaubt wird, weder an eine gemeinsame Wirklichkeit, eine erkennbare Wahrheit, einem Sinn der Geschichte/des Lebens, noch an moralische Werte.
2/2: … sondern nur noch Macht, deren Ergreifung, Erhaltung und Erweiterung von machiavellistischen homines oeconomici qua „rationalen“ Egoisten in einer totalen ökonomisierten Gesellschaft, in der nur noch alternative facts propagiert und fake news verbreitet werden, da es (neben der Macht) nur noch einen Wert gibt, den Marktwert in Form von Preisen. Eine Gesellschaft, die (neben der Gewalt) schliesslich nur noch eine Lösung kennt für gesamtgesellschaftliche Probleme, nämlich die Technik (Morozovs Solutionismus). Ja, selbst diejenigen, die vermeintlich noch einen Glauben propagieren, benutzen ihn nur auf dem Hintergrund des Nihilismus (da es noch einige gibt, welche Glauben wollen).
Nun, wenn man nur genau genug hinschaut, findet man auch heute, zum Beispiel bei Steve Bannon, so etwas wie die Vision einer Gesellschaft in und nach einer vorausgesagten, herbeigesehnten und nun praktisch herbeigeführten Endzeit.
Sie besteht zwar aus Bauteilen aus der Vergangenheit, doch sie geht auch weiter und integriert neue Elemente.
Das macht ihn um einiges gefährlicher als einen Putin oder Orban, die nur von guten alten Zeiten träumen.
Es gibt auch eine ernsthafte kapitalistische Bewegung mit Endzeit-Ziel. Auch den Kapitalismus in seiner Reinform umzusetzen, gilt unter seinen Anhängern als das allein seeligmachende Endziel. Der Kapitalismus löst alle Probleme, schafft Gerechtigkeit und Wohlstand für alle… Konsumglückseeligkeit für immer. Diese Ideologie ist also durchaus endzielorientiert. Und durchaus fürchtenswert, wenn man die ökonimisierung aller Dinge, Vorgänge und Menschen zu Ende denkt. auch darüber sollten wir uns Gedanken machen. In der orwellschen Bilderflut gefangen, merken wir es nicht mal.
„Diese Ideologie ist also durchaus endzielorientiert. “
Was ist Ihrer Meinung nach das Endziel des Kapitalismus?
Der Verkauf aller Werte, d.h. alles ist in Geldeinheiten bewertbar = käuflich
Na dann ist es ja gut, wir sind hier in der Schweiz also schon angekommen.
Und was jetzt?
Wir nun der Kapitalismus endlich überwunden?
Geschichte (in die Zukunft), oder eben der Lauf der Welt, sind ergebnisoffen. Ideologien sind ihr egal. Entspricht auch dem ‚blinden Willen der Natur‘ (Metaphysik; Schopenhauer). Ideologien können aber viel Schaden anrichten. Wie im Artikel gut beschrieben. Darum lasse man die Hände davon. Pragmatisch, situativ und mit selbstständigem Denken geht es immer besser. (entspr. auch der bewährten Methode ‚kritischer Rationalismus‘; Popper).
Wir sind einfach durch die Religionen aufgehetzt, weil sie immer behaupten mehr zu wissen. Sie wissen gar nichts ausser Macht auszuüben und Diese auch, koste es was es wolle zu erhalten. Wenn es eine höhere Instanz geben sollte, kennt nur Sie das Ziel. Unsere Aufgabe ist es uns so zu verhalten, dass es weitergeht, wohin auch immer. Gegenseitige Rücksicht. Alle Pflanzen und Lebewesen schützen. Mit den Ressourcen intelligent umgehen. Nur dieses Denken bringt uns diesem Unbekannten Ziel näher und dem ersehnten Frieden. Alle anderen Spekulationen und die Zerstörung der Umwelt löscht uns aus. Auch diese Möglichkeit liegt im Plan, da wir frei entscheiden können ob wir den unbekannten Weg in Frieden weiter gehen wollen oder nicht. Es liegt nur in unserer Hand, kein Fantasie-Gott hilft uns dabei.
Gute Analyse. Ein Problem wurde jedoch ignoriert: Erdogan ist nicht ungefährlich und ziellos, sondern er will letztlich islamistischer Kalif werden.