Der missverstandene Imperialist

Er war Politiker und Kolonialist – aber auch Zoologe und Sklavereigegner: Thomas Stamford Raffles. Foto: Getty Images

Der Mann war ein Imperialist. Er war der Überzeugung, dass der Herrgott die Welt zur Ehre des britischen Empire geschaffen hatte. Sir Thomas Stamford Raffles (1781–1826) nahm 1819 die Südspitze des heutigen Malaysia für die Krone in Besitz und liess den Ort zu einem maritimen Stützpunkt ausbauen, der heute Singapur heisst. Jetzt feiert der kleine Stadtstaat die Ankunft von Raffles vor 200 Jahren mit zahlreichen Festivitäten.

Nur: Weshalb sollte sich Singapur vor Raffles verbeugen und seine Ankunft würdigen? Schliesslich lebten auch vor seiner Ankunft Menschen dort, und manche vielleicht besser ohne ihn und seine Soldaten. Kein Mensch würde in Südafrika etwa den Kolonialisten und Philanthropen Cecil Rhodes ehren, und falls doch, würde er sich Schwierigkeiten mit den Behörden einhandeln.

Tatsächlich führen die Feierlichkeiten von Singapur zur Empörung einzelner Antikolonialisten, für die Raffles’ Ankunft noch heute ein Skandal ist. So zitiert der Nachrichtendienst von al-Jazeera den englischen Historiker und Asienexperten Tim Hannigan mit den Worten: «Kolonialismus ist per se strukturell unethisch und korrupt.»

Rücksichtsloser Imperialist und leidenschaftlicher Zoologe

Hannigan erinnert daran, dass Raffles vor 200 Jahren nur kurze Zeit in Singapur weilte. Er lebte vielmehr als britischer Gouverneur im heute indonesischen Java und führte dort zahlreiche militärische Vorstösse gegen die Einheimischen, was wiederum ins Bild des rücksichtslosen Imperialisten passt. Besonders übel war seine Kampagne gegen das Sultanat Yogyakarta.

Aber Halt. Es gibt eine andere Sichtweise auf das Leben von Thomas Stamford Raffles. Denn er verstand sich nicht nur als Politiker und militärischer Stratege. Der Mann fühlte sich vor allem zur Zoologie und Botanik berufen. Er war der erste Präsident der Zoological Society of London und gehörte zu den Initianten des Londoner Zoos. Raffles machte sich aber auch einen Namen im Kampf gegen die Sklaverei, die damals zu den wichtigsten politischen Streitpunkten im Vereinigten Königreich gehörte. Dieses Engagement ehrte zwar Raffles, änderte in den asiatischen Kolonien allerdings wenig. Sklaverei in unterschiedlichen Ausprägungen blieb im 19. Jahrhundert weit verbreitet.

Falsch wäre zudem die Vorstellung, Raffles sei damals in Malaysia auf friedliche Gemeinschaften von Ureinwohnern gestossen. Diese waren längst vertrieben. Einwanderer aus dem arabischen Raum, Chinesen und Inder siedelten dort und unterhielten ein weit verzweigtes Handelsnetz. So werden sich denn viele aus geschäftlichen Interessen über die Ankunft der Briten gefreut haben. Sie sollten für sie die Schiffsrouten von Europa nach Asien sichern und vor allem als Basis im kommerziellen Wettbewerb mit den Niederländern dienen.

Das britische Erbe Singapurs

Heute dominieren die Nachfahren dieser asiatischen Einwanderer das politische und gesellschaftliche Leben von Singapur. Der herrschende Lee-Clan ist zwar gottlos zerstritten, beruft sich jedoch auf das britische Erbe. Denn Raffles war wie zahlreiche andere seiner Generation von den Vorteilen der britischen Demokratie dermassen überzeugt, dass er das System von Westminster allenthalben propagierte. Singapur ist heute zwar eine gelenkte Demokratie, aber eine, die sich formal noch immer an England orientiert. So gesehen ist die Tradition dieses Landes mit Hongkong vergleichbar. Auch dort ist die koloniale Vergangenheit der Briten nicht verpönt, sondern Teil der Identität.

Raffles selbst erlebte das Schicksal vieler Kolonialisten – den Undank der Heimat. Er war zwar als Orientalist anerkannt, nicht aber als Politiker und vor allem nicht als Geschäftsmann. Die Ostindien-Kompanie verklagte ihn wegen angeblicher Misswirtschaft in den Kolonien. Er verstarb mit 45 Jahren an einem Hirntumor, bevor es zum Prozess kam. Ein ordentliches Begräbnis wurde ihm verweigert. Je nach Lesart, weil Raffles’ Kampf gegen die Sklaverei für die Kirchenoberen des Teufels war. Oder weil er einen horrenden Schuldenberg hinterliess.

10 Kommentare zu «Der missverstandene Imperialist»

  • Jack Stoffel sagt:

    Ach, wie lieb, Frau Willbury. Warum kandidieren Sie und das britische Weltreich nicht längst für den Friedensnobelpreis?
    Am allerdümmlichsten sind weisse eurozentristische Geschichtsklitterer, die im 21 Jh. verbreiten, man habe den armen Leutchen in Indien oder Afrika doch nur Gutes tun und sie erlösen wollen.

  • M. Seiler sagt:

    Tim Hannigan ist nicht Historiker, sondern ehemaliger Küchenchef, Journalist u.a. mit einer Vorliebe für Asian, v.a. Indonesien.
    Raffles war nur 4,5 Jahre in Java und wurde abgesetzt, da seine Unternehmen gegen die Sklaverei – u.a. gegen den Adel in Yogiakarta – und der Installation einer nicht korrupten Administration und Justiz die Geschäfte der grossen Handelsgesellschaften störte. Schlimmer als die Ausbeutung durch die Niederländische Ostindien-Kompanie, die nur auf Ausbeutung aus war und nichts für die Infrastruktur tat, kanns nicht gewesen sein. Ganz allgemein haben die Engländer und Franzosen immer auch eine Infrastruktur aufgebaut, die auch den Einheimischen zugutekam; dies ganz im Gegensatz zu den beiden schlimmsten Kolonisatoren Belgien und Niederlande.

    • Rolf Zach sagt:

      Man kann Herr Seiler nur bestätigen. König Leopold II, Urgroßonkel von König Albert II (bis 2013) hat 1885 durch eine Konferenz in Berlin von den europäischen Großmächten den Kongo-Freistaat erhalten und wegen Gummi die Hälfte aller Menschen dort auf grausamste Weise vernichtet. Nach 1908 übernahm Belgien diesen praktisch persönlichen Besitz von Leopold II und man mordete so nicht mehr, aber behandelte die Einheimischen wie Kinder. Die Belgier wollten, dass sie nie Erwachsene werden, das Resultat davon sieht man heute.
      Übrigens war Brüssel vor dem Einfall der Deutschen 1914 ohne Zweifel die prächtigste Stadt von Europa.
      Für diese Pracht musste die Hälfte der Menschen im Kongo bluten und König Baudouin hielt noch 1960 in Léopoldville eine verlogene Rede, indem er Belgien
      rühmte.

      • M. Seiler sagt:

        Traurig ist, dass viele „progessive“ Reisende nicht wahrnehmen, dass das ganze Bahnnetz in Indien/Pakistan oder die Bahnen in den Anden von Westlern gebaut wurden. Vietnam – das sozialistische Paradies – hätte noch heute keine durchgehende Strasse von Süd nach Nord (Länge 2300 km) ohne die Franzosen; lange hiess diese Route Nationale 1. Ganz zu schweigen von den Strassen vom Mittelmeer in den Süden von Algerien und Marokko. Wer in Sri Lanka ins Spital muss, kommt auch heute noch ins General Hospital, das 1819 gebaut wurde; heute heissts natürlich National Hospital of Sri Lanka…

  • Rolf Zach sagt:

    Wie soll man das Britische Weltreich erklären. Als Bösewicht und Ausbeuter oder Heilsbringer von Aufklärung und Zivilisation? Vergessen wir nicht das Erste Kolonialreich ging 1783 als USA verloren, es blieb nur das eisige Kanada und ein Teil von Westindien. Das neue Kolonialreich in Asien war erst in der Gründung.
    Es darf auch nicht vergessen werden, dass die Inder selbst die Eroberung durch die Briten finanzierten. Indien war bis 1947 wohl eine britische Kolonie mit einer relativ ordentlichen Verwaltung und Gerichtsbarkeit, aber die grundlegende Mentalität der Inder blieb bestehen. Nie wurde Indien geistig derart durchgeschüttelt wie China. Man kann ruhig sagen, dies ist das Elend des heutigen Indien und China hat es trotz der desaströsen Mao-Herrschaft überholt.

    • Rolf Zach sagt:

      Was Singapur betrifft, beruht seine Wohlfahrt auf diesen britischen Prinzipien einer korrekten Verwaltung und einer strengen, ja manchmal brutalen Gerichtsbarkeit, die aber unbestechlich war. Singapur hat auch die Beachtung des ganzen Volkes übernommen, was europäisch ist, was der Islam, der Hinduismus und auch der Buddhismus nicht kennt. Nur die Lehre des Konfuzius denkt darüber nach, aber nie mit dieser Durchschlagskraft wie in der europäischen Philosophie der Aufklärung. Wer bestreitet, dass die Aufklärung ohne das Neue Testament möglich gewesen wäre, ist ein Dummkopf.

      • Rolf Zach sagt:

        Was der riesige wirtschaftliche Nachteil des britischen Kolonialreiches war, das die britische Regierung bewusst ihre Verwaltung beauftragte, die indische Wirtschaft so zu lenken, dass die einstmals grösste Textilindustrie der Welt unterging und Indien zum Lieferanten von Rohstoffen und Halbfabrikaten reduziert wurde. Es waren die indischen Industriellen wie Birla, die Gandhi am meisten unterstützen.
        Komischerweise war diese Tatsache, die im Zweiten Weltkrieg den Briten am meisten schadete. Mit einer indischen Rüstungsindustrie
        hätten die Japaner nie soviel erobert, denn die Rüstungsgüter mussten nach Indien und Australien mühsam über den ganzen Pazifik aus den USA herbeigeschafft werden. So ging halt mit dieser Engstirnigkeit ohne Vorausschau, das Imperium in Asien den Bach runter.

  • beata willbury sagt:

    Das Verschreien des British Empire ist doch lediglich die Folge einer dümmlichen 68er Kulturrevolution, die mit rationalem Denken rein gar nichts zu tun hat. Es ist pure Ideologie.Das Empire hat der Welt Unglaubliches gegeben und schon alleine die Tatsache, dass SG und HK heute zu den reichsten Nationen der Welt gehören, beweist, dass die Grundlagen fantastisch waren. Zudem war die kulturelle und geistige Durchdringung der Welt mit britischen Werten ein Segen für viele grässliche und brutale Orte dieser Welt. Es kam die Hochzivilisation und zudem eine sehr elegante disziplinierte und ehrenhafte Zivilisation. Ich sehe diese Sache sehr entspannt und bin stolz auf diese Zeit in der eine europäische Nation Verantwortung übernahm. Ich sollte bald wieder mal im Raffles absteigen. Rule Britannia

    • Thomas Hartl sagt:

      Aus Sicht der Europäer des 18. und 19. Jahrhundert, die es als ihre christliche Pflicht betrachteten, den Wilden Glauben, Kultur und Technik zu bringen, und dabei selber noch einen gewaltigen Reichtum anzuhäufen, haben sie natürlich recht. Würde heute eine Regierung zu solchen Mitteln greifen, so würde das zurecht als Verbrechen beurteil. Es gibt immer einen historischen und einen aktuellen Blickwinkel auf Ereignisse. Eines muss man dem britischen Empire aber zugute halten: Es hat sich im 20. Jahrhundert in den meisten Kolonien zivilisierter aufgelöst, als andere Kolonialreiche.

    • Nina sagt:

      @Willbury: Sie verklären etwas die Wirklichkeit. Was haben denn die Kolonien selbst zu ihrer Besatzung gesagt? Wohl kaum wurde Ihre verklärt romantische Version wieder gegeben. Es ist immer wieder die gleiche Diskussion: kann man böse Absichten und Taten besser verzeihen, wenn die Absichten eigentlich gut gemeint waren? Fakt ist die Eindringer und Beherrschten sind wohl kaum konfliktfrei aneinander vorbei gekommen. In Indien wird immer wieder das Rechtssystem als Errungenschaft des British Raj erwähnt, heute ist es überlastet und dysfunktional, Verfahren leben von Korruption, denn ohne Geldschein dauern diese etliche Jahre. Das Britische Empire hatte zudem lediglich wirtschaftliche Interessen. Man wollte Britische Ware global verkaufen. Also das was heute jede Firma auch macht.

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