Die starke Frau des Mittelalters

Furchtlos in den blutigen Kampf: Katheryn Winnick als Schildmaid Lagertha in der TV-Serie «Vikings». Foto: PD

Wenn wir uns heute das Mittelalter vorstellen, denken wir an tapfere, edle Ritter und schöne, liebliche Königstöchter. Diese scheinbar allgemeingültige Darstellungsweise trifft aber nicht auf das skandinavische Mittelalter zu, das im Jahr 1000 beginnt.

Aus zeitgenössischer Perspektive steht das Mittelalter in Skandinavien für blutige Kämpfe und Wikinger. Diese Darstellung findet sich in zahlreichen Büchern und Filmen; so auch in der TV-Serie «The Vikings». Im idyllischen Norwegen lebt der Wikinger Ragnar, der, begleitet von seiner Frau Lagertha, zur Plünderung Englands aufbricht. Lagertha ist eine Schildmaid, eine starke, selbstständige Frau, die mit wehendem Haar, stolzem Blick und erhobener Waffe furchtlos in den blutigen Kampf zieht. Diese starke Frau überrascht im Vergleich zum traditionellen Frauenporträt der europäischen Chroniken, und es drängt sich die Frage auf, woher ihr Mythos stammt.

Die starke Frau aus der Saga

Hinweise auf solche aussergewöhnlichen Frauen finden sich nicht nur in KriegerInnengräbern, sondern auch in skandinavischen Sagas. Diese sind keine fantastischen Erzählungen, sondern die nordische Form der sonst weit verbreiteten Chroniken. Obwohl die Schildmaid in den Sagas eher selten vorkommt, trifft man häufig das nicht weniger erstaunliche «Kernweib» an, wie es in einigen deutschen Übersetzungen genannt wird.

Der Begriff Kernweib bezieht sich auf die verschiedensten Frauentypen: Bauernmädchen, Witwen, Königinnen. Alle diese Frauen haben gemeinsam, dass sie sich durch ihre Handlungsfähigkeit, Tatkräftigkeit und Klugheit auszeichnen. Sie waren die ausserordentlichen Frauen der nordischen Sagas. So heisst es in den Isländersagas über Hildigunn Starkaðardóttir: «Sie war ein rechtes Kernweib und sehr schön von Aussehen. Sie war so geschickt, dass es wenig gleichgeschickte Frauen gab.»

Mann oder Frau oder beides?

Besonders interessant wird der Begriff Kernweib vor allem dann, wenn man sich das altisländische Original anschaut. Skörungr – zu Deutsch Kernweib, tatkräftig, tüchtig – wird als maskulines Nomen mit ebenfalls männlichen Adjektiven verwendet. Dies stellt uns vor ein Problem, da das Kernweib Hildigunn als «er» beschrieben wird, obwohl sie eine Frau ist. Ist sie nun eine Frau oder ein Mann, oder beides, oder gar eine Frau, die wie ein Mann ist?

Diese Frage lässt sich klären, wenn man die hochmittelalterliche skandinavische Gesellschaft betrachtet: Zur Sicherung der eigenen Stellung in der Gesellschaft musste man ständig unter Beweis stellen, dass man «hart» genug war. Dass diese Härte aber nicht durch ein Geschlecht gegeben ist, zeigt der Begriff Skörungr. Menschen identifizieren sich durch Handlungsfähigkeit und werden als «Vermögende» oder «Unvermögende» kategorisiert. Ein verletzter Krieger kann genauso gut unvermögend sein, wie eine besonders tapfere Frau vermögend. Skörungr ist demnach weder weiblich noch männlich, sondern bezeichnet fähig, vermögend und energisch. Es ist nicht eine Frau, die «wie ein Mann handelt» oder «wie ein Mann ist», sondern ein besonders edler, tatkräftiger Mensch.

Jenseits der Zweigeschlechtlichkeit

Den Begriff Skörungr sprachlich zu fassen ist schwierig, da er ausserhalb der binären Geschlechterteilung steht, auf der unsere Sprache und unser Denken basiert. Handlung und Härte bestimmten nämlich den Sprachgebrauch, nicht umgekehrt.

Somit war es Hildigunns Handeln, das die Kategorisierung als Vermögende begründete. Skandinavien, der unzivilisierte, unchristliche Ort hinter «heidnischen Grenzen», beherbergt ein für damaliges Dafürhalten schauerliches «Frauenland» – wie dies der mittelalterliche Chronist Adam von Bremen beschrieb –, das uns aber anscheinend auffordert, unser Geschlechterverhältnis zu überdenken.

Buchhinweis zum Text:

Rüdiger, Jan: Ein rechtes Kernweib. Die «starke Frau» der Wikingerzeit als historiografischer Mythos, in: Lundt, Bea; Salewski, Michael (Hg.): Frauen in Europa. Mythos und Realität. Dokumente und Schriften der Europäischen Akademie Otzenhausen 129, Münster 2005

15 Kommentare zu «Die starke Frau des Mittelalters»

  • J. Hagmann sagt:

    In der isländischen Sprache werden die Geschlechter – männlich, weiblich
    und neutral – streng grammatikalisch verwendet, d.h. unabhängig davon, was mit dem Substantiv bezeichnet wird. Wer aus Island stammt, ist z.B. ein Íslendingur“ (männlich), egal ob Mann, Frau oder Kind. Eine Isländerin sagt von sich, sie sei „ein“ Íslendingur, dazugehörige Adjektive sind ebenfalls männlich („ein junger“ ïslendingur, auch für eine Frau). Geschlechterspezifische Endungen wie im Deutschen (Isländer – Isländerin) gibt es nicht.
    Noch ein Beispiel? Hetja ist weiblich und wird im Langenscheidt mit „Held“
    übersetzt. Hier gilt das gleiche, mit umgekehrten Vorzeichen: ein grosser
    Held (Mann) ist „eine grosse“ hetja.
    Genderfantasien sollten diese Tatsachen berücksichtigen!

  • Gerhard Engler sagt:

    Zusammengefasst: Seien wir froh, dass die Zeiten der Wikinger endgültig vorbei sind und dass es keine Skandiavier mehr gibt, die übers Meer fahren um Leute auszuplündern und abzuschlachten. Es waren grösstenteils Männer, aber auch einige Frauen, die so brutal und unmenschlich waren. Kulturell können wir uns kaum etwas aus dieser Zeit zum Vorbild nehmen. Und das ist gut so.

    • Daniela sagt:

      Ich empfehle Ihnen dringend eine Reise nach Skandinavien um mit eigenen Augen in den unzähligen, informativen Muessen zu sehen, was diese „Wilden“ so zustande brachten.

  • Manuel First sagt:

    Da gibt’s noch viel mehr Interessantes über Frauen im nordischen Mittelalter, als Schwerter schwingen: Frauen konnten die Scheidung einreichen!

  • Niklas Meier sagt:

    Worum geht es der Autorin denn genau?
    Im mittelalterlichen Nordeuropa wurde also eine männliche Form benutzt wenn jemand als mächtig, stark, wohlhabend und einflussreich definiert wurde (ob das nun genau dem „Skörungr“ entspricht sei dahingestellt).
    Soll dies nun ein Hinweis auf eine damalige genderfreie Begriffverwendung hindeuten? Da Frauen, auch im Norden, in der Mehrheit der Fälle nicht die stärkeren und schnelleren Menschen als Männer waren und sind (Biologie und so), würde die maskuline Form doch vielmehr darauf hinweisen, dass diese Eigenschaften vornehmlich bei Männern anzutreffen sind? Vielleicht ist die Übersetzung „Kernweib“ auch einfach falsch, oder missinterpretiert worden? Mir scheint das realistischer als ein andere Geschlechterverständnis als der Rest der Welt.

  • Dilek sagt:

    Das ist heute immer noch so, nur ist der durchschnittliche Kulturaustausch selbst in Zeiten der Globalisierung und des Vielreisens doch nicht so ausgeprägt, wie man meinen könnte. Die Nordeuropärinnen sind physisch oft überdurchschnittlich robust und tüchtig und sehen erst noch toll aus.. Wenn man eine nordische Fitness-Frauenzeitschrift anschaut dann sind die Muckis eindeutig grösser wie in deutschen oder amerikanischen Pendants. Möbel und schwere Koffer lupft man selber. Als Schweizerin mit südeuropäischen Wurzeln muss ich wirklich staunen, bzw. ich fühle mich dann als richtiges Weichei.

  • Sonsufaber sagt:

    Ich lese: „Skandinavien, der unzivilisierte, unchristliche Ort hinter «heidnischen Grenzen» …“ – naja, man sollte vielmehr sagen, dass die Christen die Heiden für unzivilisiert hielten, und zwar zu Unrecht, denn die unzivilisierteten bzw. brutalsten von allen waren die Christen selbst damals (und auch später). Wenn es im Laufe der letzten Jahrhunderte ein Zivilisierungsprozess stattgefunden hat, dann wohl nicht dank einem äusserst misogynem Christentum, sondern trotz desselben und wider denselben. Aber die meisten Historiker sind christlich gesinnt …

  • Thomasz Crema sagt:

    All diese “starken“ oder sogar “historisch bedeutsamen“ Frauen im Mittelalter gibts nur in heutigen, politischen korrekten TV-Serien. Nicht aber damals im richtigen Leben.

    • Hans Meister sagt:

      Da wäre ich mir mal nicht so sicher; schon mal die neusten Forschungen angeschaut?
      Wenn man keine Frauen in der Geschichte will, dann findet man keine, resp. schreibt der Mächtige sie um- und das waren im 18. Jh. – Mitte 19. Jh. leider die Männer. Das Umschreiben geht ja zurück bis zur Bibel deren älteren Ausgaben ja auch nicht ganz so Männerbeladen war, wie es die heutige Kirche uns glauben lassen will. Oder falls sie ein Beispiel wollen, dass nicht ganz so ‚genderbelastet“, die Kelten galten lange Zeit als Heiden/Wilde weil die Römer a) gewonnen hatten und b) eine Schriftkultur haben. Das sie zivilisationstechnisch doch nicht so schlimm waren, kam auch erst später raus.
      Mein Tipp an sie, Scheuklappen weg und lesen

      • Niklas Meier sagt:

        Welche denn? Ja, eine Frau hat den Christen erst den Erfolg ermöglich, Hildegard hat unglaubliche Erkenntnisse festgehalten, aber bei all dem was mit Krieg, Eroberungen oder Entdeckungen zu tun hat, gibt es praktisch keine Frauen.
        Auch die angebliche Vikingerkriegerin war ja keine wie sich herausgestellt hat. Auch wenn gewisse Genderwissenschaftelnde das noch so gerne gehabt hätten.

  • Basil Zurkinden sagt:

    Geschichtlich interessant leider vom typischen ideologische Feminismus stark angebeizt. Irgendwie unwissenschaftlich wenn man an ein eigentlich interessantes Thema zeitgeistig herangeht anstatt wissenschaftlich kühl und ergebnisoffen forscht und berichtet. Leider ist das heute mit den Universitäten seit den 68er Ideologen nicht mehr richtig möglich. Es langweilt unter dem Strich eigentlich nur noch, wenn die Unis immer das gleiche Thema in Endlosschlaufe runterleiern.

  • Anton Paschke sagt:

    Dann haben wir noch die Walküren. Beispielsweise die Krimhild im Niebelungenlied. Besonders schlau war sie nicht, sonst hätte sie nicht die weiche Stelle auf Siegfrieds Hemd markiert. So kräftig wie die englische Prinzessin war sie auch nicht. ( Hätte der Siegfried nicht geholfen, so hätte die Brunhild den Gunther verprügelt und nicht geheiratet ). Aber intrigant war die Krimhild ganz sicher, nur der Victor Orban weiss es nicht.

    • Ralf Schrader sagt:

      Auch die deutsche Realgeschichte, zu der die Schweiz derzeit gehörte, beginnt mit starken Frauen. Den ersten deutschen Kaiser Otto I. und seine Dynastie der 3 Ottonen hätte es ohne seiner zweite Frau, Adelheid von Burgund, und Theophanu, die byzantinische Frau des Otto II. nie gegeben.

      Diese ganzen hergeholten Genderstories langweilen etwas angesichts der realen Geschichte. Ob im vorantiken Ägypten, in China, überall gab es Frauenkaisererinnen, Pharaoninnen. Aber wie alle anderen Merkmale waren und sind auch die Geschlechter und die Gender nie gleich verteilt.

    • Martin Hofstetter sagt:

      Krimhild die Tochter des Königs Gunther war im Gegensatz zu Brunhilde keine Wallküre. Abgesehen davon ist das nur eine Sage. Etwas näher am Thema zu bleiben wäre schon ganz angebracht.

  • Roman Koch sagt:

    Das Klischee „Aus zeitgenössischer Perspektive steht das Mittelalter in Skandinavien für blutige Kämpfe und Wikinger.“ stellt die Stärke von Frauen nicht in Abrede, auch in Klischees werden die Wickingerfrauen oft als stark dargestellt, zumal Wickinger nicht nur blutige Kämpfe ausgetragen haben. Sie waren Staatengründer und sind mit ihrem Wissen auch zur Unterstützung anderer Völker gerufen worden.

    Ja, skandinavische Frauen hatten schon immer eine gleichberechtigtere Position als in anderen Ländern das sieht man schon an der norwegischen Sprache anhand der Pronomina und Adverbien. Das ist durchaus interessant, aber ich sehe noch nicht so ganz worauf sie hinaus wollen. Das wir uns ein Beispiel nehmen sollen?

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