Österreich ist, was übrig bleibt

1918 wurde beim Parlament in Wien die «Republik Deutschösterreich» ausgerufen. Foto: Bettina Wagner (Alamy)

650 Jahre lang waren die Habsburger an der Macht. Kein anderes Adelshaus hielt sich so lange wie die Dynastie mit Stammsitz im Aargau, in deren Reich im 16. Jahrhundert unter Karl V. die Sonne nie untergeht. Auch 1914 ist Österreich-Ungarn, wie die k. u. k. Doppelmonarchie seit dem Ausgleich von 1867 heisst, immer noch eine Grossmacht mit über 51 Millionen Einwohnern.

Dann kommt das Attentat auf Thronfolger Franz Ferdinand in Sarajevo. Mit seiner Kriegserklärung an Serbien läutet Kaiser Franz Joseph das Ende seines Hauses an der Macht in der Wiener Hofburg selber ein. Vier Jahre später sind die Habsburgerherrschaft und der Vielvölkerstaat Geschichte, untergegangen im Zuge des Ersten Weltkriegs.

Republik soll Teil Deutschlands werden

Lange kämpfen die Soldaten aus allen Ecken des Reiches loyal für ihren Kaiser, der am 21. November 1916 nach 68 Jahren Regentschaft stirbt. In den folgenden Wintern weicht die anfängliche Kriegseuphorie endgültig der Ernüchterung: Die Spanische Grippe und die Tuberkulose raffen die Menschen dahin, die Bevölkerung leidet Hunger. Die Versorgungslage im Land und an der Front ist katastrophal. «Österreich-Ungarn ist 1918 nicht mehr kriegsfähig», sagt der Historiker Manfred Rauchsteiner im Interview mit der «Süddeutschen Zeitung». Die Monarchie zeige seit dem Sommer Auflösungserscheinungen: «Es ist ein Prozess, der sich über Monate hinzieht.» Bis zum 11. November.

Der Versuch Kaiser Karls, der von seinem Grossonkel Krone und Krieg geerbt hat, mit den Alliierten Frieden zu schliessen, ist gescheitert. Er verlässt mit seiner Frau Zita zuerst Wien und später das Land. Zwei Tage nach der erzwungenen Absetzung des deutschen Kaisers Wilhelm II. verzichtet Karl zwar auf sein Amt. Doch eine formelle Abdankung kommt für ihn nicht infrage, schliesslich sieht er sich als Kaiser von Gottes Gnaden.

Am nächsten Tag wird beim Parlament in Wien die «Republik Deutschösterreich» ausgerufen. Sie startet gleich mit einem Eklat: Weil Linksradikale den Mittelteil aus der rot-weiss-roten Fahne gerissen haben, werden rote Fetzen gehisst. Geht es nach den neuen starken Männern im Land, wie dem sozialdemokratischen Kanzler Karl Renner, soll die Republik Teil Deutschlands werden, etwa als Sonderbundstaat. Doch Berlin winkt laut Rauchsteiner ab: «Bei den Waffenstillstandsverhandlungen mit den Siegermächten fürchtet man noch schlechtere Bedingungen, wenn Deutschland grösser wäre als vor Ausbruch des Kriegs.» Der Versailler Vertrag verbietet denn auch eine Vereinigung Deutschlands mit Deutschösterreich.

Gründung neuer Staaten

In seinem 14-Punkte-Programm einer Friedensordnung für Europa nach dem Ersten Weltkrieg will US-Präsident Woodrow Wilson den Völkern Österreich-Ungarns Anfang 1918 «die freieste Gelegenheit zu autonomer Entwicklung» zugestehen. Von Unabhängigkeit ist keine Rede. Der Zerschlagung des Vielvölkerstaates stimmt Wilson dann doch zu, weil Wien immer verzweifelter die Nähe Berlins sucht. Der Vertrag von St. Germain regelt schliesslich die Auflösung des Vielvölkerstaates.

Neue Staaten werden gegründet, Untertanengebiete neu zugeteilt: Mähren etwa geht an die Tschechoslowakei, Galizien an Polen und die Bukowina an Rumänien. Italien bekommt unter anderem Friaul und Istrien, das Königreich Jugoslawien Dalmatien. Alles und noch viel mehr ist weg, auch der Zugang zum Meer sowie Böhmen und Südtirol, auf die Wien bis zuletzt gehofft hat. Auf Kosten Ungarns bekommt Österreich Deutsch-Westungarn und erhält den Namen Burgenland.

Der Vertrag macht aus der stolzen Donaumonarchie einen Rumpfstaat, der sich heute noch als Schutzmacht Südtirols sieht. Dem damaligen französischen Ministerpräsidenten Georges Clemenceau wird die – nicht belegte – Aussage «L’Autriche, c’est ce qui reste» in den Mund gelegt. Sollte der Satz so nicht gesprochen worden sein, ist er doch gut erfunden.

15 Kommentare zu «Österreich ist, was übrig bleibt»

  • Vaclav Sulista sagt:

    Und wohin sonnst sollte Mähren gehen als zur Tschechoslowakei? Warum wird nicht Böhmen im gleichen Atemzug erwähnt? Böhmen und Mähren waren schon immer Stammlande der Böhmischen Krone.

    • gabi sagt:

      Wie hat Richard Weizsäcker so wunderschön gemeint:

      Es geht nicht darum, Grenzen abzuschaffen, sondern ihnen den trennenden Charakter zu nehmen.

  • Sven Tschalèr sagt:

    “L’Autriche c’est qui reste“ – diesen Satz dürfte der Franzose Clemenceau kaum gesagt haben. Denn er heisst “Oesterreich ist, wer bleibt“. Wenn schon, dann hat er vielleicht “L’Autriche, c’est CE qui reste“ gesagt.

  • Thomas Hartl sagt:

    Österreich ist, was übrig bleibt. Das trifft natürlich auch auf andere zu. Sei es das britische Empire oder die UdSSR, von vielen Reichen blieb nur ein mehr oder weniger kläglicher Rest übrig. Daher sollten wir Veränderungen etwas gelassener gegenüber stehen. Ob sich nun ein Reich zerlegt, oder ob eine neue Union zusammenwächst, alles ist Teil einer Geschichte, in der unsere Lebensspanne nur ein Wimpernschlag darstellt.

    • gabi sagt:

      Naja… Wie gelassen wir derartigen Veränderungen gegenüber stehen sollten, hängt einzig und alleine davon ab, mit wieviel oder wie wenig Leid die jeweilige Auftrennung – oder aber erzwungene Vereinigung! – für die Menschen dieser Regionen bedeutet.

      Zum Beispiel Auflösung der USSR: Für die Menschen, die vollkommen unnötig in der Ostukraine sterben, für die vielen Zivilisten, denen ein normales Leben verunmöglicht wird, für Krimbewohner (gar Krimtataren), die plötzlich als Fremde im eigenen Land diskriminiert werden, wäre es recht zynisch, dazu nur die Achseln zu zucken und zu meinen: „Lauf der Geschichte, halt.“

      • adrian wehrli sagt:

        … die Geschichte läuft mit und und ohne Empörung so ab …

      • Jessas Neiau sagt:

        Ja, ausser dem Achselzucken muss man zusätzlich mindestens ein paar weinerliche Kommentare schreiben, damit man die Hände danach umso besser in den Schoss legen kann. Obwohl das den Zynismus doch nur noch vergrössert. Was bitte tun Sie denn konkret, ausser sich gut vorzukommen? Und wenn sie überhaupt etwas tun – ist das denn gut, was Sie tun?

      • gabi sagt:

        In einer Demokratie darf man sich alleine schon darum gut fühlen, wenn man zu einer Bewusstseinsbildung beiträgt. Tatsächlich.

        Angesichts des Tsunamis an St.Petersburger-Trollen, die sich mit der Flucht von Janukowitsch aus Kiew plötzlich in rauen Massen – und mit nachlesbaren slawischen Deutschfehlern – zu Tausenden im Internet (und unter jedem Artikel, der das Thema Russland streifte) breit machten, komme ich mir tatsächlich richtig gut vor, wenn ich ganz konkret an diese Verbrechen erinnere.

    • Joerg Bucher sagt:

      Worte und Gedanken souveraener Ueberlegung ! —
      Im schmissigen Volkslied, ‚Schoen war die Zeit, als
      der Kaiser noch kam‘, singt sich’s : ‚Die k. und k. –
      Zeit hat alle erfreut, und die Musik spielt man noch
      heut…“. –
      War die Donaumonarchie nicht gleich taktvoll, wie
      ‚atonale‘ Politsysteme unserer Tage ?…..

  • werner boss sagt:

    Warum so negativ schreiben über ein Land das sich doch trotz allem, oder gerade weil es sich nicht mehr nach Ausdehnung sehnt, ganz gut zurecht kommt. Da scheint mir etwas Neid auf zu kommen, denn bei fast gleicher Einwohnerzahl ist Österreich doppelt so gros wie die Schweiz, ist entsprechend weniger zubetoniert und kommt erst noch ohne AKW,s aus!

    • adrian wehrli sagt:

      … das BIP dafür gerade mal 60% der Schweiz. Na ja, der Österreichische Schlendrian hat auch seine niedlichen Seiten …
      Oesterreich: Erneuerbare Energien: 30%, Schweiz: 60%

      Hoch lebe Oesterreich …

  • gabi sagt:

    Was ich erst neulich realisiert habe:

    Die „freieste Gelegenheit zu autonomer Entwicklung“ hat als Erstes grad mal einen Pál Prónay hervor gebracht: Den allerersten Diktator auf (Rest-)Österreichischem Gebiet, der Vieles vorwegnahm, was erst spätere „Führer“ den leidgeprüften Ländern der einstigen Krone noch aufbürden sollten.

    In seinem Wüten südlich des Plattensees und im ursprünglich ungarischen Burgenland berief er sich auf das von Thomas Woodrow Wilson proklamierte Selbstbestimmungsrecht der Völker gab vor Recht und Ordnung wiederherzustellen, während das genaue Gegenteil passierte.

    Eine interessante Vorwegnahme von Ereignissen, wie sie uns wieder im Nahen Osten einholen: Sieger, die zu blöd sind, sich Gedanken über tragfähige Nachkriegsordnungen zu machen.

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