Wie die Österreicher die Kernenergie versenkten

Zeitreise in die 70er-Jahre: Blick ins Innere des Kernkraftwerks Zwentendorf. Foto: Bernhard Odehnal
Am Abend des 5. November 1978 stand die kleine Welt der österreichischen Politik kopf. Jahrelang hatten Regierung, Industrie und Gewerkschaften für den Einstieg der Alpenrepublik in die zivile Nutzung der Kernenergie geworben. Das erste Kraftwerk, nahe der kleinen Gemeinde Zwentendorf an der Donau, war fertiggestellt und betriebsbereit. Weitere vier bis fünf Kernkraftwerke sollten folgen. Doch an diesem Sonntag sagte das Stimmvolk mit der denkbar knappsten Mehrheit von 50,5 Prozent Nein zur Atomkraft.
Für das Establishment war es ein Schock. Hunderte Millionen (damals noch in der österreichischen Währung Schilling) waren bereits investiert. 200 hoch qualifizierte Nukleartechniker verloren ihren Arbeitsplatz. Die auf Kernenergie ausgerichtete Energiepolitik musste neu gedacht werden. Das fixfertige Atomkraftwerk aber wurde in einen Dornröschenschlaf versetzt, und so steht es heute noch: Als Mahnmal an eine Zeit lange vor Tschernobyl und Fukushima, als Kernspaltung noch als Lösung aller Energieprobleme galt und die (bis heute ungelöste) Endlagerung kein Thema war.
Heute gehört der eine Autostunde entfernt von Wien am Donauufer gelegene Gebäudekomplex dem niederösterreichischen Energiekonzern EVN, und dessen Sprecher Stefan Zach führt Interessierte gerne durch das bizarre Innere, in dem die Zeit stehen geblieben ist. Auch wenn etliche Ersatzteile an typengleiche Kraftwerke im Ausland verkauft wurden, so ist das Innenleben des Kraftwerks doch weitgehend so erhalten, wie es in den 1970er-Jahren gebaut wurde, mit Kippschaltern, Wählscheibentelefonen und Logos von Firmen, die es längst nicht mehr gibt. Nirgends sonst auf der Welt kann man bis ins Innere eines Reaktors vordringen, kann die Technik aus nächster Nähe betrachten. Das macht das AKW Zwentendorf einzigartig.
Der schwerwiegende Fehler des Bundeskanzlers
Dass Österreich Energie aus Atomspaltung gewinnen sollte, war ursprünglich parteiübergreifender Konsens. Ende der 1960er-Jahre wurde der Bau des ersten AKW von einer konservativen Regierung beschlossen und in den 1970er-Jahren von der sozialdemokratischen Alleinregierung unter dem legendären Bundeskanzler Bruno Kreisky fortgesetzt.
In der Gesellschaft aber wuchs der Widerstand. Das westlichste Bundesland Vorarlberg war besonders skeptisch, dort hatte man Erfahrung mit dem Protest gegen das Schweizer Kernkraftwerk Rüthi (SG), das letztendlich nie gebaut wurde. Aber auch im Osten Österreichs machten Umweltschutzgruppen mobil und wurden vom grössten Boulevardmedium, der «Kronen Zeitung», unterstützt. Der Streit um die Atomkraft entzweite das Land bis hinein in die Familien, erinnert sich Stefan Zach, der damals 13 Jahre alt war: «Da entstanden seelische Wunden, die nie mehr verheilten.»
Kanzler Kreisky verglich die Atomkraftgegner zwar mit Terroristen, wollte den Betrieb des Kraftwerks aber demokratisch absichern und entschied sich für die Abhaltung der ersten Volksabstimmung in Österreich. Dass Kreisky bei einem «Nein» seinen Rücktritt ankündigte, hatte folgenschwere Konsequenzen: Auf einmal ging es nicht mehr nur um Kernkraft, es ging um seine Person und um sozialdemokratische Politik als Ganzes. Das drehte alles: Konservative, die eigentlich für Kernkraft waren, stimmten mit Nein, weil sie gegen Kreisky waren. Linke Atomkraftgegner stimmten hingegen mit Ja, weil sie den Kanzler halten wollten.
Trainingskurse für den Abbau von Atomkraftwerken
Und dann geschah im November 1978 das, womit niemand wirklich gerechnet hatte: Die Atomkraft wurde abgelehnt. Kanzler Kreisky blieb allerdings trotzdem im Amt, erreichte im Jahr darauf sogar sein bestes Wahlergebnis. Später bezeichnete er die Ablehnung der Atomkraft als den besten Entscheid seiner langen Amtszeit. Das österreichische Parlament beschloss noch 1978 ein Atomsperrgesetz. Von der Idee, das AKW doch noch in Betrieb zu nehmen, verabschiedete sich die Energieindustrie allerdings erst viele Jahre später. «Zwentendorf» wurde zum «Ort des permanenten Scheiterns», wie EVN-Sprecher Zach sagt. Denn auch alle Pläne zur Nachnutzung verliefen im Sand: der Umbau zum Gaskraftwerk, der Bau einer Abenteuerwelt, eines Museums der fehlgeleiteten Technologien oder eines Friedhofs für Senkrechtbestattung.
Heute können Techniker aus ganz Europa in der riesigen Halle die Zerlegung alter Atomkraftwerke üben. Etwa 30 AKW, die dem Typ von Zwentendorf ähneln, sind in anderen Ländern noch in Betrieb. Sie werden in naher Zukunft abgeschaltet und müssen abgebaut werden, was etwa eineinhalb Mal so lange dauert wie der Bau und Personal mit grosser Erfahrung braucht. «Wir bieten Trainingskurse für den Abbau an, und wir glauben, dass das Zukunft hat», sagt Stefan Zach.
Keine Zukunft hatte hingegen die direkte Demokratie in Österreich. Nach dem Schock vom November 1978 wurde das Volk nur mehr ein einziges Mal befragt – ob Österreich der EU beitreten solle. 1994 stimmte es mit Ja. Davor und danach gab es zwar etliche Volksbegehren und Volksbefragungen. Aber im Gegensatz zur Volksabstimmung waren ihre Ergebnisse rechtlich nicht bindend und wurden von der Politik weitgehend ignoriert.
11 Kommentare zu «Wie die Österreicher die Kernenergie versenkten»
Und woher haben die Oesterreicher seither ihren Elektrizäts-Bedarf abgedeckt? Mit Alternativ-Energie, aber auch mit Enerie aus Atom- und Kohlekraftwerken aus dem nahen Ausland
Nun, was sind schon 50 oder 60 Jahre AKW-Ablehnung? Die Kerntechnik liegt bei der spezifischen Energiedichte um 12 Zehnerpotenzen höher als Wind, Wasser und Sonne und um 6 Zehnerpotenzen höher als fossile Energieträger. Es ist bei der immer grösseren Bevölkerungsdichte der Welt also nur so klar, dass die KE nie mehr verschwindet. Auch bei uns wird das wieder kommen. Muss einfach neu erfunden werden. Solar und Wind werden Kohle und Atom nicht ersetzen.
Heutzutage würde man sich bei 50.3% nein auf „Internationale Verträge“ berufen, und die Schrottkisten trotzdem in Betrieb nehmen. Demokratie – früher und heute.
Ja, in der Schweiz, in der Schweiz würde man das so machen.
Wer sich noch heute, nach den beiden aufrüttelnden AKW-Katastrophe von Tschernobyl und Fikushima so wie angesichts der immer noch ungelösten und sehr wahrscheinlich nie lösbaren Frage einer «sicheren» Endlagerung des auf Jahrtausende hinaus gefährlichen Atommülls muss der gesunde Menschenverstand und der Selbsterhaltungstrieb NEIN zur Atomstromproduktion sagen. Dies auch angesichts der noch nicht für das Erzeugen von Solarstrom geeigneten, aber noch nicht genutzte Dachflächenund den stetig besser werdenden Möglichkeiten den Solarstrom zu speichern. Wer heute noch vom Ersatz des Atomstroms durch schmutzigen Kohlenstrom schwafelt stellt sich selbst in die Ecke der ewig Vorgestrigen oder setzt sich gar dem Verdacht aus er lasse sich diese Meinung von den AKW-Betreibern bezahlen.
Die Speicherung über Jahrtausende ist voraussichtlich überflüssig. Nach Aussagen des verstorbenen Stephen Hawking hat der Mensch auf diesem Planeten noch eine Restzeit von etwa 100 Jahren zur Verfügung. Und wenn er nicht recht hat, kommt in etwa 10’000 Jahren die nächste Eiszeit. Vielleicht kommt sie sogar früher. In Fiesch führen sie ja seit einigen Jahren mit Bewilligung des Vatikans Prozessionen für das Gletscherwachstum durch. Könnte in 400 bis 500 Jahren wieder wirksam werden.
Die Österreicher haben so abgestimmt, dass sie heute nicht bangen müssen, dass ihnen so ein nukleartechnischer Dinosaurier mit der Tehchnologie der 50-er Jahre um die Ohren fliegt. Sie müssen auch keine Nuklear-Endlager für Eonen unterhalten. Nachdem es auf lobbyistischen Wunsch der Kohle- und Gasindustrie auch keine technologischen Fortschritte mehr in der nuklearen Energiegewinnung gibt, liegt die Zukunft der elektrischen Energiegewinnung nun einmal in im Combo PV/Wind/Wasser/Biogas, das mittels Gaskraftwerken geregelt wird, sowie Kohle, welche die kalte, licht- und windschwache Jahreszeit überbrückt. Das ist eine Win-Win-Situation, indem sich mit den grossen, subventionsbetriebenen PV- und Windkraftwerken völlig neue Möglichkeiten zur Kaufkraftabschöpfung des Bürgers auftun.
Herr Meier, die Anwendung von Kohle und Gas verschlechtert die Luft und so fördert den Klimawandel. Atomkraftwerke mit allen Nachteilen sind viel weniger gefährlich als unsere Fortsetzung der Verbrennung von fossilen Energiequellen. Die Situation, die Sie schldern ist keine Win-Win.
Herr Meier, die Anwendung von Kohle und Gas verschlechtert die Luft und so fördert den Klimawandel. Atomkraftwerke mit allen Nachteilen sind viel weniger gefährlich als unsere Fortsetzung der Verbrennung von fossilen Energiequellen. Die Situation, die Sie schldern, ist keine Win-Win.
Herr Campbell, die vernünftige Alternative zur Atomkraft ist nicht die Kohle, sondern Wasser,Sonne und Wind, kombiniert mit besserer Energieeffizienz und ergänzt durch etwas Gas als Absicherung. Mittelfristig wird Fusionsenergie zur Verfügung stehen, da ist es Wahnsinn, jetzt noch Müll zu produzieren, der für Millionen von Jahren eine Gefahr darstellen wird.
Herr Meier, es ist PV/Wind/Wasser/Biogas, welche seit 30 Jahren von der Atom/Kohle/Öl/Gasindustrie durch gezielte Desinformation und Lobbying in der Politik blockiert wird. Und der erfreuliche Trend in Deutschland, den Eigenverbrauch bis hin zur Insel zu optimieren, wird denen die Kaufkraftabschöpfung noch viele Sorgen bereiten.