Wie Bayern zum «Freistaat» wurde

Die Krone im bayerischen Staatswappen symbolisiert nicht etwa eine Monarchie, sondern die Volkssouveränität. Foto: Getty Images

Es sind turbulente Zeiten, vor 100 Jahren in Deutschland. Die Niederlage des Kaiserreichs im Ersten Weltkrieg ist besiegelt. Dennoch will die Seekriegsleitung die deutsche Hochseeflotte in eine letzte Schlacht gegen die britische Royal Navy schicken. Eine Konfrontation auf See hätte nicht nur das Waffenstillstandsangebot des Reichskanzlers Max von Baden an die Alliierten torpediert, sondern angesichts der Kräfteverhältnisse wohl auch in eine vernichtende Niederlage Deutschlands mit vielen Toten geführt.

Und so führt der Flottenbefehl vom 24. Oktober zuerst zur Meuterei einiger Schiffsbesatzungen, dann zum Kieler Matrosenaufstand und schliesslich zu einer Revolution, die innert weniger Tage das ganze Reich erfasst. Am 9. November überschlagen sich in Berlin die Ereignisse: Philipp Scheidemann ruft die Republik aus, während Max von Baden sein Amt auf den Sozialisten Friedrich Ebert überträgt und – ohne dessen Zustimmung – die Abdankung von Kaiser Wilhelm II. verkündet, der daraufhin nach Holland flieht.

Zu diesem Zeitpunkt ist in München das Geschlecht der Wittelsbacher nach 738 Jahren Herrschaft bereits entmachtet. Weil nach Massendemonstrationen seine Sicherheit nicht mehr gewährleistet ist, verlässt König Ludwig III. die Stadt. Später entbindet er die Beamten und Soldaten ihres Treueeides, doch abdanken wird er nie. Aber die Bayern sind in diesem stürmischen Herbst die Ersten, die ihre marode gewordene Monarchie abschaffen.

Staatsgewalt geht vom Volk aus

Schlüsselfigur ist der aus Berlin stammende und seit 1907 in München lebende Journalist Kurt Eisner von der Unabhängigen Sozialdemokratischen Partei Deutschlands. «Die Dynastie Wittelsbach ist abgesetzt! Bayern ist fortan ein Freistaat», erklärt Eisner an der ersten Sitzung der Arbeiter- und Soldatenräte in der Nacht zum 8. November. Eisner wird Ministerpräsident, verliert aber im Januar 1919 die Landtagswahlen und wird am 21. Februar – noch bevor er seinen Rücktritt erklären kann – vom rechtsextremen Anton Graf von Arco auf Valley erschossen.

Ludwig III., der letze König von Bayern. Foto: Fotoatelier Elvira (Wikipedia)

Ihren formellen Abschluss findet die Novemberrevolution in Deutschland erst am 11. August 1919 mit der Weimarer Verfassung. In Artikel 17 schreibt sie vor: «Jedes Land muss eine freistaatliche Verfassung haben.» Damit betont sie die föderalen Rechte der Länder gegenüber dem Reich. Tatsächlich übernehmen neben Bayern auch Sachsen und andere Länder den Begriff «Freistaat» in ihre amtlichen Bezeichnungen.

Eisner hat den Begriff 1918 zwar als Erster verwendet, doch erfunden hat er ihn nicht. «Freistaat» ist zunächst das deutsche Wort für «Republik». Ein Land, in dem die Staatsgewalt vom Volk ausgeht und in dem das Staatsoberhaupt – im Gegensatz zur Monarchie – direkt oder indirekt vom Volk gewählt wird. Auch in der Weimarer Republik steht «Freistaat» insbesondere für «Nicht-Monarchie».

Auch die Schweiz galt als «Freystaat»

Die Vorsilbe «frei» weist darauf hin, dass sich diese Länder von einer Herrschaft befreit haben respektive dass sie sich selbst verwalten. Freie Städte oder freie Hansestädte gibt es bereits im Mittelalter. Viele haben sich zuvor von den kirchlichen oder weltlichen Stadtherren befreit, alle verfügen über eine eigene Gerichtshoheit, Steuerfreiheit und weitere Rechte. Im 18. Jahrhundert wird die Schweiz immer wieder als «Freystaat» bezeichnet und als Gegenentwurf zur Monarchie des Deutschen Reichs betrachtet.

Bayern nennt sich nach dem Zweiten Weltkrieg wieder Freistaat, nach der Wiedervereinigung folgen Sachsen und Thüringen. Eine Marke geworden ist vor allem der «Freistaat Bayern». Kaum eine bayerische Politikerrede landauf, landab, in der er nicht vorkommt. Dabei hat gerade die erst 1945 gegründete, bis heute staatstragende CSU mit der Proklamation des Freistaates nichts zu tun. Auf Sonderrechte verweist der Begriff auch längst nicht mehr: Bayern ist eines von 16 gleichberechtigten Bundesländern Deutschlands.

10 Kommentare zu «Wie Bayern zum «Freistaat» wurde»

  • Franz sagt:

    ich fand den Artikel sehr interessant , dennoch drückte mein Kompanion auf den „Ist dieser Artikel lesenswert? – Nein“ Button.
    Die ist gänzlich gegen meinen Willen und dies möchte ich hier klar stellen 🙂

  • Johann Heinzl sagt:

    Freistaat, dieser Begriff ist nur dazu da um über den Verlust eines sehr alten und souveränen europäischen Staates und seiner eigenen Kultur hinwegzutäuschen. Auf die versprochene Volksabstimmung zur Zugehörigkeit zu Deutschland, warten sie so vergebens, wie auf Ihre rechtmässige Staatsangehörigtkeit, die ihnen von der Verfassung seit 1818 (und 1946) garantiert wird. Sowie Berlin sich das „Reich“ untertan gemacht hat, geschieht das im Moment mit den europäischen Ländern, nur benutzt niemand einen Panzer, sondern macht den Kontinent platt, unter Zuhilfenahme einer billigen Währung und schlagkräftigen Industrie, wo wäre Deutschlands Export mit der D Mark ? So greift die Aldisierung weiter um sich. Klug eingefädelt, die wenigsten merken es. Deshalb ein Europa der Regionen, Bayxit now !

    • gabi sagt:

      … Wieso lese ich in diesem Beitrag irgendwie ständig: „Reichsbürger“?

      • Johann Heinzl sagt:

        Das frage ich mich auch, vielleicht verwechseln Sie da etwas, ich persönlich reagiere auf diesen Begriff eher mit Gänsehaut !

      • gabi sagt:

        Mir geht´s eben genau so.

        – Okay. Dann habe ich das falsch aufgefasst. Pardon.

        Wahrscheinlich war´s das „… klug eingefädelt… „, das für meinen Geschmack schon etwas nach Verschwörungstheorie klang.

        Dabei weiss doch jeder Kubrik-Fank, dass die Fluorisierung des Trinkwassers der Anfang allen Übels war!

    • Johann Heinzl sagt:

      Merci vielmal, für die Rückmeldung, ich versichere Ihnen ich habe nur eine Allergie gegen alles was zu gross wird, oder sich so gibt ( Brüssel,Berlin undund )

  • Rolf Zach sagt:

    Frankreich und Großbritannien half auch ihr Zentralismus den 1. Weltkrieg zu gewinnen. Die Weimarer Republik hat dann die schlimmsten Mängel im deutschen Föderalismus beseitigt, vor allem im Bereich der Finanzen.
    Interessant ist, dass dies durch Zentrumspolitiker Erzberger durchgeführt wurde, der absolut kein Konservativer und Militarist war, sondern ein aufrechter Demokrat, deshalb wurde er auch ermordet.
    Warum wollten die Militaristen und Revanchisten um Hindenburg keine erneute Thronbesteigung eines Kaisers und vor allem nicht dieses Großmaul Wilhelm II.? Es hätte wieder diesen Fürstenbund von 1871 gebracht, ungeeignet für einen Krieg der Technik, wie der Erste Weltkrieg bereit gewesen war.
    Da war Hitler aufgeklärter als Ludendorff (beide Antisemiten) und dies gefiel Hindenburg.

    • Rolf Zach sagt:

      Hitler hat dann auch sofort Deutschland auf die zentralistische Schiene wie in Frankreich geschoben und dies bereits 1933, wo Hindenburg (absolut kein Freund von Wilhelm II) noch fröhlich lebte. Für Hitler verantwortlich waren zu 99 % Hindenburg und die Generäle der Reichswehr.
      Hitler war der Garant für gute staatliche Organisation wie Frankreich, um einen modernen Krieg vorzubereiten.

      • gabi sagt:

        Zentralismus für den Staat der einen modernen Krieg führen will…. Schön und gut (bzw.: eben nicht!).

        Erst in letzter Zeit ist mir jedoch klar geworden, wie sehr der Kolonialismus im 1. Weltkrieg zum Zünglein an der Waage wurde. Im Gegensatz zu Deutschland, das bereits über sein Schattenplätzchen in dieser Hinsicht geklagt hatte, konnten Frankreich und das Königreich (dank der britischen Flottenüberlegenheit allerdings nur!) auf riesige Ressourcen ausserhalb Europas zurückgreifen, welche die Achsenmächten schlicht nicht besassen. Indische und afrikanische Truppen retteten die Alliierten, die ansonsten wohl überrannt worden wären.
        Wäre Zentralismus alleine die Erklärung, hätte Russland die bestvorbereitetste Kriegspartei sein müssen.

  • Rolf Zach sagt:

    Wir müssen davon abkommen, dass die November-Revolution eine Erweiterung des Föderalismus in Deutschland war. Gerade der Bund der Fürsten, dass das Deutsche Kaiserreich unter der Führung von Preußen ab 1871 war, war wenig da von Zentralismus. Ich wage sogar zu behaupten, die Schweiz hat mit der Bundesverfassung von 1874 weniger Föderalismus gehabt als das deutsche Kaiserreich. Es gab keine einheitliche deutsche Armee, das preußische war nur der Chef-Koordinator mit der Obersten Heeresleitung. Gerade diese Mängel in diesem Fürstenbund deutsches Kaiserreich haben auch etwas zur deutschen Niederlage beigetragen, vor allem im Bereich der Finanzen.

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