Es geht um Respekt, Mann!

Sie wollen Respekt: Frauen protestieren im Januar 2017 am Women’s March in Washington. Foto: Keystone

Warum wählten viele Amerikaner Donald Trump, warum wählten die Briten den Brexit, warum wählten die Ungarn Viktor Orban, warum streiten die Deutschen so hysterisch über Einwanderer? Antwort: It’s not the economy, stupid.

Die Denkmuster aus dem 20. Jahrhundert reichen offenbar nicht mehr, um die Politik unserer Zeit zu durchschauen. Mit dem heutigen Wohlstand prägen andere menschliche Bedürfnisse und Motive die grosse Debatte.

Diesen Bruch thematisiert jetzt Francis Fukuyama, der bekannte Politologe, in seinem neuen Buch: «Identity». Die Frage, wer wir sind, habe heute eine stärkere Macht als das Bedürfnis nach Geld, Sicherheit oder Karriere. Und verändert haben sich unsere Vorstellungen von gerecht und ungerecht.

Ideale statt Konsumgüter

Das heisst: Der moderne Mensch muss sich nicht mehr über grosse Klassenunterschiede empören. Umso mehr empört er sich über kleine gesellschaftliche Benachteiligungen – vor allem wenn er glaubt, dass sie ihn persönlich treffen. Er revoltiert, weil Homosexuelle nicht heiraten dürfen. Oder er wird wütend, weil sich die grosse Politik offenbar nicht mehr um den weissen Mittelstandsbürger kümmert. Oder weil man als Osteuropäer womöglich weniger gilt denn als Westeuropäer. Oder als Muslim weniger denn als Amerikaner.

Francis Fukuyama wurde bekannt und kritisiert für seinen Essay vom «Ende der Geschichte». Das war 1989, und er stellte fest, dass die Geschichte nicht auf den Kommunismus zuläuft, wie die Marxisten gepredigt hatten, sondern eher auf eine demokratische, liberale, kapitalistische Welt: Ende gleich Zielrichtung.

Dazu steht er im Grundsatz immer noch. Doch der Stanford-Professor gibt auch zu, dass die liberalen Staaten starke Sehnsüchte unbefriedigt lassen. Sie liefern ganz gute Konsumgüter, aber der Mensch sucht Grösse. Er sucht das Aussergewöhnliche. Er will Leidenschaft, er will Idealen nachjagen. Und da wirkt die moderne Demokratie eher dürftig. Grosse Anerkennung und Würdigung bietet sie wenigen.

Demokratie ist ungerecht

Und der liberale Staat verteilt seinen Respekt keineswegs gerecht. Deshalb konnte die Linke nach dem Ende der alten Klassenkämpfe problemlos neue Gruppen zum Opfer erklären: Frauen, Einwanderer, Secondos, Menschen mit einer Behinderung, Menschen mit einer speziellen sexuellen Orientierung, #blacklivesmatter, #MeToo. Das Problem dabei: Jeder Fight für Spezialgruppen kratzte auch an der Legitimation des Ganzen – also der Demokratie.

Auf der anderen Seite stellten rechte Politiker fest, dass sich Stimmen und sogar Wahlen gewinnen lassen mit dem Groll von Durchschnittsbürgern, die finden, dass ihr Lebensstil, ihre Herkunft, ihr Land und ihre Religion nicht mehr so viel Achtung geniessen wie früher.

«Der Wunsch nach Anerkennung der eigenen Identität ist ein Gesamtkonzept, das vieles verbindet, was in der Weltpolitik von heute vor sich geht», schreibt Fukuyama.

Bomben für Respekt

Damit rutscht eine Kategorie ins Rampenlicht, die zuvor nebensächlich war: Respekt – so das politische Leitmotiv. Um Respekt bomben die Islamisten. Respekt für die Grösse Russlands verlangt Wladimir Putin; ein schöner Teil seiner Wirkung baut darauf. Respekt forderten die Massen im arabischen Frühling. Schon seit der Französischen Revolution vor über 200 Jahren – so Fukuyamas Darstellung – flammte der Kampf um die Anerkennung dessen, was der Bürger im tiefsten Inneren ist, immer wieder auf. Nur wurde dieser Kampf bislang wenig beachtet und analysiert.

Volkspsychologie statt Ökonomie? Identität statt der sozialen Frage? Das Schema ist selber wiederum zu einfach. Aber es hilft vielleicht mit, dass wir die Wahl von Trump, die Demos von Chemnitz oder den Brexit nicht mehr so sehr mit den veralteten Mustern des 20. Jahrhunderts deuten.

10 Kommentare zu «Es geht um Respekt, Mann!»

  • Anh Toàn sagt:

    Respekt kann man nicht verlangen, Respekt kann man nicht kaufen, Respekt muss man sich verDIENEN.

  • Andreas sagt:

    Jeder will bei der Unterdrückten-Olympiade ganz oben mitmischen. Dafür werden Leute gerne über ihre Gruppenidentität definiert und beurteilt. Das Konzept und die Bedeutung des Individuums verschwindet damit langsam aber sicher.

    • gabi sagt:

      Stimmt.

      Aber das Schlimmste dabei:

      Von Individuen so gewollt, die sich offenbar nur in einer Meute wohlfühlen; sich nur als Gruppe in Ablehnung einer anderen Gruppe zu spüren vermögen.

      Beklemmend und auf einem altbekannten Weg. Bloss, weil die nicht plumpe Hakenkreuzbinden tragen, sondern sich im Gegenteil auch gegen Nazis abzugrenzen behaupten, ändert keinen Deut am Umstand, dass der Faschismus wieder fröhliche Urstände feiert.

      … Aber ein Grossteil der Gesellschaft merkt´s nicht mal, weil sie „die Bösen“ an klischeebehafteten Merkmalen des letzten Jahrhunderts festmachen will.

  • Peter Münger sagt:

    Ein weiteres Blablabla des Herrn Fukuyama. Und ein entsprechend nichtsagender Artikel. Schade. Es gäbe so viel zu sagen.

  • Martin sagt:

    Geht es nur mir so, oder ist die Politik an einem Punkt angelangt, wo es keine Konventionen zu brechen mehr gibt und man verzweifelt nach irgendwelchen politischen Revolten sucht? Ist irgendwie wie in der Musik. Früher wollten die Amis den Rap verbieten; heute singt jeder zweite über irgendwelche „bitches“ etc.. Oder auch im Film. Gab es dort früher Tabus, sind diese heute eigentlich nicht mehr vorhanden. Irgendwie habe ich den Eindruck, dass diese ganzen #blacklivesmatter, #metoo, #xy nur noch leichte, wenn nicht sogar gesuchte, Empörungen darstellen. Wie hoch war der Stimmanteil bei dieser Abstimmung? 35%? Wie viele Leute wissen überhaupt noch über das Polit-System der Schweiz bescheid? Ich denke, die meisten interessiert es überhaupt nicht mehr.

  • gabi sagt:

    Nanu?

    Technische Schwierigkeiten?

    Erst verschwindet eine Antwort ellelang. Dann taucht sie plötzlich mit dem zweiten Versuch wieder auf… Doch dann sind Beide nicht mehr unter dem ersten Beitrag, wo die eigentlich hin gehörten.

    Richtigstellen wäre gut, Blogmaster.

    Merci.

  • gabi sagt:

    Da hier oben Russland erwähnt ist, sei an dessen altes Bonmot erinnert:

    „Russland wird nur respektiert, wenn es gefürchtet wird.“

    Was dann stets in die fatale Zirkelschlusschlaufe führt, dass man sich bloss noch mit jenen „Fertigkeiten“ beschäftigt, welche alle Anderen verstören und verschrecken, anstatt sich tatsächlich einmal Dingen widmen, für die man echten Respekt verdienen könnte.

    … Und dies gilt bei Weitem nicht nur für Putins Kleptokratie, sondern ebenso für Erdogan oder Kadyrov. Aber für den Komplexhaufen Trump ebenso wie für alle anderen Idioten dieser Welt, die stets eine Extrawurst fordern und sich lieber larmoyant mit vermeintlichen „Respektlosigkeiten“ ihnen gegenüber beschäftigen, anstatt mit Regeln, die für alle und jeden zu gelten haben.

  • gabi sagt:

    Da etwa Russland erwähnt wurde, sei auf das alte Bonmot der Russen hingewiesen:

    „Russland wird nur respektiert, wenn es gefürchtet wird.“

    Was natürlich die fatale Zirkelschluss-Schlaufe bedient, dass es sich somit auch nur noch mit jenen Dingen ernsthaft zu befassen hat, die alle Anderen zum Fürchten bringen… Anstatt sich Respekt auf eine respektable Art zu erarbeiten.

    Und das gilt für einen Erdogan genauso, wie es schon für einen Milosevic oder Kadyrov gegolten hat; es zeichnet sich im Verhalten des Komplexhaufens Trump ebenso ab, wie im larmoyanten Grossteil der Muslime, die sich ständig bloss zu wenig „respektiert“ sehen… Anstatt sich zu überlegen, was denn wohl als respektabel gelten könnte, in einer Gemeinschaft; sei´s zwischen Staaten oder in Staaten.

  • gabi sagt:

    Ein sehr, sehr schwieriges Wort, um sich daraus eine Erklärung zu basteln:

    „Respekt“

    Denn dieses Wort begegnet uns keineswegs erst in der Politik, sondern wird von jedem Gehsteigschläger im Grundwortschatz geführt. Kommt gleich schon hinter Floskeln wie „WasluegschmisoaaMann!?“

    Faszinierenderweise sind es auch grad diejenigen, die Anderen überhaupt keinen Respekt bezeugen können (was sich etwa in Grundumgangsformen äussern müsste), aber im Gegenüber stets einen Mangel an Ebensolchem vermuten. Doch im Grund genommen ist es nur die Unfähigkeit zu kapieren, was GEGENSEITIGER Respekt überhaupt bedeutet; in ihrer Wahrnehmung ist Respekt bloss ein Synonym von Furcht.

    Leider gilt genau dies auch auf politischer Ebene für Staaten, die sich auf ähnlichem Niveau bewegen.

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