Der radikale Moralist

Empfang mit Hurra-Rufen: «Einzug der Freischärler in Lörrach am 20. April 1848», gemalt von Friedrich Kaiser. Foto: PD

Empfang mit Hurra-Rufen: «Einzug der Freischärler in Lörrach am 20. April 1848», gemalt von Friedrich Kaiser. Foto: PD

Nur ein schäbiger Schriftzug am Alten Rathaus in Lörrach, gleich bei der Basler Strasse, erinnert an das Ereignis: «Hier hat Gustav Struve am 21. September 1848 die deutsche Republik ausgerufen.» Am Abend um 18 Uhr, um genau zu sein, zum Feierabendbier gewissermassen.

Gustav Struve brachte damit die Badische Rebellion von 1848 denkbar nahe an die Schweizer Grenze. Der radikale Erneuerer hoffte mit seiner Proklamation einen Flächenbrand gegen die Obrigkeit des Grossherzogtums Baden-Württemberg auszulösen. Es kam nur zu einem kurzen Aufflackern – das Paradebeispiel einer gut gemeinten politischen Kampagne, die gründlich schiefging.

Schon der frühe Abend ist nicht die Tageszeit, zu der grosse politische Umwälzungen ihren Anfang nehmen. Zumal der Feldzug der Revolutionäre erst um 16 Uhr begann – als eine Art Nachmittagsspaziergang. Das unbewaffnete, aber unerschrockene revolutionäre Trüppchen von Exildeutschen verliess die sichere Schweiz und überquerte bei Riehen die Grenze. Die badischen Grenzbeamten hinderten sie nicht an der Einreise. Die Zöllner werden sich vielmehr gewundert haben, was um alles in der Welt die umtrieb.

«Wohlstand, Bildung, Freiheit für alle!»

Kaum in Baden, schlossen sich den tapferen Helden weitere Gesinnungsgenossen an. Man marschierte nach Lörrach, wo die radikal-liberalen Rebellen mit Hurra-Rufen empfangen wurden. Die bewaffnete Bürgerwehr hatte nämlich im Lauf des Tages die Macht übernommen und die Beamten des Grossherzogtums festgesetzt. Struve nutzte die Gunst und hielt auf dem Balkon eine rebellische Rede: «Wohlstand, Bildung, Freiheit für alle!», lautete sein Bekenntnis in Erinnerung an die Französische Revolution. Er rief eine deutsche Republik aus und verhängte sogleich das Kriegsrecht; alle kampffähigen Männer sollten sich Waffen besorgen und gegen die reaktionäre Obrigkeit kämpfen. Diese Geschehnisse gingen als «Struve-Putsch» in die Geschichte ein, was ziemlich grossartig tönt.

Ein paar Tage später kam es etwas nördlich zu einer bewaffneten Auseinandersetzung mit den grossherzoglichen Truppen; Gustav Struve geriet kurz danach in Haft. Schon damals warnten Stimmen in seinen eigenen Reihen vor dem dilettantischen Aufstand. Struve schätzte anscheinend die politische Lage in Deutschland falsch ein. Er marschierte los, nachdem er von einer Rebellion in Frankfurt gehört hatte und glaubte, die Zeit für einen radikalen, ja frühsozialistischen Umsturz sei gekommen. In seinem «Plan zur Revolutionirung und Republikanisirung Deutschlands» propagierte er die Abschaffung der Monarchie, die deutsche Einheit und bürgerliche Rechte. Ein «Arbeitsministerium» sollte das «Missverhältnis zwischen Arbeit und Kapital» beseitigen, denn die Arbeit müsse vom Gewinn mitprofitieren. Solche Forderungen mussten der Obrigkeit in der ersten Hälfte des vorletzten Jahrhunderts ein Grauen gewesen sein.

Zurück in die sichere Schweiz

Nur mit viel Glück endete Struve im Gegensatz zu etlichen seiner Mitstreiter nicht vor einem Erschiessungskommando; er wurde zu einer langjährigen Haftstrafe verurteilt wurde. Nach ein paar Wochen befreiten ihn Gesinnungsgenossen aus dem Gefängnis von Bruchsal. Danach tat er das, was ihm der gesunde Menschenverstand riet: Zurück in die sichere Schweiz, wo Revolutionäre wie Struve zwar nicht gerade willkommen waren, aber immerhin unbehelligt blieben.

Wer aber war dieser Haudegen der Gutmeinenden? Er stammte aus einer kleinadligen Familie im Magdeburgischen und wurde Jurist. Der radikale Moralist wandte sich der liberalen Bewegung in Baden-Württemberg zu. Passend dazu heiratete er die Frauenrechtlerin Amalie Düsar und legte seinen Adelstitel ab.

Das Paar radikalisierte sich, musste auch die Schweiz verlassen und zog 1851 in die USA, wo Amalie verstarb. Struve kehrte später nach Deutschland zurück. Er enthielt sich im Alter der politischen Agitation, blieb aber der Moralist, der er immer war: Er begründete 1868 die deutsche Vegetarierbewegung.

6 Kommentare zu «Der radikale Moralist»

  • Georg Ruf sagt:

    Das Grossherzogtum hieß Baden, Württemberg war das Land des Königs von Württemberg und der hatte keinesfalls vor, es seinem Nachbarn abzugeben.

  • Christian Imhof sagt:

    Grossherzogtum Baden, nicht Grossherzogtum Baden-Württemberg.
    Die Vereinigung von Baden und Wüttemberg erfolgte erst 1952.

  • Marcel M. Pfister sagt:

    1848 gab es ein Grossherzogtum Baden und ein Königreich Württemberg. Die beiden Monarchien wurden 1918 Republiken in der späteren Weimarer Republik und erst in den 50er Jahren des letzten Jahrhunderts durch ein Plebiszit zum Bundesland Baden-Württemberg.

  • Mike Cadell sagt:

    Eine der Hauptvorderungen der Revoluzionäre von 1848 war, und das wird heute gerne verschwiegen, die Volksbewaffnung. Eine Art 2ter Verfassungszusatz für die Europäer. Linke berufen sich gerne auf 1848, aber sie handeln 180° in die andere, etatistische und repressive Richtung

  • Chrisoph Gerber sagt:

    Grossherzogtum Baden-Württemberg? So etwas gab es nie!

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