Der Einflüsterer der Königin

Sir Walter Raleigh beherrschte das Spiel der Macht wie kein Zweiter: Porträt von 1588. Bild: National Portrait Gallery/Wikipedia
Überall wo Meucheln angesagt war, durfte Walter Raleigh nicht fehlen. Der Seefahrer und Abenteurer stieg in Frankreich aufseiten der Hugenotten gegen die katholische Krone in den Kampf und unterdrückte die katholischen Iren im Dienste Englands. Vor allem aber gilt er als wegweisender Kolonialist in Amerika, und er sorgte als Geschäftsmann dafür, dass seine Taschen prall gefüllt waren. Sir Walter Raleigh (1552–1618) war einer, den man nach heutigen Kriterien nicht gut finden kann.
Oder etwa doch? Historiker pflegen Protagonisten der Geschichte wie Insektenforscher unter der Lupe zu analysieren. Sie erklären deren Verhalten aus den sozialen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Gegebenheiten. Selbst Unpersonen wie Adolf Hitler oder Josef Stalin sind in dieser Sichtweise Figuren ihrer Zeit, die dank der sozialen Umstände an die Macht kamen und diese missbrauchen. Moralische Kriterien erübrigen sich weitgehend. So gesehen war Walter Raleigh ein typischer Held des Elisabethanischen Zeitalters: Skrupellosigkeit war die einzig gültige Lebensversicherung – ähnlich wie in der florentinischen Renaissance.
Die Eifersucht der Queen
Der amerikanischen Autor John Butman und der englische Historiker Simon Targett zollen in ihrem neuen Buch «New World, Inc.» Raleigh in dieser Hinsicht Respekt. Am wichtigsten war für ihn, sich zuerst die Gunst der Krone zu sichern: «Er wurde für Elisabeth zum Orakel.» Sie überschüttete ihn zum Dank mit Gütern, und vor allem gewährte sie ihm Lizenzen für den lukrativen Stoff- und Weinhandel. Mit diesem Geld konnte er seine Expeditionen nach Amerika finanzieren. Er gründete auf einer Insel vor Virginia – benannt nach der «Virgin Queen» – 1585 eine erste Kolonie, die allerdings scheiterte.
Ironie der Geschichte: Raleigh durfte nicht mitreisen, zu sehr war er seiner Meisterin ans Herz gewachsen. Dafür sollte er eine weitere Lizenz erhalten, nämlich den unbekannten Kontinent als Geschäftsfeld erschliessen zu lassen. Dem Oberhaus der Adligen ging das allerdings zu weit, sie traten auf das Begehren nicht ein.
Erst als Walter Raleigh sein Herz einer andern «Bess» schenkte, fiel er in Elisabeths Ungnade. Wie immer, wenn sich Geschäft und Gefühle vermischen, ging das schief, und er erhielt ein paar Jahre Gelegenheit, im Londoner Tower über seine amourösen Präferenzen nachzudenken.
Eine Hinrichtung als Zeichen des guten Willens
Elisabeth selbst kannte die Spielregeln von Macht und Gunst besser als alle anderen ihrer Zeit. Das ist verständlich, immerhin liess ihr zuerst verliebter Vater Heinrich VIII. ihre Mutter Anne Boleyn aus politischen Gründen hinrichten. Ein solches Elternhaus gibt jedem Kind einen Hinweis auf das spätere Erwachsenenleben.
Mit der Zeit steckte die Monarchin ihre Eifersucht weg und liess Raleigh frei, weil sie auf seinen Geschäftssinn hoffte. Sie liess ihn an den Orinoco in Brasilien fahren, um das von den Spaniern gelobte «El Dorado» zu suchen. Er entdeckte es nicht. Dafür fand er einen andern Weg, dem Erzfeind Englands das Leben zu versauern und nahm an der Eroberung von Cadiz in Südspanien teil.
Just Raleighs Hass gegen die Spanier sollte ihm indes selbst zum Verhängnis werden. Nach Elisabeths Tod folgt der Schotte Jakob I. auf den Thron. Er suchte so schnell wie möglich die Aussöhnung mit den Spaniern und liess als Zeichen des guten Willens Raleigh wieder in den Tower bringen, wo er im Herbst 1618 seinen Kopf unter dem Schwert des Scharfrichters verlor – sein letzter Kampf um die Macht.
Dennoch: Vergegenwärtigt man sich das Leben von Sir Walter Raleigh, kann man sich der Bewunderung nicht entziehen. Er beherrschte das Spiel um die Macht besser als die meisten seiner Zeitgenossen. Er zeichnete sich durch einen grossartigen Mut und cleveren Geschäftssinn aus – auch wenn er dafür über Leichen ging.
3 Kommentare zu «Der Einflüsterer der Königin»
Eine interessante Figur, dieser Raleigh. Lebenslauf und Charakter gleichen in vielen Belangen jenen seines bekannteren Zeitgenossen Sir Francis Drake, der trotz grosser Verdienste im Kampf gegen Spanien auch immer wieder um die Gunst von Queen Elisabeth bangen musste. Sein früherer Tod hat ihn vermutlich vor einem ähnlichen Ende wie Raleigh bewahrt.
Lieber Herr Hartl, mit 66 Jahren … ein früher Tod? Ach so, seit Udo Jürgens wissen wir: mit 66 Jahren, da fängt das Leben an.
Es steht nicht «früher» Tod, sondern «früherer» Tod. Er starb noch zur Regierungszeit von Queen Elisabeth, und konnte daher von King Jakob nicht mehr für seine Taten gegen Spanien zur Rechenschaft gezogen werden. Viel schöner war sein Tod allerdings auch nicht. Er starb auf hoher See an der Ruhr.